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Faschos & Anti-Faschos †¦ der ewige Streit


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380 Antworten in diesem Thema

#301 MartinHoyer

MartinHoyer

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Geschrieben 11 Mai 2011 - 20:39

Wobei ich ein gewisses Racheverhalten gegenüber Deutschland zu dieser Zeit durchaus nachvollziehen kann.

Irgend ein Racheverhalten gibt es doch immer, welches man nachvollziehen kann oder zumindest nachvollziehen könnte. Dass Gemeinschaften Rachegedanken gegenüber anderen Gemeinschaften hegen, von denen sie durch irgend etwas zu irgend einem Zeitpunkt gedemütigt fühlen, ist älter als die Nationalstaaten. Im Grunde ist das eine tendenziell gefährliche Denkweise: Man könnte sich dazu versteigen, den 2. Weltkrieg als nachvollziehbare Revanche für die Demütigung Deutschlands in Folge des 1. Weltkriegs zu sehen, der wiederum die Folge von Großmachtspielen aller Beteiligten war, die untereinander irgendwelche alten Kamellen zu bereinigen hatten - und meinten, diese bereinigen zu müssen. Das Ganze könnte man über die Befreiungskriege, die Völkerwanderungen und meinetwegen bis zu dem mythischen Moment zurückverfolgen, in dem Abel von Kain eins auf den Brägen bekam.

So lange man allerdings den Unterschied zwischen "nachvollziehbar" und "entschuldbar" sieht, ist alles im grünen Bereich.

Hmm, worin siehst du die Kriminalisierung von Unschuldigen, wenn konkrete verbrecherische Taten von konkreten Menschen auf konkrete Weise (= mühsam eruiertes Bildmaterial) benannt werden.

In diesem, konkreten Fall im reißerischen Titel. Denn alle Bilder zusammen zeigen nicht, das sämtliche Angehörigen der Wehrmacht oder auch nur ein maßgeblicher Prozentsatz dieser in die Nähe von Verbrechen gerückt werden können. Das ist in etwa so, als ob ich fleißig authentische Fotos und Augenzeugenberichte über unangemessene Gewaltanwendung durch die bundesdeutsche Einsatzpolizei gegen friedliche Demonstranten sammle und dann eine große Wanderaufstellung "Verbrechen der bundesdeutschen Polizei" starte. Der Aufschrei wäre gewaltig. Wenn es jedoch um die Zeit des Nationalsozialismus geht, genügen 0,05 Promille Verbrecher, damit die Austellung nicht nur unter diesem Motto läuft, sondern auch vehement gegen Kritik verteidigt und jeder Versuch der Differenzierung mindestens als Relativierung abgeschmettert wird.

Mit verbrecherischer Handlung ist in erster Linie immer noch die verbrecherische Handlung des Landsers am Tatort gemeint. Wie anders?

Wir verlieren uns in Worthülsen, fürchte ich. Eine verbrecherische Handlung ist eine Handlung, die in der Rechtsnorm ihres Tatortes und ihrer Tatzeit strafbar ist. Wenn wir von Mord reden, gilt in der Bundesrepublik Deutschland § 211 Absatz 2 des StGB: "Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet." - Wenn wir nun nicht annehmen wollen, dass beispielsweise der Schutz des eigenen Lebens oder das von Angehörigen ein niederer Beweggrund ist, muss im Einzelfall abgeklärt werden, ob ein Notstand vorlag oder nicht, bevor man Vorwürfe erhebt.

Warum "Unvermögen", es wurden doch einzelne Täter "identifiziert" - auch wenn man sie nicht mehr "dingfest" machen bzw. noch nicht mal mit Namen benennen kann - ; und wer behauptet, dass *alle* Angehörige der Wehrmacht daran beteiligt waren? Das wäre ja pauschalisierend, das Gegenteil wollten die Wehrmachtsausstellungen.

Dann haben es die Organisatoren IMHO versäumt, dies zu verdeutlichen, denn soweit ich mich erinnere, wurde die Verbrechen weder in ihrer Schwere noch in ihrer Anzahl in Relation zum Vorgehen der gesamten Wehrmacht gesetzt. Generell zeigen Bilder und Augenzeugenberichte eben nur die Tat, nicht aber ihre Hintergründe.

Nun ich denke, man muss irgendwo anfangen und da wir uns zufälligerweise in Deutschland befinden, schadet es doch nicht, zunächst etwas vor der eigenen Haustür zu kehren und eine Diskussion über die Kriegsverbrechen der hiesigen Armee anzustoßen.

Ich denke vielmehr, es wäre Zeit, eine Diskussion über Krieg als Verbrechen an sich anzustoßen, statt wahlweise sich selbst oder anderen Momentaufnahmen von Verbrechen vorzuwerfen, die im Zuge jedes Krieges von allen Beteiligten begangen werden.

Bearbeitet von MartinHoyer, 11 Mai 2011 - 20:40.

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#302 Pogopuschel

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Geschrieben 11 Mai 2011 - 20:58

Ist ja schön, daß Du mich so gut kennst, daß Du beurteilen kannst, ob ich meine Haltung hinterfrage oder nicht; ich würde mir eine derartige Beurteilung jedenfalls nicht anmaßen.

Aber in einem hast Du recht: Diese Diskussion ist sinnlos, denn die "Guten" sind nun einmal außerstande zu akzeptieren, daß sie unter den damaligen Umständen vielleicht gar nicht die Guten gewesen wären und daß ihre anmaßende Verurteilung von Menschen, die keine Möglichkeit zur rückblickenden Geschichtsbeurteilung hatten, einfach nur schäbig ist. Daß ich damit nicht Hitler und seine Spießgesellen meine, sollte eigentlich klar sein, abr wer weiß ...

FWH


Ist ja schön, dass du mich so gut kennst, dass du beurteilen kannst, dass ich mich als "Guter" bezeichne und auch nicht einräumen würde, damals ein "Guter" gewesen zu sein.
Es ist ja immer sehr spekulativ zu sagen, was man in bestimmten Situationen getan hätte. Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich wäre ich ein feiger, ängstlicher Mitläufer gewesen, wie so viele. Und diese Vorstellung stimmt mich doch sehr nachdenklich.

#303 molosovsky

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Geschrieben 11 Mai 2011 - 21:51

Frank muss eigentlich nur klarstellen, dass er mit ›Erziehungsprodukt der 68‹ nicht etwa auch Pogo meint, dann steht sein (für meinen Geschmack) ziemlich missverständlicher Kurzschlag nicht mehr so peinlich herum.

Grüße
Alex / molo

MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.

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#304 Clauss-Hausen

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Geschrieben 11 Mai 2011 - 22:06

Wer Krieg führt, ist in meinen Augen bereits ein Verbrecher und wer sich daran beteiligt auch. (Sicher, wenn einer angreift, muss sich natürlich der Angegriffene verteidigen und Soldaten werden und wurden in der Vergangenheit dazu gezwungen zu kämpfen.) Aber ich finde es vollkommen absurd, so etwas wie Krieg einem humanitären Regelwerk wie der Genfer Konvention zu unterwerfen, nur damit sich dann die Kriegsparteien damit schmücken können, einen sauberen Krieg geführt zu haben. Für mich ist diese Konvention eine Farce.

Respekt, das sind starke Prinzipien...

