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Das Verhältnis von Utopie, SF und Alternate History


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316 Antworten in diesem Thema

#31 Anubizz

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Geschrieben 14 August 2011 - 14:45

Dystopien sind fast alle SF; spontan fällt mir zumindest keine Dystopie ein, die nicht SF wäre. Die Idee des übermächtigen Staats, der alles kontrolliert, wird dann schnell zu einem SF-Topos, so dass man sagen kann, dass zumindest Dystopie und SF ab Mitte des 20. Jahrhunderts ganz verschmelzen.



Jugendbücher wie Lord of the Flies, Die Wolke von Gudrun Pausewang oder Die Welle von Morton Rhue könnten m.E. unter die Definition von Dystopie als literarische Warnung vor gesellschaftlichen Entwicklungen fallen, behandeln diese aber anhand der sich in einer kleinen Personengruppe abspielenden Dynamik. Als SF kann man sie jedoch nicht bezeichnen; mit Ausnahme von Lord of the Flies vielleicht, dessen Handlung sich vor dem Hintergrund eines globalen Krieges abspielt. Diese Bücher würden u.U. eine Art Dystopie repräsentieren, die nicht notwendigerweise SF ist, oder?


Ist die Apokalypse vielleicht die früheste Form von Dystopie?



Nein. Die Apokalypse beschreibt Schrecknisse, die sich in der Regel auf die Gegenwart der Verfasser_innen beziehen. Die Botschaft der Apokalypse ist aber letztlich, dass der unerträgliche Zustand der Welt in der bald eintreffenden Endzeit durch göttliches Eingreifen aufgehoben wird. Apokalypsen sind Verheißungen, keine Warnungen.

#32 simifilm

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Geschrieben 14 August 2011 - 14:54

Jugendbücher wie Lord of the Flies, Die Wolke von Gudrun Pausewang oder Die Welle von Morton Rhue könnten m.E. unter die Definition von Dystopie als literarische Warnung vor gesellschaftlichen Entwicklungen fallen, behandeln diese aber anhand der sich in einer kleinen Personengruppe abspielenden Dynamik. Als SF kann man sie jedoch nicht bezeichnen; mit Ausnahme von Lord of the Flies vielleicht, dessen Handlung sich vor dem Hintergrund eines globalen Krieges abspielt. Diese Bücher würden u.U. eine Art Dystopie repräsentieren, die nicht notwendigerweise SF ist, oder?


Die Wolke kenne ich nicht, aber zumindest Lord of the Flies steht meines Erachtens deutlich in der utopischen/dystopischen Tradition (erwähne ich auch in dem verlinkten Text. Da sieht man mal, wie schlecht mein Gedächtnis ist †¦). Hier geht es sogar genau darum, wie nahe die beiden Formen beieinander liegen: Lauter schöne Knaben wollen sich ihren Idealstaat bauen und am Ende kommt blanker Terror heraus. The Wave ist meines Erachtens schon ein bisschen weiter weg; ich sage nicht, dass es da nicht dystopische Elemente drin sind, aber für eine reine Dystopie fehlt mir da ein bisschen die Totalität des Ganzen. Es bleibt ja beim "Experiment" in der Schule, es ist kein abgeschlossener dystopischer Raum, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.


Nein. Die Apokalypse beschreibt Schrecknisse, die sich in der Regel auf die Gegenwart der Verfasser_innen beziehen. Die Botschaft der Apokalypse ist aber letztlich, dass der unerträgliche Zustand der Welt in der bald eintreffenden Endzeit durch göttliches Eingreifen aufgehoben wird. Apokalypsen sind Verheißungen, keine Warnungen.


Es gibt da eine Untersuchung eines Theologen zum Thema Apokalypse und SF; und zumindest aus theologischer Sicht hast Du absolut Recht: Die Apokalypse ist grundsätzlich etwas Positives, denn nach der grossen reinigenden Katastrophe wird eine bessere Welt entstehen.

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#33 Ming der Grausame

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Geschrieben 14 August 2011 - 15:17

ist die Dystopie zwangsläufig in der Zukunft angesiedelt

Keinesfalls. Die Bigend-Trilogie von William Gibson ist z.B. eine Dystopie - sie spielt jedoch in der Gegenwart.
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#34 simifilm

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Geschrieben 14 August 2011 - 15:24

Keinesfalls. Die Bigend-Trilogie von William Gibson ist z.B. eine Dystopie - sie spielt jedoch in der Gegenwart.


Ich kenne daraus nur Pattern Recognition und das ist in meinen Augen eigentlich keine Dystopie.

