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Das Verhältnis von Utopie, SF und Alternate History


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316 Antworten in diesem Thema

#1 Theophagos

Theophagos

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Geschrieben 01 August 2011 - 11:52

In dem Thread über das Novum in der SF kam die Frage nach jenem Verhältnis auf und um den Thread nicht auszufransen, wollte ich hier mal einen neuen starten.

Ich will mal ein paar Eckpfeiler aufstellen.

1. Phantastische Literatur ist deshalb phantastisch, weil sie ein phantastisches Element mit geschichtsprägender Bedeutung verwendet. (Als "phantastisch" will ich hier etwas verstehen, dass wir in der Realität für unmöglich halten. Wenn uns ein Arbeitskollege erzählt, er sei im Urlaub mit der Enterprise unter Kirks Kommando mit Warp 6 zum Planeten Vulkan geflogen, um die romulanische Invasion abzuwehren, dann würden wir vielleicht an ein neues Computerspiel oder an eine LSD-Pille zu viel denken, aber kaum daran, dass er diese Reise wirklich unternommen hätte.)
2. SF verwendet der Tendenz nach phantastische Elemente, die technischer Natur sind (selbst wenn es um Wissenschaftlichkeit geht, wird diese in der Tendenz doch von technischen Apparaten umgesetzt). Es muss dabei nicht wirklich wissenschaftlichen Ansichten standhalten, sondern sich nur diesen Anstrich geben. Man könnte die Naturwissenschaft (bes. die Physik) als Stichwortgeber verstehen.
3. In der Utopie geht es um ein phantastisches Element gesellschaftlicher Natur - es wird aktuell der Tendenz nach eine zukünftige Gesellschaft beschrieben, die (mehr oder minder dominante) Fehlentwicklungen aufweist. Diese Fehlentwicklungen gehen bisweilen auf technische, bisweilen auf politisch/wirtschaftliche Entwicklungen zurück; seit einiger Zeit erfreuen sich auch Umweltveränderungen einer gewissen Beliebtheit. Man könnte Soziologie & Politologie als Stichwortgeber verstehen.
4. In der Alternate History geht es wiederum um ein phantastisches Element gesellschaftlicher Natur, do wo die Utopie zumeist in die Zukunft projiziert, nimmt die AH einen anderen 'historischen' Verlauf an. Wie in der properen SF kann diese mehr oder minder locker mit wissenschaftlichen Ansichten umgehen. Man könnte die Geschichtswissenschaft als Stichwortgeber verstehen.
5. Im historischen Roman gibt es gerade kein phantastisches Element, denn es geht um die realistische Nachzeichnung eines historischen Moments (vielleicht als Sittengemälde, vielleicht als Biografie). Historische Krimis stehen dem historischen Roman zwar sehr nahe, doch das Historische ist hier in erster Linie Ikonografie und nur bedingt zentrales Thema.

Lucardus meinte, dass man die AH auch zum historischen Roman zählen könne, da es ja kein phantastisches Element technischer Natur gäbe. Es gibt natürlich einige Anknüpfpunkte zwischen historischem Roman und AH - die Ikonografie gleich, viele Werke der AH bemühen sich genauso ernsthaft darum, dem historischen Stoff gerecht zu werden, wie historische Romane es tun. Doch beim historischen Roman geht es ja gerade um historische Akkuratheit - Hitler hat eben nicht den Krieg gewonnen. Selbst kleine, für den Plot irrelevante Abweichungen von den tatsächlichen Ereignissen werden als schwerwiegende Fehler betrachtet; bei der AH ist das konstituierendes Moment.
Mir scheint, dass SF, Utopie und AH aufgrund ihrer Anbindung an wissenschaftliche Vorstellungen durchaus zusammengehören. Momentan sieht es für mich so aus, dass die SF auf der einen Seite des Spektrums steht und die AH auf der anderen Seite mit der Utopie in der Mitte dazwischen.

Theophagos
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#2 Thomas Sebesta

Thomas Sebesta

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Geschrieben 01 August 2011 - 12:21

...
Mir scheint, dass SF, Utopie und AH aufgrund ihrer Anbindung an wissenschaftliche Vorstellungen durchaus zusammengehören. Momentan sieht es für mich so aus, dass die SF auf der einen Seite des Spektrums steht und die AH auf der anderen Seite mit der Utopie in der Mitte dazwischen. ...


Das ist eben die Frage die sich mir derzeit in Punkto Utopie stellt. Ist Utopie als Vorläufer der Science Fiction zu bertrachten, aber nicht SF und gibt es da unterscheidungspflichtige Punkte oder ist Utopie = Science Fiction und kann Sie aus diesem Titel dieser untergeordnet werden.
Ich habe da immer Zuordnungsprobleme. Gehört die Utopie überhaupt zum phantastischen Genre und muss ich sie daher der Vollständigkeithalber in eine Betrachtung mit ein beziehen oder kann ich die Utopie aussen vor lassen wenn ich die Phantastik einer Betrachtung unterziehe?

