Zunächst einmal hat Alexander deutlich gesagt, daß Papyrus genau das tut, was alle Geistes"wissenschaftler" als unmöglich weit von sich weisen
Na, na - wo kommt denn das her? Als studierter Germanist betrachte ich mich mal als Geisteswissenschaftler, aber ich würde nie von mir weisen, dass man einen Text analysieren kann. Ganz abzählbar und "objektiv".
Und auch sonst weist das wohl kaum "jemand von sich", andernfalls wäre das Germanistikstudium nicht so voll von Textanalyse. Die Analyse ist dann die Grundlage für weitere Schritte, sei es für inhaltliche Interpretationen wie auch für handwerkliche Betrachtungen. Aber schon die höherwertigen Teile der Analyse, beispielsweise das Erkennen von Stilmitteln, ist nach derzeitigem Stand schwierig für einen Rechner zu algorithmisieren, weil ohne Verständnis des Sinns Stilmittel mitunter schwer von Fehlern bzw. zufälligen Konstruktionen zu unterscheiden sind. Was nicht heißt, dass nicht auch das noch in den meisten Fällen halbwegs objektivierbar wäre, es überfordert halt nur einen Computer.
Diese Software analysiert einen Text. Sicher, auf rein technischer handwerklicher Ebene
... aber diese Analyse hat halt nur bedingt mit dem Handwerk zu tun. Gerade weil der Computer schon bedeutsame Teile der Analyse nicht leisten kann, muss der Mensch halt den Bezug der Analyseergebnisse zum Handwerk erst herstellen. Die Software analysiert Texte halt nur auf einer sehr niedrigen Ebene, und die Ergebnisse sagen erst mal wenig darĂĽber aus, wie gut typisch "handwerkliche" Merkmale eingehalten werden. Und genau das wĂĽrde ich erwarten, wenn ich davon spreche, dass eine Software das "Handwerk" analysiert.
Es ist erst mal nur eine analyse einfacher sprachlicher Phänomene; da das Handwerk in der richtigen und zielgerechten Anwendung dieser Phänomene liegt und Papyrus genau zu diesem Punkt keine Aussagen tätigt, wird das Handwerk selbst auch nicht analysiert
Kannst du die gängigen Phänomene des ersten Drittels benennen? Ich vermute in diesem Drittel liegt die Basis des guten Handwerks und es wird wohl mit dem Text-TÜV von Papyrus übereinstimmen.
Diese Phänomene entscheiden sich nicht wesentlich von den Gründen, aus denen Phänomene der zweiten oder dritten Klasse angestrichen werden. Jedenfalls fällt mir spontan nichts ein, was absolut typisch wäre. Nehmen wir als typisches Beispiel mal Wortwiederholungen - man kann in einem Text Wortwiederholungen finden, die so ziemlich von jedem Lektor angestrichen werden und bei denen sich alle einig sind, dass sie gar nicht gehen; aber genauso gibt es Wortwiederholungen, die regelmäßig angestrichen werden, und solche, an denen sich nur ein paar einzelne Bearbeiter stören, während andere das gar nicht nachvollziehen können oder die Wiederholung gar für sinnvoll halten. In allen Fällen sind das Phänomen die Wortwiederholung; die Basis des guten Handwerks wäre dann nicht nur benennbar das Phänomen "Wortwiederholungen suchen", sondern die komlexere Fähigkeit zielgenau die zu finden, die störend wirken oder regelmäßig störend wirken können (jetzt mal stark vereinfacht).
Deswegen ist es auch, wie ich oben benannt habe, so schwierig für den einzelnen Bearbeiter, für sich allein zu erkennen, welche "Klasse" der angestrichene Mangel hat. Wenn man alleine dasitzt ist halt jede Wortwiederholung, über die man stolpert, zunächst mal gleichwertig eine Wortwiederholung, die man eliminieren sollte. Man kann zwar im Einzelfall meist einschätzen, wie gravierend sie ist, und oft stimmt diese Einschätzung dann auch damit überein, wie andere Kollegen sie bewerten; aber genauso kann es halt eine Wortwiederholung sein, die nur einen persönlichen Nerv so getroffen hat, dass man sie für besonders gravierend hält. Genau wissen kann man das erst, wenn man es mal auf die Probe stellt und vergleicht - und das passiert in der Praxis ja nicht so oft; da arbeitet man ja meist im stillen Kämmerlein.