Mit seinem unglaublichen Vorgehen während des 2. Weltkriegs hat Deutschland, in meinen Augen, jegliches Recht verspielt, anderen Kriegsparteien moralische Vorwürfe zu machen. Wäre ich am Kommando der Alliierten beteiligt, wäre ich mit kompromissloser Härte gegen Deutschland vorgegangen. Notfalls, bis kein Stein mehr auf anderen gelegen hätte.

... die allerdings gerade mal einen Absatz vorhalten.

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#305 Pogopuschel

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Geschrieben 11 Mai 2011 - 23:58

Respekt, das sind starke Prinzipien...


... die allerdings gerade mal einen Absatz vorhalten.

Man fragt sich schon, wie einer wie Du damals WIRKLICH reagiert haette.


Einer wie ich.

Wer von uns kann schon sagen, wie er reagiert hätte. Diese Diskussion ist unsinnig, weil wir nicht in dieser Situation gewesen sind und es nicht wissen. Wir können höchstens sagen, wie wir gerne reagiert hätten.
Wer angegriffen wird, hat das Recht sich zu verteidigen. Und womöglich überschreitet er irgendwann einen Punkt, an dem er selbst zum Verbrecher wird.
Mit meiner Aussage über die Genfer Konvention will nicht sagen, dass ein solches Bestreben nach möglichst »humanitärem« Vorgehen im Krieg nicht wünschenswert ist. Ich sage nur, dass es in der Realität nicht funktioniert. Es ist verlogen, Krieg in Regeln zu packen, an die sich doch sowieso niemand hält. Krieg ist die Abschaffung von Regeln.
Deshalb sehe ich auch nicht, wie sich meine beiden Absätze widersprechen. An dieser Stelle habe ich überlegt, wie ich an Winston Churchills Stelle reagiert hätte. Wenn ich persönlich betroffen bin, wenn ich versuche mein Leben und das von anderen zu retten, dann sind mir Regeln scheißegal. Das heißt nicht, dass ich für die Abschaffung von Regeln bin, aber was bringen sie, wenn niemand da ist, der ihre Einhaltung durchsetzen kann. Das machen erst die »Sieger« im Nachhinein. Nach ihrem eigenen Verständnis der Regeln. Aber während des Krieges denken alle Parteien SIE würden siegen, und bräuchten sich deshalb nicht an die Regeln zu halten.

#306 simifilm

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 01:29

Wer angegriffen wird, hat das Recht sich zu verteidigen. Und womöglich überschreitet er irgendwann einen Punkt, an dem er selbst zum Verbrecher wird.
Mit meiner Aussage über die Genfer Konvention will nicht sagen, dass ein solches Bestreben nach möglichst »humanitärem« Vorgehen im Krieg nicht wünschenswert ist. Ich sage nur, dass es in der Realität nicht funktioniert. Es ist verlogen, Krieg in Regeln zu packen, an die sich doch sowieso niemand hält. Krieg ist die Abschaffung von Regeln.


Ich denke, dass ist doch ein wenig zu kurz gegriffen und wird der Sache nicht gerecht. Es gibt durchaus deutliche Unterschiede - die gerade die Zivilbevölkerung zu spüren - in der Art der Kriegsführung. Zu sagen, dass das alles grundsätzlich nicht funktioniert und dass die Genfer Konvention ohnehin von niemandem befolgt wird, entspricht ganz einfach auch nicht den Tatsachen. Oder bist Du tatsächlich der Ansicht, dass - um zwei relativ beliebige historische Beispiele zu nennen - es keinen Unterschied gibt zwischen dem Krieg, den die NATO derzeit in Libyen führt, und dem Vorgehen der japanischen Armee in China während des Zweiten Weltkriegs?

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#307 Gast_Frank W. Haubold_*

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 05:21

Frank muss eigentlich nur klarstellen, dass er mit ›Erziehungsprodukt der 68‹ nicht etwa auch Pogo meint, dann steht sein (für meinen Geschmack) ziemlich missverständlicher Kurzschlag nicht mehr so peinlich herum.

Grüße
Alex / molo


Ich habe den Satz geändert, daß er eindeutiger rüberkommt.
Was mich nervt (und eigentlich ist es mehr als das), ist die Selbstgerechtigkeit vieler Nachgeborener, die ihr simples Geschichtsbild für die universelle Wahrheit halten und gar nicht wissen (zu ihrem Glück), wie dünn die Schale der Zivilisation ist. Die hochherzig verkünden, sie seien selbstverständlich gegen Kollektivschuldthesen, aber die Wehrmacht sei natürlich eine verbrecherische Organisation gewesen, und das Auswärtige Amt und und und, bis nichts mehr übrigbleibt. Dabei wissen sie NICHTS.

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#308 My.

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 05:47

Wer angegriffen wird, hat das Recht sich zu verteidigen. Und womöglich überschreitet er irgendwann einen Punkt, an dem er selbst zum Verbrecher wird.

Eigentlich widersprichst du dir da ja selber :) - dein Satz hier würde bedeuten, daß ein jeder auch das Recht hat, ein Verbrecher (weil Krieg = Verbrechen weiter oben von dir konstatiert wurde) zu sein.
Aber ich weiß, wie du es meinst, und du hast hier den Weg, zu erkennen, was ein Kriegsverbrechen ist. Nehmen wir mal an, Krieg wäre nicht automatisch ein Verbrechen (was Definitionssache ist), weil das Recht zur Selbstverteidigung kein Verbrechen sein kann, dann wäre das, was ein sich verteidigender Angegriffener überflüssigerweise zusätzlich zu seiner Verteidigung unternimmt, eben ein Kriegsverbrechen.

My.

#309 Gast_Frank W. Haubold_*

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 06:46

Um nicht immer nur selbst den Buhmann abzugeben, hier ein paar Zitate und Denkanstöße (Quelle) von Michael Klonovsky, der mit "Land der Wunder" den m.E. besten und intelligentesten Wenderoman geschrieben hat:

Das Praktische an der Nötigung, sich an die Verbrechen der Nationalsozialisten zu erinnern, ist die per se herausgehobenen Position derer, die dazu auffordern. Man sollte sie also, sofern es sich nicht um tatsächliche Opfer des NS-Terrors handelt (wobei die in der Regel zu gar nichts auffordern), stets danach fragen, welche Legitimation sie besitzen und was ihnen ihr Tun moralisch und/oder finanziell einbringt.

Um den Unterschied zwischen Ethik und Moral, der heute vergessen scheint, zu verdeutlichen: Ethisch ist die Verurteilung sämtlicher Kriegsverbrechen, die Moral kennt nur jene der Besiegten.

Ungefähr jedes zweite hierzulande erscheinende Geschichtsbuch ist von einem Menschen verfasst, der die historischen Akteure nicht verstehen, sondern sich ihnen überlegen fühlen will.

Schülern Geschichtsdenken beizubringen, würde zum Beispiel bedeuten, sie mit der Frage zu konfrontieren, was den Faschismus/Nationalsozialismus bedingt, verursacht und in einem gewissen Sinn gerechtfertigt hat. Da diese Frage aber tabu ist, lernen die Jugendlichen Mythen.

