Vorbemerkung: [Leider ist der Anfang etwas lang geraten. Sozusagen zur Einstimmung]
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Ein schwacher Wind wehte und trieb die Wellen gegen das Ufers des Goshunsees, über dem ein schwacher milchiger Dunst zu dieser frühen Morgenstunde lag. Im Osten schob sich als rote Scheibe die Sonne gerade aus einer flachen Wolkenbank und rote Strahlen fingerten über die Fassade des Bungalows, trafen auf offene Fenster und drangen in ein Schlafzimmer. Atlan blinzelte müde und gähnte laut, warf sich noch zwei- oder dreimal hin und her und erkundigte sich dann schlaftrunken nach der Zeit. Die Zimmerpositronik antwortete prompt.
"Was, schon so spät?"
Atlan rieb sich die Augen. Er konnte nicht glauben, daß er nach den Feierlichkeiten der letzten Tage fast genau 48 Stunden geschlafen hatte. Und niemand hatte sich um ihn gekümmert... So sah es zumindest aus. Atlan schwang sich kurzerhand aus dem Bett.
Jetzt aber nichts wie unter die Dusche und dann Perry anrufen!
Atlan hatte kaum den Gedanken zu ende gedacht, als sein Visiphon ansprach. Die Bildscheibe erhellte sich umgehend und ein freundlich lächelnder Mann erschien. Graue Augen blickten den Arkoniden belustigt an.
"Gut geschlafen, Alter?", fragte der Großadministrator. Er maß den Arkoniden von oben bis unten. "Ich würde dir einen Schlafanzug empfehlen, sonst erkälten sich Euer Hochwohlgeboren noch!"
Atlan erschrak und bemerkte erst in diesem Augenblick, daß er offentsichlich vergessen hatte, einen Schlafanzug anzuziehen. Nur gut, daß nur Perry ihn sprechen wollte und nicht irgendein wildfremder Anrufer. Im übrigen war es schon sehr merkwürdig, daß das Gerät ohne seine Genehmigung eine Verbindung aufbaute.
Irgendetwas stimmte da nicht.
"Du bist doch sonst nicht so empfindlich", erwiderte Atlan während er nach seinem Morgenmantel griff und ihn überstreifte. Perry grinste ungeniert. Sein Gesicht näherte sich der Aufnahmeoptik und füllte schließlich die ganze Bildfläche. Der Arkonide beobachtete es mit Unbehagen.
"Und wo ist sie?", fragte Perry und betonte das 'sie' ganz eigentümlich. Seine Augen bewegten sich hin und her, als suchte er etwas in Atlans Zimmer.
Atlan ignorierte die Anzüglichkeit und machte Anstalten, das Thema zu wechseln. Perry ließ jedoch nicht locker, und diese Beharrlichkeit irritierte den Arkoniden abermals.
"Ich kenne dich gar nicht wieder", knurrte Atlan mißgelaunt. "Du weißt doch, daß ich mir Damenbesuch schon seit langem aus Zeitgründen nicht mehr leisten kann"
Perry lehnte sich zurück und sein Gesicht wurde kleiner. Er schien über irgend etwas nachzudenken, seine Frage hatte er offensichtlich schon vergessen. Atlan beobachtete schweigend, wie sein Freund eine Tasse Kaffee zum Mund führte und zur Seite blickte. Dann gähnte er plötzlich unverhohlen und ohne Respekt vor seinem Gegenüber.
Atlan schüttelte den Kopf. Was war nur mit Perry los? Wollte Rhodan ihn auf den Arm nehmen?
Er entschloß sich zu einem weiteren Versuch, das Gespräch in vernünftige Bahnen zu lenken. Vielleicht konnte ihm Rhodan etwas über den Verlauf der Festlichkeiten erzählen, denn sein Gedächtnis ließ ihn merkwürdigerweise in dieser Hinsicht im Stich.
Doch Perrys Antwort jedoch vergrößerte seine Verwirrung.
