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Das Verhältnis von Utopie, SF und Alternate History


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316 Antworten in diesem Thema

#121 Ming der Grausame

Ming der Grausame

    Evil Ruler of Mongo

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Geschrieben 19 August 2011 - 00:10

Aha, bei dir kann offenbar die Kommunikation kein Gegenstand der Kommunikation sein.

Wenn Symbol und Referent identisch sind, wird die Sache in der Regel schnell überkomplex und über kurz oder lang auch noch zum Zirkelbezug - ich kenne die Russellsche Antinomie. :)
„Weisen Sie Mittelmäßigkeit wie eine Seuche zurück, verbannen Sie sie aus ihrem Leben.“

Buck Rogers

#The World from the nefarious Ming the Merciless
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#122 Konrad

Konrad

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Geschrieben 19 August 2011 - 00:30

Wenn Symbol und Referent identisch sind, wird die Sache in der Regel schnell überkomplex und über kurz oder lang auch noch zum Zirkelbezug - ich kenne die Russellsche Antinomie. :cheers:

Aha, und wie kann man sich dann bei Kenntnis dieser Modellgrenzen zu solchen merkwürdigen apodiktischen Aussagen über die Realität hinreißen lassen? :)

#123 huepfer

huepfer

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Geschrieben 19 August 2011 - 00:45

...
Von welchem Planeten kommst du denn?

Vom Planeten Mongo natürlich!

Eine solche Frage ausgerechnet in einem SF-Forum?! Tststs...
Ich habe mich selber auf der Ignore-Liste!

#124 Konrad

Konrad

    Temponaut

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Geschrieben 19 August 2011 - 00:51

Vom Planeten Mongo natürlich!

Eine solche Frage ausgerechnet in einem SF-Forum?! Tststs...

Jawoll!
Klare Frage! Klare Antwort!
So einfach kann Kommunikation sein. :)

#125 simifilm

simifilm

    Cinematonaut

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Geschrieben 19 August 2011 - 04:44

Der Begriff Gesellschaft bezeichnet eben sowohl die Menschheit als Ganzes als auch bestimmte Gruppen von Menschen, beispielsweise ein Volk, oder einen strukturierten, räumlich abgegrenzten Zusammenhang zwischen Menschen oder für ein durch die Dichte und Multiplexität sozialer Interaktionen abgegrenzten Cluster im Netzwerk der Menschheit. Daran kann ich nun einmal nichts ändern.


Diese ganze Diskussion, was Du unter Gesellschaft verstehst, ist aber eigentlich für die Frage, was eine Utopie/Dystopie ist, herzlich irrelevant.

Und der schnöde Umstand, dass eine Gesellschaft negativ beschrieben wird, macht daraus keine Dystopie.


Sag ich ja. Du aber nicht.

Eine Dystopie ist nämlich immer eine utopisch verkleidete Utopiekritik und weder Madame Bovary oder Die Buddenbrooks haben irgendwas Utopisches an sich.


Das ist nun aber plötzlich eine ganz andere Definition. Bis jetzt hast Du darauf beharrt, dass jede Beschreibung einer fiktiven Gesellschaft, die sich zum Negativen entwickelt, eine Dystopie ist. Von Utopiekritik war bis anhin nicht die Rede.

So oder so: Eine Dystopie ist keineswegs immer Utopiekritik, zudem hat Frankenstein nichts Utopisches an sich.

Bearbeitet von simifilm, 19 August 2011 - 04:47.

Signatures sagen nie die Wahrheit.

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#126 simifilm

simifilm

    Cinematonaut

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Geschrieben 19 August 2011 - 04:46

Ach, willst du damit etwa andeuten, dass Viktor Frankenstein, Frankensteins Monster, Robert Walton, Elisabeth Lavenza, Alphonse Frankenstein, Wilhelm Frankenstein, Justine Moritz, Henri Clerval und Ernest Frankenstein tatsächlich existiert haben?


Wie ich schon geschrieben habe: Man muss zwischen fiktiver Gesellschaft und der fiktionalen Beschreibung einer mehr oder weniger realen Gesellschaft unterscheiden. Die Welt von Frankenstein unterscheidet sich ganz klar von einer Welt à la Utopia. Im ersten Fall wird die bestehende Welt fiktional dargestellt und durch ein SF-Novum erweitert. Im anderen Fall wird eine komplett neue Welt erfunden.

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#127 Konrad

Konrad

    Temponaut

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Geschrieben 19 August 2011 - 07:06

Ich bezweifle, ob wirklich alle Autoren so was wirklich wollen. Ich würde die Dystopie auch nicht als in narrativ-erzählerischer Weise vorgebrachte politische Kritik auffassen. Eine Dystopie ist schlicht eine utopisch verkleidete Utopiekritik und sonst eigentlich nichts.

Das gibt es natürlich auch, würde ich aber als Anti-Utopie bezeichnen.

#128 Heidrun

Heidrun

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Geschrieben 19 August 2011 - 12:00

Um das Ganze etwas zu verwirren noch ein Einwand: Eine Menge SF-Literatur im Osten wurde als "utopisch" bezeichnet, was sie insofern war, als es meist eine kommunistische Gesellschaft, eine Weltregierung und eine Ende des Krieges gab. Der Hintergrund war also utopisch, auch wenn die neue Ordnung nicht in allen Details ausgebreitet wurde. Trotzdem gab es in der Regel einen Konflikt, allerdings keinen zwischen System und Helden, sondern eher zwischen Personen oder Helden und Umständen. Die Mittagswelt der Strugazkis ist vermutlich das beste Beispiel. Da wird schon mal verhandelt, ob es ruhmvoll und vernünftig ist, für den Kommunismus zu sterben, oder ob leben nicht irgendwie effektiver wäre. Ganz ohne Konflikt wäre es kein Roman geworden ... Andererseits braucht es für eine Dystopie nicht unbedingt ein totalitäres System. Es gibt etliche Schilderungen von weitgehend freien Gesellschaften, in denen die Menschen mangels Problemen langsam das Denken einstellen. Die Eloy in Wells' "Zeitmaschine" wären allein für mich schon eine Dystopie, ohne daß es die Morlocks brauchte. Auch Storys in einer vordergründigen Demokratie, die aber weitgehend Theaterfunktion hat, können dystopisch sein, insbesondere wenn die totalitären Zustände in der Wirtschaft herrschen. Vielleicht neige ich als Physiker ja zu drastischer Vereinfachung, aber für mich sieht die Definition ungefähr so aus: Utopie = Darstellung gesellschaftlicher Zustände und Organisation, die dem Autor als vernünftig und wünschenswert erscheinen Dystopie = Darstellung einer Gesellschaft, die dem Autor als negativ erscheint und der Veränderung/Verhinderung bedarf ... und beides in einer Form, wie sie in der realen Welt nicht existiert. Sonst ist das Novum hin. Ob er das als Traktat oder als Krimi abhandelt, ist letztlich dem Geschick des Autors überlassen. Wenn ich gelesen werden will, schreibe ich lieber einen Krimi, auch wenn es mir vielleicht nur darum geht, daß die Banken vergesellschaftet werden sollen.
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#129 simifilm

simifilm

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Geschrieben 19 August 2011 - 12:19