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#3 Konrad

Konrad

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Geschrieben 01 August 2011 - 13:42

4. In der Alternate History geht es wiederum um ein phantastisches Element gesellschaftlicher Natur, do wo die Utopie zumeist in die Zukunft projiziert, nimmt die AH einen anderen 'historischen' Verlauf an. Wie in der properen SF kann diese mehr oder minder locker mit wissenschaftlichen Ansichten umgehen. Man könnte die Geschichtswissenschaft als Stichwortgeber verstehen.

Da gibt es eine gewisse Parallele zur SF.
Viele Historiker lehnen die kontrafaktische Geschichte ebenso ab, wie viele Physiker die Parapsychologie. ;)

#4 Diboo

Diboo

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Geschrieben 01 August 2011 - 13:59

Da gibt es eine gewisse Parallele zur SF.
Viele Historiker lehnen die kontrafaktische Geschichte ebenso ab, wie viele Physiker die Parapsychologie. ;)


Nicht ganz so schlimm. Historiker müssen sich dauernd mit kontrafaktischer Geschichte befassen, wie kürzlich etwa ein sehr berühmter Geschichtsprof in der Welt auf die Frage hin, was geschehen wäre, wenn das Attentat auf Hitler 1944 erfolgreich gewesen wäre. Und es gibt weitaus mehr Beteiligung von ernsthaften Historikern an kontrafaktischen Veröffentlichungen als von ernsthaften Physikern an parapsychologischen. Ich denke daher, dass der Vergleich ein wenig hinkt.

Was die andere Frage angeht, so bin ich überzeugt, dass die AH zur SF gehört und nicht zu den historischen Romanen. Es ist das phantastische Element, das hier ausschlaggebend ist, durch das das Unmögliche nun möglich wird. Und vergessen wir nicht, dass viele AH-Romane ein klassisches SF-Device - die Zeitreise - zum Ausgangspunkt haben.

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#5 Konrad

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Geschrieben 01 August 2011 - 14:16

Und es gibt weitaus mehr Beteiligung von ernsthaften Historikern an kontrafaktischen Veröffentlichungen als von ernsthaften Physikern an parapsychologischen.

Vermutlich ist die Beteiligung umgekehrt proportional zur Höhe der Fördermittel. ;)

Bearbeitet von Konrad, 01 August 2011 - 14:22.


#6 Diboo

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Geschrieben 01 August 2011 - 14:19

Vermutlich ist der Unterschied direkt proportional zur Höhe der Fördermittel. ;)


Nein. Kontrafaktische Geschichtsschreibung mag nicht "seriös" sein, zumindest nicht immer, aber sie ist ein legitimes und manchmal auch amüsantes intellektuelles Gedankenspiel, d.h. man muss sich auch als ausgewiesener Historiker nicht allzu sehr in den Dreck legen, wenn man da mal mitmacht.
Ich glaube, das Verhältnis eines klassischen Naturwissenschaftlers zur Parapsychologie ist noch ein anderes :-)

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#7 Konrad

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Geschrieben 01 August 2011 - 14:43

Nein. Kontrafaktische Geschichtsschreibung mag nicht "seriös" sein, zumindest nicht immer, aber sie ist ein legitimes und manchmal auch amüsantes intellektuelles Gedankenspiel, d.h. man muss sich auch als ausgewiesener Historiker nicht allzu sehr in den Dreck legen, wenn man da mal mitmacht.
Ich glaube, das Verhältnis eines klassischen Naturwissenschaftlers zur Parapsychologie ist noch ein anderes :-)

Ja, da könntest du recht haben. ;)
Bestimmte Gebiete der Quantenmechanik könnten da einen besseren Vergleich liefern.

#8 Turbinenreiter

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Geschrieben 01 August 2011 - 15:20

wenn ich mir überlege, was gewesen wäre, wäre etwas anders passiert, hilft mir das doch das geschehene zu bewerten. insofern halte ich die fragestellung nicht für unwissenschaftlich.

#9 Thomas Sebesta

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Geschrieben 01 August 2011 - 15:26

...
Was die andere Frage angeht, so bin ich überzeugt, dass die AH zur SF gehört und nicht zu den historischen Romanen. Es ist das phantastische Element, das hier ausschlaggebend ist, durch das das Unmögliche nun möglich wird. Und vergessen wir nicht, dass viele AH-Romane ein klassisches SF-Device - die Zeitreise - zum Ausgangspunkt haben.


Es gibt aber auch AH-Romane, in denen keine Erklärung darüber abgegeben wird, wie es zu der alternativen Entwicklung kommt. Es wird nicht explizit erklärt, dass es Paralelluniversen gibt oder dass eine Zeitreise stattfindet. Das angebotene Setting wird einfach postuliert. Kann man solche Romane immer noch guten Gewissens der SF zurechnen oder muss man sie nicht einfach als "Phantastisch" bezeichnen ohne einer weiteren Spezifizierung.

Die Frage ist also, lassen sich alle Werke mit phantastischem Inhalt in die vorhandenen Genre SF, Fantasy, Horror, Märchen einreihen oder bleibt da eine gewisse "Restmenge"?

