Zunächst einmal: Dieses Thema entzündete sich an einem Bericht, daß der Phantastik-*Umsatz* abnimmt. Informationen über Stückzahlen fehlen - hier könnte der verstärkte Trend zu den (meist deutlich billigeren) eBooks den Rückgang erklären. Dieser Rückgang ist also nicht nitwendigerweise der Untergang des SF-Abendlandes.
Was ist denn der SF-Fan? Weit mehrheitlich introvertiert. Was zeichnet Introvertierte aus? Sie interessieren sich herzlich wenig für ausgereifte Personenprofile ohne direkten Handlungsbezug, ebenso wenig für komplexe soziale Interaktionen, weil sie Menschen verwirrend finden; nicht zuletzt deshalb leitet sich daraus ihre Vorliebe für Wissenschaft und Technik ab.
Ich bin SF-Fan, seit ich mit 4 oder 5 meine erste Folge "Raumschiff Enterprise" gesehen habe. Persönlichkeitsprofile als Selbstzweck lehne ich ab, eine ausreichende Charakterisierung der Protagonisten erwarte ich aber, ebenso wie eine kompetente und nicht klischeehafte Darstellung der sozialen Interaktionen. Ansonsten wäre die erschaffene Welt unglaubwürdig, und ich könnte beim Lesen nicht darin eintauchen.
Ich muß aber auch sagen, daß ich mit den Jahren kritischer und anspruchsvoller geworden bin. Bücher, die ich vor 10 oder 20 Jahren toll fand, stufe ich heute oft allenfalls als Mittelmaß ein.
Das ist heute schwer zu finden; eins der letzten Bücher neueren Datums war „Quest“.
"Quest" von Andreas Eschbach fand ich schwach - die Handlung plätscherte dahin, und die Handlungsweise der Personen war nicht wirklich nachvollziehbar, wodurch mir dieselben auch schnurzpiepegal waren. Das war das erste Eschbach-Buch, bei dem ich den Eindruck hatte, daß es nur schnell und lieblos heruntergeschrieben wurde.
Dann sollte sich mal jeder einen alten SF-Roman greifen: Die Autoren hatten eine Vision, am Ende sollte „es“ (was immer auch „es“ sein mag, häufig war es die Menschheit) ein Schritt näher an einer besseren (glücklicheren) Zukunft sein. Wo sind diese Visionen geblieben? „Kriech unten und friss Dreck“ lautet heute das Motto.
Wie sagte einst Helmut Schmidt: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen."
Die positiven Visionen sind selten geworden, auch wenn es sie noch gibt, z. B. "Das Tahiti-Projekt" von Dirk C. Fleck. Das liegt aber nicht an einer Unfähigkeit der heutigen Autoren/Lektoren/Verlage, sondern an der Reaktion auf den geänderten Zeitgeist. Der generelle Technikoptimismus in den westlichen Industrieländern (im Osten sah das anders aus) hat sich in einen Pessimismus gewandelt. Wenn ich mir einige Visionen von damals anschaue, waren die reichlich naiv - und ich hoffe, daß die meisten heutigen Visionen auch nicht eintreten werden!
Manchmal ist es so schlimm, dass jede Figur eines Romans, die einen Dreiseitenauftritt hat, zwei Seiten davon für eine detaillierte Beschreibung ihrer Psychomacke spendiert bekommt, um dann auf der dritten zu sterben.
Sieh es mal so - die sind wenigstens schnell wieder weg. Wie schlimm wäre es erst, wenn sie bis zum Buchende durchhielten!
Was ist nun der Schluss daraus? Der SF-Leser möchte halbwegs einfach gestrickte Freund-Feind-Charaktere, die sich nicht an der Komplexität ihrer eigenen Dummheit aufhängen, sondern intelligent handeln. Die Geschichte muss eine Vision haben. Die „intellektuelle Weiterentwicklung“ der SF-Erzeuger hat die große Masse der SF-Leser schlicht nicht mitgenommen. Das Resultat sind jetzt sinkende Umsatzzahlen.
Ich möchte keine einfach gestrickten Charaktere, das klingt mir zu sehr nach Stereotypen und Klischees, ich möchte *glaubwürdige* Charaktere. Solche, in die ich mich hineinversetzen kann.
Science Fiction hat zahlreiche Ausprägungen. Die Geschriebene ist nur eine davon. Da die SF sich ganz hervorragend zur Umsetzung in andere mediale Vermittlungsformen eignet, steht das Buch in einer sehr harten Konkurrenz etwa zum Computerspiel, zum Film oder zum Tabletop/Rollenspiel.
Richtig, Die Literatur hat gegenüber vielen anderen Medien den Vorteil, Personencharakterisierungen einfacher und weniger störend einbinden zu können. Das ist einer der Gründe, warum ich immer weniger SF-Filme und SF-Fernsehserien schaue und immer mehr SF-Bücher lese - da fühle ich mich weniger für dumm verkauft.
Nachtrag: Ich muss aber zugeben, dass die Hard-SF es heute leider sehr schwer hat und nur noch selten erscheint.
Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich so stimmt. Ich glaube eher, die Hard SF ist nicht mehr so leicht zu erkennen, weil sie schließlich erkannt hat, daß nur die Technik bei klischeemäßigen "Charakteren" unbefriedigend ist und keinen mehr hinterm Ofen hervorlockt. Heutige Hard SF vernachlässigt die Protagonisten nicht mehr, und das finde ich gut.
