Geschrieben 11 Februar 2013 - 12:57
Ich habe mir ein paar Gedanken zur Angelegenheit gemacht, die vielleicht das Rätsel um die Entwertung erhellen könnten. Im Prinzip sind es drei Ansätze, von denen wahrscheinlich keiner alleine völlig zutrifft, sondern vielmehr eine diffuse Mischung.
Zunächst eine Analogie zur Verdeutlichung: Val beschwert sich, dass die Äpfel heute nicht mehr so süß schmecken, wie die, die sie aus der Kindheit erinnert. Darum will sie keine Äpfel mehr essen. Jakob versteht dass nicht: Schließlich beschwert sich auch niemand darüber, dass Birnen nicht wie Äpfel schmecken. Val spricht über Originale und Remakes, Jakob über Vorlagen und Adaptionen.
Es gibt gewisse Werke, zu denen man eine besondere emotionale Bindung hat. Bei mir etwa ist das mit den "Richter Di"-Romanen von van Gulik so. Die liebe ich, die lese ich so etwa alle zwei bis drei Jahre wieder. Da es nur begrenzt viele sind, und ich sie alle kenne, würde ich gerne mehr und neue lesen. Darum greife ich gelegentlich zu Romanen anderer Schriftsteller, die den Richter Di als Protagonisten verwenden – und werde regelmäßig mehr oder minder enttäuscht. Deren Di ist eben nicht van Guliks Di. Auch liebe ich Carrolls "Alice im Wunderland". Ich sähe zu gerne eine werktreue Umsetzung – eine, die nicht nur die Szenen kopiert, sondern den Geist des logisch konsequenten Nonsenses einfängt. Burtons Alice macht das mitnichten. Eben weil ich diese enge Bindung an den Roman habe, habe ich eine hohe Erwartungshaltung. Es muss nicht nur ein guter Film sein, er muss auch meinen Erwartungen entsprechen. Je süßer und ferner das Erinnerte, desto höher muss gesprungen werden.
Es geht bei Marken – und Serien wie Star Trek sind gewissermaßen Marken – um emotionale Bindung. Jahrelang wurde eine Serie mit bestimmten Inhalten etabliert, zu denen der Zuschauer eine emotionale Bindung aufbauen sollte, was auch geschah. Mit dem Reboot soll zwar die Serie fortgeführt werden, aber die alten Inhalte, zu denen ja die Bindungen bestanden, sollen entwertet und durch neue ersetzt werden (falls jemand die Ritter Sport-Reklame kennt: "Rund ist das neue Eckig"). Wenn man den Reboot mitmacht, muss der alte Inhalt gelöscht werden, was die Bindung ins Leere laufen lässt, wenn man nicht sofort die Bindung auf die neuen Inhalte überträgt (was vor allem eingefleischten Fans schwerfallen dürfte) – d. h., die Erinnerung wird quasi entwertet. Klar: Eine Fiktion ist eine Fiktion ist eine Fiktion, da kann es gleichberechtigt zwei James T. Kirks nebeneinander geben (besonders, wenn man einer negativen Existenzannahmen freien Logik folgt), aber de facto funktioniert eine Marke eben nicht so. Da gibt es nur einen echten Kirk. Ob man eine Marke akzeptiert oder nicht, liegt natürlich am Erfolg der Serie beim Rezipienten: Das der Joker mal von Jack Nicholson und mal von Heath Ledger gespielt wird, stört mich nicht: Sie können gleichberechtigt neben einander stehen, weil ich Batman eben nicht als Serie sehe.
All das würde mich nun nur begrenzt stören, wenn es einen guten Grund dafür gäbe. Etwa wie bein GW Inquisitor-Spiel. Dort lautete die erste Botschaft: Alles was du bisher über das WH40k-Universum weißt, ist eine Lüge. Das ist cool, weil Inquisitor ein Spiel über Lügen, Täuschung, Verrat und Intrigen ist; letztlich ist sogar die erste Botschaft nur eine Teilwahrheit bzw. je nach Standpunkt wahr, halbwahr oder falsch. Aber diesen Grund gibt es bei Star Trek nicht – das Alte wird entwertet, weil neue Helden es (an den Kinokassen) schwer haben.
Das jedenfalls sind die Gründe, warum ich – so lange es noch SF-Filme gibt, die sich trauen, wirklich neue Helden an den Start zu schicken – die ST-Reboot-Filme nicht schauen werde.
"Cool Fusion? What is 'Cool Fusion'?" - "As Cold Fusion is beyond our grasp, we should reach for something ... less ... cold. Cool Fusion."
- Dr. Karel Lamonte, Atomic Scientist (Top of the Food Chain, Can 1999)
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