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#10 simifilm

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Geschrieben 01 August 2011 - 15:57

Nein. Kontrafaktische Geschichtsschreibung mag nicht "seriös" sein, zumindest nicht immer, aber sie ist ein legitimes und manchmal auch amüsantes intellektuelles Gedankenspiel, d.h. man muss sich auch als ausgewiesener Historiker nicht allzu sehr in den Dreck legen, wenn man da mal mitmacht.


Es ist auch eine ziemlich nahe liegende Sache. Ich habe in Geschichtsvorlesungen so oft erlebt, wie ein Zuhörer die Frage gestellt hat: "Ja, aber was wäre nun gewesen, wenn †¦".

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#11 †  a3kHH

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Geschrieben 01 August 2011 - 15:58

Ist Utopie als Vorläufer der Science Fiction zu bertrachten, aber nicht SF und gibt es da unterscheidungspflichtige Punkte oder ist Utopie = Science Fiction und kann Sie aus diesem Titel dieser untergeordnet werden.

Du gehst von einem wohldefiniertem SF-Begriff aus, der ziemlich eng gefasst ist. Definiere doch bitte möglichst exakt den Begriff "Science Fiction" - dann gibst Du Dir die Antwort selbst.

#12 †  a3kHH

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Geschrieben 01 August 2011 - 16:02

Die Frage ist also, lassen sich alle Werke mit phantastischem Inhalt in die vorhandenen Genre SF, Fantasy, Horror, Märchen einreihen oder bleibt da eine gewisse "Restmenge"?

Es bleibt immer eine Restmenge, die sich nicht einordnen lässt. Die ist abhängig von der Exaktheit der Definitionen unterschiedlich groß, aber es gibt immer Werke, die sich einer Einordnung entziehen.
Bestes Beispiel dafür ist Markus K. Korb, dessen Kriegsgeschichten ich keiner dieser vier Bereiche zuordnen könnte.

#13 simifilm

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Geschrieben 01 August 2011 - 16:14

Das ist eben die Frage die sich mir derzeit in Punkto Utopie stellt. Ist Utopie als Vorläufer der Science Fiction zu bertrachten, aber nicht SF und gibt es da unterscheidungspflichtige Punkte oder ist Utopie = Science Fiction und kann Sie aus diesem Titel dieser untergeordnet werden.
Ich habe da immer Zuordnungsprobleme. Gehört die Utopie überhaupt zum phantastischen Genre und muss ich sie daher der Vollständigkeithalber in eine Betrachtung mit ein beziehen oder kann ich die Utopie aussen vor lassen wenn ich die Phantastik einer Betrachtung unterziehe?


Das hängt primär davon ab, wie Du "Phantastik" definierst.

Es gibt aber auch AH-Romane, in denen keine Erklärung darüber abgegeben wird, wie es zu der alternativen Entwicklung kommt. Es wird nicht explizit erklärt, dass es Paralelluniversen gibt oder dass eine Zeitreise stattfindet. Das angebotene Setting wird einfach postuliert. Kann man solche Romane immer noch guten Gewissens der SF zurechnen oder muss man sie nicht einfach als "Phantastisch" bezeichnen ohne einer weiteren Spezifizierung.

Die Frage ist also, lassen sich alle Werke mit phantastischem Inhalt in die vorhandenen Genre SF, Fantasy, Horror, Märchen einreihen oder bleibt da eine gewisse "Restmenge"?


Ich muss da Alfred beipflichten: Es ist ein Irrtum zu meinen, es wären saubere Genreeinteilungen möglich, bei denen jedes Werk in sein Kästchen passt. Mischformen und "Anomalien", die nicht sauber ins Raster passen, sind nicht die Ausnahme, sondern eigentlich eher der Normalfall. Vor allem ist keine Genredefiniton je fix, sondern hängt immer vom Kontext ab.

Ohnehin habe ich nie recht verstanden, warum Horror und SF klar getrennte Genres sein sollen. Denn Horror beschreibt ja in erster Linie die Wirkung auf die Zuschauer. Diese horrifizierende Wirkung ist aber in ganz unterschiedlichen Settings möglich.

Nur mal auf die Schnelle ein paar Stichworte zu Utopie und SF:

- Die Utopie ist als Gattung bedeutend älter. Thomas Morus' Utopia ist 1516 erschienen. Je nach Standpunkt wird die "Geburt" der SF zwar unterschiedlich angesetzt, zumindest in meinen Augen ist sie aber klar ein neuzeitliches Phänomen. Ob man nun Frankenstein (1818) oder einen anderen Text als "ersten" SF-Text auserwählt - SF taucht als eigene Form erst im 19. Jahrhundert auf.

- Bis Ende des 18. Jahrhunderts spielen Utopien ausnahmslos in der Gegenwart und nicht in der Zukunft.