(Allerdings ist auch der Kontext meines Zitats zu berücksichtigen: Es ging um die Warnfunktion. Wenn davor gewarnt werden soll, dass es ganz schlimm wird, wenn so und so weitergemacht wird, ergibt sich fast automatisch ein Verlagerung in die Zukunft. Meine Formulierung war allerdings etwas absolut. Natürlich sind auch nach wie vor Raumutopien respektive -dystopien möglich. Lord of the Flies etwa knüpft ja klar an das utopische Inselmotiv an. Und wenn man The Wave zur Dystopie zählen will, kann man auch hier argumentieren, dass wir es mit einem abgeschlossenen Raum - der Schule - zu tun haben).

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#35 Ming der Grausame

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Geschrieben 14 August 2011 - 15:27

In der Dystopie dagegen hat es eigentlich immer einen Rebellen gegen die jeweilige Staatsordnung

Nope! Als Gegenbeispiele führe ich da Metro 2033 und Metro 2034 von Dmitri Glukhovski auf - zwei astreine dystopische Romane, ohne irgendeinen Rebell gegen irgendeine Gesellschaftsordnung, den so etwas wie eine Gesellschaftsordnung in unserem Sinne existiert dort nicht mehr.
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#36 simifilm

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Geschrieben 14 August 2011 - 15:42

Nope! Als Gegenbeispiele führe ich da Metro 2033 und Metro 2034 von Dmitri Glukhovski auf - zwei astreine dystopische Romane, ohne irgendeinen Rebell gegen irgendeine Gesellschaftsordnung, den so etwas wie eine Gesellschaftsordnung in unserem Sinne existiert dort nicht mehr.


Kenne ich beide nicht, aber wenn es keine Staatsordnung mehr gibt, ist es eigentlich keine Dystopie mehr.

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#37 Ming der Grausame

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Geschrieben 14 August 2011 - 15:43

Ich kenne daraus nur Pattern Recognition und das ist in meinen Augen eigentlich keine Dystopie.

Natürlich kann man argumentieren, dass die Machenschaften von Hubertus Bigend nur die übliche Vorgehensweise der Werbeindustrie darstellen, um die Kunden zu manipulieren. Auch kann man argumentieren, dass heutzutage die NSA bzw. die Diebe im Gesetz ihre Finger überall haben. Allerdings ist die Darstellung Moskaus in Mustererkennung definitiv eine Dystopie - ich kann das durchaus beurteilen, ich war erst vor kurzem dort.
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#38 simifilm

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Geschrieben 14 August 2011 - 15:46

Natürlich kann man argumentieren, dass die Machenschaften von Hubertus Bigend nur die übliche Vorgehensweise der Werbeindustrie darstellen, um die Kunden zu manipulieren. Auch kann man argumentieren, dass heutzutage die NSA bzw. die Diebe im Gesetz ihre Finger überall haben. Allerdings ist die Darstellung Moskaus in Mustererkennung definitiv eine Dystopie - ich kann das durchaus beurteilen, ich war erst vor kurzem dort.


Es geht mir überhaupt nicht darum, ob die Darstellungen der Wirklichkeit entsprechen oder nicht. Ein negatives Setting alleine ist einfach noch keine Dystopie.

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#39 Ming der Grausame

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Geschrieben 14 August 2011 - 15:48

Kenne ich beide nicht, aber wenn es keine Staatsordnung mehr gibt, ist es eigentlich keine Dystopie mehr.

Die Handlung spielt in einem zukünftigen Moskau, dessen oberirdischer Teil nach einem Atomkrieg unbewohnbar geworden ist, so dass die Überlebenden gezwungen sind in der teilweise ebenfalls zerstörten Metro zu leben. Kann ich als Sommerlektüre nur empfehlen, dann ist die feucht-kalte Kelleratmosphäre in die U-Bahn-Systeme nur um so wolliger... :)
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#40 Ming der Grausame

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Geschrieben 14 August 2011 - 15:57

Ein negatives Setting alleine ist einfach noch keine Dystopie.

Eine Dystopie ist aber eine Geschichte, die in einer (mehr oder minder fiktiven) Gesellschaft spielt, die sich zum Negativen entwickelt hat, die charakterisiert wird durch eine autoritäre oder totalitäre Regierungsform bzw. eine Form repressiver sozialer Kontrolle. All dies ist in der Bigend-Trilogie von William Gibson gegeben - ergo ist es eine Dystopie. Quod erat dromedarum. :)
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#41 simifilm

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Geschrieben 14 August 2011 - 16:12

Eine Dystopie ist aber eine Geschichte, die in einer (mehr oder minder fiktiven) Gesellschaft spielt, die sich zum Negativen entwickelt hat, die charakterisiert wird durch eine autoritäre oder totalitäre Regierungsform bzw. eine Form repressiver sozialer Kontrolle. All dies ist in der Bigend-Trilogie von William Gibson gegeben - ergo ist es eine Dystopie. Quod erat dromedarum. :)


Zumindest in Pattern Recognition sehe ich von alledem eigentlich nicht viel.