"Ganz nett", konstatierte der Großadministrator. "Du hast uns alle ganz prächtig unterhalten. Aber ich habe jetzt keine Zeit, mich über solche Lappalien zu unterhalten."
Seine Stimme klang ungehalten. Ohne eine Entgegnung seines Freundes abzuwarten, unterbrach Rhodan die Verbindung. Atlan starrte noch sekundenlang auf die dunkle Bildscheibe, als könnte er nicht begreifen, was sich gerade abgespielt hatte.
Zum Teufel, dachte er. Ist denn Rhodan verrückt geworden? Was soll der Zirkus? So absurd hatte sich sein Freund noch nie benommen. Er kannte Perry schon unermeßlich lange, und kleine Veränderungen in seinem Verhalten, die sonst niemandem auffallen würden, sprangen dem Arkoniden sofort ins Auge. Aber daß sich Perry heute absonderlich benahm, mußte jedem auffallen, nicht nur ihm!
Als sein Zorn etwas verraucht war, begab sich Atlan in die Hygienezelle und ließ den warmen, pulsierenden Wasserstrahl ausgiebig seine Haut bearbeiten. Nein, irgend etwas war anders als sonst, und er nahm sich vor, gleich nach Rückkehr ins USO- Zentrum der Sache auf den Grund zu gehen. In seinem langen Leben hatte es oft Ereignisse gegeben, vor denen ihn sein Instinkt gewarnt hatte. So war es auch jetzt. Es mußte eine vernünftige Erklärung geben, oder er war selbst verrückt geworden.
Warum nicht? meldete sich unvermittelt sein Extrasinn. Hast du deine Gedächtnislücke vergessen?
Atlan stieß einen unwilligen Laut aus. Manchmal konnten ihn die Äußerungen seines Logiksektors nerven, aber er mußte zugeben: so ganz von der Hand zu weisen war es nicht. Seltsam war nur, daß dieser im Grunde unbedeutende Anlaß bereits seinen Extrasinn zu dieser Bemerkung verleitete. Auch das war ungewöhnlich!
"Wir werden sehen, wer recht hat", murmelte er verdrossen und erhöhte den Druck des Wassers. Er verließ die Naßzelle erst wieder, als seine Haut schon eine rötliche Färbung annahm.
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Atlan betrat das USO-Gebäude in Terrania City über die Direkttransmitterverbindung von seinem Haus am Goshunsee. Der Transport verlief ohne Komplikationen, und er hatte es auch nicht anders erwartet. Verschiedene Leute grüßten ihn, als er die Gänge zu seinem Arbeitszimmer entlang eilte. Er nahm sie nur am Rande zur Kenntnis.
Das Vorzimmer war nicht besetzt. Eine Tatsache, die ihn an anderen Tagen nicht irritiert hätte, aber heute rechnete er ständig unbewußt mit ungewöhnlichen Vorgängen. Er rief den Namen seiner Ordonanz, erhielt aber keine Antwort. Einen Moment verweilte er noch unschlüssig vor dem Eingang zu seinem Arbeitszimmer, dann trat er entschlossen ein.
Auf den ersten Blick schien nichts verändert. Die Reinigungsroboter hatten sorgfältig aufgeräumt. Das Zimmer befand sich in einem tadellosen Zustand. Atlan strebte seinem Schreibtisch zu, als er aus den Augenwinkeln heraus ein Möbelstück bemerkte, das sonst nicht hier stand. Er hielt inne. Im gleichen Augenblick ertönte eine piepsige Stimme.
"Da bist du ja endlich!"
Ein mauseähnliches Gesicht blickte ihn über den Rand der Couch an. Es vergingen Sekunden, bis der Arkonide sich von seiner Überraschung erholt hatte und den Mausbiber Gucky erkannte.
"Was machst du denn hier?"
Seine Frage kam ihm albern vor. Warum sollte der Mausbiber nicht hier sein? Er mochte das Bedürfnis haben, mit ihm ein paar Worte zu wechseln. Aber daß er seine Lieblingscouch gleich mitgebracht hatte, sorgte bei Atlan für eine gewisse Verwirrung.