Um das Ganze etwas zu verwirren noch ein Einwand: Eine Menge SF-Literatur im Osten wurde als "utopisch" bezeichnet, was sie insofern war, als es meist eine kommunistische Gesellschaft, eine Weltregierung und eine Ende des Krieges gab. Der Hintergrund war also utopisch, auch wenn die neue Ordnung nicht in allen Details ausgebreitet wurde.
Trotzdem gab es in der Regel einen Konflikt, allerdings keinen zwischen System und Helden, sondern eher zwischen Personen oder Helden und Umständen. Die Mittagswelt der Strugazkis ist vermutlich das beste Beispiel. Da wird schon mal verhandelt, ob es ruhmvoll und vernünftig ist, für den Kommunismus zu sterben, oder ob leben nicht irgendwie effektiver wäre. Ganz ohne Konflikt wäre es kein Roman geworden ...


Die Unterscheidung zwischen "utopisch" und "Utopie" scheint mir hier schon sinnvoll. Will sagen: Nicht alles, was utopische Elemente hat, ist wirklich eine reine Utopie.

Dass die Begriffe "utopisch" und "Utopie" im Deutschen historisch anders verwendet wurden, ist sicher richtig. Das hängt auch damit zusammen, dass eine Weile dauerte, bis sich der Begriff "Science Fiction" auch im Deutschen durchsetzte. So wurden Bezeichnungen wie "technische Utopie" oder "utopischer Zukunftsroman" für Romane verwendet, die aus heutiger Sicht zwar klar SF, aber keineswegs unbedingt Utopien sein müssen.


Andererseits braucht es für eine Dystopie nicht unbedingt ein totalitäres System. Es gibt etliche Schilderungen von weitgehend freien Gesellschaften, in denen die Menschen mangels Problemen langsam das Denken einstellen. Die Eloy in Wells' "Zeitmaschine" wären allein für mich schon eine Dystopie, ohne daß es die Morlocks brauchte.
Auch Storys in einer vordergründigen Demokratie, die aber weitgehend Theaterfunktion hat, können dystopisch sein, insbesondere wenn die totalitären Zustände in der Wirtschaft herrschen.
Vielleicht neige ich als Physiker ja zu drastischer Vereinfachung, aber für mich sieht die Definition ungefähr so aus:
Utopie = Darstellung gesellschaftlicher Zustände und Organisation, die dem Autor als vernünftig und wünschenswert erscheinen
Dystopie = Darstellung einer Gesellschaft, die dem Autor als negativ erscheint und der Veränderung/Verhinderung bedarf
... und beides in einer Form, wie sie in der realen Welt nicht existiert. Sonst ist das Novum hin.
Ob er das als Traktat oder als Krimi abhandelt, ist letztlich dem Geschick des Autors überlassen. Wenn ich gelesen werden will, schreibe ich lieber einen Krimi, auch wenn es mir vielleicht nur darum geht, daß die Banken vergesellschaftet werden sollen.


Zumindest im letzten Punkt würde ich klar widersprechen: Der erzählerische Rahmen ist in meinen Augen eine zwingende Voraussetzung für eine Utopie. Wenn es ein reines Traktat ohne jede Handlung ist, scheint mir der Begriff der Utopie fehl am Platze.

(Zudem halte ich auch die Vorstellung, dass eine Utopie tatsächlich der Wunschvorstellung des Autors entspricht, für irreführend. Utopien sind ein positives Gegenbild zur als mangelhaft wahrgenommenen Realität - das auf jeden Fall. Es gibt aber genug Beispiele von Utopien - angefangen bei Utopia selbst -, die offensichtlich nicht in allem dem entsprechen, was der Autor für ideal erachtet. Hier spielt auch wieder die Nähe zur Satire rein. )

Bearbeitet von simifilm, 19 August 2011 - 12:21.

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#130 Puh

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    Giganaut

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Geschrieben 19 August 2011 - 13:20

Menschen sind ja nun einmal zwanghaft bestrebt, um sich herum Ordnung zu schaffen; dieses umso mehr, je komplexer das Problem ist und umso mehr, je weniger sie dann davon verstehen. Wie die Biologen versuchen dann auch die Literaturwissenschaftler entlang ihrer jeweiligen Vorlieben die überkomplexe Welt in eine Ordnung zu pressen. Damit ist man dann eine moderne Wissenschaft. Dumm nur, das es offenkundig nicht klappt. Von daher, auch auf die Gefahr hin, in dieser literaturwissenschaftlichen Begriffsglauberei hier jetzt wenig Verwirrung zu stiften, meine Frage: hat hier schon einmal jemand darüber nachgedacht, ob die Fragestellung deshalb nicht gelöst werden kann, weil sie völlig falsch ist und die zu Grunde gelegte Dichotomie einfach gar nicht vorhanden? Nur einmal so als Hinweis: Eine Unterscheidung zwischen Utopie und Dystopie kann einfach deshalb nicht zielführend sein, weil jede Utopie immer auch eine Dystopie ist und jede Dystopie immer auch eine Utopie. Das galt schon für Morrus. Ich befürchte, hier rutscht der Systematisierungszwang an der Realität vorbei; und deshalb scheitert er. :)

#131 simifilm

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Geschrieben 19 August 2011 - 13:38

Menschen sind ja nun einmal zwanghaft bestrebt, um sich herum Ordnung zu schaffen; dieses umso mehr, je komplexer das Problem ist und umso mehr, je weniger sie dann davon verstehen. Wie die Biologen versuchen dann auch die Literaturwissenschaftler entlang ihrer jeweiligen Vorlieben die überkomplexe Welt in eine Ordnung zu pressen. Damit ist man dann eine moderne Wissenschaft. Dumm nur, das es offenkundig nicht klappt. Von daher, auch auf die Gefahr hin, in dieser literaturwissenschaftlichen Begriffsglauberei hier jetzt wenig Verwirrung zu stiften, meine Frage: hat hier schon einmal jemand darüber nachgedacht, ob die Fragestellung deshalb nicht gelöst werden kann, weil sie völlig falsch ist und die zu Grunde gelegte Dichotomie einfach gar nicht vorhanden?