Ich würde dementsprechend auch nicht sagen, dass die Basis des guten Handwerks in den "Mängeln der Klasse 1" liegt. Ich würde sagen, es sind drei Säulen, an denen sich gleichermaßen zu arbeiten lohnt. Und die wichtigste und erste Säule würde ich sogar bei den "Fehlern der Klasse 4" sehen - bei den Dingen, die man anstreicht und durch etwas ersetzt, was die meisten anderen Betrachter als schlechter ansehen würden. Dass man beim Bearbeiten einen Text nicht verschlimmbessert, halte ich für das allerwichtigste, was man zuerst lernen sollte und was zur Beherrschung des Handwerks dazugehört. Alle drei genannten Kategorien beschreiben schon einen "idealen" Lektor, der selbst keine Fehler macht. Wenn man es überhaupt schafft, bei allem, was man anstreicht, irgendwo in den oben genannten drei Kategorien zu liegen, ist das schon mal nicht schlecht und durchaus für sich genommen schon eine gute "Basis fürs Handwerk".
Als nächstes ist dann ja festzuhalten, dass es auch bei den Fehlern der "Kategorie 2" eine hohe Übereinstimmung gibt, dass da zwar nicht jeder Bearbeiter alles gleich anstreicht, aber das doch eine statistische Einigkeit darüber besteht, was für Dinge regelmäßig angestrichen werden. Als zweite Basis würde ich also das Gespür ansehen, möglichst wenige Dinge der 3. Kategorie anzustreichen - Mängel zu finden, die so ziemlich jeder Lektor anstreichen würde, ist natürlich ein gutes Zeichen. Aber schon die Korrekturen der "2. Kategorie" sind in der Regel ja Verbesserungen. Wenn man möglichst viele Dinge korrigiert, die eine große Zahl von Bearbeitern auch "verdächtig" findet, ist das schon mal nicht verkehrt. Also, keine absolute Fokussierung auf Klasse 1, sondern Klasse 1 und 2 zusammen sind eine weitere Säule.
Und die dritte handwerkliche Säule wäre dann, möglichst viele dieser "berechtigten" Korrekturen zu finden und möglichst wenige der wirlich dicken Klöpse zu übersehen.
An alle drei dieser Fertigkeiten kann man sich langsam herantasten und sein "handwerkliches GespĂĽr" in dieser Hinsicht verbessern.
Aber selbst bei allen drei genannten "Säulen" wäre ich mir noch nicht sicher, ob das dann die "Basis von gutem Handwerk" ist. a3 hat in seinem Posting ja auf die Erfolge von Heitz und Hohlbein verwiesen und sie vor allem auf das "beherrschte Handwerk" zurückgeführt ... Mag man so sehen oder auch nicht. Was auf jeden Fall auffällt ist die Tatsache, wenn dem Erfolg dieser Autoren vor allem ihr Handwerk zugrundeliegt, dann muss es eine Art von Handwerk sein, die durch die von mir beschriebenen "Klassen der handwerklichen Korrekturen" nicht ausreichend erfasst wird. Denn bei allem, was ich beschrieben habe, geht es nur um Korrekturen von offensichtlichen handwerklichen Fehlern; aber wie die Praxis zeigt, wird ein Text nicht nur dadurch erfolgreich, dass er möglichst frei von korrigierbaren, handwerklichen Fehlern ist. Ganz im Gegenteil.
Bedeutsamer ist eher, dass der Text schon von der Anlage her so gestaltet ist, dass er möglichst viele Leser anspricht. Einen Text auf diese Weise schreiben zu können, kann man durchaus mit Fug und Recht als handwerkliches Geschick betrachten, und damit wäre das vermutlich die bedeutsamste Basis des Handwerks. Und weil man diese positive Qualität nicht allein durch die Beseitigung von Fehlern "reinkorrigieren" kann, sondern von Anfang an schon etwas da sein muss, ist diese Basis des Handwerks etwas, das durch die von mir beobachteten Phänomene bei der Korrektur von Texten nicht abgedeckt ist.
Denn wenn diese sich in den Verkäufen von Heitz und Hohlbein niederschlagende "handwerkliche Qualität" etwas wäre, was allein durch die Beherrschung der von mir beschriebenen "Korrektur handwerklicher Fehler" erreichbar ist, dann müssten ja alle erfahren Lektoren auch gleich selbst jederzeit entsprechende kalkulierbare Bestseller schreiben können bzw. jedes beliebig miese Manuskript zu einem Bestseller redigieren können. Was in Einzelfällen schon mal vorgekommen ist, aber erfahrungsgemäß halt nicht berechenbar und regelmäßig passiert.
"Modern Economics differs mainly from old Political Economy in having produced no Adam Smith. The old 'Political Economy' made certain generalisations, and they were mostly wrong; new Economics evades generalisations, and seems to lack the intellectual power to make them." (H.G. Wells: Modern Utopia)