Gucky rollte die Augen und blinzelte treuherzig.
"Schönes Wetter heute, da dachte ich mir: leiste dem alten Arkonidenfürst doch ein bißchen Gesellschaft! Vielleicht kann er ja mit mir spielen?".
"Spielen?" echotete Atlan erstaunt.
Gucky wartete erst gar nicht eine weitere Entgegnung ab, sondern verfiel in ein wortreiches Geplapper. Er erzählte von Möhrenbeeten und fabulierte über Gemüsesäfte und die verschiedenen Möglichkeiten, ihre Wirksamkeit durch gezielten Zusatz von Alkohol zu verbessern, daß dem Arkoniden ganz schwindelig wurde.
Schließlich wurde es ihm zu bunt und er beendete den Redeschwall des Mausbibers mit einer herrischen Geste.
"Einen Moment!", rief er verärgert und seine Hand wies auf das Möbelstück, das sich der Mausbiber als Ruheplatz ausgesucht hatte. "Ich habe ja nichts gegen Bequemlichkeit - aber muß das sein? Und überhaupt, wie kommt diese Couch hierher?"
Gucky sprang von seiner Unterlage und watschelte gewichtig auf Atlan zu. Er bedachte ihn mit einem Blick, als hätte er das Exemplar einer exotischen Spezie eines fremden Planeten vor sich.
"Na, wie schon?", fragte er mit gespielter Entrüstung und stemmte seine Ärmchen in die Seiten. Nach einer Pause stieß er hervor: "Habe ich mitgebracht!"
Atlan gab einen überraschten Laut von sich. Langsam ging er vor dem kleinen Wesen in die Hocke. Er versuchte ein freundliches Gesicht zustande zu bringen, aber es mißriet ihm kläglich. Irgendwie kam ihm Gucky nicht geheuer vor.
"Ach?", begann er. "So ganz einfach mitgebracht?"
Seine Stimme klang belustigt, und er fügte hinzu: "Sind dir denn meine Möbel nicht bequem genug?"
Gucky setzte eine Leidensmine auf. Geräuschvoll machte er einen tiefen Atemzug. Sein Blick schweifte durch das Arbeitszimmer des Arkoniden.
"Na ja, willst du ganz ehrlich meine Meinung hören..."
Bevor Gucky seinen Satz zuende führen konnte, richtete sich Atlan abrupt auf. Die Zornesröte scho0ß ihm ins Gesicht. Aus irgendwelchen Gründen ging ihm die Unterhaltung mit dem Mausbiber gehörig auf die Nerven. Verwundert nahm er es zur Kenntnis, denn früher wäre er einem Plausch mit dem Ilt nie abgeneigt gewesen.
Eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn. Seine roten Augen schienen den Mausbiber zu durchbohren.
"Ich will nur eines wissen", sagte er streng und härter als beabsichtigt. Mit der Hand wies er auf die Couch, während er jedes Wort betonend sagte: "Was soll das alles?!"
Gucky ließ in gespieltem Erstaunen den Unterkiefer herabklappen. Sekunden vergingen, währenddessen sich die beiden ungleichen Gestalten anstarrten.
Endlich stieß Gucky eine langen Seufzer aus und machte auf der Stelle kehrt. Mit beleidigter Mine kehrte er zu seiner Couch zurück.
"So lasse ich nicht mit mir reden!", maulte er mit finsterer Mine und streckte sich auf dem Lager aus, die Ärmchen hinter dem Kopf verschränkt. Demonstrativ schloß er die Augen.
"Wenn du dich wieder eingekriegt hast, werde ich wieder mit dir sprechen", erklärte er gönnerhaft. Er rollte sich auf die Seite, so daß Atlan nur noch seinen Rücken sehen konnte. "Bis dahin werde ich eine Runde nickern!"
Nun war es an Atlan, um seine Fassung zu ringen. Sprachlos stand er da, die Hände in die Seiten gestützt, als wollte er zu einer Standpauke ansetzen, aber ihm blieben ob der Dreistigkeit des Mausbibers die Worte weg.
