David Mitchell - Chaos (ab 20.09.)
#1
Geschrieben 18 September 2013 - 20:13
"What today's nationalists and neosegregationists fail to understand," Kwame said, "is that the basis of every human culture is, and always has been, synthesis. No civilization is authentic, monolithic, pure; the exact opposite is true. Look at your average Western nation: its numbers Arabic, its alphabet Latin, its religion Levantine, its philosophy Greek†¦ need I continue? And each of these examples can itself be broken down further: the Romans got their alphabet from the Greeks, who created theirs by stealing from the Phoenicians, and so on. Our myths and religions, too, are syncretic - sharing, repeating and adapting a large variety of elements to suit their needs. Even the language of our creation, the DNA itself, is impure, defined by a history of amalgamation: not only between nations, but even between different human species!"
#2
Geschrieben 21 September 2013 - 12:45
Bis die ersten Leseerlebnisse hier erscheinen höre ich auf YouTube die Musik an, die in diesem Kapitel erwähnt wird.
Hier ist Duke Jordan mit Flight to Denmark
http://www.youtube.com/watch?v=YYDW4KXAxIc
Bearbeitet von Susanne11, 21 September 2013 - 12:47.
#3
Geschrieben 23 September 2013 - 20:17
»Okinawa«
Dass Mitchell den Roman mit einem Charakter beginnt, mit dem wohl niemand sympathisieren dürfte, finde ich schon mutig (zumal es sein Debütroman war). Doch diese Gratwanderung, auf die er sich da einlässt, gelingt ihm erstaunlich gut. Was zum Großteil wohl daran liegen dürfte, dass Mitchell das wahre Ausmaß von Tokunagas Verblendung und den daraus resultierenden Handlungen erst mit der Zeit enthüllt. Bis dahin übte dieser Charakter auf mich schon eine seltsame Faszination aus. Manches, was er denkt, ist abstoßend (»Einundzwanzig Gereinigte und mehrere Hundert Teilgereinigte«), anderes – wie sein Glaube an Telepathie und Levitation – völlig absurd, aber vieles ist einfach nur erschütternd und traurig, weil es zeigt, wie leicht beeinflussbar ein Mensch sein kann, wenn ihm die Persönlichkeit genommen wurde. Ein wirklich starker Beginn.
»Tokio«
Satoru im nächsten Teil ist dann der komplette Gegenentwurf. Trotz seiner Herkunft, die ihm in der Vergangenheit sicherlich auch einiges an Spott eingebracht hat, ist er grundsympathisch. Ein wenig unangepasst und nerdy vielleicht, aber mit einem ausgezeichneten Musikgeschmack. Einfach ein netter Kerl, dem man sein späteres Glück wirklich gönnt. Die Szene, in der er und Tomoyo sich das erste Mal stammelnd unterhalten, war – das kann man gar nicht anders nennen – sehr putzig geschrieben.
»Lass dich nicht von mir aufhalten.«
»Lass … nein, äh, du hältst mich nicht auf. Lass dir Zeit. Bitte. Komm rein.«
»Vielen Dank.« Das Ich, das in ihr wohnte, sah durch ihre Augen in meine Augen und das Ich, das in mir wohnte.
»Ich …«, setze ich an.
»Das …«, begann sie.
»Sag«, sprachen wir beide.
»Nein«, sagte ich. »Sag du. Ladies first.«
David Mitchell, Chaos (S.84)
Ich habe mich ja vorher schon gefragt, wie Mitchell diesmal seine Geschichten miteinander verbindet. Hier gab es dann den ersten Ausblick – sehr geschickt von ihm, dass er Satoru mindestens die Hälfte seiner Dialoge am Telefon führen lässt (was plausibel erscheint, da er ja die meiste Zeit auf Arbeit ist), nur um...
Da ich, wie gesagt, schon im dritten Teil bin (dazu morgen dann mehr), lässt sich auch schon ein gewisses Muster erkennen. Allerdings warte ich noch ein wenig mit dem Spekulieren.
Btw: Schade nur, dass »Chaos« (vom Kapitelverzeichnis ausgehend) nicht so Matroschka-mäßig wie »Der Wolkenatlas« aufgebaut zu sein scheint. Ich hätte Satoru gern nochmal gelesen.
Toller Song. Ich hab mir auch ein paar Titel herausgeschrieben, die ich demnächst mal bei Youtube suchen werde.Hier ist Duke Jordan mit Flight to Denmark
Bearbeitet von Seti, 23 September 2013 - 20:19.
"What today's nationalists and neosegregationists fail to understand," Kwame said, "is that the basis of every human culture is, and always has been, synthesis. No civilization is authentic, monolithic, pure; the exact opposite is true. Look at your average Western nation: its numbers Arabic, its alphabet Latin, its religion Levantine, its philosophy Greek†¦ need I continue? And each of these examples can itself be broken down further: the Romans got their alphabet from the Greeks, who created theirs by stealing from the Phoenicians, and so on. Our myths and religions, too, are syncretic - sharing, repeating and adapting a large variety of elements to suit their needs. Even the language of our creation, the DNA itself, is impure, defined by a history of amalgamation: not only between nations, but even between different human species!"