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#42 Anubizz

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Geschrieben 14 August 2011 - 16:13

Wenn davor gewarnt werden soll, dass es ganz schlimm wird, wenn so und so weitergemacht wird, ergibt sich fast automatisch ein Verlagerung in die Zukunft.


Wobei ich hinzufügen würde, dass eine in die Zukunft verlegte Handlung nicht zwangsläufig die Warnung vor einer zukünftigen Entwicklung bedeuten muss. Handlung und Pragmatik können in dieser Hinsicht durchaus divergieren. Ich glaube z.B. nicht, dass Orwell voraussagen wollte, die Welt werde innerhalb von knapp 40 Jahren vollständig vom Stalinismus beherrscht. Er wollte eher, beeinflusst von seinen Erfahrungen im Spanischen Bürgerkrieg, vor den repressiven Möglichkeiten der Gegenwart warnen.

Andersrum gesehen sind es ja gerade diejenigen Dystopien, die eine möglichst realistische zukünftige Entwicklung aus der Gegenwart extrapolieren wollen, diejenigen mit der kürzesten Halbwertszeit und dem geringsten Warnungswert. Augenfälligstes Beispiel für mich: 1985 von Anthony Burgess.

#43 Theophagos

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Geschrieben 14 August 2011 - 16:19

Na, das mit der Apokalypse ist aber schon etwas komplizierter. Zunächst sollte man begrifflich etwas klarer Differenzieren: Ist mit "Apokalypse" die Erzählung oder das Ereignis gemeint? Das macht nämlich einen wesentlichen Unterschied aus. Und dann ist die Apokalypse des Johannes keineswegs die einzige apokalyptische Erzählung: Die Geschichte von der Sintflut gehört dazu, mE die Geschichte von Sodom und Gomorrha; die meisten Religionen kennen eine Weltuntergangsgeschichte - Ragnarök, die griechischen Zeitalterenden (auf die Platon ja mit seiner Atlantis-Geschichte anspielt) usw. Das Ereignis Apokalypse wird dabei üblicherweise nicht positiv gewertet - manchmal ist es unabwendbar (Ragnarök), oftmals Ergebnis moralischer Verkommenheit (Sintflut, Atlantis). Das warnende Element ist bei letzteren offenkundig. Johannes ist dabei vielschichtig: Vordergründig ist es ganz schrecklich, was passiert, aber notwendig, da es das Böse in der Welt gibt. Dabei schwingt mit, dass die schrecklichen Dinge nicht die Christen (die sind bis dahin alle Märtyrer geworden), sondern die bösen Menschen trifft. Es ist also auch eine (hintergründig: befriedigende) Strafe. Dagegen steht aber, dass die Christen die Apokalypse aufschieben können, weil die erst eintritt, wenn alle Christen tot sind - wenn man also fleißig missioniert, tritt sie erst später ein. So gesehen ist es schon eine Warnung. Die apokalyptische Erzählung beschreibt eine Zäsur, daher steckt in der Erzählung natürlich auch etwas Tröstendes: Irgendwie wird es schon weitergehen, selbst wenn die Welt untergeht. Bei der Johannes Apokalypse ist dieses Element besonder ausgeprägt: Nach der Apokalypse können alle guten Menschen ins zweite Jerusalem einziehen und bleben da auf immer glücklich an Gottes Seite. Die Dystopie hat im Grunde mit einigen apokalyptischen Erzählung schon Ähnlichkeit (weniger mit der von Johannes) - in beiden Fällen verändern sich die Lebensbedingungen aufgrund moralischen Fehlverhaltens drastisch, doch wo die apokalyptische Erzählung weben nur eine Zäsur schildert, deutet die Dystopie ihren eigenen Untergang nur an (das Element der sozialen Instabilität ist mindestens sehr weit verbreitet, vielleicht sogar konstituierend). Theophagos
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#44 Ming der Grausame

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Geschrieben 14 August 2011 - 16:54

Zumindest in Pattern Recognition sehe ich von alledem eigentlich nicht viel.

Sie spielen alle sowohl nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 als auch nach dem USA PATRIOT Act vom 25. Oktober 2001, d.h. über Terrorverdächtige, die nicht die US-Staatsbürgerschaft besitzen, kann nun eine unbeschränkte Haft ausgesprochen werden und dank Gag Order kann unter Androhung von Strafe eine Schweigepflicht bzw. Redeverbot auferlegt werden, ganz davon zu Schweigen, das nunmehr alle Kommunikationskanäle durchgängig durch die NSA ganz offiziell überwacht werden - dystopischer geht es ja nun wirklich nicht mehr.
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#45 Ulrich

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Geschrieben 14 August 2011 - 17:25

Jugendbücher wie Lord of the Flies, Die Wolke von Gudrun Pausewang oder Die Welle von Morton Rhue könnten m.E. unter die Definition von Dystopie als literarische Warnung vor gesellschaftlichen Entwicklungen fallen, behandeln diese aber anhand der sich in einer kleinen Personengruppe abspielenden Dynamik.