Jenseits vom "Systematisierungszwang" gibt es eben auch Realität: Gattungen sind keine Erfindung der Wissenschaft, sondern - bei allen Problemen - für die Autoren, Verlage, Leser etc. etwas sehr Reales. Es sind Begriffe, Vorstellungen, mit denen wir täglich hantieren, wenn wir uns mit medialen Produkten beschäftigen. Auch literaturgeschichtliche Einflüsse sind eine Tatsache. Schriftsteller werden in ihrem Schaffen durch das Bestehende beeinflusst, orientieren sich an etablierten Normen. Gerade die Geschichte der Utopie zeigt sehr schön, wie hier ein Gattungsmodell erstaunlich lange stabil bleibt. Die Gemeinsamkeiten, die literaturgeschichtliche Verwandtschaft zwischen Morus' Utopia und etwa Utopien des späten 19. Jahrhunderts sind nicht von der Hand zu weisen. Insofern würde ich auch die Behauptung, dass etwas "nicht klappt" klar zurückweisen. Was nicht klappt, sind vermeintlich objektive überzeitliche Definition einer Gattung - aber das ist eigentlich auch das Uninteressanteste daran. Gattungsgeschichte hingegen "klappt" sehr wohl.

Nur einmal so als Hinweis: Eine Unterscheidung zwischen Utopie und Dystopie kann einfach deshalb nicht zielführend sein, weil jede Utopie immer auch eine Dystopie ist und jede Dystopie immer auch eine Utopie. Das galt schon für Morrus. Ich befürchte, hier rutscht der Systematisierungszwang an der Realität vorbei; und deshalb scheitert er.


Auch das sehe ich so nicht. Zwischen prototypischen Utopien und Dystopien gibt es sehr klare Unterschiede. Tatsächlich sehe ich das Problem auch nicht in der Unterscheidung der beiden Gattungen. Auch hier im Thread dreht sich die Diskussion ja nicht darum, ob ein Werk nun der einen oder der anderen Gattung angehört.

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#132 Anubizz

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Geschrieben 19 August 2011 - 13:55

Von daher, auch auf die Gefahr hin, in dieser literaturwissenschaftlichen Begriffsglauberei hier jetzt wenig Verwirrung zu stiften, meine Frage: hat hier schon einmal jemand darüber nachgedacht, ob die Fragestellung deshalb nicht gelöst werden kann, weil sie völlig falsch ist und die zu Grunde gelegte Dichotomie einfach gar nicht vorhanden?

Völlig falsch finde ich ja eher die deinem Post zu Grunde gelegte Dichotomie von Realität und Literaturwissenschaft. :)

Eine Unterscheidung zwischen Utopie und Dystopie kann einfach deshalb nicht zielführend sein, weil jede Utopie immer auch eine Dystopie ist und jede Dystopie immer auch eine Utopie. Das galt schon für Morrus. Ich befürchte, hier rutscht der Systematisierungszwang an der Realität vorbei; und deshalb scheitert er.

Wenn die Unterscheidung nicht zielführend ist, warum gebrauchst du sie dann noch? Ich würde eher sagen, an der jeweiligen Werkintention kann man in der Regel recht gut unterscheiden, ob man eine Utopie oder eine Dystopie vor sich hat.

#133 Puh

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    Giganaut

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Geschrieben 19 August 2011 - 14:32

Völlig falsch finde ich ja eher die deinem Post zu Grunde gelegte Dichotomie von Realität und Literaturwissenschaft.

Die habe ich nicht eingeführt. Keine Ahnung, wie Du auf diese Idee kommst. :)

Wenn die Unterscheidung nicht zielführend ist, warum gebrauchst du sie dann noch? Ich würde eher sagen, an der jeweiligen Werkintention kann man in der Regel recht gut unterscheiden, ob man eine Utopie oder eine Dystopie vor sich hat.

Ich gebrauche sie ja nicht. Ich habe sie einmal kurz angeführt, um die Fragesstellung zu hinterfragen; was nun die jeweiligen Werkintentionen angeht: Erkläre mich doch einmal die Haupt- und Nebenbedeutungen in Morrus "Utopia" und Samjatins "Wir"; und dann beweise, dass Deine Interpretation die Intention des Autors waren. :thumb:

#134 simifilm

simifilm

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Geschrieben 19 August 2011 - 14:39

Ich gebrauche sie ja nicht. Ich habe sie einmal kurz angeführt, um die Fragesstellung zu hinterfragen; was nun die jeweiligen Werkintentionen angeht: Erkläre mich doch einmal die Haupt- und Nebenbedeutungen in Morrus "Utopia" und Samjatins "Wir"; und dann beweise, dass Deine Interpretation die Intention des Autors waren. :)


Die Intention des Autors würde ich ohnehin mal aussen vor lassen.

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#135 Puh

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Geschrieben 19 August 2011 - 15:23

Jenseits vom "Systematisierungszwang" gibt es eben auch Realität:

Wo? Wie? Welche? Beleg? Keine Behauptungen!

Gattungen sind keine Erfindung der Wissenschaft, sondern - bei allen Problemen - für die Autoren, Verlage, Leser etc. etwas sehr Reales.

Gattungen sind Erfindungen des Menschen, die als real angesehen werden und deshalb real wirken. Näheres dazu unter Thomas Theorem. Anders als die eigentlich Realität, Schwerkraft zum Beispiel, können sie qua Beschluss aufgehoben werden. Versuch das mal mit der Schwerkraft. :D Die Geschichte der wissenschaftlichen Revolutionen - näheres dazu unter Thomas S. Kuhn - ist ansonsten davon geprägt, solche ja doch sehr vorläufigen Unterscheidungen durch (hoffentlich) differenziertere zu ersetzen.