Zischend stieß er die Luft zwischen den Zähnen hervor und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Von hier aus konnte er den Mausbiber nicht sehen, da die Couch mit der Sitzfläche zur Frontscheibe gedreht stand. Er wagte einen letzten Versuch, den Mausbiber zu einer halbwegs intelligenten Unterhaltung zu bewegen, und in seiner Stimme schwang unterdrückter Ärger.
"Gucky?"
Zweimal wiederholte er den Namen des Ilts, aber er erhielt keine Antwort. Stattdessen vernahm er leise Schnarchtöne. Verdrossen zog Atlan die Augenbrauen hoch. Wenn Gucky schmollte - dann schmollte er. Basta.
Atlans Stimme klang versöhnlicher, als er weitersprach. Vielleicht hatte der Ilt heute nur einen schlechten Tag.
"Du brauchst mir nicht antworten, aber ich weiß, daß du nicht schläfst. Also paß auf..."
Und Atlan begann, die merkwürdigen Vorkommnisse an diesem Morgen zu resümieren. Dabei ging er im Zimmer auf und ab, ohne jedoch vor die Couch zu treten. Er erzählte ausgiebig von dem Gespräch mit Perry, auch von seinem Schlaf, der über zwei Tage gedauert hatte und die Tatsache, daß sich währenddessen offensichtlich niemand nach ihm erkundigt hatte.
Es mochten darüber nur wenige Minuten vergangen sein, als die Ereignisse erneut an Absurdität gewannen.
"Mit wem sprichst du eigentlich?"
Atlan begriff nicht sofort, daß die Frage an ihn gerichtet war und nicht von Gucky stammte. Sie war vom Eingang zu seinem Zimmer gekommen. Er verstummte und drehte sich langsam um. Die Stimme kam ihm bekannt vor. Und richtig...
"Bully?" fragte er erstaunt. Aber warum erstaunt, wenn er doch kurz vorher den Dicken schon an seiner Stimme erkannt hatte.
Bully grinste breit und nickte gutgelaunt.
"Du siehst ja aus, als wärst du einem Nachtgespenst begegnet", stellte er lachend fest und trat näher. Sein Blick fiel auf die Couch und ein anzügliches Grinsen huschte über sein Gesicht. Atlan war es nicht entgangen, und Ärger schoß in ihm hoch.
"Das ist die Couch des Mausbibers!" entfuhr es ihm heftig. Er wußte genau, welche Anspielungen nun kommen würden.
Bully nickte verständnisvoll.
"Natürlich, natürlich, der Mausbiber..." sagte er und trat vor das Möbelstück. "Du hattest auch schon mal bessere Ausreden. Aber - wo hast du sie versteckt?"
Bully machte Anstalten, unter die Couch zu blicken, obwohl im nicht entgangen sein mußte, daß der Platz darunter nicht reichte, einen Menschen aufzunehmen.
Atlan lag eine heftige Entgegnung auf der Zunge, aber im letzten Moment riß er sich zusammen und trat neben Bully. Gemeinsam blickten sie auf die leere Liegefläche. Atlan zuckte zusammen und Bully sah ihn triumphierend von der Seite an.
Du bist verrückt! meldete sich sein Logiksektor. Begreife es endlich!
Atlan schüttelte den Kopf. Der Mausbiber mußte unbemerkt teleportiert sein, anders war nicht zu erklären, warum sein Platz jetzt leer war. Aber wie sollte er Bully begreiflich machen, was hier vor sich ging. Er wußte es ja selbst nicht.
Atlan holte tief Luft und blickte Bully in die Augen. In seinem Kopf begann es zu schwirren, als hätten sich hunderte Hornissen dort eingenistet.
"Hör zu, Dicker", begann er mit gefährlichem Unterton in der Stimme. Er wies mit der Hand zum Eingang.