Seit Komintern-Zeiten interpretierte die Linke den Nationalsozialismus als die letzte und äußerste Reaktion der kapitalistischen Gesellschaft auf den Siegeszug des Kommunismus. Erst nachdem Ernst Nolte den Gedanken insofern präzisierte, als er die sowjetischen Massenmorde für das Original und jene der Nazis zur Kopie erklärte, ließ die Linke von diesem klassenkämpferischen Modell ab und zog sich auf die gute alte Rassenlehre zurück; seither hat Auschwitz keinerlei historische Ursachen mehr, sondern rührt unmittelbar aus dem deutschen Volkscharakter.

Daß man "Lehren aus der Geschichte ziehen" könne, ist die unermüdlich vorgetragene Marketing-Floskel derer, die zumindest einen Teil ihrer Einkünfte daraus ziehen.

Von den meisten Leuten, die so engagiert "Gesicht zeigen gegen rechts", würde man nicht einmal die Nasenspitze sehen, wenn sie Nachteile davon hätten.

In dem, was bundesdeutsche Historiker (und Publizisten) über die jüngere deutsche Geschichte schreiben, spiegelt sich immer mehr der Zustand der Bundesrepublik und immer weniger die behandelte Geschichte.

Zum finalen Mitschreiben: Dieses Land ruckt schon seines Mangels an Vitalität wegen nirgendwohin, schon gar nicht nach rechts (auch wenn es den Überbringern solcher Botschaften nach wie vor Honorare zahlt), sondern allenfalls gen ultimo; von diesem rapide vergreisenden, vergangenheitsbesessenen, durchpazifizierten, duldungsstarren, sich nicht mögenden und sich gern hinter anderen versteckenden, keine Kinder haben wollenden, seine kulturellen Restbestände und seine Sprache drangebenden Volk geht keinerlei Gefahr mehr für sonstwen aus - außer für sich selbst.

Die welthistorisch einzigartige Übersprungshandlung, sich für die Untaten anderer auf Erbsündniveau verantwortlich zu fühlen und möglichst auch noch die Kinder und Enkel mit in Haft zu nehmen, wird als kollektiver Dachschaden von einigem Rang und womöglich als Ursache für das irgendwannige Nichtmehrvorhandensein Deutschlands in die Annalen der anderen Länder eingehen.


Besser könnte ich es auch nicht ausdrücken.

FWH

#310 molosovsky

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 07:03

Danke Frank. Ich finde ja auch, dass vielerseits mit zuwenig Phantasie und Unerschrockenheit gegenüber den menschenlichen Abgründen, die in jedem von uns schlummern, ein Blick in die Vergangenheit (oder Gegenwart, oder Zukunft) geworfen wird. Moralisch zu urteilen ist gut und schön, aber die Übung sollte auch darin bestehen, zu versuchen alle Beteiligen nachzuvollziehen. Zerstörung von Leben, Leib, Gesundheit, Familie, Würde usw. ist etwas, das nicht nur Opfern, sondern eben auch Tätern widerfahren kann, und das ergibt unterm Strich: im Krieg sind sehr schnell alle (zumindest sehr viele) beides. Oder, um das ganze mit einem Monty Python-Jokus abzurunden: »Jeder Mord ist ein extrovertierter Selbstmord«. Grüße Alex / molo

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#311 Jakob

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 07:20

Hm. Darf man jetzt auch die Mafia nicht als verbrecherische Organisation bezeichnen, wenn man nicht in die "Familie" hineingeboren ist und nicht weiß, wie man sich unter entsprechenden Bedingungen verhalten würde?
Übrigens kennt auch das deutsche Recht die "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung" und sogar die "Werbung für" als einen Straftatbestand.
Schließlich geht die Unterstellung, nachträgliche Urteilsfähigkeit über historische Ereignisse sei selbstgerecht, an der Sache vorbei. Man weiß nie, wie man sich anstelle eines anderen verhalten hätte. Egal, wer. Egal, was er getan hat.
Das Zitat von Frank fragt wieder einmal nur nach der individuellen Berechtigung, sich ein Urteil anzumaßen, die aus dem Charakter und den Erfahrungen des Individuums abgeleitet werden soll. Das Gerechtigkeitsverständnis dahinter ist eigentlich das des Leumundsrechts: Wer selbst glaubhaft versichern kann, eine moralisch aufrechte Person zu sein, dessen Aussage und Urteil wird geglaubt.
Die Vorstellung, dass man nur das Recht hätte, Handlungsweisen abzulehnen, von denen man gewiss ist, dass man sie bei sich selber niemals vorfinden würde, führt auch jede Möglichkeit zur Selbstkritik ab absurdum: Wenn man sich nur erlaubt, dass zu verurteilen, von dem man sich sicher ist, dass man sich seiner niemals schuldig machen würde, dann gerät man natürlich nie in die Verlegenheit, das eigene Handeln in Frage stellen zu müssen. Was man selbst tut oder tun würde, steht ja schon per definitionem außerhalb des Rahmens dessen, was zu kritisieren man berechtigt wäre.
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#312 simifilm

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 07:44

Schließlich geht die Unterstellung, nachträgliche Urteilsfähigkeit über historische Ereignisse sei selbstgerecht, an der Sache vorbei. Man weiß nie, wie man sich anstelle eines anderen verhalten hätte. Egal, wer. Egal, was er getan hat..


Exakt. Im Grunde läuft das darauf hinaus, dass man überhaupt nichts moralisch beurteilen darf. Denn da die gleiche Situation nie zweimal in genau gleicher Weise auftritt, kann man nie wissen, wie man sich in einer spezifischen Situation verhalten würde.

Das Ganze erinnert mich auch ein bisschen an die alte Kritikerschelte: "Wie kommst Du dazu, diesen Film/dieses Buch so negativ zu besprechen, mach es doch besser." - Das ist aber ein Irrtum. Ich muss es nicht besser machen können, um etwas beurteilen zu können.

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#313 Clauss-Hausen

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 08:09

Wer angegriffen wird, hat das Recht sich zu verteidigen. Und womöglich überschreitet er irgendwann einen Punkt, an dem er selbst zum Verbrecher wird.

Nun ja, Du weisst sicher, dass technisch gesehen Frankreich und England Deutschland den Krieg erklaerten und meines Wissen nach auch die ersten Kampfaktionen bezueglich dieser drei Laender von Frankreich ausgingen.
Damit waere nach Deiner Argumentation Deutschland technisch im Recht, was diese beiden angeht?

Deshalb sehe ich auch nicht, wie sich meine beiden Absätze widersprechen.

... naja, da weiss ich dann nicht mehr viel zu sagen...

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#314 lapismont

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 08:19

Eigentlich widersprichst du dir da ja selber :) - dein Satz hier würde bedeuten, daß ein jeder auch das Recht hat, ein Verbrecher (weil Krieg = Verbrechen weiter oben von dir konstatiert wurde) zu sein.
Aber ich weiß, wie du es meinst, und du hast hier den Weg, zu erkennen, was ein Kriegsverbrechen ist. Nehmen wir mal an, Krieg wäre nicht automatisch ein Verbrechen (was Definitionssache ist), weil das Recht zur Selbstverteidigung kein Verbrechen sein kann, dann wäre das, was ein sich verteidigender Angegriffener überflüssigerweise zusätzlich zu seiner Verteidigung unternimmt, eben ein Kriegsverbrechen.