Schriftsteller werden in ihrem Schaffen durch das Bestehende beeinflusst, orientieren sich an etablierten Normen.

Oder eben auch nicht; und haben Erfolg oder keinen Erfolg. Nur einmal ein klassisches Beispiel: Goethes Leiden des jungen Werther war und ist alles andere als ein Briefroman. Es war und ist ein erzähltechnischer Bastard. Schlampig vor dem Herrn - aber genial, und das Buch verstieß gegen alle etablierten Normen. Deshalb müssen es Gymnasiasten auch heute noch lesen, wenn sie sich nicht mit dem Faust oder den Wahlverwandtschaften auseinandersetzen müssen. Beide auch genial - und beide auch weit ab von den damals etablierten Normen.

Was nicht klappt, sind vermeintlich objektive überzeitliche Definition einer Gattung - aber das ist eigentlich auch das Uninteressanteste daran. Gattungsgeschichte hingegen "klappt" sehr wohl.


Wie betreibst Du Gattungsgeschichte ohne überzeitlich objektive Definition von Gattung? Das musst Du einmal erklären; und dann musst Du auch noch erklären, was das mit Wissenschaft zu tun haben soll. Ich kann mit einem "Anything Goes" ganz gut leben, Du widersprichst allerdings Deinen eigenen Intentionen; denn Du möchtest Klarheit, Wahrheit und Nachvollziehbarkeit haben. Meine Ambiguitätstoleranz ist hingegen sehr hoch.

Auch das sehe ich so nicht. Zwischen prototypischen Utopien und Dystopien gibt es sehr klare Unterschiede. Tatsächlich sehe ich das Problem auch nicht in der Unterscheidung der beiden Gattungen.

Die Unterschiede hast Du nie klar stellen können; und Ming, dessen Meinung ich auch nicht teile, hat da ja ziemlich grausam drauf herumgeritten. Was den zweiten Teil der Aussage ansgeht - mal in Anlehnung an Wittgenstein: wenn man etwas nicht unterscheiden kann, dann kann man darüber auch nicht sinnvoll diskutieren. Hinzu kommt, dass Du mit dem zweiten Teil der Aussage den ersten Teil im Sinne eines ein bis zwei Drittel Hegels aufhebst.
Was mich angeht -ich nehme die Unterscheidung einfach mal aus der wissenschaftlichen Systematisierung heraus und hebe es auf die Ebene des normalen Rezeption - und da ist jede Utooie eine Dsytopie, weil sie mir zeigt, dass das Jetzige ziemlich Scheiße ist; und jede Dystopie ist eine Utopie, weil sie mir zeigt, dass diese Scheiße voraus gedacht zu ziemlichen Bockmist führt.
Ansonsten - um einmal auf Morus zurück zu kommen - halte ich 10kg schwere Pinkelpötte aus massiven Gold wirklich nur bedingt für eine positive Entwicklung; und was Samjatins Wir angeht, das Buch kann man auch als dialektischen Dreischritt lesen. Soviel dann zur Frage: Welche Intentionen hatte der Autor.

#136 Puh

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Geschrieben 19 August 2011 - 15:26

Die Intention des Autors würde ich ohnehin mal aussen vor lassen.

Sehr gute Idee. Oder doch nicht - ich meine, der wollte Geld damit verdienen, vielleicht auch nur die Welt verändern. Sollten wir da seine Intentionen wirklich ausgrenzen, nur weil es schwierig ist, sie einzubinden. Du kennst doch mein diesbezügliches Essay. :D

#137 simifilm

simifilm

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Geschrieben 19 August 2011 - 15:35

Wo? Wie? Welche? Beleg? Keine Behauptungen!


Siehe unten.

Gattungen sind Erfindungen des Menschen, die als real angesehen werden und deshalb real wirken.


Ja eben.

Näheres dazu unter Thomas Theorem. Anders als die eigentlich Realität, Schwerkraft zum Beispiel, können sie qua Beschluss aufgehoben werden. Versuch das mal mit der Schwerkraft. :D Die Geschichte der wissenschaftlichen Revolutionen - näheres dazu unter Thomas S. Kuhn - ist ansonsten davon geprägt, solche ja doch sehr vorläufigen Unterscheidungen durch (hoffentlich) differenziertere zu ersetzen.


Wir können gerne eine Diskussion über Wissenschaftstheorie führen - nur wenige Bücher haben mein Weltbild so nachhaltig geprägt wie dasjenige Kuhns -, aber ich sehe nicht, wozu. Die Tatsache, Genres nicht den gleichen Realitätsstaus haben wie die Schwerkraft, ist überhaupt kein Grund, sich nicht damit systematisch auseinanderzusetzen.

Oder eben auch nicht; und haben Erfolg oder keinen Erfolg. Nur einmal ein klassisches Beispiel: Goethes Leiden des jungen Werther war und ist alles andere als ein Briefroman. Es war und ist ein erzähltechnischer Bastard. Schlampig vor dem Herrn - aber genial, und das Buch verstieß gegen alle etablierten Normen. Deshalb müssen es Gymnasiasten auch heute noch lesen, wenn sie sich nicht mit dem Faust oder den Wahlverwandtschaften auseinandersetzen müssen. Beide auch genial - und beide auch weit ab von den damals etablierten Normen.


Ja und? Hat irgendwer etwas über Qualität und Erfolg eines Werkes gesagt?

Wie betreibst Du Gattungsgeschichte ohne überzeitlich objektive Definition von Gattung? Das musst Du einmal erklären; und dann musst Du auch noch erklären, was das mit Wissenschaft zu tun haben soll.


Mit einer Verbindung eines systematischen mit einem historisch-pragmatischen Ansatz. Weiteres dazu bei Rick Altman, Film/Genre, London 2000.


Die Unterschiede hast Du nie klar stellen können;

Eigentlich schon, doch.

und Ming, dessen Meinung ich auch nicht teile, hat da ja ziemlich grausam drauf herumgeritten.


Ming hat bis jetzt vor allem seinen Privatansatz, der in sich anscheinend sehr widersprüchlich ist, vertreten.