Die Welle von Morton Rhue ist keine literarische Warnung vor einer nicht wünschenswerten Gesellschaft in Form einer erfundenen Geschichte. Das Buch ist ein Bericht über reale Ereignisse und sollte zeigen, wie es zum Nationalsozialismus kommen konnte. Das Experiment findet in einer einzelnen Schule statt, gesellschaftliche Auswirkungen, z.B. auf die ganze Stadt, gibt es nicht. Es gibt also einen Unterschied zu 1984 oder Schöne neue Welt, die zweifelsohne als Dystopien gelten.
Die Wolke kann noch weniger als Dystopie gelten. Im Roman geht es um die Unfähigkeit einer Gesellschaft, nämlich die Bundesrepublik Deutschland der 80erJahre, auf eine Katastrophe zu reagieren. Die Behörden reagieren hilflos auf einen GAU in Deutschland und die Gesellschaft vergisst nach kurzer Zeit, was geschehen ist. Praktisch bleibt alles so wie es war. Die Wolke ist Science Fiction. Was wäre, wenn in Deutschland der GAU in einem Kernkraftwerk passiert?

Simifilm hat es auf den Punkt gebracht: Ein negatives Setting alleine ist noch keine Dystopie.

In Metro 2033 und Metro 2034 gibt es sehr wohl eine Gesellschaftsordnung. Die sind sogar in der Karte im Buch aufgezeichnet und welche Stationen der Moskauer U-Bahn sie beherrschen. Da gibt es die Hanse (Die Gemeinschaft der Ringstationen), Banditen, aber auch Kommunisten und Faschisten. In Metro 2033 finden sich etliche Gesellschaftsformen heutiger Zeit in Kleinformat wieder. Von einer Dystopie will ich deshalb nicht sprechen, weil es vor allem um die Auseinandersetzung mit den Mutanten an der Oberfläche geht und um die Rettung der Heimatstation.
Hinzufügen möchte ich, dass gerade das Unvermögen der Menschen in Metro 2033 eine neue Gesellschaftsordnung aufzubauen, ihr Verhängnis ist. Am Ende wird angedeutet, dass das Überleben durch eine Zusammenarbeit mit den Schwarzen (also intelligenten Mutanten) gesichert wäre. Da aber die Menschen ihr altes Denken nicht aufgeben, zerstören sie die Schwarzen.

Bearbeitet von Ulrich, 14 August 2011 - 17:59.


#46 Ming der Grausame

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Geschrieben 14 August 2011 - 17:44

In Metro 2033 und Metro 2034 gibt es sehr wohl eine Gesellschaftsordnung. Die sind sogar in der Karte im Buch aufgezeichnet und welche Stationen der Moskauer U-Bahn sie beherrschen.

Weiß ich, ich habe ja beide Bücher gelesen. :) Allerdings sträube ich mich etwas dagegen, die Begrifflichkeit Gesellschaftsordnung in diesen Zusammenhang überhaupt zu gebrauchen. Bestenfalls sind es nämlich Zerrbilder einer Gesellschaftsordnung und diese bestehen auch noch oft aus extrem wenigen Mitgliedern - Dorfstrukturen wäre IMHO eher treffender.
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#47 Ulrich

Ulrich

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Geschrieben 14 August 2011 - 17:49

Noch etwas zum Herr der Fliegen. Es wird im Roman angedeutet, dass ein (Atom)Krieg stattfindet. Insofern kann, wenn auch nicht zwingend, das Buch zur Science Fiction gezählt werden. Vielleicht hätte auch ein anderes Ereignis ausgereicht, um die Kinder auf der Insel abstürzen zu lassen.

#48 Ming der Grausame

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Geschrieben 14 August 2011 - 17:49

Hinzufügen möchte ich, dass gerade das Unvermögen der Menschen in Metro 2033 eine neue Gesellschaftsordnung aufzubauen, ihr Verhängnis ist.

Damit hast du zweifellos recht und deshalb ist es auch zurecht eine Dystopie.
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#49 simifilm

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Geschrieben 14 August 2011 - 17:56

Sie spielen alle sowohl nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 als auch nach dem USA PATRIOT Act vom 25. Oktober 2001, d.h. über Terrorverdächtige, die nicht die US-Staatsbürgerschaft besitzen, kann nun eine unbeschränkte Haft ausgesprochen werden und dank Gag Order kann unter Androhung von Strafe eine Schweigepflicht bzw. Redeverbot auferlegt werden, ganz davon zu Schweigen, das nunmehr alle Kommunikationskanäle durchgängig durch die NSA ganz offiziell überwacht werden - dystopischer geht es ja nun wirklich nicht mehr.