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Eine pazifistische Haltung stößt immer irgendwann an die Grenzen, die nichtpazifistische Handlungen setzen. Krieg wird durchaus nach Regeln geführt und es gibt auch genügend Beispiele, wo sich beide Parteien an diese Regeln gehalten haben.
Es ist aber sehr schwer, friedensgeprägte ethische Maßstäbe an die moralische Bewertung solcher Regeln und ihrer Folgen zu legen. Ein Soldat im Schützengraben ist eben nicht mehr der treusorgende Familienvater.
Es wird ja beim Diskurs zu Verbrechen im Zweiten Weltkrieg auch immer das Beispiel des wilden asiatischen Rotarmisten zitiert, der aus Prinzip die Frauen der Besiegten vergewaltigt. Hier mischen dann Geschichtslegenden, Tatsachen und Propaganda zu einem menschlichen Verhaltensprinzip.

Pogo sprach ja davon, dass der Angegriffene ein Recht zur Verteidigung habe. Das sagt man so leicht. Aber tatsächlich handelt es sich gar nicht um irgendeine festgelegte Verhaltensnorm, sondern um eine einfache Reaktion, die zum Großteil situationsabhängig und reflex/instinktgesteuert abläuft. Nicht jeder ausgebildete Schütze ist auch in der Lage einen Menschen zu erschießen, ebenso auch andersherum. Im Krieg trifft man so viele spontane Entscheidungen, weil man gar keine Zeit zum Nachdenken hat, dass Recht und Unrecht zu sehr lockeren Gebilden werden.

Wenn das Nachdenken einsetzt, beginnt das große Gericht. Schuld, Scham, Verdrängung, Urteile, Anklagen ...

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#315 MartinHoyer

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 09:18

Nicht umsonst haben wir im Strafrecht in Sachen Notwehr bzw. Nothilfe verankert, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt bleiben muss. In einem Krieg, auch wenn er zur Verteidigung gegen einen Angriff geführt wird, ist das nahezu unmöglich, denn allein aufgrund der hohen Zahl beteiligter Individuen ist die Eigendynamik extrem hoch. Vor allem aber fehlt die übergeordnete und dennoch neutrale Instanz, die über die Angemessenheit von Angriff und Verteidigung Recht sprechen könnte. In Kriegen sind die Richter immer Partei. Wenn sich kriegführende Parteien auf bestimmte Konventionen geeinigt haben, kann das bestimmte Härten mildern, führt aber nicht zu sauberen Kriegen. Um mal wieder die Kurve zu Verbrechen des 3. Reichs zu bekommen: Wenn es darum ging, Zivilisten umbringen zu wollen, wurden pro forma eben keine Zivilisten umgebracht, sondern "Partisanen und deren Unterstützer"; die Form wurde also gewahrt. Später kann man feststellen, dass das Humbug war, aber diese Feststellung erfolgt eben nur, wenn die Täter nicht auch die Sieger sind. Und die Sieger werden den Teufel tun, ihre eigenen Verbrechen auf den Prüfstand zu stellen. Heute ist man viel weiter. Man bringt keine Partisanen mehr um, sondern "feindliche Kämpfer" und deren Unterstützer, ab und an gibt es "Kollateralschäden". Für den gerechten Kampf dürfen internationale Konventionen und rechtsstaatliche Aspekte aufgeweicht oder ignoriert werden, ebenso die Neutralität von Staaten und universelle Menschenrechte. Man definiert einfach Personen oder Gruppen so lange um, bis keine ethischen Regeln mehr greifen, die nur hinderlich wären. Als Richter funktionieren die Teilnehmer der Wertesysteme der im Konflikt befindlichen Weltanschauungen, also zum Beispiel wir. Und wir finden es ein ganz abscheuliches Verbrechen und schreien laut auf, wenn jeden Monat eine Autobombe hoch geht. Würden wir jedes mal genauso aufschreien, wenn eine Rakete von einer Predator-Drohne hochgeht, wären wir nach drei Tagen heiser, deshalb lassen wir es. Wir empfinden es nicht als absurd, von eine Fraktion, zu der wir durch Geburtsglück nicht gehören und die nur Mittel eines Partisanenkriegs zur Verfügung hat zu erwarten, dass sie sich unserer Mittel bedient, damit wir sie als rechtmäßig handelnden Gegner anerkennen. Das Gedankenspiel, allen Fraktionen die gleichen militärtechnischen Möglichkeiten zu geben, damit alle einen sauberen Krieg mit chirurgischen Schlägen gegen ausschließlich militärische Ziele führen können, empfinden wir hingegen zu Recht als absurd. Kurz: Wir fühlen uns im Recht, weil wir nur die Ungerechtigkeit der Anderen spüren, nicht aber unsere eigene.
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#316 lapismont

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 09:26

Heute ist man viel weiter. Man bringt keine Partisanen mehr um, sondern "feindliche Kämpfer" und deren Unterstützer, ab und an gibt es "Kollateralschäden".


In einem Interview mit einem britischen Kriegsforscher las ich mal, dass sich heute durch die neuen Kriegsformen auch neue Probleme des Kriegsrechts ergäben. Es führen immer weniger Staaten gegeneinander Krieg, dafür umso mehr bewaffnete Interessengruppen. Dinge wie Völkerrechtskonventionen etc. funktionieren auf dieser Ebene nicht mehr.
Gerade das Partisanen/Terroristen Beispiel zeigt ja auch die subjektive Betrachtungsweise. So wie Kreuzzzugteilnehmer mal Invasoren und mal Heilige waren.
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#317 molosovsky

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 09:50

Kriege und die Handlungen der Kriegsparteien zu beurteilen und zu werten ist sicherlich eine heikle Sache.
Die Gewalt welche in Kriegen angewendet wird, lässt sich dennoch untersuchen und danach abklopfen, welche Rechtfertigungen ihr zugrundeliegt. Die Gewalt wird instrumentalisiert. Sprich: idealerweise soll der Gegner soll ja nicht gequält werden, um der lieben Lust des Quälens wegen. Der Feind soll einfach nur aus dem Weg geräumt, blockiert, kampfunfähig gemacht werden, vom verletzten bis hin zum töten. Grund für diese instrumentellen Gewalthandlungen sind üblicherweise Sicherung oder Expansion der Machtsphäre, Sicherung von Ressourcen, Wegen, Orten usw. †” So haben die Amerikaner den Einsatz der Atombomben gegen die Japaner instrumentell begründet, als Mittel, den Konflikt schnell und endgültig zu beenden, auch als Abschreckung gegenüber den Russen. Dass die Atombomben aber trotz heftiger Bedenken einiger ihrer Entwickler zum Einsatz kamen ist mit diesen instrumentellen Begründungen allein nicht zu erklären. Der Einsatz erfolgte auch aufgrund der Faszination der Zerstörungskraft der Bomben, der puren Lust etwas neues, bis her nicht da Gewesenes zu testen und zu gucken was passiert. In letztem unterscheidet sich der Atombombenabwurf kaum von den medizinischen Experimenten der Nazis mit KZ-Insassen. (Jeder denke hier vielleicht an eigene Kindheits-Erfahrungen mit Brenngläsern und Insekten, Schnecken usw. um die Basis-Qualität dieser Motivation für Gewaltausübung nachzuvollziehen.)