Da wäre immer jemand anders der Meinung, seine Ansprüche seien unterrepräsentiert und es wäre zu viel Mist auf dem Markt.
Es *ist* zuviel Mist auf dem Markt.
Das war aber immer schon so und wird auch so bleiben - schon weil die Meinungen unterschiedlich sind und damit etwas für den einen Gold und für den anderen Mist ist.
Betrachtet man das ganze mal von der entgegengesetzten Warte aus dann kann man doch eigentlich stolz sein, denn SF durchdringt heutzutage fast die gesamten Genres. Das die meisten nicht wissen das Sie eigentlich gerade ein SF-Buch lesen... ist das wirklich wichtig wenn Sie nur das Gefühl haben ein tolles Buch zu lesen?
Genau, die SF ist aus dem Ghetto ausgebrochen - oder sie wurde daraus entführt.
Ich habe allerdings des Öfteren den Eindruck (und da schließe ich mich selbst durchaus mit ein), daß wir SF-Fans es nicht schaffen, uns aus dem Ghetto zu befreien - möglicherweise igeln wir uns sogar nur noch mehr ein gegen die ach so böse "anspruchsvolle Literatur". Als ob es im Mainstream nicht auch jede Menge Schund, einfach gestrickte Werke und Mist gäbe...
Ich muss zugeben, dass mir in letzter Zeit kein Roman in die Finger gekommen ist, bei dem das der Fall ist. Aber vielleicht filtere ich die schon raus oder deine Schmerzgrenze diesbezüglich ist deutlich niedriger. Verstehe ich das richtig? Du möchtest keine Romane lesen, die von einem Autor geschrieben wurden, der kein Gefühl für seine Figuren hat und sie mangels Ideen mit "Biographien" vollstopft, die ermüdend sind, konstruiert wirken oder einfach nach Schema-F gestrickt.
Welche Beispiele gibt es aus deiner Sicht dafür? Wenn das heutzutage so schlimm ist, muss es doch Beispiele geben. Es ist schwer sich hier an vagen Begrifflichkeiten entlang zu hangeln.
Ich fühl mich einfach mal angesprochen.
Im Rahmen meiner Arbeit für den DSFP habe ich etliche Bücher gelesen, bei denen der Autor/die Autorin dem Irrtum aufgesessen war, eine vermurkste Vergangenheit bzw. eine vermurkste Psyche sei das, was unter Personencharakterisierung zu verstehen sei. Meiner Meinung nach ist das eines der Kernkriterien, an denen man schlechte Autoren erkennen kann. Glücklicherweise (für mich
) habe ich die Namen dieser Werke erfolgreich verdrängt, zmal sie meist noch etliche andere Schwächen hatten. Ein Buch, bei dem mich die bekloppten Protagonisten ziemlich gestört haben, war "Blindflug (Blindsight)" vom kanadischen Autor Peter Watts. Da wird ein Raumschiff mit einem Vampir (2006, also vor dem Vampirboom, was die Sache noch unverständlicher macht), einem Biologen, der mehr Maschine als Mensch ist, einem operativ mit multiplen Persönlichkeiten versehenen Linguisten, einem pazifistischen Berufssoldaten und dem nur ein halbes Gehirn habenden Ich-Erzähler zu einem seltsamen, möglicherweise lebendigen außerirdischen Artefakt geschickt. Klingt nach Parodie/Satire? Weit gefeht, der Autor meint das ernst. Ganz zum Schluß wird klar, daß er die Fragestellung untersuchen wollte, ob ein Selbstbewußtsein, eine Persönlichkeit, sinnvoll oder ein Unfall der Evolution ist. Dafür hat er sich allerdings die völlig falschen Charaktere ausgesucht - eine Klapsmühle im Weltall bleibt immer noch eine Klapsmühle. Mag ja sein, daß ich den Roman mißverstanden habe - aber das ist es ja gerade, was ich Peter Watts vorwerfe: Daß es ihm nicht gelingt, mit seinen vermurksten Protagonisten sich mir verständlich zu machen.
Es gibt auch Gegenbeispiele, bei denen die starke Fokussierung auf eine oder wenige Persönlichkeiten die Geschichte unterstützt. Auf Moment fallen mir "Das Cusanus-Spiel" von Wolfgang Jeschke und "Herr aller Dinge" von Andreas Eschbach ein. In beiden Fällen erfolgt eine lange, langatmige Persönlichkeitsentwicklung (bei Eschbach habe ich mich sehr lange gefragt, ob da überhaupt noch irgendwann mal SF kommt), die dann aber vom Autor so geschickt in die Geschichte eingewoben wird, daß sie ohne die vorhergehende Charakterentwicklung nicht funktionieren würde.
Es gibt auch Geschichten, in denen der Autor/die Autorin Charakterisierung und Persönlichkeitsentwicklung einbaut, ohne daß der Leser das wirklich mitbekommt. Das wird immer mal wieder eingestreut: Action, nicht alles läuft glatt, und daraus folgend verändert sich die Persönlichkeit des Protagonisten - graduell, aber über einen längeren Zeitraum sehr schön sichtbar - und das ganz ohne seitenlanges Psychogeschwurbel. Ein schönes Beispiel ist die Serie um Kris Longknife von Mike Shepherd. Autoren, denen es nicht gelingt, ihre Protagonisten aufgrund der Erlebnisse zu ändern, sie hoffentlich wachsen zu lassen, halte ich für schlecht. Mir ist eine solche Charakterentwicklung wichtig, und die vermisse ich bei den meisten älteren SF-Romanen.