Das sind bestenfalls dystopische Elemente. Von der Totalität der Überwachung und Kontrolle durch den Staat, die die Dystopie typischerweise auszeichnet, ist das - sowohl bei Gibson als auch in der Realität - ein gutes Stück entfernt.

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#50 Anubizz

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Geschrieben 14 August 2011 - 18:21

Zunächst sollte man begrifflich etwas klarer Differenzieren: Ist mit "Apokalypse" die Erzählung oder das Ereignis gemeint?



Die Erzählung natürlich. Ein »Ereignis« namens Apokalypse gibt es eigentlich nicht. Heute wird häufig umgangssprachlich von Apokalypse gesprochen, wenn der Weltuntergang oder eine Katastrophe gemeint sind. Das Wort Apokalypse (ἀποκάλυψις) bedeutet wörtlich aber nichts weiter als Offenbarung und bezieht sich darauf, dass in apokalyptischen Texten ein Seher oder Prophet als Erzähler auftritt, dem von einem himmlischen Wesen (meist einem Engel) die bevorstehenden Ereignisse der Endzeit visionär gezeigt und gedeutet werden.

Und dann ist die Apokalypse des Johannes keineswegs die einzige apokalyptische Erzählung: Die Geschichte von der Sintflut gehört dazu, mE die Geschichte von Sodom und Gomorrha...



Nein, die Sintflutserzählungen und die Geschichte von Sodom und Gomorrha haben gattungsmäßig und literaturgeschichtlich mit der apokalyptischen Literatur nichts gemein. Hier entsteht die Verbindung nur durch die Gleichsetzung Apokalypse = Katastrophe/Weltuntergang. Unter Apokalypse im eigentlichen Sinne sind literaturtheoretisch nur solche Texte wie die Johannesoffenbarung, das Buch Daniel, die Baruchapokalypse etc. zu verstehen.

Johannes ist dabei vielschichtig: Vordergründig ist es ganz schrecklich, was passiert, aber notwendig, da es das Böse in der Welt gibt. Dabei schwingt mit, dass die schrecklichen Dinge nicht die Christen (die sind bis dahin alle Märtyrer geworden), sondern die bösen Menschen trifft. Es ist also auch eine (hintergründig: befriedigende) Strafe. Dagegen steht aber, dass die Christen die Apokalypse aufschieben können, weil die erst eintritt, wenn alle Christen tot sind - wenn man also fleißig missioniert, tritt sie erst später ein. So gesehen ist es schon eine Warnung.



Hier würde mich interessieren, wie du auf diese Deutung kommst? Textpragmatisch haben die Apokalypsen vor allem die Funktion, Angehörige verfolgter Gruppen (das Judentum unter den Diadochen, das Christentum vor der konstaninischen Wende) Trost zuzusprechen, indem man ihnen die Aussicht, dass ihre Lage sich durch göttliches Eingreifen radikal ändert literarisch vor Augen führt. Insofern ist das Ende der Welt, wie die Apokalypsen es ihren Adressat_innen beschreiben, etwas Herbeizusehnendes und nichts, vor dem gewarnt werden müsste. Die diversen Erklärungen in apokalyptischen Texten, warum das Ende erst später kommen kann, sind deshalb eher als Antwortversuche auf die Frage, warum das göttliche Eingreifen auf sich warten lässt, zu verstehen.

Die apokalyptische Erzählung beschreibt eine Zäsur, daher steckt in der Erzählung natürlich auch etwas Tröstendes: Irgendwie wird es schon weitergehen, selbst wenn die Welt untergeht. Bei der Johannes Apokalypse ist dieses Element besonder ausgeprägt: Nach der Apokalypse können alle guten Menschen ins zweite Jerusalem einziehen und bleben da auf immer glücklich an Gottes Seite.



Eine solche Erlösungsvision ist integraler Bestandteil aller apokalyptischen Texte im oben definierten Sinne.



Die Welle von Morton Rhue ist keine literarisch Warnung vor einer nicht wünschenswerten Gesellschaft in Form einer erfundenen Geschichte. Das Buch ist ein Bericht über reale Ereignisse und sollte zeigen, wie es zum Nationalsozialismus kommen sollte. Das Experiment findet in einer einzelnen Schule statt, gesellschaftliche Auswirkungen, z.B. auf die ganze Stadt, gibt es nicht. Es gibt also einen Unterschied zu 1984 oder Schöne neue Welt, die zweifelsohne als Dystopien gelten.