Was den zweiten Teil der Aussage ansgeht - mal in Anlehnung an Wittgenstein: wenn man etwas nicht unterscheiden kann, dann kann man darüber auch nicht sinnvoll diskutieren. Hinzu kommt, dass Du mit dem zweiten Teil der Aussage den ersten Teil im Sinne eines ein bis zwei Drittel Hegels aufhebst.


Du hast mich missverstanden. Was ich sagen wollte: In den allermeisten Fällen ist es kein Problem zu bestimmen, ob ein Werk eine Utopie oder eine Dystopie ist. Und wenn es Mischformen gibt - umso besser. Die machen die Sache erst richtig interessant.

Was mich angeht -ich nehme die Unterscheidung einfach mal aus der wissenschaftlichen Systematisierung heraus und hebe es auf die Ebene des normalen Rezeption - und da ist jede Utooie eine Dsytopie, weil sie mir zeigt, dass das Jetzige ziemlich Scheiße ist; und jede Dystopie ist eine Utopie, weil sie mir zeigt, dass diese Scheiße voraus gedacht zu ziemlichen Bockmist führt.


Wäre das wieder ein Beispiel dafür, dass Du Begriffe "Utopie" und "Dystopie" nicht gebrauchst?

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#138 simifilm

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Geschrieben 19 August 2011 - 15:36

Sehr gute Idee. Oder doch nicht - ich meine, der wollte Geld damit verdienen, vielleicht auch nur die Welt verändern. Sollten wir da seine Intentionen wirklich ausgrenzen, nur weil es schwierig ist, sie einzubinden.


Nicht, weil es schwierig ist sie einzubinden, sondern weil es schwierig ist, etwas Verlässliches dazu sagen.

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#139 Anubizz

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Geschrieben 19 August 2011 - 15:37

Bezüglich der Dichotomie Realität-Literaturwissenschaft:

Die habe ich nicht eingeführt. Keine Ahnung, wie Du auf diese Idee kommst. :D

Wenn ich dich richtig verstanden habe, schriebst du, die Systematisierungsversuche der Literaturwissenschaft gingen an der Realität vorbei. Das hört sich für mich so an, als würdest du von einer Realität ausgehen, die von ihren Beschreibungen durch uns unabhängig sei. Vielleicht sagst du einfach noch mal genauer, was du mit Realität meinst?

Was die Unterscheidung Utopie-Dystopie angeht:

Ich gebrauche sie ja nicht. Ich habe sie einmal kurz angeführt, um die Fragesstellung zu hinterfragen...

Na ja, du hast gesagt, gemeinhin als utopisch definierte Werke seien stets auch Dystopien und vice versa. Damit gebrauchst du die Gattungsbegriffe; du bezweifelst nur, dass einzelne Werke sich ihnen eindeutig zuordnen ließen. Was ich bestreiten würde.

...was nun die jeweiligen Werkintentionen angeht: Erkläre mich doch einmal die Haupt- und Nebenbedeutungen in Morrus "Utopia" und Samjatins "Wir"; und dann beweise, dass Deine Interpretation die Intention des Autors waren. ;)

Von einer Intention des Autors habe ich wohlweislich nicht gesprochen. Und würde auch lieber nicht damit anfangen. Ich habe lediglich darauf hinweisen wollen, dass es m.E. Interpretationen gibt, die vom Werk selber nahegelegt werden, und andere, die das Werk nicht nahelegt. Und in der Regel enthalten utopische bzw. dystopische Werke schon Hinweise darauf, wie die jeweils beschriebene Gesellschaft bewertet werden soll.

#140 Thomas Sebesta

Thomas Sebesta

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Geschrieben 19 August 2011 - 16:04

Hier ein Link der vielleicht auch zum Thema beitragen kann:
Definition(en) der Begriffe Anti-Utopie und Dystopie

Thomas Sebesta/Neunkirchen/Austria

Blog zur Sekundärliteratur: http://sebesta-seklit.net/

Online-Bibliothek zur Sekundärliteratur: http://www.librarything.de/catalog/t.sebesta

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#141 Anubizz

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Geschrieben 19 August 2011 - 17:53

Was mich angeht -ich nehme die Unterscheidung einfach mal aus der wissenschaftlichen Systematisierung heraus und hebe es auf die Ebene des normalen Rezeption - und da ist jede Utooie eine Dsytopie, weil sie mir zeigt, dass das Jetzige ziemlich Scheiße ist...

Das hat mit den literarischen Gattungen aber nichts zu tun. Auch ein realistischer Roman (beispielsweise) kann mir aufzeigen, dass ich in miesen gesellschaftlichen Zuständen lebe.

... und jede Dystopie ist eine Utopie, weil sie mir zeigt, dass diese Scheiße voraus gedacht zu ziemlichen Bockmist führt.

Dystopien sind »Scheiße [zeitlich] voraus gedacht« häufig nur in dem Sinne, dass sie ihre Handlung in die Zukunft verlegen. Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass sie eine plausible zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft darstellen wollen. Dystopien sind m.E. nicht gleichzusetzen mit literarisch verbrämter Zukunftsforschung.

#142 Ming der Grausame

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Geschrieben 20 August 2011 - 01:48

So oder so: Eine Dystopie ist keineswegs immer Utopiekritik, zudem hat Frankenstein nichts Utopisches an sich.

Da bekanntlich ein Beweis durch Behauptung stets unwiderlegbar ist, kann ich folglich deine Behauptung, dass eine Dystopie keineswegs immer Utopiekritik ist, nicht widerlegen. Fehlt da jedoch nicht noch etwas? Normalerweise folgt da nämlich so etwas: Dieser Punkt sollte intuitiv klar sein. Ich habe ihn so klar wie möglich erläutert. Wenn du ihn noch nicht einsiehst, so muss du sehr sorgfältig noch mal selbst darüber nachdenken. Dann wirst du sehen, wie einfach und klar es ist.

Und wenn für dich die Erschaffung eines künstlichen Menschen nichts Utopisches an sich hat, dann kann ich dir auch nicht helfen. C'est la vie. :angry:
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#143 Ming der Grausame

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Geschrieben 20 August 2011 - 02:03

Ich bezweifle, ob wirklich alle Autoren so was wirklich wollen. Ich würde die Dystopie auch nicht als in narrativ-erzählerischer Weise vorgebrachte politische Kritik auffassen. Eine Dystopie ist schlicht eine utopisch verkleidete Utopiekritik und sonst eigentlich nichts.