- Weil die frühen Utopien nicht in der Zukunft spielen und weil die Idee des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts insgesamt ein Konzept der Neuzeit ist, sind technische Nova in den frühen Utopien entweder gar nicht vorhanden oder ein Randphänomen. Sie sind auf jeden Fall nicht das, was den Hauptunterschied zwischen der utopischen und der realen Welt ausmacht. Die Utopie zeichnet sich in erster Linie durch ihre politisch-soziale Organisation aus.

- Mit der Verlagerung der Utopie in die Zukunft und der industriellen Revolution werden Nova in den Utopien des 19. Jahrhunderts immer geläufiger. SF und Utopie beginnen sich immer mehr zu überlagern (oder vielmehr: Utopien sind ab dann fast ausschliesslich in SF-Welten, also Welten, die durch Nova gekennzeichnet sind, angesiedelt).

- Negative Utopien wiederum, sogenannte Dystopien, tauchen erst im 20. Jahrhundert auf. Als erste Dystopie gilt im allgemeinen Wir von Jewgeni Samjatin (1920). Dystopien sind fast alle SF; spontan fällt mir zumindest keine Dystopie ein, die nicht SF wäre. Die Idee des übermächtigen Staats, der alles kontrolliert, wird dann schnell zu einem SF-Topos, so dass man sagen kann, dass zumindest Dystopie und SF ab Mitte des 20. Jahrhunderts ganz verschmelzen.

Der im Novum-Thread bereits schon erwähnte Darko Suvin (mit dem ich in vielen Punkten gar nicht einig bin) bringt für das (historische) Verhältnis von SF und Utopie folgende treffende Formulierung: «This means that utopian fiction is [. . . ] both an independent aunt and a dependent daughter of sf» (Darko Suvin: «Theses on Dystopia 2001». In: Baccolini, Raffaella/Moylan, Tom (Hgg.): Dark Horizons. Science Fiction and the Dystopian Imagi- nation. New York/London 2003, 188).

Bearbeitet von simifilm, 03 August 2011 - 14:26.

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#14 †  a3kHH

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Geschrieben 01 August 2011 - 16:27

Dystopien sind fast alle SF; spontan fällt mir zumindest keine Dystopie ein, die Nicht-SF ist.

Was ist denn beispielsweise mit Kim Harrison und ihre Rachel-Morgan-Romanen ? Werden zwar als Romantic Fantasy vermarktet, heben sich aber deutlich von den Bis(s)-Schmonzetten ab und sind meiner Meinung nach gute Phantastik.
Außerdem gab's da mal was von James Blish (Black Easter / The Day After Judgment).
Inwieweit das hier Poul Anderson : Operation Chaos eine Dystopie ist, weiss ich nicht. Auf jeden Fall ist das eine witzige Alternate History.

#15 simifilm

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Geschrieben 01 August 2011 - 16:31

Was ist denn beispielsweise mit Kim Harrison und ihre Rachel-Morgan-Romanen ? Werden zwar als Romantic Fantasy vermarktet, heben sich aber deutlich von den Bis(s)-Schmonzetten ab und sind meiner Meinung nach gute Phantastik.
Außerdem gab's da mal was von James Blish (Black Easter / The Day After Judgment).
Inwieweit das hier Poul Anderson : Operation Chaos eine Dystopie ist, weiss ich nicht. Auf jeden Fall ist das eine witzige Alternate History.


Sagt mir alles nichts, ist aber gut möglich, dass es reinpasst. Bei der Dystopie ist auch immer die Frage, wie stark man den politischen Aspekt gewichtet. Wenn man es weit fasst und jede Form von Terrorregime als Dystopie versteht, fallen am Ende auch Star Wars und Lord of the Rings in diesen Bereich. Wenn man die Sache enger fasst und nur "ernst gemeinte" Warnungen dazu rechnet, bei denen es um mehr oder weniger konkrete gesellschaftliche oder politische Trends geht, sieht es anders aus.

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#16 †  a3kHH

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Geschrieben 01 August 2011 - 16:33

Wenn man die Sache enger fasst

Bleiben dann nicht zwangsläufig nur SF-Romane über ?

#17 simifilm

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Geschrieben 01 August 2011 - 16:47

Bleiben dann nicht zwangsläufig nur SF-Romane über ?


Sage ich ja. :wink2:

Die typische Dystopie ist ja als Warnung konzipiert - "Wenn wir so weitermachen, dann wird es so schlimm kommen. Aber noch können wir zurück." Und weil eben davor gewarnt wird, was Schlimmes geschehen wird, wenn die aktuellen Verhältnisse fortbestehen resp. sich verschlimmern, ist die Dystopie zwangsläufig in der Zukunft angesiedelt (Bemerkung am Rande: Deshalb ist die Dystopie in aller Regel auch nostalgisch um nicht zu sagen: reaktionär). Und da wir heute von einem Konzept stetigen technischen Fortschritts ausgehen, weist die Zukunft auch immer ein Novum auf.

Man kann aber beispielsweise zwischen Dystopien und Filmen/Romanen mit dystopischen Elementen unterscheiden. Star Wars etwa hat durchaus dystopische Elemente (aber das haben letztlich fast jede SF), ist aber sicher keine reine Dystopie.