Legen wir zugrunde, dass die Entwicklung der Moderne eine im Lauf der Zeit gesteigerte Empfindlichkeit, Ablehnung, Vermeidung und Verurteilung von Gewalt bedeutet, kann man den Versuch unternehmen, die Rechtfertigungen verschiedener Art von Gewalt-›Kultur‹ zu beurteilen. Weithin vertraut sind wir mit zwei Rechtfertigungs-Traditionlinien, die auch heute noch vorgebracht werden:
a ) Unser eigener Umgang mit Gewalt ist ›zivilisiert‹, der des Gegener ist es nicht. Wir setzten Gewalt gegen den ›barbarischen‹ Gegner ein, um schlimmere ›unziviliserte‹ Gewalt in Schranken zu weisen. Als Europäer (oder auch Amerikaner und es gibt weitere Beispiele aus aller Herren Länder) sollte man durch die Auseinandersetzung mit der Kolonialpolitik der Vergangenheit sensibilisiert dafür sein, wie vorurteilsgetrübt diese Argumentation oftmals ist, bzw. dass sie als edle Fassade für schnöde Macht-, Einfluss- & Ressourcen-Politik vorgeschoben wird. Nicht umsonst werden gerne Parallelen zwischen dem Römischen Reich und der aktuellen Politik der Amerikaner (und ihrer Verbündeten der kapitalistischen Welt) gezogen, da (grob vereinfacht) die Wohlstands-Erhaltungsdynamiken beider auf einer junkie-artigen Abhäbigkeit von Expansion und Plünderung fussen.
b ) Wir wollen eine bessere Welt, eine bessere Menschheit erzeugen, was sich nur durch Gewalt erreichen lässt. Diese Rechtfertigung trägt nihilistische oder auch nietzscheanische Züge, denn hier wird die bisherige Menschheit unter den Generalverdacht gestellt, verweichlicht, korrumpiert und schwach zu sein. Nur das reinigende Feuer eines bellezistischen, gewaltmächtigen Tabula Rasa-›Fegefeuers‹ ist als Esse geeignet, neue Menschen und eine bessere Zukunft zu schmelzen. Abstruse Hinrichtungsquoten, bei denen es nicht darauf ankommt, wer getötet wird, sondern die einfach zu erfüllen sind, lassen sich so nachvollziehen.


Die Nazis (aber nicht nur sie) haben nun äußerst betont ihre Gewalt-Exzesse mit der Schaffung einer besseren Welt begründet, mit der Annahme, dass man dazu auf alle Fälle eine bestimmte Art Menschen, die sich biologisch definieren lässt, ausmerzen müsse. Eine Begründung, die ich persönlich für irrationaler und verabscheuungswürdiger halte, als viele andere Rechtfertigungen oder Erklärungen für Gewalt-Exzesse. †” Ich habe es in diesem Thread schon mal erwähnt: bei derartigen biologischen Begründungen für Gewalt besteht für die potentiellen Opfer keine Möglichkeit der Vermeidung Gewaltopfer zu werden. Sie können nicht aufgeben, sich anpassen oder konvertieren sondern nur (immer noch vorrüber gehend, die Gewalt hinauszögernd) fliehen oder sich verstecken. Und würde sich eine Gewalt-Täter-Gruppe mit biologischer Begründungen erstmal auf dem ganzen Planeten ausgebreitet haben, bliebe nur die letzte Möglichkeit des Untertauchens.

Kurz: eine Möglichkeit verschiedene Rechtfertigungen von (extremer) Gewalt zu werten, besteht für mich darin, abzuklopfen, welche Vermeidungs-Möglichkeiten die Täter den etwaigen Zielen/Opfern lassen. Eine Gewalt-Rechtfertigung, die mir die Wahl lässt, aufzugeben und mich anzupassen erscheint mir immer noch ›zivilisierter‹ als eine, die mir diese Möglichkeit prinzipiell verwehrt.

Grüße
Alex / molo

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#318 MartinHoyer

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 11:24

Kurz: eine Möglichkeit verschiedene Rechtfertigungen von (extremer) Gewalt zu werten, besteht für mich darin, abzuklopfen, welche Vermeidungs-Möglichkeiten die Täter den etwaigen Zielen/Opfern lassen. Eine Gewalt-Rechtfertigung, die mir die Wahl lässt, aufzugeben und mich anzupassen erscheint mir immer noch ›zivilisierter‹ als eine, die mir diese Möglichkeit prinzipiell verwehrt.

Obwohl ich im Prinzip beipflichte, sehe ich da gravierende Mängel im Detail: Die Gewalt wohlhabender, entwickelter Gesellschaften gegen arme, weniger entwickelte Gesellschaften ist besonders perfide, denn sie dient ja eben nicht dazu, dass die anderen sich anpassen - also auch wohlhabend werden und sich und entwickeln -, sondern dazu, sie auf ihrem Level zu halten und davon zu profitieren.

Wenn die Anpassung, welche Gewalt vermeidet, darin besteht, sich mit der Rolle des ewig Gedemütigten und Ausgebeuteten abzufinden, sehe ich darin nichts, was zivilisierter wäre. Hinzu kommt, dass diese Art von Anpassung nur zeitweiligen Frieden beschert, denn die Ruhe, die einem gelassen wird, weil man sich mit seiner Rolle abfindet, währt nur so lange, wie man dem Ausübenden von Gewalt in dieser Rolle nützlich ist.

Weiterhin lässt diese Sichtweise recht groteske Schlüsse zu. Ein Beispiel: Die Gewalt der westlichen Welt gegen muslimische Fundamentalisten wäre weniger zivilisiert als die von Fundamentalisten gegen uns. Warum?
Wir müssten "nur" auf Gewalt verzichten, unseren Wohlstand aufgeben, zum Islam konvertieren und unser Leben darauf ausrichten, um Ruhe zu haben. Das erfordert lediglich Verzicht auf bereits Vorhandenes und ein inneres Umdenken. Das ist sicher nicht leicht und für uns keineswegs erstrebenswert, aber rational machbar.
Islamisten hätten keine Ruhe vor uns, wenn sie Atheisten oder Christen würden und die Gewalt einseitig einstellten. Auch wenn sie es irgendwie schaffen würden, in absehbarer Zeit unseren Wohlstand zu generieren, wären sie nicht mit uns auf friedlicher Augenhöhe, gerade weil ihr wachsender Wohlstand unseren bedrohen würde.
Sprich, wir hätten die Option, den Konflikt zu unseren Lasten beizulegen. Die haben keinerlei Option, den Konflikt beizulegen, auch nicht zu ihren eigenen Lasten. Deshalb tun sie das, was ihnen bleibt, nämlich den Konflikt mit aller Härte auszufechten. Sie können nicht gewinnen, aber sie können auch nicht aufhören, selbst wenn sie wollten, weil wir sie nicht aufhören lassen.