"Dort siehst du die Tür, und durch diese Tür wirst du jetzt sofort diesen Raum verlassen, sonst..."
Atlan betonte jedes Wort, und es sah aus, als wollte er sich jeden Moment auf Bully stürzen.
"Sonst was...", fragte Bully scheinheilig.
Atlan rang um seine Fassung, und sein Gesicht lief rot an. Wollte ihn der Dicke reizen?
Bully mußte erkannt haben, daß mit dem Arkoniden heute nicht zu spaßen war. Er setzte eine betont gelangweiltes Gesicht auf.
"Schon gut, schon gut", erklärte er beschwichtigend und hob abwehrend die Hände. "Ich will ja auch nicht weiter stören, schließlich bis du ja mit was wichtigem beschäftigt..."
Wie er es sagte und mit dem Blick zum Sofa, trieb es den Arkoniden zur Raserei.
"Raus jetzt!" schrie Atlan unbeherrscht. "Sofort raus!"
Sein Gesicht bekam eine knallrote Färbung, er schnappte nach Luft und machte einen schnellen Schritt auf Bully zu, der geschickt zur Seite auswich und dann gekünstelt zum Ausgang entfloh. Dort blieb er noch einmal kurz stehen, winkte geziert und sagte: "Bis später mal, Schätzchen!".
...und schloß die Tür.
Atlan sank verzweifelt auf die Couch nieder. Er verstand die Welt nicht mehr. Erst Perry, dann Gucky und nun Bully. Was war geschehen? Alle Personen, die er kannte und denen er begegnete, verhielten sich merkwürdig. Alles hatte sich gegen ihn verschworen.
Oder kam es ihm nur so vor? Stand er unter mentalem Einfluß?
Atlan überlegte sich seine nächsten Schritte. Es fiel ihm schwer, das Durcheinander widersprüchlicher Gedanken zu ordnen. Dabei glitt sein Blick über die Skyline von Terrania-City. Von seinem Arbeitszimmer aus hatte er einen überwältigenden Blick über die größte Metropole Terras. Es war noch früher Morgen und die Sonne stand nur wenige Fingerbreit über dem Horizont. Wie Mücken schwirrten unzählige Gleiter und andere Fahrzeuge in den Straßenschluchten herum.
So sollte es eigentlich sein, aber je länger Atlan aus dem Fenster starrte, umso deutlicher wurde ihm, daß etwas an dem Bild nicht stimmte.
Ja, Gleiter, wie Mücken, so sollte es sein! kroch der Gedanke langsam durch sein Hirn. Ein Anblick so gewöhnlich, daß niemand überhaupt darauf geachtet hätte.
Aber jetzt...
Atlan trat an die Formenergie-Scheibe und preßte seine Stirn dagegen. Mit der Hand schattete er seine Augen gegen das Licht der Sonne ab, um besser sehen zu können. Aber so angestrengt er auch guckte, nichts änderte sich, buchstäblich nichts.
Langsam setzte sich bei Atlan die Erkenntnis durch, daß er keiner optischen Täuschung aufgesessen war. Es war die Wirklichkeit.
Es gab keinen einzigen Gleiter mehr, der den Luftraum von Terrania-City bevölkerte.
Nicht einen einzigen!
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Die Dame an der Gegenseite der Visiphonverbindung wirkte verlegen. Daß sie ihrem Gesprächspartner keine bessere Auskunft geben konnte, machte sie sichtlich nervös. Besonders dann, wenn dieser Rhodan hieß und der Großadminisrator des Solaren Imperiums war.
"Atlan? - Leider nicht hier, Sir, tut mir leid!"
Ihr hübsches ovales Gesicht füllte die ganze Bildscheibe, die grünen Augen und die hohen Wangenknochen gaben ihr einen aparten Ausdruck. Rhodan wußte, daß Atlan bei der Auswahl seiner Vorzimmerordonanzen immer eine guten Geschmack bewiesen hatte. Unwillkürlich mußte er grinsen.