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#18 Gerd

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Geschrieben 01 August 2011 - 16:49

Was ist denn beispielsweise mit Kim Harrison und ihre Rachel-Morgan-Romanen ? Werden zwar als Romantic Fantasy vermarktet, heben sich aber deutlich von den Bis(s)-Schmonzetten ab und sind meiner Meinung nach gute Phantastik.
Außerdem gab's da mal was von James Blish (Black Easter / The Day After Judgment).
Inwieweit das hier Poul Anderson : Operation Chaos eine Dystopie ist, weiss ich nicht. Auf jeden Fall ist das eine witzige Alternate History.


Zumindest Christen können Blishs "Black Easter"/"The Day After Judgement" eigentlich nur als Dystopie empfinden ... obwohl ... :wink2:

Andersons "Operation Chaos" habe ich hingegen immer primär als Satire gesehen. Wenn das eine Dystopie ist, ist "The Space Merchants" von Pohl & Kornbluth auch eine (und 'ne Menge Romane des Forenheiligen PKD).

Dass sich in den genannten Titeln dystopische Elemente finden, darüber brauchen wir uns nicht zu streiten. Aber um etwas als Dystopie zu bezeichnen, muss das betreffende Werk (zumindest für mich) ein bisschen mehr bieten als die Extrapolation oder satirische Überzeichnung einiger sich abzeichnender gesellschaftlicher Entwicklungen.
Sudden moroseness. One hop too far.

#19 simifilm

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Geschrieben 01 August 2011 - 16:53

Andersons "Operation Chaos" habe ich hingegen immer primär als Satire gesehen. Wenn das eine Dystopie ist, ist "The Space Merchants" von Pohl & Kornbluth auch eine (und 'ne Menge Romane des Forenheiligen PKD).


The Space Merchants würde ich eigentlich schon als Dystopie bezeichnen. Was spricht denn in Deinen Augen dagegen?

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#20 Gerd

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Geschrieben 02 August 2011 - 02:08

The Space Merchants würde ich eigentlich schon als Dystopie bezeichnen. Was spricht denn in Deinen Augen dagegen?


Ich muss zugeben, dass das eine Bauchentscheidung ist bzw. damals eine war. Um die so richtig zu begründen, müsste ich das Buch nochmal lesen, denn das ist mittlerweile doch einige Jahre her.

Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich halt immer das Gefühl, eine (auch damals eigentlich schon von der Zeit überholte) Satire zu lesen, die generell doch eher fluffig daherkam - oder, anders gesagt: mir fehlte vermutlich ein bisschen die Ernsthaftigkeit, die ich mit einem "Staatsroman" eigentlich verbinde. Das ist natürlich mein ganz eigenes Problem, dass ich Bauchweh dabei habe, The Space Merchants in eine Reihe mit beispielsweise 1984, Brave New World oder The Handmaid's Tale zu stellen, und wenn jemand das anders sieht - nur zu. (Wobei ich mich jetzt aber doch frage, ob etwa die satirischen Kurzgeschichten eines Robert Sheckley dann nicht auch kleine Dystopien sein müssten - Dystopien im Westentaschenformat sozusagen. :))

Und während ich vorhin beim Italiener mit meiner Pizza zugange war, hat sich mir noch eine andere Frage aufgedrängt: Wenn es ausreicht, in einem SF-Roman eine negative gesellschaftliche Entwicklung darzustellen - hätten dann nicht die "ganz normalen" gesellschaftskonformen SF-Romane von diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs (also aus der Zeit vor 1990) von der jeweiligen Gegenseite als Dystopien empfunden werden müssen? Ich meine, kann es für einen strammen Antikommunisten etwas Dystopischeres geben als den globalen oder gar galaxisweiten Sieg des Kommunismus? (Nein, das ist keine Scherzfrage!)

Bearbeitet von Gerd, 02 August 2011 - 02:10.

Sudden moroseness. One hop too far.

#21 Konrad

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Geschrieben 02 August 2011 - 11:54

Spannende Frage, was macht einen Roman mit dystopischen Elementen letzten Endes zur Dystopie? Für mich müssen die "Dramatis Personae" in erster Linie Lackmuspapier zur Darstellung einer systemischen Eigenschaft darstellen, persönliche oder zufällige Schicksalskomponenten dürfen keine Rolle spielen. Außerdem muß der dystopische Zustand stabil sein, also nur durch Revolution oder Krieg zu verändern sein. Das ist aber nur mein ganz persönlicher Geschmack. :)

#22 simifilm

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Geschrieben 02 August 2011 - 16:53

Ich muss zugeben, dass das eine Bauchentscheidung ist bzw. damals eine war. Um die so richtig zu begründen, müsste ich das Buch nochmal lesen, denn das ist mittlerweile doch einige Jahre her.

Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich halt immer das Gefühl, eine (auch damals eigentlich schon von der Zeit überholte) Satire zu lesen, die generell doch eher fluffig daherkam - oder, anders gesagt: mir fehlte vermutlich ein bisschen die Ernsthaftigkeit, die ich mit einem "Staatsroman" eigentlich verbinde. Das ist natürlich mein ganz eigenes Problem, dass ich Bauchweh dabei habe, The Space Merchants in eine Reihe mit beispielsweise 1984, Brave New World oder The Handmaid's Tale zu stellen, und wenn jemand das anders sieht - nur zu. (Wobei ich mich jetzt aber doch frage, ob etwa die satirischen Kurzgeschichten eines Robert Sheckley dann nicht auch kleine Dystopien sein müssten - Dystopien im Westentaschenformat sozusagen. :lol:)


Ich denke, dass Du da zumindest teilweise die Genredefinition mit einer Wertung verknüpfst. So im Stile von "Wenn es mich nicht überzeugt, dann gehört es nicht in diese Gattung". Und diese Vorgehensweise ist sehr problematisch. Ob The Space Merchants nun weniger ernsthaft ist als The Handmaid's Tale - puuh. Ich finde das schwierig zu beantworten. Auf jeden Fall steht für mich fest, dass Satire und Dystopie sehr nahe beieinander liegen; oder vielmehr: Eigentlich sind alle Dystopien Satiren. Manche sind einfach so drastisch, dass sie nicht mehr lustig sind.

Und während ich vorhin beim Italiener mit meiner Pizza zugange war, hat sich mir noch eine andere Frage aufgedrängt: Wenn es ausreicht, in einem SF-Roman eine negative gesellschaftliche Entwicklung darzustellen - hätten dann nicht die "ganz normalen" gesellschaftskonformen SF-Romane von diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs (also aus der Zeit vor 1990) von der jeweiligen Gegenseite als Dystopien empfunden werden müssen? Ich meine, kann es für einen strammen Antikommunisten etwas Dystopischeres geben als den globalen oder gar galaxisweiten Sieg des Kommunismus? (Nein, das ist keine Scherzfrage!)


Das wäre die Frage, was der Text nahelegt und wie der Leser damit umgeht. Bei einer echten Dystopie macht der Text von sich aus deutlich, dass das, was er zeigt, nicht wünschenswert ist. Aber natürlich steht es jedem frei, das anders zu sehen. Umgekehrt kann man aus so ziemlich jeder Utopie eine Dystopie machen; man muss nur eine Figur hineinsetzen, die mit dem utopischen Staat nicht zufrieden ist.

Spannende Frage, was macht einen Roman mit dystopischen Elementen letzten Endes zur Dystopie?
Für mich müssen die "Dramatis Personae" in erster Linie Lackmuspapier zur Darstellung einer systemischen Eigenschaft darstellen, persönliche oder zufällige Schicksalskomponenten dürfen keine Rolle spielen.
Außerdem muß der dystopische Zustand stabil sein, also nur durch Revolution oder Krieg zu verändern sein.
Das ist aber nur mein ganz persönlicher Geschmack. ;)


Klar trennen kann man das sicher nicht. Der Übergang zwischen Dystopie und "SF mit dystopischen Elementen" ist fliessend. Das hängt auch damit zusammen, dass die Dystopie grundsätzlich mehr zum "Unterhaltungsroman" tendiert als die Utopie. Die klassischen Utopien sind als erzählende Literatur stinklangweilig: Einen echten Konflikt und somit eine Handlung, die einen als Leser reinziehen könnte, gibt es nicht. Vielmehr ist die jeweilige Handlung nur ein dürres Gerüst, das dazu dient, den utopischen Staat möglichst komplett darzustellen. In der Dystopie dagegen hat es eigentlich immer einen Rebellen gegen die jeweilige Staatsordnung; zugleich ist die Beschreibung dieser Staatsordnung weitaus weniger ausführlich. Durch den Rebellen ist auch gleich die Handlung und die "natürliche Nähe" zu "normaler SF" gegeben.

Falls es jemanden interessiert: In diesem Artikel behandle ich u.a. die Nähe von Utopie und Dystopie.

Bearbeitet von simifilm, 03 August 2011 - 14:29.

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#23 Ulrich

Ulrich

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Geschrieben 02 August 2011 - 19:00

Falls es jemanden interessiert: In diesem Artikel behandle ich u.a. die Nähe von Utopie und Dystopie.

Du erwähnst darin Pleasantville. Interessant fand ich eine Szene, in der über die Geografie der Stadt gesprochen wird. Danach existiert kein "Außen" bei Pleasantville. Das Ende der Main Street ist der Beginn der Main Street, wie in der Klasse unterrichtet wird. Pleasantville ist somit ein Nicht-Ort, irgendwo angesiedelt.

Bearbeitet von Ulrich, 02 August 2011 - 19:01.


#24 simifilm

simifilm

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Geschrieben 02 August 2011 - 19:28

Du erwähnst darin Pleasantville. Interessant fand ich eine Szene, in der über die Geografie der Stadt gesprochen wird. Danach existiert kein "Außen" bei Pleasantville. Das Ende der Main Street ist der Beginn der Main Street, wie in der Klasse unterrichtet wird. Pleasantville ist somit ein Nicht-Ort, irgendwo angesiedelt.