#4
Geschrieben 23 September 2013 - 21:19
Bearbeitet von Susanne11, 24 September 2013 - 08:24.
#5
Geschrieben 24 September 2013 - 07:57
Hier muss ich doch einhaken. Dem letzten Satz stimme ich natürlich voll und ganz zu. Aber bei dem vorhergehenden muss ich doch die Stirn runzeln. Mehr als nur das.Ich fand den Typ aus dem ersten Kapitel nicht unsympathisch. Da ist eine Mischung, die ich interessant fand. Einerseits das völlige Fehlen von Mitgefühl und Akzeptanz für seine Mitmenschen. Andererseits ist sein Blick auf die gesellschaftlichen Zustände nicht grundsätzlich falsch. Und dazu die Merkwürdigkeiten aus dem Innenleben der Sekte. Total absurd. Hat mir gefallen.
Mitchell hat ein wunderbare Begabung das Innenleben seiner Protagonisten sehr lebendig hervortreten zu lassen.
Du empfindest Sympathie für diesen Jungen? Mich erschrecken solche Menschen. Denn ich kann in dem Denken dieses naiven und dummen und mörderischen Jungen, nur den Wahnsinn entdecken. In seinem Glauben, seinem Denken drückt sich die der gleiche Hass, die gleiche Missachtung allen anderen Menschen, allen Andersdenkenden gegenüber aus, der z.B. die Taliban dazu bringt Frauen die Finger abzuschneiden, weil sie sich lackieren, oder Mädchen in Pakistan zu erschießen, weil sie es wagen sich zu bilden und in die Schule zu gehen. Der gleiche Hass der Menschen dazu motiviert andere als Ungeziefer zu sehen und sie in Öfen zu verbrennen …
Nein ich habe kein Mitgefühl oder Toleranz und auch kein Verstehen für solches Denken, auch wenn es wie in diesem Fall auf reiner Naivität und blindem Glauben beruht. Denn es sind gerade die dummen und naiven Menschen, die sich zu Werkzeugen des Wahnsinns formen lassen und diese kruden Ideen in die Wirklichkeit umsetzen.
Ich weiß nicht wie ich zu dieser Geschichte stehe. Zunächst erzeugt sie in mir ein Gefühl der Hilflosigkeit. Und Wut, auf Leute wie seine Luzidität, die dumme Jungs dazu verführen dumme Dinge zu glauben und noch dümmere Dinge zu tun. Hilflosigkeit, weil ich keine Lösung habe, wie man den Wahnsinn, der in diesem blindem Glauben lauert, und für den manche, viele Menschen immer wieder empfänglich sind, stoppen kann.
LG Trurl
Bearbeitet von Trurl, 24 September 2013 - 07:59.
Wie die Welt noch einmal davonkam, aus Stanislaw Lem Kyberiade
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#6
Geschrieben 24 September 2013 - 08:22
Wir diskutieren hier über einen Roman und eine erfundene Person und nicht über politische Realitäten.Du empfindest Sympathie für diesen Jungen? Mich erschrecken solche Menschen. Denn ich kann in dem Denken dieses naiven und dummen und mörderischen Jungen, nur den Wahnsinn entdecken. In seinem Glauben, seinem Denken drückt sich die der gleiche Hass, die gleiche Missachtung allen anderen Menschen, allen Andersdenkenden gegenüber aus, der z.B. die Taliban dazu bringt Frauen die Finger abzuschneiden, weil sie sich lackieren, oder Mädchen in Pakistan zu erschießen, weil sie es wagen sich zu bilden und in die Schule zu gehen. Der gleiche Hass der Menschen dazu motiviert andere als Ungeziefer zu sehen und sie in Öfen zu verbrennen …
Dieser junge Mann wird als verwirrt und sehr bedürftig beschrieben. Mit starken Bedürfnissen nach Zugehörigkeit und Wahrgenommen-werden. Gepaart mit kindlicher Naivität und der Unfähigkeit für sein eigenes Leben die Verantwortung zu übernehmen. Er möchte etwas Bedeutendes für die Menschheit tun, ist aber völlig fehlgeleitet.
Was deutlich sichtbar wird ist, dass der junge Mann nicht böse ist, sondern fehlgeleitet. Er möchte im Grunde etwas Gutes für die Menschheit tun. Dies Paradox arbeitet Mitchell sehr gut heraus und erzeugt dabei eine absolut absurde Atmosphäre. Mitchell verurteilt seinen Protagonisten auch nicht, er beschreibt eher eine Situation, die ein Urteil nicht möglich macht.
#7
Geschrieben 24 September 2013 - 08:35
#8
Geschrieben 24 September 2013 - 08:52
Ich empfand, wie ich schon oben schrieb, diese erste Geschichte irritierend und quälend. Zunächst, weil eine Dummheit wie die des Jungen, die noch durch einen abstrusen Glauben verstärkt wird, mich zunächst komplett irritiert stehen lässt. Ich möchte eigentlich nicht glauben, dass man so blöd sein kann, sich so manipulieren lassen kann, um anschliessend so zu denken. Aber das ist wohl ein Irrtum meinerseits und etwas das man akzeptieren muss. Zumal ich schon Leute kennengelernt habe, deren Vorstellungswelten nicht weit davon entfernt waren. Natürlich nicht in diesem Extrem! Das war ein Scientology-Aspirant und studierte das gleiche Fach wie ich (allerdings erfolglos, was vielleicht der Grund war).Ich bin aktuell auf Seite 140, also kurz vor Ende des dritten Teils.