Das gibt es natürlich auch, würde ich aber als Anti-Utopie bezeichnen.

Anti-Utopien richten sich IMHO eher immer gegen identifizierbare Utopien, während Dystopien eben nur utopisch verkleidete Utopiekritik sind, ohne den politisch-sozialen Raum zum Ausgangspunkt zu nehmen. Daher ist 1984 für mich eine Anti-Utopie, während Bradburys Fahrenheit 451 indessen eine Dystopie ist.
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#144 Ming der Grausame

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Geschrieben 20 August 2011 - 02:43

Ming hat bis jetzt vor allem seinen Privatansatz, der in sich anscheinend sehr widersprüchlich ist, vertreten.

Privatansatz? Definitiv nein, dass ich mich dabei auf Negley und Patrick beziehe, habe ich ja schon dargelegt. Ein individueller Ansatz? Schon eher, alleine schon, weil ich Booker nicht folgen kann. Man könnte aber meine Definition, wonach eine Dystopie schlicht eine utopisch verkleidete Utopiekritik ist, durchaus als eine schnöde Weiterentwickelung der Gedankengänge von Elena Zeißlers Dissertation „Dunkle Welten. Die Dystopie auf dem Weg ins 21. Jahrhundert“ sehen. Wobei ich der Ansicht bin, dass sie den Dystopiebegriff eigentlich zu eng sieht, den zentralen Konflikt zwischen Protagonisten und Gesellschaft kann ich einfach nicht gelten lassen, dafür existieren schließlich zu viele Gegenbeispiele. Aber sie stellt zumindest die richtige Frage, nämlich ob die klassische Dystopie paradigmatischen Charakter für die nachfolgenden Vertreter dieses Subgenres hat. Die Antwort darauf lautet BTW: nein. Und mein Ansatz ist übrigens nicht widersprüchlich, sondern bestenfalls antithetisch, d.h. vom ewigen Widerspruch der Polaritäten geprägt - ich bin nämlich zufälligerweise ein Dialektiker. Die Negation der Negation ist schließlich eine Affirmation. Nichts weiter als den Gang des Geistes in seiner Selbsterfassung. :angry:
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#145 simifilm

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Geschrieben 20 August 2011 - 06:24

Da bekanntlich ein Beweis durch Behauptung stets unwiderlegbar ist, kann ich folglich deine Behauptung, dass eine Dystopie keineswegs immer Utopiekritik ist, nicht widerlegen. Fehlt da jedoch nicht noch etwas? Normalerweise folgt da nämlich so etwas: Dieser Punkt sollte intuitiv klar sein. Ich habe ihn so klar wie möglich erläutert. Wenn du ihn noch nicht einsiehst, so muss du sehr sorgfältig noch mal selbst darüber nachdenken. Dann wirst du sehen, wie einfach und klar es ist.

Und wenn für dich die Erschaffung eines künstlichen Menschen nichts Utopisches an sich hat, dann kann ich dir auch nicht helfen. C'est la vie. :(


Nein, ein künstlicher Mensch ist in der Tat nichts Utopisches. Ein künstlicher Mensch ist ganz einfach ein typisches SF-Novum. Oder sagen wir so: Wenn ein künstlicher Mensch ein Merkmal für eine Utopie wäre, dann wäre jedes Novum utopisch, folglich wäre Utopie nichts anderes als ein anderer Ausdruck für SF und würde somit überflüssig. Der ganze Aspekt des "besseren Ortes", der gemäss allgemeinem Konsens Teil der Utopie ist, ist beim Motiv künstlichen Menschen nicht erkennbar. Ganz im Gegenteil ist die Erschaffung eines künstlichen Menschen in der Literaturgeschichte traditionell negativ konnotiert.


Privatansatz? Definitiv nein, dass ich mich dabei auf Negley und Patrick beziehe, habe ich ja schon dargelegt.


Wie ich bereits geschrieben habe, sagt dass von Dir angeführte Zitat nichts anderes aus, als dass die Dystopie die negative Form der Utopie sei. Daraus geht weder hervor, dass Frankenstein eine Dystopie ist, noch dass ein künstlicher Mensch etwas Utopisches ist. Und Deine ursprünglich gebrachte Definition der "Gesellschaft, die sich ins Negative entwickelt" ist damit erst recht nicht abgedeckt. Meines Wissens ist das von Dir angeführte The Quest for Utopia primär eine Sammlung utopischer Texte. Ist da denn Frankenstein darin enthalten oder sonst irgendwie als Beispiel angeführt? Es würde mich wundern.

Ein individueller Ansatz? Schon eher, alleine schon, weil ich Booker nicht folgen kann. Man könnte aber meine Definition, wonach eine Dystopie schlicht eine utopisch verkleidete Utopiekritik ist, durchaus als eine schnöde Weiterentwickelung der Gedankengänge von Elena Zeißlers Dissertation „Dunkle Welten. Die Dystopie auf dem Weg ins 21. Jahrhundert“ sehen. Wobei ich der Ansicht bin, dass sie den Dystopiebegriff eigentlich zu eng sieht, den zentralen Konflikt zwischen Protagonisten und Gesellschaft kann ich einfach nicht gelten lassen, dafür existieren schließlich zu viele Gegenbeispiele. Aber sie stellt zumindest die richtige Frage, nämlich ob die klassische Dystopie paradigmatischen Charakter für die nachfolgenden Vertreter dieses Subgenres hat. Die Antwort darauf lautet BTW: nein. Und mein Ansatz ist übrigens nicht widersprüchlich, sondern bestenfalls antithetisch, d.h. vom ewigen Widerspruch der Polaritäten geprägt - ich bin nämlich zufälligerweise ein Dialektiker. Die Negation der Negation ist schließlich eine Affirmation. Nichts weiter als den Gang des Geistes in seiner Selbsterfassung. ;)


Du hast die Dystopie zuerst als "fiktive Gesellschaft, die sich zum Negativen entwickelt" definiert und behauptet, Frankenstein sei aufgrund dieser Beschreibung einer Dystopie (wobei nach wie vor unklar ist, inwiefern der Roman eine fiktive Gesellschaft beschreiben soll). Und dann, nachdem offensichtlich wurde, dass diese Definition nichts taugt, hast Du Dystopie plötzlich zur Utopekritik erklärt, und Frankenstein gehöre angeblich deshalb dazu, weil der künstliche Mensch ein utopisches Konzept ist. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Ansätze, die nichts miteinander zu tun haben.

