Trotzdem denke ich auch nicht, dass Inzest eine Sache wäre, in die sich ein Staat nicht einzumischen habe.
Das war nicht meine Aussage. Wenn es so angekommen ist, laß mich präzisieren:
Ich habe keine Statistik vorliegen, aber ich vermute, daß der überwiegende Anteil der Inzestfälle in Abhängigkeits-
und Gewaltverhältnissen vorkommt und Minderjährige betroffen sind. Liebesbeziehungen unter erwachsenen
Blutsverwandten dürften deutlich in der Minderzahl sein. In der überwiegenden Anzahl der Fälle finde ich also
sehr wohl, daß der Staat sich einmischen muß. Solche Fälle blieben aber weiterhin strafbar, selbst wenn der
Inzestparagraph abgeschafft wäre. In der gegenwärtigen Situation werden aber, wie ich darzustellen versucht
habe, Leute strafrechlich verfolgt, bei denen objektiv keine Handlung zum Schaden anderer festgestellt werden
kann. Das ist das Argument, nichts anderes.
Behauptet wird ja hier: Sex unter erwachsenen, aufgeklärten, gleichberechtigten Menschen sei etwas,
in das sich ein Staat nicht einmischen dürfte.
Was heißt behauptet? Die Formulierung ist mir etwas unangenehm, und ich will Dir auch erklären warum: Denk
doch mal weiter. Wenn Du mit einer Partnerin, die Du zu nichts gezwungen hast, in Eurem Privatbereich etwas
treibst, was Ihr beide freiwillig tut, wäre Dir eine Einmischung recht? Nehmen wir an, die Partei von Herrn Körners
Gesinnungsgenossen käme morgen an die Regierung, würde bestimmte Sexualpraktiven unter Strafe stellen und
Du wärst betroffen.* Würdest Du das widerspruchslos hinnehmen? Oder wäre Dein erster Gedanke nicht auch:
Was geht die das an?
Ich finde, die Achtung vor der Privat- und Intimsphäre ist ein hohes Gut, das man nicht leichtfertig zur Disposition
stellen sollte. Wer wissen will, was eine Einmischung des Staates hier anrichten kann, sollte sich nur einmal mit
älteren Homosexuellen unterhalten, die in unserem Lande noch bis in die Sechzigerjahre für nichts und wieder
nichts ins Gefängnis gesteckt wurde. (Daß dies heute nicht mehr so ist, ist übrigens eine der Errungenschaften
der verhaßten, destruktiven 68er.)
* So absurd ist das nicht. In einigen US-Bundesstaaten gibt es entsprechende Gesetze, auch wenn sie selten
angewendet werden.
Sei es, mindestens ein Mensch davon habe einen IQ unter 80. Dürfte ein Staat dann ein Gesetz erlassen,
dass dieser Mensch keinen Inzest begehen dürfte?
Es lassen sich immer Extremfälle konstruieren, die die Reichweite eines allgemeinen ethischen Prinzips in Frage
stellen. Die Frage ist nur, ob aufgrund solcher Extremfälle die Rechte einer großen Anzahl anderer Menschen
eingeschränkt werden dürfen.
Bei einem IQ deutlich unter der Norm haben wir es nicht mehr mit einem voll einsichts- und einwilligungsfähigen
Erwachsenen zu tun. Verkompliziert wird es dadurch, daß es möglicherweise eine Person mit dem Verstand
eines Kindes, aber der Sexualität eines Erwachsenen ist. Hier müßte man den Einzelfall prüfen, ob ein Gewalt-
oder Abhängigkeitsverhältnis vorliegt, das von einem voll einsichtsfähigen Erwachsenen ausgenutzt wird. Man
könnte aber auch zurückfragen: Ist ein extrem niedriger IQ nur in Inzestfällen relevant? Hat ein geistig Zurück-
gebliebener nicht auch ein Recht auf eine erwachsene Sexualität? Und wenn ja, unter welchen Umständen?
Nächste Frage: Ist ein Duell unter erwachsenen, aufgeklärten, gleichberechtigten Menschen etwas, in das
sich ein Staat dann auch nicht einmischen darf? Wenn hier nein, warum?
Mir persönlich ist es gleichgültig, wenn sich Idioten gegenseitig die Köpfe eindreschen. Aber wenn wir nicht
wollen, daß wir bei jedem Gang über die Straße in Deckung gehen müssen, kann man das wohl nicht zu einem
allgemeinen Prinzip erheben. Meine Überlegung dazu ist:
Duelle werden doch durchgeführt, um irgendeine Art von rechtlichem Ausgleich in Sachen Ansprüche, Ehre,
Beleidigungen etc, herbeizuführen. In einem Rechtsstaat ist es aber Sache des Staates, rechtliche Ausgleiche
herbeizuführen, sonst hätten wir Selbstjustiz. Niemand verliert etwas, wenn ein funktionierendes Justizsystem
rechtliche Fragen regelt. Man kann leben, ohne Duelle durchzuführen. Sexualität ist aber ein menschliches
Grundbedürfnis, das man nicht wegnehmen kann, ohne bei den Betroffenen psychischen Schaden anzurichten.
Vielleicht mag der eine oder andere sich ungerecht behandelt fühlen, wenn er seinem Kontrahenten nicht die
Birne wegpusten darf. Das ist aber nicht zu vergleichen mit dem Leid, das man z.B. einem Homosexuellen
zufügt, den man für seine Neigung einsperrt.
Ich hoffe, das hat meine Position klarer gemacht.
Gruß
MKI