»Okinawa«
Dass Mitchell den Roman mit einem Charakter beginnt, mit dem wohl niemand sympathisieren dürfte, finde ich schon mutig (zumal es sein Debütroman war). Doch diese Gratwanderung, auf die er sich da einlässt, gelingt ihm erstaunlich gut. Was zum Großteil wohl daran liegen dürfte, dass Mitchell das wahre Ausmaß von Tokunagas Verblendung und den daraus resultierenden Handlungen erst mit der Zeit enthüllt. Bis dahin übte dieser Charakter auf mich schon eine seltsame Faszination aus. Manches, was er denkt, ist abstoßend (»Einundzwanzig Gereinigte und mehrere Hundert Teilgereinigte«), anderes – wie sein Glaube an Telepathie und Levitation – völlig absurd, aber vieles ist einfach nur erschütternd und traurig, weil es zeigt, wie leicht beeinflussbar ein Mensch sein kann, wenn ihm die Persönlichkeit genommen wurde. Ein wirklich starker Beginn.
Interessant ist, in welchem Milieu Satoru aufwächst. Dennoch hat sich Satoru zu einem klugen Jungen entwickelt, der seinen eigenen Weg geht. Was sicher der liebevollen Behandlung seiner Pfegemutter und den netten Mädchen, die zu ihm wie größere Schwestern waren, zu verdanken ist. Ich fand diese Geschichtem insgesamt sehr berührend. Eine wundervolle kleine Liebesgeschichte. Toll. Quasi der Balsam zu der Irritation am Anfang.»Tokio«
Satoru im nächsten Teil ist dann der komplette Gegenentwurf. Trotz seiner Herkunft, die ihm in der Vergangenheit sicherlich auch einiges an Spott eingebracht hat, ist er grundsympathisch. Ein wenig unangepasst und nerdy vielleicht, aber mit einem ausgezeichneten Musikgeschmack. Einfach ein netter Kerl, dem man sein späteres Glück wirklich gönnt. Die Szene, in der er und Tomoyo sich das erste Mal stammelnd unterhalten, war – das kann man gar nicht anders nennen – sehr putzig geschrieben.
Ja das Muster lässt sich bereits erahnen.Ich habe mich ja vorher schon gefragt, wie Mitchell diesmal seine Geschichten miteinander verbindet. Hier gab es dann den ersten Ausblick – sehr geschickt von ihm, dass er Satoru mindestens die Hälfte seiner Dialoge am Telefon führen lässt (was plausibel erscheint, da er ja die meiste Zeit auf Arbeit ist), nur um...
Spoiler
Da ich, wie gesagt, schon im dritten Teil bin (dazu morgen dann mehr), lässt sich auch schon ein gewisses Muster erkennen. Allerdings warte ich noch ein wenig mit dem Spekulieren.
Zum Anruf der Satorus Leben eine entscheidende neue Richtung gibt, kann ich nur sagen: das ist gleichermassen kunstvoll und absurd komisch. Ich bin schon gespannt wie in der dritten Geschichte, die ich noch nicht kenne, die Verbindung hergestellt wird. Mitchell scheint in diesem Roman, der ja vor Der Wolkenatlas erschien, seine Technik unzusammenhängende Geschichten und Schicksale durch scheinbar zufällige Ereignisse miteinander zu verknüpfen, entwickelt zu haben.
LG Trurl
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#9
Geschrieben 24 September 2013 - 09:06
Ach so. Dann sind fehlgeleitete Person nicht schuldig? Interessant. Das würde jeden Menschen, der meint in gutem Glauben zu handeln, jeder Verantwortung entheben. So reden auch islamistische Terroristen.Wir diskutieren hier über einen Roman und eine erfundene Person und nicht über politische Realitäten.
Dieser junge Mann wird als verwirrt und sehr bedürftig beschrieben. Mit starken Bedürfnissen nach Zugehörigkeit und Wahrgenommen-werden. Gepaart mit kindlicher Naivität und der Unfähigkeit für sein eigenes Leben die Verantwortung zu übernehmen. Er möchte etwas Bedeutendes für die Menschheit tun, ist aber völlig fehlgeleitet.
Was deutlich sichtbar wird ist, dass der junge Mann nicht böse ist, sondern fehlgeleitet. Er möchte im Grunde etwas Gutes für die Menschheit tun. Dies Paradox arbeitet Mitchell sehr gut heraus und erzeugt dabei eine absolut absurde Atmosphäre. Mitchell verurteilt seinen Protagonisten auch nicht, er beschreibt eher eine Situation, die ein Urteil nicht möglich macht.
Ich greife auch nicht Mitchells Darstellung des Jungen an, die sehr gut ist und zeigt, dass Böses oft in gutem Glauben passiert. Mitchell urteilt nicht, aber ich werde dazu gezwungen, aufgrund dessen was ich lese. Und wenn du glaubst, dass diese Person rein fiktiv ist und nichts mit der Realität zu tun hat dann irrst du dich. Wenn das wahr wäre, wäre auch die Geschichte bedeutungslos. Aber man kann selbstverständlich Parallelen zu unserer Realität aufzeigen.