In asymmetrischen Konflikten herrscht die die paradoxe Situation, dass Frieden nur durch Aktivität von einer Seite, nämlich der stärkeren erreicht werden kann. Da wir aber die Stärkeren sind und diesen Frieden im Grunde gar nicht wollen, bezahlen wir unsere Vorteile daraus mit ständigem Unfrieden, der unser Werte- und Wohlstandssystem zwar stört, aber gleichzeitig auch erhält.
Though my soul may set in darkness, it will rise in perfect light;
I have loved the stars too fondly to be fearful of the night.
(Sarah Williams: The Old Astronomer To His Pupil)

#319 molosovsky

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 12:06

Hallo Martin. Du hast vollkommen Recht damit, dass ich keine einfache Lösung anbiete, sondern nur eine Möglichkeit formuliere, wie sich verschiedene Arten von auf den Körper des anderen gerichtete Gewalt unterscheiden lassen. Was Du mit den erwähnten problematischen Detail-Beispielen anführst, sind mitunter auch Probleme, die mit Macht zusammenhängen. Und Machtausübung und Gewalt überschneiden sich. Hilfreich finde ich folgende Unterteilung von Macht: 1) Macht gründet sich auf die Fähigkeit Belohnungen oder Strafen zu bewirken. 2.1) Belohnung bedeutet positiv Gewährung; und negativ den Entzug. 2.2.1) Gewährung bedeutet positiv etwas schenken; und negativ etwas nicht mehr (oder nur vorläufig) zu gewähren. 2.2.2) Entzug bedeutet positiv etwas vorläufig (oder nicht mehr) zu gewähren; negativ etwas wegnehmen. 3.1) Strafen bedeutet positiv etwas zu entziehen (siehe 2.1); negativ jemanden Schaden zuzufügen. 3.2.1) Schaden bedeutet positiv etwas wegnehmen (siehe 2.2.2); negativ jemanden zu verletzten (bis hin zum töten). Nur letzteres verstehe ich hier als die eigentliche Gewalt-Tat und nur darauf beziehe ich mich bei meiner obigen Abwägung danach, welche Möglichkeiten dem Opfer gelassen werden, sich der Gewalt zu entziehen. Auch Gewalt-Taten sind immer Kommunikationshandlungen. Dass sie zur Anwendung kommen, liegt dann daran, dass auf den übergeordneten Ebenen der Macht-Ausübung die Kommunikation gescheitert ist (oder gewollt ausgesetzt wurde). Ich bin in dieser Hinsicht ein altmodischer typischer Gutmensch, dass Gewalt-Taten sich nämlich vermeiden ließen, würde man in Konflikt-Situationen mit Geduld und Rücksichtnahme nach Kompromissen suchen. Grüße Alex / molo

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#320 Pogopuschel

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 13:17

Eigentlich widersprichst du dir da ja selber http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/smile2.gif - dein Satz hier würde bedeuten, daß ein jeder auch das Recht hat, ein Verbrecher (weil Krieg = Verbrechen weiter oben von dir konstatiert wurde) zu sein.
Aber ich weiß, wie du es meinst, und du hast hier den Weg, zu erkennen, was ein Kriegsverbrechen ist. Nehmen wir mal an, Krieg wäre nicht automatisch ein Verbrechen (was Definitionssache ist), weil das Recht zur Selbstverteidigung kein Verbrechen sein kann, dann wäre das, was ein sich verteidigender Angegriffener überflüssigerweise zusätzlich zu seiner Verteidigung unternimmt, eben ein Kriegsverbrechen.

My.


Ich sehe schon, ich habe mich mit dieser pauschalisierten Aussage auf argumentativ dünnes Eis begeben. Denn im Grunde kann man nicht den Angriff einer Person auf eine andere mit dem Angriff eines Staates auf einen anderen vergleichen. Und auch Letzteres kann man nicht pauschal beurteilen, sondern muss jeden Einzelfall genau betrachten.
Es ist auch schwierig, die Handlungen von einzelnen Personen in einem Krieg zu betrachten und von ihnen auf den Gesamtkonflikt zu schießen.
Ich sage nicht, dass man die Genfer Konventionen abschaffen soll, aber das Massaker von My Lai, Abu Ghraib und die gezielten Ermordungen von Zivilisten in Afghanistan haben sie ebenso wenig verhindern können, wie zivile Opfer bei der Bombardierung von Tripolis. Mit diesen Regeln geben wir in den westlichen Nationen uns den Anschein der moralischen Überlegenheit, Stichwort »saubere Kriegsführung«, »Schläge mit chirurgischer Präzession«.
Natürlich besteht ein Unterschied zwischen der Kriegsführung der Nato und der eines afrikanischen Staates, der Kindersoldaten einsetzt und ganze Dörfer abschlachten lässt. Aber die Grenze zwischen unserem »zivilisierten« Verhalten und der »Barbarei« ist dünner als viele glauben. Und die Ursachen für solche heutigen Barbareien sind oft auch in unserer Vergangenheit (z.B. Kolonialpolitik in Bezug auf Afrika, oder die bis heute andauernde Ausbeutung der Rohstoffe) zu finden.

#321 simifilm

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 13:31

Ich sage nicht, dass man die Genfer Konventionen abschaffen soll, aber das Massaker von My Lai, Abu Ghraib und die gezielten Ermordungen von Zivilisten in Afghanistan haben sie ebenso wenig verhindern können, wie zivile Opfer bei der Bombardierung von Tripolis. Mit diesen Regeln geben wir in den westlichen Nationen uns den Anschein der moralischen Überlegenheit, Stichwort »saubere Kriegsführung«, »Schläge mit chirurgischer Präzession«.


Der Umstand, dass die Genfer Konvention Kriegsverbrechen nicht verhindern konnten, ist kein stichhaltiges Argument. Die gleiche Argumentation kann man ja gegen grundsätzlich jedes Gesetz anführen. - Wozu Morde verbieten? Es werden ja nach wie vor Morde begangen. Offensichtlich taugen die entsprechenden Gesetze nichts.

Und wenn schon Du Abu Ghraib anführst: Die Genfer Konvention konnte die Untaten dort vielleicht nicht verhindern, aber Abu Ghraib hatte auch in den USA politische und strafrechtliche Konsequenzen. Nun ist mir durchaus klar, dass gerade im Falle von Abu Ghraib sicher nicht alle, die für die Verbrechen verantwortlich waren, zur Rechenschaft gezogen wurden. Die blosse Tatsache aber, dass es hier überhaupt zu einem juristischen Nachspiel kam, ist doch bereits ein deutlicher Fortschritt gegenüber früheren Kriegen. Und so sehr man auch angesichts von angeblicher oder tatsächlicher Siegerjustiz die Nase rümpfen mag, die Tatsache, dass Leute wie Milosevic, Lubanga oder Taylor vor Gericht kommen können, ist in meinen Augen bereits ein deutlicher Fortschritt.

Bearbeitet von simifilm, 12 Mai 2011 - 14:04.

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#322 Pogopuschel

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 13:40

Der Umstand, dass die Genfer Konvention Kriegsverbrechen nicht verhindern konnten, ist kein stichhaltiges Argument. Die gleiche Argumentation kann man ja gegen grundsätzlich jedes Gesetz anführen. - Wozu Morde verbieten? Es werden ja nach wie vor Morde begangen. Offensichtlich taugen die entsprechenden Gesetze nichts.

Und wenn schon Du Abu Ghraib anführst: Die Genfer Konvention konnte die Untaten dort vielleicht nicht verhindern, aber Abu Ghraib hatte auch in den USA politische und strafrechtliche Konsequenzen. Nun ist mir durchaus klar, dass gerade im Falle von Abu Ghraib sicher nicht alle, die für die Verbrechen verantwortlich waren, zur Rechenschaft gezogen wurden. Die blosse Tatsache aber, dass es hier überhaupt zu einem juristischen Nachspiel kam, ist doch bereits ein deutlicher Fortschritt gegenüber früheren Kriegen. Und so sehr man auch angesichts von angeblicher oder behaupteter Siegerjustiz die Nase rümpfen mag, die Tatsache, dass Leute wie Milosevic, Lubanga oder Taylor vor Gericht kommen können, ist in meinen Augen aber ein deutlicher Fortschritt.