"Sir? -"
Die junge Frau legte den Kopf schief und blickte Rhodan fragend an, als sie die Veränderung in seinem Gesicht bemerkte. Perry entschuldigte sich schnell.
"Ich war nur in Gedanken", erklärte er und blickte über seine Unterlagen.
"Hat er nicht gesagt, wo man ihn erreichen kann?" nahm er den Gesprächsfaden wieder auf. Die Frau schüttelte langsam den Kopf, während sie die Aufzeichnungen in Atlans Terminkalender abrief und Seite für Seite durchging.
Sie legte den Zeigerfinger auf bestimmte Stellen des Schirms, der zu ihrer Rechten leuchtete.
"Das letzte Mal hatte ich mit ihm kurz vor Beginn der Jubiläumsfeierlichkeiten gesprochen. Danach nicht mehr."
Sie blickte Rhodan offen an, und Anzeichen von aufkommender Verzweiflung standen in ihrem Gesicht. Wenn Rhodan nicht wußte, wo Atlan war...
"Ich verstehe es selbst nicht", gestand sie. "Nach den USO- Feierlichkeiten hatte er in den vergangenen Tagen noch etliche Termine, die er nicht wahrgenommen hat. Ich habe versucht, ihn über seine Geheimfrequenz zu erreichen und Nachrichten bei seinem Hausrobot hinterlassen, aber er hatte auf nichts reagiert."
Plötzlich schien ihr eine fürchterlicher Gedanke zu kommen. Sie legte die Hand entsetzt vor den Mund. "Es wird ihm doch nichts passiert sein...?"
Rhodan schwieg eine Zeitlang und ging seinen Gedanken nach. Er schien sein Gegenüber ganz vergessen zu haben. Es war ungewöhnlich, daß Atlan dem USO-Gebäude fernblieb, ohne einen Hinweis auf seinen Verbleib zu geben. Unter normalen Umständen wäre es stets möglich gewesen, ihn über seinen Handkommunikator zu erreichen - unter normalen Umständen. Aber auch das hatte keinen Erfolg gehabt. Der Versuch, das Gerät anzupeilen, war ebenfalls gescheitert, vermutlich hatte Atlan ihn deaktiviert.
Ein dezentes Räsupern holte Rhodan aus seinen Überlegungen und machte ihn auf seine Unhöflichkeit aufmerksam. Er murmelte eine Entschuldigung und sagte: "Wird sich schon aufklären, machen Sie sich keine Sorgen, ich kümmere mich darum."
Er bedankte sich lächelnd bei der Ordonanz und unterbrach die Verbindung. Bei der USO herrschte noch keine Alarmstimmung, soviel war sicher. Atlan ging hin und wieder seine eigenen Wege, unkonventionell war sein Verhalten schon immer gewesen. Selbst achtundvierzig Stunden waren keine Zeit, bei der man sich Gedanken machen mußte, auch das lag im Bereich des Normalen.
Nur hatte Rhodan diesmal allen Grund, etwas Außergewöhnliches zu vermuten.
"Habe ich es dir nicht gesagt?"
Die hohe Stimme gehörte dem Mausbiber, der auf einem der Sessel in Rhodans Arbeitszimmer saß. Genau genommen war das natürliche eine Untertreibung, denn wer Gucky kannte, wußte auch, daß er die Bequemlichkeit über alles liebte. Platz nehmen hieß bei ihm in der Regel: hinstrecken und herumrekeln.
"Seit zwei Tagen versuche ich Atlan zu finden", erklärte er. "Überall war ich schon, an den verrücktesten Orten, wo er sich aufhalten könnte. Aber nichts - nicht die Spur! Es ist, als ob er sich aufgelöst hätte."
Rhodan nickte zustimmend. Wenn nicht besondere Umstände eingetreten wären, Perry hätte nie nach so kurzer Zeit bereits nach dem Verbleib seines Freundes geforscht. Nur zu gern hätte er alle verfügbaren Leute auf den Fall angesetzt, aber seine Verantwortung verbot es ihm, auf einen vagen Verdacht hin den gesamten Apparat der Solaren Abwehr in Bewegung zu setzen. Genau genommen überschritt er jetzt bereits seine Kompetenzen, denn für Angehörige der USO war immer noch in erster Linie zunächst die USO zuständig.