LG Trurl
Bearbeitet von Trurl, 24 September 2013 - 09:07.
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#10
Geschrieben 24 September 2013 - 10:51
#11
Geschrieben 24 September 2013 - 11:11
Bitte unterstelle mir nicht Sachen, die ich nicht gesagt habe und um die es nicht geht.Ach so. Dann sind fehlgeleitete Person nicht schuldig? Interessant. Das würde jeden Menschen, der meint in gutem Glauben zu handeln, jeder Verantwortung entheben. So reden auch islamistische Terroristen.
Dies ist ein Lesezirkel über einen Roman. Nirgendwo wird verlangt, dass über Schuld oder Unschuld der Protagonisten ein Urteil gefällt wird. Das tut Mitchell auch nicht.
Wenn du über Schuld diskutieren willst, dann bist du bei mir an der falschen Adresse. Das interessiert mich nicht, da denke ich nicht mal drüber nach.
Bist du schon bei Kapitel 4? Wie ist deine Meinung hierzu? Da geht es ja nochmal ganz anders mit diesem Thema zur Sache.
#12
Geschrieben 24 September 2013 - 11:16
Wenn ich eine Quintessenz erkennen kann, dann diese.Als kleiner Hinweis zur Diskussion: Ich denke, dass Mitchell in diesem Buch auch darüber nachdenken möchte, welche Ursachen "das Böse" hat, und wie sich Einzelne dazu positionieren. Auch deshalb eröffnet er mit der Innensicht einer Person, die eigentlich als absolut böse wahrgenommen werden muss, bei allem Verständnis, das er uns durch die Innensicht aufzwingt. Der Leser soll sich selbst positionieren, das wird in den folgenden Kapiteln immer wieder passieren.
Die Menschen sind nicht in der Lage die Wirklichkeit zu erkennen. Sie haben ihre Meinung und ihre Weltbeschreibung. Darin sind sie auswegslos verstrickt und daraus leiten sie ihre Handlungen ab. Sie verwechseln also ständig die Wirklichkeit mit der Beschreibung.
Ob etwas als gut oder böse bezeichnet wird hängt davon ab, wer die Deutungshoheit besitzt.
#13
Geschrieben 24 September 2013 - 12:39
Das ist eine mögliche Folgerung, aber nicht die einzige mögliche. Mitchell ist natürlich nicht so naiv in seinem Ansatz, aber das meinte ich auch nicht. Ich habe ja geschrieben, dass er den Leser (durch seine Protagonisten) dazu bringt, sich (immer wieder neu) zu positionieren.Ob etwas als gut oder böse bezeichnet wird hängt davon ab, wer die Deutungshoheit besitzt.
#14
Geschrieben 24 September 2013 - 12:45
Es mag dir vielleicht nicht passen, wie ich dich interpretiere. Aber du positionierst dich mit deinen relativierenden Aussagen durchaus. Genau da wo du schreibst, dass dieser Junge fehlgeleitet, aber nicht böse ist. Fehlgeleitet, das heißt so viel wie, nicht selbst verantwortlich, also nicht schuldfähig.Bitte unterstelle mir nicht Sachen, die ich nicht gesagt habe und um die es nicht geht.
Dies ist ein Lesezirkel über einen Roman. Nirgendwo wird verlangt, dass über Schuld oder Unschuld der Protagonisten ein Urteil gefällt wird. Das tut Mitchell auch nicht.
Wenn du über Schuld diskutieren willst, dann bist du bei mir an der falschen Adresse. Das interessiert mich nicht, da denke ich nicht mal drüber nach.
Bist du schon bei Kapitel 4? Wie ist deine Meinung hierzu? Da geht es ja nochmal ganz anders mit diesem Thema zur Sache.
Aber dass Keisuke Tanaka fehlgeleitet ist, würde er selbst ja so nicht sehen, denn für ihn wärst du nur Ungeziefer und er ein quasigöttliches Wesen mit telepathischen Fähigkeiten und einem Alphakoeffizienten von 16.9. Das heißt er würde dir (und mir) ein moralisches Urteil über ihn absprechen. Auch so ein Aspekt den diese Geschichte behandelt. Unterschiedliche Weltsichten, die nicht miteinander kompatibel sind.
Was, wenn du schon die Person nicht bewerten willst und dich Schuldfragen nicht interessieren, interessiert dich dann überhaupt an der Geschichte? Was ist für dich das Bemerkenswerte an der Geschichte, an der Person die Mitchell beschreibt? Das ist mir dann nicht ganz klar. Das was du oben dazu geschrieben hast, ist da etwas vage.
LG Trurl
Wie die Welt noch einmal davonkam, aus Stanislaw Lem Kyberiade
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#15
Geschrieben 24 September 2013 - 14:14
Gegenfrage.Was, wenn du schon die Person nicht bewerten willst und dich Schuldfragen nicht interessieren, interessiert dich dann überhaupt an der Geschichte? Was ist für dich das Bemerkenswerte an der Geschichte, an der Person die Mitchell beschreibt? Das ist mir dann nicht ganz klar. Das was du oben dazu geschrieben hast, ist da etwas vage.