Dem Stimme ich zu. Konsequenter Weise müsste man aber auch jedes Mal wenn Zivilisten bei Drohnen- und anderen Bombenangriffen sterben solche Ermittlungen anstellen. Wie auch bei dem Tanklastangriff durch einen deutschen Kommandeur. So etwas wird aber schnell unter den Teppich gekehrt. Im Fall Abu Ghraib gibt es ein paar Bauernopfer, die zwar zu recht verurteilt werden, aber dass billigende System, die Vorgesetzten, die von solchen Zuständen wussten und nichts taten, die bleiben unangreifbar.

#323 My.

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 13:46

Ich denke auch eher, dass die Genfer Konvention weniger dazu gedacht war und ist, Kriegsverbrechen zu _verhindern_, obwohl sie durch ihre Existenz natürlich auch die Wirkung einer Schwelle entfalten, die zu überschreiten ist. Es ist halt nur nicht schwierig (genug). Ich glaube vielmehr, die Genfer Konvention dient vor allem auch für die Zeit "danach", um die rechtliche "Würdigung" solcher Kriegsverbrechen auf internationaler Ebene - siehe z.B. Nürnberger Prozesse, Internationaler Gerichtshof in Den Haag usw. - zu ermöglichen. Das ist eine durchaus wichtige Rolle. Die Genfer Konventionen sind nicht perfekt, weil sie nicht vorbeugen (können); aber ich finde es wichtig, dass sie da sind. My.

#324 simifilm

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 13:48

Dem Stimme ich zu. Konsequenter Weise müsste man aber auch jedes Mal wenn Zivilisten bei Drohnen- und anderen Bombenangriffen sterben solche Ermittlungen anstellen. Wie auch bei dem Tanklastangriff durch einen deutschen Kommandeur. So etwas wird aber schnell unter den Teppich gekehrt. Im Fall Abu Ghraib gibt es ein paar Bauernopfer, die zwar zu recht verurteilt werden, aber dass billigende System, die Vorgesetzten, die von solchen Zuständen wussten und nichts taten, die bleiben unangreifbar.


Solche Untersuchungen gibt es in der Regel ja auch. Ob sie dann zu den richtigen Urteilen führen, ist freilich eine andere Frage. Und auch hier: es ist ein Unterschied, ob Zivilisten aufgrund von Fehlern zu Tode gekommen oder ob ihr Tod bewusst in Kauf genommen oder sogar explizit angestrebt wird (was keineswegs heisst, dass Fehler keine Konsequenzen haben sollten. Aber das Strafrecht unterscheidet ja auch zwischen fahrlässiger und vorsätzlicher Tötung resp. Mord).

Jegliche Form von Strafrecht ist mangelhaft. Vollkommener rechtlicher Schutz resp. Ausgleich ist unmöglich. Das heisst aber nicht, dass er nicht angestrebt werden sollte. Und bei allen Mängeln stellen die Genfer Konventionen und verwandte Abkommen und Institutionen in meinen Augen durchaus eine Erfolgsgeschichte dar.

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#325 Pogopuschel

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 13:57

Solche Untersuchungen gibt es in der Regel ja auch. Ob sie dann zu den richtigen Urteilen führen, ist freilich eine andere Frage. Und auch hier: es ist ein Unterschied, ob Zivilisten aufgrund von Fehlern zu Tode gekommen oder ob ihr Tod bewusst in Kauf genommen oder sogar explizit angestrebt wird (was keineswegs heisst, dass Fehler keine Konsequenzen haben sollten. Aber das Strafrecht unterscheidet ja auch zwischen fahrlässiger und vorsätzlicher Tötung resp. Mord).

Jegliche Form von Strafrecht ist mangelhaft. Vollkommener rechtlicher Schutz resp. Ausgleich ist unmöglich. Das heisst aber nicht, dass er nicht angestrebt werden sollte. Und bei allen Mängeln stellen die Genfer Konventionen und verwandte Abkommen und Institutionen in meinen Augen durchaus eine Erfolgsgeschichte dar.


Ich habe da recht ambivalente Gefühle. Ich finde es auch gut, wenn sich Verbrecher wie Charles Taylor verantworten müssen. Aber ich sehe solche Einrichtungen auch als inkonsequent, denn ein Amerikaner würde sich z. B. nie vor dem Internationalen Gerichtshof verantworten müssen (z.B. für den völkerrechtswidrigen Angriff auf den Irak).

Bearbeitet von Pogopuschel, 12 Mai 2011 - 13:58.


#326 simifilm

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 14:02

Ich habe da recht ambivalente Gefühle. Ich finde es auch gut, wenn sich Verbrecher wie Charles Taylor verantworten müssen. Aber ich sehe solche Einrichtungen auch als inkonsequent, denn ein Amerikaner würde sich z. B. nie vor dem Internationalen Gerichtshof verantworten müssen (z.B. für den Völkerrechtswidrigen Angriff auf den Irak).


Aber wenn Du Dir die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte anschaust, ist die Richtung relativ klar: das System wird feinmaschiger und für Gewaltherrscher wird es immer schwieriger (was nicht heisst, dass es nicht noch grosse Löcher gibt).

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#327 Pogopuschel

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 14:06

Aber wenn Du Dir die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte anschaust, ist die Richtung relativ klar: das System wird feinmaschiger und für Gewaltherrscher wird es immer schwieriger (was nicht heisst, dass es nicht noch grosse Löcher gibt).


Es ist wohl, wie im normalen staatlichen Rechtssystem. Je mehr Macht und Einfluss man hat, desto größer sind die Chancen, davon zu kommen.

#328 Anubizz

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 14:08

Du hast weiter oben geschrieben:

Du hast natürlich auch nicht den geringsten Beweis dafür gehört (oder gelesen), dass die deutschen Soldaten nicht doch mit solch schweren Gewissensnöten zu kämpfen hatten.

Wenn sie sie (in der Regel) hatten, haben sie bemerkenswertes Stillschweigen darüber bewahrt.

Letztlich gelange ich bei solchen Überlegungen irgendwann zu dem Punkt, für mich (!) zu erkennen, daß es wenig sinnvoll ist, Überlegungen anzustellen, wie böse WK-II-Soldaten - übrigens: egal auf welcher Seite - waren, was die Wehrmacht angestellt hat, was das Volk gegen die Nazis unternommen hat oder eben nicht. Es ist wichtig, die Augen offen zu halten, um eine solche - identische oder auch nur ähnliche - Entwicklung in Wiederkehr zu verhindern. Es ist immer wichtig, alle extremen Tendenzen - nicht nur von rechts, sondern auch von links, sogar von grüner Seite - zu verhindern, denn sie sind - siehe oben - nie gut, sondern meist falsch. Es ist wichtig, über die Historie zu informieren, aber es ist sinnlos, heute noch zu verurteilen. Bundeswehrsoldaten sind potenziell des Tötens von Menschen fähig, aber sie sind es, weil alle Menschen grundsätzlich des Tötens von Menschen mit allen - bis hin zu den häßlichsten - Spielarten fähig sind, und nicht etwa, weil sie Bundeswehrsoldaten der deutschen (!) Bundeswehr sind, und deshalb als Deutsche eine Generationenschuld zu tragen hätten. Deutsche sind nicht von Grund auf Nazis, weil es heute so aussieht, als wären alle Deutschen einmal Nazis gewesen - was sicherlich (auch erwiesenermaßen) nicht richtig ist -, und selbst wenn sie es wären, gäbe es auch französische, britische, US-amerikanische und jede Menge andere Nazis, gemeinhin auch als Faschisten bezeichnet.