"Meine Erkundigungen bei Nathan haben bislang zu keinem Ergebnis geführt", sagte er, und dem Klang seiner Stimme war seine Besorgnis anzumerken. "Der letzte Aufenthaltsort war die Feier zum 500-jährigen Bestehen der USO. Wir haben eindeutige Videoaufzeichungen, die das belegen. Aber für die Zeit danach fehlt uns jede Spur. Ich habe Nathan angewiesen, das Material zu analysieren und herauszufinden, wer Atlans Gesprächspartner waren und wann er die Runde verlassen hatte. Ich erwarte jeden Augenblick Resultate."
Rhodan unterbrach seine Ausführungen. Er bedachte den Mausbiber mit einem zärtlichen Blick. Die Ähnlichkeit des Ilts mit einem bekannten terranischen Tier verführte fast jeden, der ihm begegnete, zu einer falschen Einschätzung. Gucky war jedoch kein Tier, sondern ein hochintelligentes Lebewesen vom Planeten Tramp, der vor vielen Jahrhunderten mit den Terranern zusammengetroffen war und zu deren bestem Freund und Verbündeten geworden war.
Gucky wußte genau, daß Rhodans Blick nicht von der üblichen Sorte war. Dazu kannte er ihn schon zu lange. Deshalb verzichtete er auch auf eine passende Reaktion. Jeder, in dessen Gedanken er bei solchen Gelegenheiten Begriffe wie 'pussierlich' und 'kuschelig' fand, geriet in Gefahr, von Gucky telekinetisch unter die Decke befördert zu werden und dort den Rest des Tages zu verbringen - in rotierendem Zustand natürlich.
"Du machst dir Sorgen, nicht wahr?", fragte er Rhodan. Seine Stimme war verhalten. Er hatte nicht Rhodans Gedanken gelesen, aber dessen Gesicht sprach Bände.
Rhodan nickte schwer.
"Ich hätte auch nicht gedacht, daß ich mir einmal so viele Sorgen um den alten Haudegen machen würde", bestätigte Rhodan die Frage des Ilts.
"Aber ich habe ein verdammt ungutes Gefühl", fuhr er fort. "Und mein Gefühl hat mich noch nie getrogen".
Rhodan durchsuchte seine Erinnerung nach verdächtigen Begebenheiten. Natürlich war auch zu dem Bankett eingeladen worden, aber es waren eine unüberschaubare Zahl von Gästen zugegen und viele Leute hatten sich mit ihm unterhalten, daß er jetzt, im nachherein, nicht mehr sagen konnte, was Atlan wann und wo getan hatte. Er hatte ihn einfach aus den Augen verloren. Die Anwesenheit von Mutanten wurde nicht geduldet. Um diplomatische Verwicklungen zu vermeiden, hatte Atlan sich zu diesem Schritt entscheiden müssen, eine Situation, die einem potentiellen Angreifer sehr gelegen kommen mußte.
Glücklicherweise wurden solche Veranstaltungen aus Sicherheitsgründen immer mit mehreren versteckten Kameras observiert. Dagegen gab es auch keine Einwände. Die robotisch gesteuerten Sonden waren klein und unauffällig und bewegten sich mit eigenen Antigravfeldern. Und vor allem konnten sie keine Gedanken ausspähen oder Gäste beeinflußen, was der Haupteinwand gegen Rhodans Mutanten als Sicherheitsgarantie war. Ferner wurde das gesamte Gebäude über ein antipsionisches Abschirmfeld abgesichert, so daß ein Angriff von außen so gut wie unmöglich war. Hinzu kamen Schirmfelder konventioneller Art, alles natürlich im Rahmen, um den feierlichen Charakter der Veranstaltung nicht zu stören. Das von den Mikrosonden aufgenommene Bildmaterial wurde gespeichert, um bei unvorhergesehenen Ereignissen, wie beispielsweise Attentaten, den Ermittelungen zu dienen.