Wenn du ins Kino gehst und dir einen Actionfilm anschaust, beurteilst du die Protagonisten?
Überlegst du dir ob sie "gut" oder "böse" sind und ob das, was sie tun verurteilenswert ist?
Ich denke an Filme wie
Ausnahmezustand
Spy Game
Die Wiege der Sonne
Bearbeitet von Susanne11, 24 September 2013 - 14:16.
#16
Geschrieben 24 September 2013 - 14:39
#17
Geschrieben 24 September 2013 - 14:46
Hmm, vielleicht ist es ein Spoiler, aber ja, es ist Phantastik in einem ganz engen Sinne.Unter welches Genre fällt dieser Roman eigentlich? Ist keine Phantastik im engeren Sinne oder?
#18
Geschrieben 24 September 2013 - 15:06
Standard-Actionfilme sind vielleicht ein schlechtes Beispiel, weil in ihnen selten ernsthafte Fragen verhandelt werden. Die sind meist rein fiktional und haben mit der Realität kaum etwas zu tun, so dass auch die Gewalttätigkeiten abstrakt erscheinen. Aber Ausnahmezustand oder auch Spygame sind ja keine Actionfilme im engeren Sinne, sondern Dramen.Gegenfrage.
Wenn du ins Kino gehst und dir einen Actionfilm anschaust, beurteilst du die Protagonisten?
Überlegst du dir ob sie "gut" oder "böse" sind und ob das, was sie tun verurteilenswert ist?
Ich denke an Filme wie
Ausnahmezustand
Spy Game
Die Wiege der Sonne
Und ja, mich interessiert natürlich auch die moralische Haltung der Protagonisten, und in den meisten Fällen kann man sie auch aus den Filmen herauslesen. Selten, dass der Regisseur seinen Protagonisten völlig indifferent gegenübersteht. In Ausnahmezustand spielt Denzel Washington als aufrechter FBI-Agent den Verteidiger der Bürgerrechte, gegen einen General, also das Militär, der diese Bürgerrechte im Kampf gegen den Terror nur zu gerne über Bord werfen würde und es auch tut. Letztlich geht es nur darum in dem Film. Wie weit der Staat gehen darf, die Sicherheit des Landes und seiner Bürger zu verteidigen und was eventuell dabei geopfert wird. Für einen Film, der lange vor dem 11. September handelt, war das ein geradezu prophetisches Thema.
Aber selbst wenn es den FBI-Agenten als moralisches Gegengewicht nicht gegen hätte und man nur rein beschreibend die Folterungen und die Internierung arabischstämmiger Einwanderer gezeigt hätte, hätte man eine wichtige moralische Botschaft aus Film herauslesen können. Dass am Ende der FBI-Agent und damit die Bürgerrechte siegen, sorgt nur dafür, dass in der fiktiven Welt des Films am Ende wieder das Gute über das Böse triumphiert und der Status quo wieder hergestellt wird.
Aber man wird doch immer gezwungen, auch seine eigene Haltung in einen Film oder literarischen Text miteinzubringen. Man steht doch nie völlig gleichgültig daneben. Es gibt zum Beispiel Filme, die für mich dadurch nahezu unerträglich werden. Folterfilme zum Beispiel, aber auch ein grandioser Film wie Schindlers Liste finde ich immer noch schwer zu ertragen. Scheint mir normal.
LG Trurl
Bearbeitet von Trurl, 24 September 2013 - 15:09.
Wie die Welt noch einmal davonkam, aus Stanislaw Lem Kyberiade
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#19
Geschrieben 24 September 2013 - 17:53
Hmm, vielleicht ist es ein Spoiler, aber ja, es ist Phantastik in einem ganz engen Sinne.
Hört sich aber nicht so an.
#20
Geschrieben 24 September 2013 - 18:10
Man bringt seine eigene Haltung ein - das ist richtig. Aber die kann sehr unterschiedlich sein und muss nicht zwangsläufig aus einem einem moralischen Urteil bestehen.Aber man wird doch immer gezwungen, auch seine eigene Haltung in einen Film oder literarischen Text miteinzubringen. Man steht doch nie völlig gleichgültig daneben. Es gibt zum Beispiel Filme, die für mich dadurch nahezu unerträglich werden. Folterfilme zum Beispiel, aber auch ein grandioser Film wie Schindlers Liste finde ich immer noch schwer zu ertragen. Scheint mir normal.
LG Trurl
Ich kann sowieso diesen Gut-Böse-Dualismus nicht ausstehen. Die Realität ist viel zu komplex für solche simplen Bewertungen. Womit ich natürlich nicht ausschließe, dass jeder die Konsequenzen seiner Handlungen ausbaden muss. Wenn der denn für diese überhaupt zur Verantwortung gezogen wird. Warten wir das 4.Kapitel ab und wärmen dann dieses Thema noch mal auf.
#21
Geschrieben 24 September 2013 - 19:49
Meine Meinung bzgl. Keisuke Tanaka / Tokunaga: Da seine Geschichte einen sehr starken realen Bezug hat (die Giftgasanschläge auf die Tokioter U-Bahn, die die Aum-Sekte 1995 verübt hat), macht es mir das schwer, wenn nicht sogar unmöglich, seine Geschichte als reine Erfindung des Autors zu betrachten, und somit völlig losgelöst von unserer Wirklichkeit.
