Eine Kritik kann sich immer nur gegen ein identifizierbares Objekt richten, daher macht deine Unterscheidung von beiden Bezeichnungen keinen Sinn. Eine nicht identifizierbare Utopie gibt es nicht.
Nachdem ich die letzten Tage die Diskussion aufmerksam verfolgt habe, scheint es mir angebracht, erst mal mit einer Liste der bisherigen bzw. möglichen Verwendungen der Begriffe Dystopie/Anti-Utopie etc anzufangen:
Als Aspekte wurden bisher - ich hoffe, ich habe keinen übersehen - angeführt:
1) Die angesprochenen Texte können sich gegen eine konkrete Utopie richten
2) Die angesprochenen Texte können sich gegen utopisches Denken insgesamt richten
3) Die angesprochenen Texte können sich gegen eine Geisteshaltung richten, die als 'utopisch' identifiziert wird
4) Die angesprochenen Texte können aktuelle Entwicklungen extrapolieren
5) Die angesprochenen Texte können ohne Extrapolationen auskommen
Im Sinne von 2) ist eine literarische Kritik am utopischen Denken als "Planen im Großen Stil" (Popper) durchaus möglich. Die Frage ist nur, wie das vom Autor konkretisiert werden werden soll. Vermutlich wird er einen utopischen Gesellschaftsentwurf zum Anlass nehmen, so dass auch 1) zutrifft. Die Dekodierung des Textes als generelle Utopiekritik ist aber dem Leser überlassen. Insofern können wir uns beispielsweise streiten, ob 1984 im Sinne von 1) und 2) anti-utopisch ist (Mir scheint auch fraglich, ob BNW überhaupt im Sinne von 1) und 2) "anti-utopisch" sein kann. Trifft hier nicht eher 3) zu?). Angesichts des "Alarm-Zustandes", in dem sich Orwell befand, als er 1984 abfasste, ist es durchaus gerechtfertigt zu sagen, dass 4) ebenfalls auf den Roman zutrifft - das gilt übrigens in noch stärkerem Maße für Samjatins Wir. Insofern gehören beide meiner Ansicht nach beide Stoßrichtungen zum Genre - ich denke nicht, dass man hier gelungen trennen kann
Nein, ein künstlicher Mensch ist in der Tat nichts Utopisches. Ein künstlicher Mensch ist ganz einfach ein typisches SF-Novum.
Ich bin damit einverstanden, dass auf Frankenstein im Sinne von 3) anti-utopische Züge hat - wenn man den Begriff derartig verwenden will. Das reicht aber bei weitem nicht, als dass man ihm dem Genre zuordnen sollte, denn hier sollte es doch um fiktive Gesellschaftsentwürfe gehen - wenn nicht, ändert das nichts an der Tatsache, dass es ein solches Genre X zu geben scheint.
Nun mußt du mir mal erklären, welchen Lesern du allen Ernstes ein Bücher verbrennendes System als "Eu-Topos"verkaufen willst. Jede Systemmacht behauptet, sie würde die Beste aller Welten errichten. Dies macht sie aber noch lange nicht zur Utopie.
Das stimmt so nicht. Erstens gibt der fiktive Staat in Fahrenheit dieses vor zu sein - oder erinnere ich mich falsch? (es hat übrigens auch reale Staaten gegeben, in denen die Bücherverbrennung positiv besetzter Ausdruck eines utopischen Konzeptes war - hier macht die Perspektive den Unterschied) zweitens ist dieses typisch für totalitäre Staaten - denn hierzu gehört eine konkrete Utopie und drittens - ich bin mir nicht sicher, was du mit "Systemmacht" meinst, haben die meisten "Staaten" nicht vorgegeben die "beste" aller Welten zu schaffen.
Sie ist von vornherein als poetisches Alptraumsystem konzipiert.
Darin stimme ich mit dir überein. Ihr geht kein utopischer Entwurf voraus, auf den sie sich bezieht. Sie ist nicht anti-utopisch in den oben aufgeführten Sinnen des Wortes. Aber die Gesellschaft weist viele Merkmale auf, die auch 1984, Wir und BNW und auch der Handlungsaufbau zeigt deutliche Parallelen. Wenn man den Text anhand eines Konstituentenkataloges untersucht, wird man zu dem Ergebnis kommen, dass er dem Genre zuzurechnen ist.
Bearbeitet von RobRandall, 20 August 2011 - 16:23.