Die Welle ist ein fiktionalisierter Bericht, der sich auf reale Ereignisse stützt. Insofern ist es natürlich eine literarische Warnung vor einer nicht wünschenswerten, genauer einer faschistischen Gesellschaft. Dass sich die Handlung im Rahmen einer kleinen Personengruppe abspielt und nicht (wie gewöhnlich in der dystopischen Literatur) wurde oben ja schon festgehalten. Und übrigens auch, dass Lord of the Flies vor dem Hintergrund eines (Atom-)Kriegs spielt. :)

Die Wolke kann noch weniger als Dystopie gelten. Im Roman geht es um die Unfähigkeit einer Gesellschaft, nämlich die Bundesrepublik Deutschland der 80erJahre, auf eine Katastrophe zu reagieren. Die Behörden reagieren hilflos auf einen GAU in Deutschland und die Gesellschaft vergisst nach kurzer Zeit, was geschehen ist. Praktisch bleibt alles so wie es war. Die Wolke ist Science Fiction. Was wäre, wenn in Deutschland der GAU in einem Kernkraftwerk passiert?



Dieses Buch würde ich von den genannten auch als am wenigsten dystopisch geprägt ansehen. Ob es SF ist, weiß ich nicht. Lassen sich Katastrophenszenarien in Buch und Film so eindeutig als SF einordnen?

Simifilm hat es auf den Punkt gebracht: Ein negatives Setting alleine ist noch keine Dystopie.



Das sehe ich auch so. Gerade wenn es um die Zuordnung zur SF geht, würde ich zwischen Dystopien und Post-Doomsday-Szenarien unterscheiden. Zu letzteren sind vermutlich auch die Bücher von Glukhovsky zu zählen.

Bearbeitet von Anubizz, 14 August 2011 - 18:25.


#51 simifilm

simifilm

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Geschrieben 14 August 2011 - 18:53

Ich bin heute auf diese Grafik gestossen, habe sie aber noch nicht im Detail analysiert, weiss also nicht, ob ich allen Einschätzungen zustimme. Passt aber gut zur Diskussion.
Eingefügtes Bild

EDIT: Von Erin Bowman via dystopischeliteratur.org.

Bearbeitet von simifilm, 16 August 2011 - 22:13.

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#52 simifilm

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Geschrieben 14 August 2011 - 18:59

Wobei ich hinzufügen würde, dass eine in die Zukunft verlegte Handlung nicht zwangsläufig die Warnung vor einer zukünftigen Entwicklung bedeuten muss. Handlung und Pragmatik können in dieser Hinsicht durchaus divergieren. Ich glaube z.B. nicht, dass Orwell voraussagen wollte, die Welt werde innerhalb von knapp 40 Jahren vollständig vom Stalinismus beherrscht. Er wollte eher, beeinflusst von seinen Erfahrungen im Spanischen Bürgerkrieg, vor den repressiven Möglichkeiten der Gegenwart warnen.


Kein Widerspruch von meiner Seite. Natürlich sind die wenigsten Dystopien als wörtliche Warnung zur verstehen, dass die Dinge genau so werden wie in der Dystopie geschrieben natürlich war Orwell nicht der Ansicht, dass sich die Welt im Jahre 1984 wie in seinem Roman präsentieren. Am Ende haben wir es immer mit Literatur zu tun und diese überspitzt, verdichtet, arbeitet mit Metaphern etc. Ich denke aber schon, dass auch bei Orwell eine gewisse Warnfunktion intendiert ist. ZB wenn er eine Partei beschreibt, die nicht nur die Gegenwart, sondern zusehends auch die Vergangenheit kontrolliert und für die Machterhalt zum Selbstzweck geworden ist. Oder auch die ganze Newspeak-Thematik. Das ist natürlich eine extrem zugespitzte Form dessen, was Orwell kritisiert, es beschreibt aber Tendenzen, die er so wahrgenommen hat.

Bearbeitet von simifilm, 14 August 2011 - 19:19.

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#53 Ulrich

Ulrich

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Geschrieben 14 August 2011 - 19:23

Kurz eingeworfen: Wolfgang Leonhards Buch "Die Revolution entlässt ihre Kinder" (1955), in dem er seinen politischen Weg von Moskau im Jahre 1935 bis zu seiner Flucht aus der Sowjetischen Besatzungszone 1949 beschreibt, zeigt eindringlich, wie der Stalinismus funktionierte. Ich las das Buch erst nach der Lektüre von "1984", aber soforte erinnerte mich vieles an Orwells Roman, z.B. das Funktionieren des Parteiapparats, der Umgang mit Geschichte u.a. Es gibt bei Leonhard viele interessante Erlebnisse. Zum Beispiel, wie Sprache gebraucht wird und Zensur nicht nur von oben herab verordnet wird, sondern auch die eigene Denkweise zu einer Selbstzensur führt, ohne diese als einengend wahrzunehmen. Oder wie Schüler ihren (nichtrussischen) Lehrern Fallen stellen, um diese bloßzustellen, vielleicht sogar um diese zu denunzieren oder dass diese sich selber anzeigen. Es gab auch die Praxis der sog. "Kritik und Selbstkritik" und wer meinte, dass dabei Kritik an den momentanen Zuständen geübt werden konnte, der irrte sich gewaltig. Es war vielmehr ein Instrument sozialer Kontrolle, bei der u.a. Selbstbezichtigungen geübt wurden.