Aber ich habe trotzdem keine Probleme damit mich »in seinen Kopf« zu begeben. Erstens, weil es eben keine Autobiographie eines tatsächlichen Fundamentalisten ist. Und zweitens, weil ich – obwohl ich keine Sympathie für ihn empfinde, höchstens Mitleid um sein früheres Ich – diese Möglichkeit der Literatur schätze: nämlich Innenansichten in eine völlig fremde Gedankenwelt. Ob ich mir so etwas einen ganzen Roman lang antun könnte (»American Psycho« von Bret Easton Ellis fällt mir da als Beispiel ein), weiß ich nicht, denn ich hab es noch nie versucht. Aber zumindest für die Dauer einer Kurzgeschichte oder, wie hier, einem Teil eines Romans finde ich das erträglich und durchaus faszinierend.
Also, der Roman spielt in der Gegenwart und es gibt - bis auf ein parapsychologisches Phänomen, bei dem mir aber nicht ganz klar ist, ob es auf Einbildung beruht - auch keine ins Auge stechenden phantastischen Elemente. Aber das Konzept des Romans, also die Art, wie die Geschichten miteinander verbunden werden (ich habe jetzt den vierten von neun Teilen beendet), hat etwas sehr Metaphysisches.Hmm, vielleicht ist es ein Spoiler, aber ja, es ist Phantastik in einem ganz engen Sinne.
Hört sich aber nicht so an.
"What today's nationalists and neosegregationists fail to understand," Kwame said, "is that the basis of every human culture is, and always has been, synthesis. No civilization is authentic, monolithic, pure; the exact opposite is true. Look at your average Western nation: its numbers Arabic, its alphabet Latin, its religion Levantine, its philosophy Greek†¦ need I continue? And each of these examples can itself be broken down further: the Romans got their alphabet from the Greeks, who created theirs by stealing from the Phoenicians, and so on. Our myths and religions, too, are syncretic - sharing, repeating and adapting a large variety of elements to suit their needs. Even the language of our creation, the DNA itself, is impure, defined by a history of amalgamation: not only between nations, but even between different human species!"
#22
Geschrieben 24 September 2013 - 20:47
Dann steht dir das phantastische Element unmittelbar bevor.Also, der Roman spielt in der Gegenwart und es gibt - bis auf ein parapsychologisches Phänomen, bei dem mir aber nicht ganz klar ist, ob es auf Einbildung beruht - auch keine ins Auge stechenden phantastischen Elemente. Aber das Konzept des Romans, also die Art, wie die Geschichten miteinander verbunden werden (ich habe jetzt den vierten von neun Teilen beendet), hat etwas sehr Metaphysisches.
Wenn dir die erste Episode einige Probleme bereitet hat, wie fandest du die 4. Episode? Die ist doch mindestens genauso heftig. Anstelle eines eher individuellen Wahnsinns gibt es hier den kollektiven Wahnsinn und der entlädt sich auf eine Person und ihre unmittelbare Umgebung.
Hier ist kein Ich-Erzähler der Täter, sondern die Ich-Erzählerin muss sehr viel Gewalt über sich ergehen lassen.
Auch hier kann man durchaus einen realen Bezug annehmen, wenn man will. Diese politischen Wirrungen hat es tatsächlich gegeben.
#23
Geschrieben 25 September 2013 - 06:30
Genau, und es wird nicht das einzige bleiben.Dann steht dir das phantastische Element unmittelbar bevor.
Die vierte Episode fand ich persönlich auch mit am schwersten zu verdauen. Es ist unglaublich, wieviel Leid manche Menschen ertragen mussten (und müssen).Wenn dir die erste Episode einige Probleme bereitet hat, wie fandest du die 4. Episode? Die ist doch mindestens genauso heftig. Anstelle eines eher individuellen Wahnsinns gibt es hier den kollektiven Wahnsinn und der entlädt sich auf eine Person und ihre unmittelbare Umgebung.
Hier ist kein Ich-Erzähler der Täter, sondern die Ich-Erzählerin muss sehr viel Gewalt über sich ergehen lassen.
Auch hier kann man durchaus einen realen Bezug annehmen, wenn man will. Diese politischen Wirrungen hat es tatsächlich gegeben.
Faszinierend fand ich rückblickend auch, wie das Element des Essigbaums später wieder aufgegriffen und relativiert wird.
Genau, und es wird nicht das einzige bleiben.Dann steht dir das phantastische Element unmittelbar bevor.
Die vierte Episode fand ich persönlich auch mit am schwersten zu verdauen. Es ist unglaublich, wieviel Leid manche Menschen ertragen mussten (und müssen).Wenn dir die erste Episode einige Probleme bereitet hat, wie fandest du die 4. Episode? Die ist doch mindestens genauso heftig. Anstelle eines eher individuellen Wahnsinns gibt es hier den kollektiven Wahnsinn und der entlädt sich auf eine Person und ihre unmittelbare Umgebung.
Hier ist kein Ich-Erzähler der Täter, sondern die Ich-Erzählerin muss sehr viel Gewalt über sich ergehen lassen.