Bearbeitet von simifilm, 20 August 2011 - 10:04.

Signatures sagen nie die Wahrheit.

Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.

Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.

Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
 

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#146 Konrad

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Geschrieben 20 August 2011 - 09:07

Anti-Utopien richten sich IMHO eher immer gegen identifizierbare Utopien, während Dystopien eben nur utopisch verkleidete Utopiekritik sind, ohne den politisch-sozialen Raum zum Ausgangspunkt zu nehmen. Daher ist 1984 für mich eine Anti-Utopie, während Bradburys Fahrenheit 451 indessen eine Dystopie ist.

Eine Kritik kann sich immer nur gegen ein identifizierbares Objekt richten, daher macht deine Unterscheidung von beiden Bezeichnungen keinen Sinn.
Eine nicht identifizierbare Utopie gibt es nicht.

Nun mußt du mir mal erklären, welchen Lesern du allen Ernstes ein Bücher verbrennendes System als "Eu-Topos"verkaufen willst.
Jede Systemmacht behauptet, sie würde die Beste aller Welten errichten.
Dies macht sie aber noch lange nicht zur Utopie.

Deine Klassifikation von 451 widerspricht deiner eigenen Definition.
Die Welt von 451 ist aus literarischer Sicht keine Utopie.
Sie ist von vornherein als poetisches Alptraumsystem konzipiert.
Bradbury hat sich mit seiner ganz persönlichen Hölle auseinandergesetzt.
Dementsprechend gibt es hier auch keine Utopiekritik, sondern nur eine Systemkritik.

Bearbeitet von Konrad, 20 August 2011 - 11:02.


#147 RobRandall

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Geschrieben 20 August 2011 - 16:01

Eine Kritik kann sich immer nur gegen ein identifizierbares Objekt richten, daher macht deine Unterscheidung von beiden Bezeichnungen keinen Sinn. Eine nicht identifizierbare Utopie gibt es nicht.

Nachdem ich die letzten Tage die Diskussion aufmerksam verfolgt habe, scheint es mir angebracht, erst mal mit einer Liste der bisherigen bzw. möglichen Verwendungen der Begriffe Dystopie/Anti-Utopie etc anzufangen:

Als Aspekte wurden bisher - ich hoffe, ich habe keinen übersehen - angeführt:

1) Die angesprochenen Texte können sich gegen eine konkrete Utopie richten
2) Die angesprochenen Texte können sich gegen utopisches Denken insgesamt richten
3) Die angesprochenen Texte können sich gegen eine Geisteshaltung richten, die als 'utopisch' identifiziert wird
4) Die angesprochenen Texte können aktuelle Entwicklungen extrapolieren
5) Die angesprochenen Texte können ohne Extrapolationen auskommen


Im Sinne von 2) ist eine literarische Kritik am utopischen Denken als "Planen im Großen Stil" (Popper) durchaus möglich. Die Frage ist nur, wie das vom Autor konkretisiert werden werden soll. Vermutlich wird er einen utopischen Gesellschaftsentwurf zum Anlass nehmen, so dass auch 1) zutrifft. Die Dekodierung des Textes als generelle Utopiekritik ist aber dem Leser überlassen. Insofern können wir uns beispielsweise streiten, ob 1984 im Sinne von 1) und 2) anti-utopisch ist (Mir scheint auch fraglich, ob BNW überhaupt im Sinne von 1) und 2) "anti-utopisch" sein kann. Trifft hier nicht eher 3) zu?). Angesichts des "Alarm-Zustandes", in dem sich Orwell befand, als er 1984 abfasste, ist es durchaus gerechtfertigt zu sagen, dass 4) ebenfalls auf den Roman zutrifft - das gilt übrigens in noch stärkerem Maße für Samjatins Wir. Insofern gehören beide meiner Ansicht nach beide Stoßrichtungen zum Genre - ich denke nicht, dass man hier gelungen trennen kann

Nein, ein künstlicher Mensch ist in der Tat nichts Utopisches. Ein künstlicher Mensch ist ganz einfach ein typisches SF-Novum.

Ich bin damit einverstanden, dass auf Frankenstein im Sinne von 3) anti-utopische Züge hat - wenn man den Begriff derartig verwenden will. Das reicht aber bei weitem nicht, als dass man ihm dem Genre zuordnen sollte, denn hier sollte es doch um fiktive Gesellschaftsentwürfe gehen - wenn nicht, ändert das nichts an der Tatsache, dass es ein solches Genre X zu geben scheint.

Nun mußt du mir mal erklären, welchen Lesern du allen Ernstes ein Bücher verbrennendes System als "Eu-Topos"verkaufen willst. Jede Systemmacht behauptet, sie würde die Beste aller Welten errichten. Dies macht sie aber noch lange nicht zur Utopie.

Das stimmt so nicht. Erstens gibt der fiktive Staat in Fahrenheit dieses vor zu sein - oder erinnere ich mich falsch? (es hat übrigens auch reale Staaten gegeben, in denen die Bücherverbrennung positiv besetzter Ausdruck eines utopischen Konzeptes war - hier macht die Perspektive den Unterschied) zweitens ist dieses typisch für totalitäre Staaten - denn hierzu gehört eine konkrete Utopie und drittens - ich bin mir nicht sicher, was du mit "Systemmacht" meinst, haben die meisten "Staaten" nicht vorgegeben die "beste" aller Welten zu schaffen.

Sie ist von vornherein als poetisches Alptraumsystem konzipiert.

Darin stimme ich mit dir überein. Ihr geht kein utopischer Entwurf voraus, auf den sie sich bezieht. Sie ist nicht anti-utopisch in den oben aufgeführten Sinnen des Wortes. Aber die Gesellschaft weist viele Merkmale auf, die auch 1984, Wir und BNW und auch der Handlungsaufbau zeigt deutliche Parallelen. Wenn man den Text anhand eines Konstituentenkataloges untersucht, wird man zu dem Ergebnis kommen, dass er dem Genre zuzurechnen ist.

Bearbeitet von RobRandall, 20 August 2011 - 16:23.