Bearbeitet von Ulrich, 14 August 2011 - 19:51.


#54 Anubizz

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Geschrieben 14 August 2011 - 19:44

Kein Widerspruch von meiner Seite. (...) Ich denke aber schon, dass auch bei Orwell eine gewisse Warnfunktion intendiert ist.


Auch von mir wiederum kein Widerspruch. Ich wollte nur betonen, dass die Warnung bei Orwell sich in erster Linie auf seine Gegenwart bezieht, nicht auf eine mögliche zukünftige Entwicklung. Überspitzt darstellen wollte er m.E. vor allem den Stalinismus seiner Zeit.

#55 Ming der Grausame

Ming der Grausame

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Geschrieben 14 August 2011 - 19:48

Ich bin heute auf diese Grafik gestossen

Uargh! Leute, bitte! Habt ihr eine Ahnung wie solche Riesenbilder das Lesen des Thread auf mein HTC Desire Z fast unmöglich machen? Da scrollt man sich ja zu Tode. ;)
„Weisen Sie Mittelmäßigkeit wie eine Seuche zurück, verbannen Sie sie aus ihrem Leben.“

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#56 methom

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Geschrieben 14 August 2011 - 20:06

Uargh! Leute, bitte! Habt ihr eine Ahnung wie solche Riesenbilder das Lesen des Thread auf mein HTC Desire Z fast unmöglich machen? Da scrollt man sich ja zu Tode. :(

:( ;) Welchen Browser nutzt du denn? Meine drei Browser auf dem Milestone 2 (Android 2.2 Browser, Dolphin HD Pro, Firefox) skalieren das alle vernünftig runter, so dass es keine Probleme beim Lesen des Threads gibt.

Biom Alpha ist im Sonnensystem angekommen. Jetzt auf eigener Seite und auf Twitter @BiomAlpha


#57 Ming der Grausame

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Geschrieben 14 August 2011 - 20:55

:( ;) Welchen Browser nutzt du denn?

Google Chrome und Opera Mobile. Herunterskalieren können sie natürlich auch, aber dann wird Schrift leider immer so winzig. Die Alternative ist eben das hin- und herscrollen, aber man muss es ja nicht auch noch übertreiben... und ich schrieb ja nicht umsonst „fast unmöglich“, nicht wahr? :( Und da wir schon Off-Topic sind: Wenn ich keine aufschiebbarer QWERTZ-Tastatur hätte, würde ich hier gar nicht schreiben - da kann der iFöhn einfach nicht mithalten.
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#58 Konrad

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Geschrieben 15 August 2011 - 12:10

- Negative Utopien wiederum, sogenannte Dystopien, tauchen erst im 20. Jahrhundert auf. Als erste Dystopie gilt im allgemeinen Wir von Jewgeni Samjatin (1920). Dystopien sind fast alle SF; spontan fällt mir zumindest keine Dystopie ein, die nicht SF wäre. Die Idee des übermächtigen Staats, der alles kontrolliert, wird dann schnell zu einem SF-Topos, so dass man sagen kann, dass zumindest Dystopie und SF ab Mitte des 20. Jahrhunderts ganz verschmelzen.

Ich weiß natürlich nicht, wie die Literaturwissenschaft darüber denkt, aber für mich können Satiren oder Komödien, die bestimmte Ausprägungen eines realen Staatssystems übertreiben auch eine Dystopie darstellen.
Als Beispiel dafür würde ich Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick" nennen.

#59 Theophagos

Theophagos

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Geschrieben 15 August 2011 - 12:13

Die Erzählung natürlich. Ein »Ereignis« namens Apokalypse gibt es eigentlich nicht. Heute wird häufig umgangssprachlich von Apokalypse gesprochen, wenn der Weltuntergang oder eine Katastrophe gemeint sind. Das Wort Apokalypse (ἀποκάλυψις) bedeutet wörtlich aber nichts weiter als Offenbarung und bezieht sich darauf, dass in apokalyptischen Texten ein Seher oder Prophet als Erzähler auftritt, dem von einem himmlischen Wesen (meist einem Engel) die bevorstehenden Ereignisse der Endzeit visionär gezeigt und gedeutet werden.