Auch hier kann man durchaus einen realen Bezug annehmen, wenn man will. Diese politischen Wirrungen hat es tatsächlich gegeben.
Faszinierend fand ich rückblickend auch, wie das Element des Essigbaums später wieder aufgegriffen und relativiert wird.
#24
Geschrieben 25 September 2013 - 07:24
Das ging mir ebenso. Ich fand es berührend mit welcher Ergebenheit die Frau ihr Los trägt und dabei ihre ursprüngliche Freundlichkeit behält und nicht verbittert wird. Sie ist vielleicht der stärkste und integerste Charakter des ganzen Buches. Ein schlichtes und gradliniges Leben, ohne Ersatzhandlungen und ohne irgendetwas kompensieren zu müssen.Die vierte Episode fand ich persönlich auch mit am schwersten zu verdauen. Es ist unglaublich, wie viel Leid manche Menschen ertragen mussten (und müssen).
#25
Geschrieben 25 September 2013 - 11:33
Okay. Stimme euch zu. Mit der Einschränkung, dass ich sie positiv empfunden habe.
Das ging mir ebenso. Ich fand es berührend mit welcher Ergebenheit die Frau ihr Los trägt und dabei ihre ursprüngliche Freundlichkeit behält und nicht verbittert wird. Sie ist vielleicht der stärkste und integerste Charakter des ganzen Buches. Ein schlichtes und gradliniges Leben, ohne Ersatzhandlungen und ohne irgendetwas kompensieren zu müssen.
Die vierte Episode fand ich persönlich auch mit am schwersten zu verdauen. Es ist unglaublich, wieviel Leid manche Menschen ertragen mussten (und müssen).
Wenn dir die erste Episode einige Probleme bereitet hat, wie fandest du die 4. Episode? Die ist doch mindestens genauso heftig. Anstelle eines eher individuellen Wahnsinns gibt es hier den kollektiven Wahnsinn und der entlädt sich auf eine Person und ihre unmittelbare Umgebung.
Hier ist kein Ich-Erzähler der Täter, sondern die Ich-Erzählerin muss sehr viel Gewalt über sich ergehen lassen.
Auch hier kann man durchaus einen realen Bezug annehmen, wenn man will. Diese politischen Wirrungen hat es tatsächlich gegeben.
Faszinierend fand ich rückblickend auch, wie das Element des Essigbaums später wieder aufgegriffen und relativiert wird.
Eine beeindruckende Lebensgeschichte und Darstellung von Lebensmut, dadurch intensiviert, dass ein ganzes Leben auf nur wenige Seiten komprimiert wird. Gefallen haben mir die überaus sarkastischen Bemerkungen, die die Absurdität der politischen Parolen offenlegen, die die jeweiligen Machthaber von sich geben. Nebenbei mildern diese Kommentare die Grausamkeiten und Demütigungen ein wenig ab, die die Frau erfahren muss.
Aber gerade weil diese Frau alle Schläge so unerschütterlich wegsteckt, ihre Hütte immer wieder aufbaut und einfach weiter ihre Nudelsuppe kocht, verbreitet die Geschichte, trotz der ganzen Gewalt, am Ende Hoffnung und Optimismus.
Ein wenig habe ich mich hier an Zacharys Lebensgeschichte aus Der Wolkenatlas erinnert gefühlt. Das gleiche ärmliche und entbehrungsreiche Leben, angefüllt mit sinnloser Gewalt.
LG Trurl
Bearbeitet von Trurl, 25 September 2013 - 11:35.
Wie die Welt noch einmal davonkam, aus Stanislaw Lem Kyberiade
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#26
Geschrieben 25 September 2013 - 12:35
So unterschiedlich kann die Wahrnehmung sein.Eine beeindruckende Lebensgeschichte und Darstellung von Lebensmut, dadurch intensiviert, dass ein ganzes Leben auf nur wenige Seiten komprimiert wird. Gefallen haben mir die überaus sarkastischen Bemerkungen, die die Absurdität der politischen Parolen offenlegen, die die jeweiligen Machthaber von sich geben. Nebenbei mildern diese Kommentare die Grausamkeiten und Demütigungen ein wenig ab, die die Frau erfahren muss.
Ich finde, dass die Kommentare und die Absurdität der ideologisch motivierten Handlungen das Leid der Frau noch verstärken. Ihr ganzes Leben wird dadurch bestimmt und sie kann dem nicht entkommen.
Aber auch hier ist es sinnlos, die politischen Akteure für böse zu halten und fordern, dass sie zur Verantwortung gezogen werden. Gerade weil das ganze Leben der Frau auf wenigen Seiten erzählt wird, wird der Wahnsinn und der Zwangscharakter der jeweils aktuellen politischen Ideologie sehr deutlich.
#27
Geschrieben 25 September 2013 - 13:53
Ich habe den Sarkasmus in erster Linie als weiteres Zeichen ihrer inneren Stärke gesehen. Und er zeigt auch, dass sie die Sprüche und Parolen durchschaut und beweist damit eine Lebensweisheit die anderen abgeht.So unterschiedlich kann die Wahrnehmung sein.
Ich finde, dass die Kommentare und die Absurdität der ideologisch motivierten Handlungen das Leid der Frau noch verstärken. Ihr ganzes Leben wird dadurch bestimmt und sie kann dem nicht entkommen.