#148 simifilm

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Geschrieben 20 August 2011 - 16:39

Nachdem ich die letzten Tage die Diskussion aufmerksam verfolgt habe, scheint es mir angebracht, erst mal mit einer Liste der bisherigen bzw. möglichen Verwendungen der Begriffe Dystopie/Anti-Utopie etc anzufangen:

Als Aspekte wurden bisher - ich hoffe, ich habe keinen übersehen - angeführt:

1) Die angesprochenen Texte können sich gegen eine konkrete Utopie richten
2) Die angesprochenen Texte können sich gegen utopisches Denken insgesamt richten
3) Die angesprochenen Texte können sich gegen eine Geisteshaltung richten, die als 'utopisch' identifiziert wird
4) Die angesprochenen Texte können aktuelle Entwicklungen extrapolieren
5) Die angesprochenen Texte können ohne Extrapolationen auskommen


Im Sinne von 2) ist eine literarische Kritik am utopischen Denken als "Planen im Großen Stil" (Popper) durchaus möglich. Die Frage ist nur, wie das vom Autor konkretisiert werden werden soll. Vermutlich wird er einen utopischen Gesellschaftsentwurf zum Anlass nehmen, so dass auch 1) zutrifft. Die Dekodierung des Textes als generelle Utopiekritik ist aber dem Leser überlassen. Insofern können wir uns beispielsweise streiten, ob 1984 im Sinne von 1) und 2) anti-utopisch ist (Mir scheint auch fraglich, ob BNW überhaupt im Sinne von 1) und 2) "anti-utopisch" sein kann. Trifft hier nicht eher 3) zu?). Angesichts des "Alarm-Zustandes", in dem sich Orwell befand, als er 1984 abfasste, ist es durchaus gerechtfertigt zu sagen, dass 4) ebenfalls auf den Roman zutrifft - das gilt übrigens in noch stärkerem Maße für Samjatins Wir. Insofern gehören beide meiner Ansicht nach beide Stoßrichtungen zum Genre - ich denke nicht, dass man hier gelungen trennen kann

Ich bin damit einverstanden, dass auf Frankenstein im Sinne von 3) anti-utopische Züge hat - wenn man den Begriff derartig verwenden will. Das reicht aber bei weitem nicht, als dass man ihm dem Genre zuordnen sollte, denn hier sollte es doch um fiktive Gesellschaftsentwürfe gehen - wenn nicht, ändert das nichts an der Tatsache, dass es ein solches Genre X zu geben scheint.


Ich denke, dass wir uns an sich einig sind, deshalb nur kurz: 3) erscheint als nicht sonderlich sinnvoller Ansatz, denn "utopische Geistehaltung" scheint hier ja praktisch "das Vermögen, zukünftige Entwicklungen zu denken" zu meinen. Damit wäre eben jede SF utopisch, was die Frage nach sich zieht, wozu wir noch den Begriff utopisch brauchen. Da das Novum in der SF sehr oft Probleme mit sich bringt (im Film noch weitaus ausgeprägter als in der Literatur), wäre somit ein grosser Teil der SF auch gleich wieder anti-utopisch. Insgesamt scheint mir 3) somit wenig praktikabel.

BNW würde ich in der Tat auch sehr viel mehr auf der Seite der reinen Dystopie als der Anti-Utopie (im Sinne Sargents) verbuchen. Tatsächlich ist der Roman - auch wenn das heute meist nicht mehr so wahrgenommen wird - in vielem eine ziemlich snobistische Kritik an der US-amerikanischen Kultur.

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#149 Konrad

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Geschrieben 20 August 2011 - 17:10

Das stimmt so nicht. Erstens gibt der fiktive Staat in Fahrenheit dieses vor zu sein - oder erinnere ich mich falsch? (es hat übrigens auch reale Staaten gegeben, in denen die Bücherverbrennung positiv besetzter Ausdruck eines utopischen Konzeptes war - hier macht die Perspektive den Unterschied) zweitens ist dieses typisch für totalitäre Staaten - denn hierzu gehört eine konkrete Utopie und drittens - ich bin mir nicht sicher, was du mit "Systemmacht" meinst, haben die meisten "Staaten" nicht vorgegeben die "beste" aller Welten zu schaffen.

Offenbar habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt, denn du hast meine Argumentation mißverstanden.
Natürlich behauptet der fiktive Staat in 451 Utopia realisiert zu haben, aber das macht jede Staatsmacht.
Diese Behauptung allein ist für eine Utopie im literarischen Sinne nicht ausreichend.
Ansonsten ist die gesamte Argumentation für die Bücherverbrennung und auch die Form der Inszenierung derart lächerlich, daß man hier nicht von einem ernsthaften Weltentwurf sprechen kann.
Daher ist die 451-Welt keine Utopie sondern nur ein poetischer Alptraum.

#150 RobRandall

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Geschrieben 20 August 2011 - 17:14

Ich denke, dass wir uns an sich einig sind, deshalb nur kurz: 3) erscheint als nicht sonderlich sinnvoller Ansatz, denn "utopische Geistehaltung" scheint hier ja praktisch "das Vermögen, zukünftige Entwicklungen zu denken" zu meinen. Damit wäre eben jede SF utopisch, was die Frage nach sich zieht, wozu wir noch den Begriff utopisch brauchen. Da das Novum in der SF sehr oft Probleme mit sich bringt (im Film noch weitaus ausgeprägter als in der Literatur), wäre somit ein grosser Teil der SF auch gleich wieder anti-utopisch. Insgesamt scheint mir 3) somit wenig praktikabel.


Das sehe ich genauso.

BNW würde ich in der Tat auch sehr viel mehr auf der Seite der reinen Dystopie als der Anti-Utopie (im Sinne Sargents) verbuchen. Tatsächlich ist der Roman - auch wenn das heute meist nicht mehr so wahrgenommen wird - in vielem eine ziemlich snobistische Kritik an der US-amerikanischen Kultur.


Das sehe ich ebenfalls so. Er zutiefst satirisch und zudem - das ist aber jetzt eine andere Ebene - auch in anderer Hinsicht untypisch. Da wäre z.B. die Aufteilung der Figur des Außenseiters auf 3 Figuren. Insofern scheint er mir nicht sehr gut in eine Reihe mit Wir und 1984 zu passen.

Wie würdest du das Verhältnis von Dystopie und Anti-Utopie fassen wollen. Auch wie Sargent?

Bearbeitet von RobRandall, 20 August 2011 - 17:14.



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