An die Szene kann ich mich gerade nicht erinnern, aber es passt natürlich sehr schön. Ich denke, dass sich die Macher des Films der ganzen utopischen/dystopischen Tradition sehr bewusst waren.

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#25 Ulrich

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Geschrieben 02 August 2011 - 19:50

Bei IMBD habe ich zwei Zitate gefunden:

[the geography teacher uses a pointer to demonstrate, on the classroom blackboard, the world of Pleasantville, which consists of Elm Street, Main Street, and the Town Hall]
Miss Peters: Last week, class, we discussed the geography of Main Street. This week we're going to be talking about Elm Street. Now, can anyone tell me the difference between Elm Street and Main Street? Tommy.
Tommy: It's not as long?
Miss Peters: That's right, Tommy, it's not as long. Also, it only has houses, so the geography of Main Street is different than the geography of Elm Street.
[Jennifer is frowning in bewilderment. She raises her hand]
Miss Peters: Mary Sue!
Jennifer: Yeah. What's outside of Pleasantville?
[the entire class turns to look at her]
Miss Peters: I don't understand.
Jennifer: Outside of Pleasantville? Like, what's at the end of Main Street?
Miss Peters: [chuckles and shakes her head] Mary Sue. You should know the answer to that! The end of Main Street is just the beginning again.
[the teacher points at the intersection of Elm and Main. The class feels released to giggle at Jennifer/Mary Sue's clearly stupid question, and Jennifer frowns again]


Maltshop Guy: What's outside of Pleasantville?
David: Oh, it doesn't matter.
Margaret Henderson: What's outside of Pleasantville?
[pause]
David: There are some places that the road doesn't go in a circle. There are some places where the road keeps going.
Margaret Henderson: Keeps going?
David: Yeah, yeah. It just keeps going. It all keeps going


Und dann wird noch dieses "Stabilitätsgesetz" erlassen, um den Veränderungen beizukommen, z.B. welche Farben erlaubt sind. Solange es in Pleasantville keinen Fortschritt oder Kontakt zur Außenwelt gab, war es ein Utopia/Dystopia (je nach Betrachtungsweise).
Für die Bewohner Pleasantvilles war es noch nicht mal so, dass es andere Städte gab. In ihrer Vorstellungswelt existierte ausschließlich Pleasantville. Deshalb die merkwürdige Reaktion auf die Frage, was es außerhalb gibt.

Bearbeitet von Ulrich, 02 August 2011 - 20:00.


#26 Heidrun

Heidrun

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Geschrieben 03 August 2011 - 14:15

Viele Historiker lehnen die kontrafaktische Geschichte ebenso ab, wie viele Physiker die Parapsychologie. :thumb:

Hat hier jemand nach mir gerufen? ;)
Ich sehe AH als Gedankenexperiment, und das ist auch in der Physik eine akzeptable Methode, auf neue Ideen zu kommen. Man stellt damit nicht die grundlegenden gesellschaftlichen Beziehungen in Frage, sondern nur eine spezielle Ausformung. Im Gegenteil - man untersucht, wie die Gesellschaft funktioniert, wie stabil Entwicklungen sind. Das ist Klimamodellen nicht unähnlich. Simulationen sind grundsätzlich das Gleiche: Was passiert, wenn wir Windstärke 10 und eine Springflut haben? Dem Physiker ist wurscht, ob es das tatsächlich gerade gibt.
Was mich bis aufs Blut stört, sind falsche Details (die supraleitenden Heizwiderstände sind ein Brüller). Ich glaube, das ginge auch einem Historiker so, wenn etwa ein Autor seine Helden im Europa von 1200 Kartoffeln essen läßt.

Im Übrigen kann man mit Physikern auch trefflich diskutieren, was wäre, wenn alles, was herunter fällt, statt dessen hoch fallen würde. Der durchschnittliche Physiker ist für jeden offensichtlichen Unfug zu haben ...

PS: Ist die Apokalypse vielleicht die früheste Form von Dystopie? Wahlweise auch Ragnarök? Die Legenden sind voll von Weltuntergängen!

Bearbeitet von Heidrun, 03 August 2011 - 14:17.

  • (Buch) gerade am lesen:Gene Wolfe "Sword and Citadel"

#27 simifilm

simifilm

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Geschrieben 03 August 2011 - 14:33

Bei IMBD habe ich zwei Zitate gefunden:


Schöne Zitate. Jetzt erinnere ich mich auch wieder an die besagten Szenen.

Und dann wird noch dieses "Stabilitätsgesetz" erlassen, um den Veränderungen beizukommen, z.B. welche Farben erlaubt sind. Solange es in Pleasantville keinen Fortschritt oder Kontakt zur Außenwelt gab, war es ein Utopia/Dystopia (je nach Betrachtungsweise).
Für die Bewohner Pleasantvilles war es noch nicht mal so, dass es andere Städte gab. In ihrer Vorstellungswelt existierte ausschließlich Pleasantville. Deshalb die merkwürdige Reaktion auf die Frage, was es außerhalb gibt.


