Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an zwei "Scribbling" betitelte Blog-Einträge vom Oktober vergangenen Jahres. Danach kam lange, lange nichts, was aber nicht heißen soll, dass ich seither nichts geschrieben habe. Ich habe sogar - verglichen mit den vergangenen Jahren - zuletzt ziemlich viel geschrieben. Das wird dann jetzt nach und nach auch für die interessierte Öffentlichkeit zu bemerken sein.
Die erste einer ganzen Reihe von neuen Kurzgeschichten aus meinem Argona-Universum, die auch tatsächlich veröffentlicht wird, trägt den Titel "Fremd". Lustigerweise steht sie in engem Zusammenhang mit der ersten Argona-Geschichte, die je erschienen ist, mit "Barrieren" aus dem Jahr 2005, das ja sogar noch vor den drei Romanen kam. "Barrieren" habe ich kürzlich mal wieder bei einer Lesung verwenden können (bei "Kunst im Knast" hat das ja schon vom Titel her wirklich gut gepasst), die Geschichte kam (in einer gekürzten Fassung) gut an, so weit ich das beurteilen kann, und ich hatte selbst richtig viel Spaß, sie nach einer langen Zeit mal wieder zu lesen.
In "Fremd" geht es um einen der Ments, die zusammen mit Luz Andrade auf der Orbitalstation über Basis-2 Dienst getan haben, die Story spielt ungefähr ein halbes Jahr nach "Barrieren". Hier ein kurzer Ausschnitt (nicht ganz vom Anfang, sondern ab Beginn des zweiten Abschnitts, in meinem Manuskript auf den Seiten 3 und 4 von 10):
Die Landschaft Röhmens war zu idyllisch, um darin Gefahren zu erwarten. Berger bemühte sich, das auszublenden und sich auf einen möglichen Angriff zu konzentrieren, der jederzeit erfolgen mochte. Es gelang ihm nicht ganz.
Die Sonne war aufgegangen, die Natur zum Leben erwacht. Der schwache Nebel über den Wiesen löste sich bereits langsam auf. Insekten summten und zirpten, tausend Gerüche strömten in Bergers Nase. Diese Welt faszinierte ihn jeden Morgen aufs Neue. An seine eigentliche Heimat hatte er deutlich nüchternere Erinnerungen. Aber damals hatte er auch eine wichtige Aufgabe erfüllen müssen, die ihm nur wenig Zeit für anderes ließ.
Skiff Berger ließ sich nur beinahe von seiner Umgebung einlullen. Er bewahrte sich einen Rest Aufmerksamkeit und hörte deshalb das schwache Geräusch sofort. Ein Ast, auf den jemand getreten war und der leise knackte. Berger wurde nur halb überrascht, als der Schuss fiel. Er hatte sich bereits zu Boden geworfen, und das Projektil verfehlte ihn deutlich. Die beiden Jungen, die ihm gehorsam folgten, waren weit genug hinter ihm marschiert, um nicht in Gefahr zu sein.
„Deckung“, rief Berger dennoch und brachte seine eigene Waffe in Anschlag. Er robbte hinter einen umgestürzten Baumstamm. Sehen konnte er nichts. Der Angreifer – vermutlich Bordon – war jetzt auch schlau genug, keine weiteren verräterischen Geräusche mehr zu produzieren. Vermutlich stand er unbeweglich da und wartete, bis sich Berger rührte, um dann erneut zu feuern. Doch diesen Gefallen tat ihm Berger nicht.
Er hatte schon ganz andere Schlachten geschlagen. Und er hatte nicht vor, ausgerechnet heute zu sterben.
„Bleibt zurück“, sagte er laut. Berger wollte nicht, dass sich Andres und Raffie unnötig in Gefahr brachten. Bordon würde sie erschießen. Damit war niemandem gedient.
Die Gabe.Er zögerte.
Ursprünglich hatte er vorgehabt, sie überhaupt nicht mehr einzusetzen. Von diesem Vorsatz war er längst abgewichen. An die Idee glaubte er auch heute noch: Was sie damals unter Andrades Führung getan hatten, war absolut richtig gewesen. Sie hatten Basis-2 gerettet und damit viele Menschenleben, und sie hatten die Invasoren abgewehrt, die Kotmun, die auf ihrem unerbittlichen Angriffszug quer durchs Universum waren.
Es war richtig, dachte Skiff Berger, auch wenn Andrade es am Ende vielleicht ein wenig übertrieben hatte. Dazu wäre aber kein anderer in der Lage gewesen.
Trotzdem: Hinterher hatte Berger sich vor sich selbst gefürchtet. Er war plötzlich nicht mehr in der Lage gewesen, seiner Aufgabe nachzukommen. Trost spendete ihm, dass er längst nicht der Einzige war. Selbst Tomkin hatte letztlich das Weite gesucht.
Die Ärzte sprachen von einer Blockade. Man machte ihm offiziell keinen Vorwurf. Natürlich brauchte er die Gabe nicht, um in ihren Gesichtern zu lesen.
Versager war noch der freundlichste Ausdruck. Es störte ihn, er schämte sich erst, dann machte es ihn wütend. Aber das änderte nichts: Er würde seine Aufgabe niemals wieder erfüllen können.
Erst auf Röhmen bemerkte Skiff Berger, dass er die Gabe nicht vollständig verloren hatte. Sie war immer noch da, und er konnte sie wohl auch weiterhin nutzen. Es war jetzt aber nicht mehr wie zuvor, als er noch die Unterstützung der anderen Ments gehabt hatte. Und doch erhob es ihn ein wenig über die gewöhnlichen Menschen – oder stellte ihn abseits. Er war auch deshalb bislang stets davor zurückgeschreckt, die Gabe auf dieser Welt einzusetzen.
Sei’s drum, dachte er. Dann ließ er jegliche Zurückhaltung fallen.