Fangen wir mal andersherum an. Apokalypse ist vom Verb apo-kalýpto abgeleitet und heißt ursprünglich nur enthüllen/entblößen. Erst mit dem NT wird es zum Offenbaren im heutigen Sinne. Ursprünglich ist es also eher Christo-Aktion als Vision. Aber egal. Mittlerweile hat sich eingebürgert, dass amn unter Apokalypse eine Art Weltuntergang versteht. Daher ordnet man die "Mad Max"-Filme und dergleichen der als "Postapokalypse" betitelten Gruppe zu. Christo-Aktion gibt es da ja eigentlich gar nicht. Aber Sprache verändert sich nun mal. Ich schätze, selbst in den meisten Predigten wird mit Apokalypse eher der Weltuntergang als Johannes' Text bezeichnet werden. Eine Apokalypse im eigentlichen Sinne hat es natürlich real nicht gegeben, aber *die* Sintflut vermutlich schon: Vermutlich handelt es sich dabei um eine extreme normale Sintflut, die weite Teile von Kleinasien überflutet hat - dafür spricht die Verbreitung von Sintflut-Erzählungen in den verschiedenen antiken kleinasiatischen Kulturen und auch der archäologische Befund.

Nein, die Sintflutserzählungen und die Geschichte von Sodom und Gomorrha haben gattungsmäßig und literaturgeschichtlich mit der apokalyptischen Literatur nichts gemein. Hier entsteht die Verbindung nur durch die Gleichsetzung Apokalypse = Katastrophe/Weltuntergang. Unter Apokalypse im eigentlichen Sinne sind literaturtheoretisch nur solche Texte wie die Johannesoffenbarung, das Buch Daniel, die Baruchapokalypse etc. zu verstehen.

Und warum sollte ich diese Kategorisierung übernehmen? Eine ideengeschichtliche scheint mir doch nützlicher zu sein - und da wird es halt andersgehandhabt.

Hier würde mich interessieren, wie du auf diese Deutung kommst? Textpragmatisch haben die Apokalypsen vor allem die Funktion, Angehörige verfolgter Gruppen (das Judentum unter den Diadochen, das Christentum vor der konstaninischen Wende) Trost zuzusprechen, indem man ihnen die Aussicht, dass ihre Lage sich durch göttliches Eingreifen radikal ändert literarisch vor Augen führt. Insofern ist das Ende der Welt, wie die Apokalypsen es ihren Adressat_innen beschreiben, etwas Herbeizusehnendes und nichts, vor dem gewarnt werden müsste. Die diversen Erklärungen in apokalyptischen Texten, warum das Ende erst später kommen kann, sind deshalb eher als Antwortversuche auf die Frage, warum das göttliche Eingreifen auf sich warten lässt, zu verstehen.

Vielleicht zum Zeitpunkt der Entstehung, doch selbst da scheint es mir eine Verkürzung zu sein; ich bin allerdings kein Fachmann für diesen Text. Aber im Laufe der Zeit wandeln sich die Funktionen. Und wie ich drauf komme: Das haben real-existierende Christen erzählt. Nicht mir personlich, sondern dem NDR-Info-Moderator.

Eine solche Erlösungsvision ist integraler Bestandteil aller apokalyptischen Texte im oben definierten Sinne.

Eben: Nach der von *dir* gebrauchten Definition. In welchem Fach wird diese Definition denn üblicherweise verwendet?

Theophagos
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#60 simifilm

simifilm

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Geschrieben 15 August 2011 - 12:22

Ich weiß natürlich nicht, wie die Literaturwissenschaft darüber denkt, aber für mich können Satiren oder Komödien, die bestimmte Ausprägungen eines realen Staatssystems übertreiben auch eine Dystopie darstellen.
Als Beispiel dafür würde ich Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick" nennen.


Dass es auf jeden Fall Verbindungen zwischen Satire und Dystopie gibt, habe ich ja bereits geschrieben. Ich würde aber schon sagen, dass das fiktionale Staatssystem der entscheidende Aspekt ist, der Utopie und Dystopie auszeichnet. Und dieses Staatssystem, respektive der Konflikt mit diesem, muss in der Erzählung auch eine zentrale Rolle spielen. Falls es einfach ein dystopisches Setting gibt, die Handlung aber eigentlich nichts dem Verhältnis von Individuum und Staat zu tun hat (denn das ist der Punkt, um den sich am Ende fast alle Utopien/Dystopien drehen), würde ich nur von dystopischen Elementen sprechen.

Aber zugleich auch der Hinweis, dass Genregrenzen immer fliessend sind. Es gibt alle möglichen Zwischen- und Mischformen, und seit den 60ern/70ern gibt es zahlreiche Autoren, die ganz bewusst mit den traditionellen Formen spielen und sie hinterfragen. Ursula Le Guins The Dispossessed nennt sich ja bereits im Untertitel «An Ambiguous Utopia».

Bearbeitet von simifilm, 15 August 2011 - 12:32.

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