Als ich den Film zum ersten Mal gesehen habe, fand ich dieses plötzliche Umkippen von (scheinbar) harmloser Komödie in Faschismusparabel nicht wirklich geglückt. Das schien mir angeklebt und nicht passend. Mittlerweile, vor dem Hintergrund der ganzen Utopie-Diskussion, schätze ich das anders ein und ich sehe, warum es eben sehr wohl passt.

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#28 Konrad

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Geschrieben 03 August 2011 - 18:32

Der durchschnittliche Physiker ist für jeden offensichtlichen Unfug zu haben ...

Ich habe ja schon eingeräumt, daß man zumindest Quantenphysikern alles zutrauen muß. :lol:
Allerdings sieht man ja bei der Wettervorhersage, wie begrenzt bei einem überschaubaren Prozessgeschehen mit einem inzwischen durchaus dichten Meßnetz die Prädiktionsreichweite ist.
Wenn dies alles so einfach wäre, wäre die Futurologie eine boomende Disziplin.

#29 Lucardus

Lucardus

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Geschrieben 04 August 2011 - 09:18

Wenn dies alles so einfach wäre, wäre die Futurologie eine boomende Disziplin.

Es gibt immer zu viele Variablen, man sollte sie abschaffen.
Goodreads: Ich lese gerade" (sorry, nur für "Mitglieder" sichtbar)
Wer mal reinschauen will: http://www.goodreads.com/

#30 molosovsky

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Geschrieben 05 August 2011 - 05:53

Hier eine (etwas ungewöhnliche) Unterteilung phantastischer Genres von Umberto Eco aus seinem Text "Die Welten der Science-Fiction" (zu finden in dem Band "Über Spiegel und andere Phänomene"). Eine ausführliche Zusammenfassung findet sich in meinem Blog.

ALLOTOPIE: Hier wird unsere gegenwärtige Welt als tatsächlich andersartig geschildert. Tiere können sprechen, oder es gibt Magie, Zauberer, Feen, Geister ect.. Eco beobachtet, daß wenn eine solche Welt erst einmal vorgestellt ist, zumeist nur noch der allegorische Bezug zur realen Welt beachtet wird. {Beispiele: »Watership Down« von Richard Adams, die Harry Potter-Bücher, Bram Stokers »Dracula«, Neil Gaimans »Neverwhere«, Matt Ruffs »Fool on the Hill«, Elis Kauts »Pumukel« usw.}

UTOPIE: Hier wird geschildert wie die Welt sein sollte {einschließlich der wie es nicht sein sollte-Umkehrung der Dystopie}. Die utopische Welt ist irgendwo, vielleicht parallel zu unserer Welt, an einem fernem Ort, in der Vergangenheit oder Zukunft, aber normalerweise schwer zu erreichen von unserer Welt (z.B. Samuel Butlers »Erehwon«), wenn überhaupt.

UCHRONIE: Entwirft mögliche Welten nach folgender Frage: »Was wäre geschehen, wenn das, was wirklich geschehen ist, anders geschehen wäre?«, z.B. {Bush der Zweite die Wahl 2000 nicht gewonnen, oder} Julius Cäsar die Iden des März überlebt hätte. Seitenhieb Ecos auf Verschwörungstheorien: Wir haben sehr schöne Beispiele von uchronischer Historiographie zum bessern Verstädnnis der Ereignisse, aus denen die aktuelle Geschichte hervorgegangen ist. {Eco berichtet in anderen Texten von interessanten Begegnungen mit Lesern, die z.B. seinen Roman »Das Foucaultsche Pendel« für bare Münzen nahmen. †” Beispiele für derartige Alternativ-Phantastik: »Vaterland« von Robert Harris, »Oscar Wilde im Wilden Westen« von Walter Sattersthwait, »Morbus Kitahara« von Christoph Ransmayr.}

METATOPIE / METACHRONIE: Hier wird die mögliche Welt als künftige Phase der wirklichen Welt von heute entworfen †” hier können wir endlich wirklich von Zukunftsgeschichte sprechen. Ausgenommen solche Zukunftswelten, die eigetlich eine Weiterführung der Gothic Novel oder Romance sind (in denen Burgen und Drachen durch Raumschiffe und Blobs ausgetauscht wurden), oder die unter Allotopie besser aufgehoben sind {wie »Flash Gordon«, »Star Wars«, »The Matrix«}.


Für mich scheint die Bemerkung lohnenswert, das Science Fiction keineswegs in der Zukunft angesiedelt sein muss. Das (mehr oder minder am wissenschaftlichen Denken ausgerichtete Konjekturverfahren des) *What if* der SF kann sich auf auf die Vergangenheit beziehen (Counterfactual) oder sogar auf Werke der Literatur (Counterfctional, siehe Fjorde oder Newman). Und in purer lupenreiner Reinform gibts eh so gut wie nix, so dass sich Merkmale der verschiedenen theoretischen Idealformen meist zugleich in einem Werk antreffen lassen.

Grüße
Alex /molo

Bearbeitet von molosovsky, 05 August 2011 - 10:46.

MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.

Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.

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