Im Grunde ist es schon erstaunlich und fast übermenschlich, was die Frau in ihrem Leben alles wegsteckt ohne zu verzweifeln. Sie verliert nach der Vergewaltigung ihre Tochter, die bei Verwandten aufwächst, erfährt keine Liebe, weder vom Vater, noch sonst wem. Deshalb fand ich es auch tröstlich, und großzügig gegenüber dem Leser, dass sie kurz vor ihrem Tod noch ihre Urenkelin sehen durfte.
Das verstehe ich nicht. Meinst du damit, dass, wenn ein System oder eine Ideologie außer Kontrolle gerät und selbst zum Täter wird und die eigentlichen Täter nur die ausführende Werkzeuge, die dabei begangenen Verbrechen nicht mehr böse sind oder keinen Urheber haben? Und man die Täter nicht bestrafen kann? Weil sie eher Opfer sind?Aber auch hier ist es sinnlos, die politischen Akteure für böse zu halten und fordern, dass sie zur Verantwortung gezogen werden. Gerade weil das ganze Leben der Frau auf wenigen Seiten erzählt wird, wird der Wahnsinn und der Zwangscharakter der jeweils aktuellen politischen Ideologie sehr deutlich.
Es steht natürlich außer Frage, dass Täter die Verbrechen im Namen einer Ideologie oder eines Staates begehen schwerer oder gar nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Das sieht man ja bei den Kriegsverbrecherprozessen, die auch nur dann geführt werden, wenn die Herrscher-Clique nicht mehr regiert. Und selbst dann ist es schwer. Aber im Prinzip
LG Trurl
Bearbeitet von Trurl, 25 September 2013 - 13:55.
Wie die Welt noch einmal davonkam, aus Stanislaw Lem Kyberiade
- • (Buch) gerade am lesen:Jeff VanderMeer - Autorität
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#28
Geschrieben 25 September 2013 - 14:45
Unabhängig davon, was ich jetzt persönlich dazu meine: Ich denke, dass Mitchell hier genau diese Diskussion anstoßen will - ohne eindeutige Antworten vorzuformulieren. Er zwingt den Leser, sich zu positionieren, ohne einen Hinweis zu geben, was denn die "richtige" Position sei. Das finde ich sehr beachtlich für eine solche Thematik.Ich habe den Sarkasmus in erster Linie als weiteres Zeichen ihrer inneren Stärke gesehen. Und er zeigt auch, dass sie die Sprüche und Parolen durchschaut und beweist damit eine Lebensweisheit die anderen abgeht.
[...]Aber im Prinzipsolltemuss sich jeder für seine Taten verantworten und in seltenen (leider) Fällen gelingt das auch bei Staatsterrorismus.
Das sehe ich genauso. Ich denke auch, dass Mitchell hier seine Erzähltechniken entwickelt hat, die er im Wolkenatlas perfektionierte.Ein wenig habe ich mich hier an Zacharys Lebensgeschichte aus Der Wolkenatlas erinnert gefühlt.
#29
Geschrieben 25 September 2013 - 15:34
Ja, Mitchell macht das sehr geschickt. Die erste Episode ist schon ein wenig als Provokation angelegt. Um den Leser aus der Deckung zu locken. Hat bei mir jedenfalls super funktioniert. Auch wenn Mitchell sich da noch mit einem eigenen Urteil zurückhält und Tanaka nur für sich selbst sprechen lässt, meine ich doch, bereits in der China-Episode und den dabei geschilderten Wirren der japanischen Besetzung und anschliessenden Kulturrevolution, die eigentliche Stimme des Autors herauszuhören. Eine Geschichte, die aus der Perspektive einer geschundenen Frau erzählt wird, liest sich einfach nicht neutral.Unabhängig davon, was ich jetzt persönlich dazu meine: Ich denke, dass Mitchell hier genau diese Diskussion anstoßen will - ohne eindeutige Antworten vorzuformulieren. Er zwingt den Leser, sich zu positionieren, ohne einen Hinweis zu geben, was denn die "richtige" Position sei. Das finde ich sehr beachtlich für eine solche Thematik.
Eindeutig.Ich denke auch, dass Mitchell hier seine Erzähltechniken entwickelt hat, die er im Wolkenatlas perfektionierte.
LG Trurl
Bearbeitet von Trurl, 25 September 2013 - 15:34.
Wie die Welt noch einmal davonkam, aus Stanislaw Lem Kyberiade
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#30
Geschrieben 25 September 2013 - 17:19
Ich interessiere mich nicht für "gut" und "böse".Das verstehe ich nicht. Meinst du damit, dass, wenn ein System oder eine Ideologie außer Kontrolle gerät und selbst zum Täter wird und die eigentlichen Täter nur die ausführende Werkzeuge, die dabei begangenen Verbrechen nicht mehr böse sind oder keinen Urheber haben? Und man die Täter nicht bestrafen kann? Weil sie eher Opfer sind?
LG Trurl
Komplexe Situationen entziehen sich einer dualistischen Bewertung.
Was GUT und was BÖSE ist bestimmen die, die die Deutungshoheit haben. Und von deren Normen hängt es ab, wer für was zur Rechenschaft gezogen und bestraft wird.
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