Hierauf ruhte jetzt seine größte Hoffnung. Rhodans Position als Großadministrator gestattete ihm, die Aufzeichnungen, die eigentlich Eigentum der United Star Organisation waren, einzusehen. Ein entsprechendes Abkommen hatte er bereits zu Anfangszeiten der USO mit Atlan getroffen. Es beruhte auf Gegenseitigkeit, beide Seiten profitierten davon.
Gucky hatte seien Platz verlassen und war unruhig im Zimmer herumgelaufen. Auch ihn sorgte das plötzliche Verschwinden des Arkoniden. Er kannte Atlan genauso lange wie Rhodan, und er hatte immer einen gehörigen Respekt vor der Persönlichkeit des alten ehemaligen Arkonidenadmirals und jetzigen USO-Chefs. Atlan war sein Freund, genau wie Perry, und er würde alles geben, um ihm zu helfen - sogar sein Leben, wenn es sein mußte.
Rhodan saß an seinem Schreibtisch und schaute gedankenverloren zum Fenster hinaus. Vor ihm zu Füßen lag die Metropole Terrania City, mächtige Wolkenkratzer ragten nebeneinander aus dem Boden. Früher einmal war hier nichts - nur lebensfeindliche Wüste. An der Stelle, an der das erste Raumschiff der Menschheit, das zum Mond geflogen war und dort auf die Arkoniden getroffen war, gelandet war, war eines der größten Machtzentrum der Galaxis entstanden. Unzählige Jahre waren seitdem vergangen, und Rhodan hatte sich oft gewundert, daß ein Mensch diese Zeiten geistig unbeschadet überstehen konnte. Dank seines Zellaktivators war er unsterblich geworden, ein Gerät unbekannter Technologie, vom Geistwesen ES vom Planeten Wanderer verliehen. Auch der Arkonide Atlan trug ein solches. Aber es schützte nur vor Krankheit und Giften und beschleunigte den Heilungsprozess von Verletzungen - gegen tödliche Wunden war es machtlos.
Diese Gedanken gingen Rhodan durch den Kopf, und er verspürte ein beklemmendes Gefühl in der Brust, als er wieder an Atlan dachte.
Wenn doch endlich Nathan mit seiner Analyse fertig wäre!
Plötzlich summte das Visiphon und kündigte damit einen Anruf an. Perry war unwillkürlich zusammengezuckt, seine Hand schoß vor, um die Aktivierungstaste zu betätigen. Ein Blick verriet ihm, daß der Anruf nicht von Nathan kam.
"Wir haben noch keine Spur, Dicker!" sagte er, bevor die Bildfläche seinen Gesprächspartner angezeigt hatte. Der Identifizierungskode der Gegenstelle hatte ihm verraten, daß Bully anrief.
Bully war einen Moment überrascht, dann lächelte er. Er kannte Perrys Eigenarten zur Genüge.
"Das ist auch nicht das, was ich wissen wollte", erwiderte Bully mit einem Anflug von Belustigung. "Natürlich interessiert es mich, aber ich habe neue Erkenntnisse, die vielleicht Licht in das Dunkel der Angelegenheit bringen könnten."
Rhodan war aufmerksam geworden und betrachtete Bullys Abbild aufmerksam. Auch Gucky kam herangelaufen, um freien Blick auf die Bildscheibe zu haben. Vor lauter Aufregung hatte er vergessen zu teleportieren, wie es sonst seine Angewohnheit selbst bei kleinsten Entfernungen war. Erwartunsgvoll stand er neben Rhodan und bleckte seinen Nagezahn.
Bully blickte auf eine Folie, die er in Händen hielt. Rhodans Schweigen deutete er als Zustimmung. Er kam ohne große Umschweife zur Sache.
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[Nun ist der nächste dran]
Bearbeitet von MoiN, 12 November 2013 - 23:16.