Ob du nur für dich zu diesem Punkt gelangst, würde ich als unerheblich bezeichnen. Du teilst deine Ansichten ja mit, weshalb du wohl davon ausgehst, dass andere ihnen zustimmen oder sie kritisieren können, oder?

Für mich ist es wichtig, die Augen offen zu halten, wie ich schon bemerkte. Um mich herum zu schauen, festzustellen, was vor sich geht. Nach vorne zu schauen, gefährliche Entwicklungen vielleicht zu verhindern helfen. Natürlich - auch das schrieb ich schon - ist das Bewußtsein der Geschichte wichtig. Aber es kann nicht Kern und Gegenstand für Vorwürfe aller Art, auch sich selbst gegenüber sein.

Für mich stellt sich eher die Frage, wie du mit dieser Anthropologisierung des Bösen erreichen willst, irgendwelche (wie auch immer gelagerten) gefährlichen Entwicklungen verhindern zu helfen. Wenn damals schon alle gleich waren - alle zum Töten fähig etc. -, was ist denn heute der Unterschied zwischen einem tapferen Extremistenbekämpfer und den linksrechtsgrünen Nazikommunistenislamfaschos, gegen die er die Augen offenhält? In so einer Auseinandersetzung kann es doch auf beiden Seiten keine Heiligen geben. Alle Menschen sind zu den hässlichsten Dingen fähig. Da macht es keinen Sinn, irgendjemanden zu verurteilen. Paraphrasiere ich jetzt mal so.

Und ich wende ein, dass Unterscheidungen möglich und sinnvoll sind. Im Krieg (so sehr man den auch an sich ablehnen mag) z.B. zwischen Angreifern und solchen, die sich verteidigen. Klar unterscheidbar sind auch links und rechts. Und dabei geht es im Gegensatz zu dem, was hier andauernd unterstellt wird, nicht darum, zu verurteilen. Wir sind hier nicht vor Gericht. Es geht darum, seine Urteilskraft anzuwenden, ohne die man auch heute keiner besorgniserregenden Entwicklung entgegensteuern kann. Mit extremismustheoretischem Einheitsbrei und anthropologisierenden Phrasen über die Bösartigkeit des Menschen kann man das nicht, denn auf diese Weise erklärt man nichts. Im Gegenteil, man verhindert Erklärungen geradezu.


Aber ich finde es vollkommen absurd, so etwas wie Krieg einem humanitären Regelwerk wie der Genfer Konvention zu unterwerfen, nur damit sich dann die Kriegsparteien damit schmücken können, einen sauberen Krieg geführt zu haben. Für mich ist diese Konvention eine Farce.

Zweck von völkerrechtlichen Vereinbarungen ist es ja, das Leiden der Zivilbevölkerung in Konflikten zu minimieren, und nicht, Krieg an sich einem Regelwerk zu unterwerfen. So gibt es gemäß internationalem Recht spätestens seit Verabschiedung der UN-Charta eigentlich keine sauberen Kriege mehr. Dass die Genfer Konvention u.ä. Vereinbarungen faktisch ständig zur Farce gemacht werden, spricht in meinen Augen nicht unbedingt gegen sie.

Und ich komme nicht umhin, hier wieder die Üblichen »nicht nur wir Deutsche waren die Bösen« Reflexe zu bemerken.

Das stimmt. Und nicht zu vergessen: Die 68er sind schuld.


Die Vorstellung, dass man nur das Recht hätte, Handlungsweisen abzulehnen, von denen man gewiss ist, dass man sie bei sich selber niemals vorfinden würde, führt auch jede Möglichkeit zur Selbstkritik ab absurdum: Wenn man sich nur erlaubt, dass zu verurteilen, von dem man sich sicher ist, dass man sich seiner niemals schuldig machen würde, dann gerät man natürlich nie in die Verlegenheit, das eigene Handeln in Frage stellen zu müssen.

Dem stimme ich uneingeschränkt zu.


Nun ja, Du weisst sicher, dass technisch gesehen Frankreich und England Deutschland den Krieg erklaerten und meines Wissen nach auch die ersten Kampfaktionen bezueglich dieser drei Laender von Frankreich ausgingen.

Technisch gesehen entsprachen Frankreich und Großbritannien ihrer zuvor erklärten Beistandspflicht gegenüber dem von Deutschland angegriffenen Polen. In der Folge war die polnische Bevölkerung Massakern, Deportationen, Zwangsarbeit und anderen Repressalien ausgesetzt. Die französische Saaroffensive, die »technisch gesehen« die erste Kampfhandlung der Westalliierten darstellte, gingen im Vergleich dazu ziemlich unblutig vonstatten. Solche Sachverhalte machen dieses Beispiel ziemlich überflüssig, finde ich.

Bearbeitet von Anubizz, 12 Mai 2011 - 14:11.


#329 Gast_Frank W. Haubold_*

Gast_Frank W. Haubold_*
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Geschrieben 12 Mai 2011 - 17:02

Technisch gesehen entsprachen Frankreich und Großbritannien ihrer zuvor erklärten Beistandspflicht gegenüber dem von Deutschland angegriffenen Polen. In der Folge war die polnische Bevölkerung Massakern, Deportationen, Zwangsarbeit und anderen Repressalien ausgesetzt. Die französische Saaroffensive, die »technisch gesehen« die erste Kampfhandlung der Westalliierten darstellte, gingen im Vergleich dazu ziemlich unblutig vonstatten. Solche Sachverhalte machen dieses Beispiel ziemlich überflüssig, finde ich.


Wenn Frankreich und GB so sehr um die polnische Souveränität besorgt waren, haben sie doch sicherlich auch gleich der Sowjetunion den Krieg erklärt, die nur 14 Tage nach Kriegsbeginn in Ostpolen einmarschierte? Oder etwa nicht?

FWH

#330 Clauss-Hausen

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Geschrieben 12 Mai 2011 - 18:08

Technisch gesehen entsprachen Frankreich und Großbritannien ihrer zuvor erklärten Beistandspflicht gegenüber dem von Deutschland angegriffenen Polen. In der Folge war die polnische Bevölkerung Massakern, Deportationen, Zwangsarbeit und anderen Repressalien ausgesetzt. Die französische Saaroffensive, die »technisch gesehen« die erste Kampfhandlung der Westalliierten darstellte, gingen im Vergleich dazu ziemlich unblutig vonstatten. Solche Sachverhalte machen dieses Beispiel ziemlich überflüssig, finde ich.

Ein Beispiel fuer was? Hast Du das Zitat gelesen, oder liest Du meine Worte nicht in dem Zusammenhang (eine Pappnase denkt vielleicht, ich zitiere einfach so irgendwas)? Verstehst Du, oder versuchst Du auch nur zu verstehen, was ich sagen will? Oder willst Du Dich bloss aufspielen? Natuerlich willst Du Dich bloss aufspielen http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/smile2.gif

Diese Streitkultur hier ist schon sehr seltsam.

Aber davon mal abgesehen, wirft Frank eine in der Tat interessante Frage auf.

Hörbuch - Das Ende der Party
www.youtube.com/watch?v=SnyVYk7pkII

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