Nuggnugg schrieb vor einiger Zeit: "Die literarischen Stärken der Autoren waren aber nicht das, was mich an PR fasziniert hat. Das hatte andere Gründe." Ich denke, das darf man verallgemeinern. Oder ist jemand der Meinung, die alte Serie hätte literarische Leckerbissen geboten? Die Frage ist jedoch, welche Gründe es denn waren. Schwierig zu beantworten, denn die Antwort erfordert die Analyse eines recht diffusen Gefühls. Dies hier ist mein Versuch, den Geist der alten Rhodan-Serie bis etwa Band 1000 in Worte zu fassen. Leider ist der Text umfangreicher als geplant geworden und erfordert daher beim Lesen etwas Geduld. Ich habe ihn in vier separat veröffentlichte Themen gegliedert, um den Überblick ein wenig zu erleichtern.
Zunächst einige allgemeine Anmerkungen. Ganz pauschal lässt sich die Frage nach der Grundlage des Erfolgs schnell beantworten. Die Leute wollen Unterhaltung, Spannung, gern auch neues Wissen, allerdings ohne aufdringlich erhobene Zeigefinger, mehr als Nebenprodukt der Unterhaltung. Ähnlich war damals das Erfolgsgeheimnis der Illustrierten STERN. Den Leuten aufs Maul schauen und Abwechslung bieten: Sensationen und Informationen aus aller Welt, viele schöne Bilder, Klatsch und Tratsch, Rätsel, Humor, Erotik, auch Politik, alles schön gemischt. Das lässt sich leicht dahinsagen, es umzusetzen ist ein ganz anderes Problem.
Der Erfolg eines Unterhaltungsformats beruht auf dem Wohlfühlfaktor. Auf die Gefahr hin, hier Laienpsychologie zu verbreiten, behaupte ich, dass es dabei um folgende Gefühle geht: Geborgenheit/Glück/Entspannung einerseits, Erlebnis/Erfolg/Spannung andererseits. Am besten alles zusammen. Wie man das schafft? Durch das Talent, sich in andere Menschen hineinzufühlen, und durch das Talent, diese Gefühle bei ihnen durch Sprache und/oder Bilder hervorzurufen. Einem Romanautor bieten sich dazu folgende Möglichkeiten:
1. Die Figuren
2. Die Kulisse (Ort, Zeit und Umfeld der Handlung)
3. Die Handlung
4. Die eigene Fähigkeit, durch Beschreibungen das Vorstellungsvermögen anzuregen.
Entscheidend ist das Zusammenspiel dieser Punkte; das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Ein Beispiel dazu. Bei den PC-Rollenspielern gilt die Baldurs-Gate-Serie noch heute als Kultspiel. Warum? Es ist das Zusammenspiel von durchdachter und geradliniger Haupthandlung, abwechslungsreichen und originellen Missionen, den verfügbaren Figuren und ihrer Interaktion sowie der Kulisse. Viele moderne Spiele wirken dagegen trotz neuester Grafik einfalls- und leblos. Man merkt ihnen an, dass es sich um Fabrikware handelt, die aus den üblichen Bestandteilen schablonenmäßig zusammengestellt wurde. Ein anderes Beispiel. Der Erfolg der Krimiserie "Hawaii 5-0" ab Ende der 60er Jahre beruhte nicht nur auf den Darstellern und den abwechselungsreichen Fällen sondern auch auf der Tatsache, dass die Folgen auf Originalschauplätzen auf Hawaii gedreht wurden. Für den Inselstaat war die Serie ein unbezahlbarer Werbeträger; dem Hauptdarsteller Jack Lord setzte man ein Denkmal. Exotische, mit positiven Gefühlen besetzte Schauplätze bieten auch in Romanen Vorteile - wenn man die Fähigkeit hat, dem Leser den Schauplatz nahezubringen und seine Möglichkeiten zu nutzen. Siehe Karl May. SF-Autoren sollten daher in der Lage sein, neu- oder fremdartige Umgebungen plastisch zu schildern.
Zur Rhodan-Serie. Die wesentlichen Merkmale zähle ich hier auf.
- Eine klassische Heldengruppe mit tatkräftigen Akteuren, keine grübelnden Subjekte, die von den Ereignissen durch die Gegend geweht werden. Viele Nebenfiguren, die mal schrullig, mal nervig, mal einfach nur liebenswert sind.
- Eine recht detaillierte Kulisse, in der man sich wohlfühlt, der "Wiedererkennungsfaktor".
- Eine abenteuerliche, abwechslungsreiche, oft originelle Handlung, die zwischendurch immer wieder Aspekte bietet, die den Reiz des Fremdartigen und Rätselhaften haben, die dabei aber geradlinig und organisiert von Punkt zu Punkt navigiert. Es wird nicht von hinten durch die Brust ins Auge geschossen oder ergebnislos im Kreis gelaufen, bis das Schicksal zeigt, dass selbst ein blindes Huhn unweigerlich das gesuchte Korn findet.
- Autoren, die ihr Handwerk verstehen und sich in ihren Talenten ergänzen.
Ich möchte die einzelnen Punkte detaillierter beschreiben. Um die Gesamtbeitrag ein wenig übersichtlicher zu gestalten, eröffne ich für die Punkte 2 bis 4 jeweils einen separaten Diskussionsstrang.
1. Die Figuren
In einer länger laufenden Serie sollten die Hauptdarsteller sympathisch wirken und nicht etwa Stirnrunzeln auslösen. Beispiel Karl May: Winnetou, Shatterhand, Surehand, Firehand, Sam Hawkens. Ein Held weckt ohne Zweifel ein positives Gefühl, nämlich Geborgenheit. Hier ist jemand, dem ich mich bedenkenlos anvertrauen kann. Wer möchte nicht von einem starken Helden vor Feinden und Neidern beschützt werden. Dass Helden eine gewisse Anziehungskraft haben, zeigen auch die großen Epen der Vergangenheit wie Ilias und Odyssee, die Artusrunde, die Nibelungen. Allerdings dürfen auch Helden mal Schwächen haben oder Fehler machen, das unterstreicht ihre Menschlichkeit.
In der Rhodan-Serie ragen aus der klassischen Heldengruppe vier Figuren heraus; Rhodan, Atlan, Gucky und, ein wenig abseits davon, ES. Eine Gruppe, mit der man sich als Leser identifizieren soll und kann. Rhodan als Anführer, mit Talenten geradezu gesegnet: Charismatiker, geschickter Politiker, uneitel (trägt oft "schmucklose Bordkombination"), loyal, Menschenfreund, Visionär, genialer Militärführer, durchblickt sofort eine Situation und wie man sie zum eigenen Nutzen ausbeuten kann, jederzeit bereit zum Eingehen kalkulierter Risiken, verlangt von niemandem etwas, das er nicht selbst bereit wäre zu tun. Atlan, der große Stratege und Taktiker, seinem Freund nahezu ebenbürtig, jedoch knallharter Realist und bereit, notfalls ohne Zögern das Notwendige zu tun. Gucky, der gutmütige Außerirdische mit fantastischen paranormalen Fähigkeiten. Schließlich ES, uraltes geheimnisvolles Geistwesen mit Zügen des guten Onkels, undurchsichtiger Strippenzieher im Hintergrund mit fast göttergleichen Fähigkeiten. Mit solchen Leuten geht man durch dick und dünn. Man weiß, selbst dem schlimmsten Schurken kommen unsere Helden auf die Schliche, selbst dem bösesten Feind werden seine Waffen aus der Kralle geschlagen. Diese Gruppe gibt den Leuten das Gefühl: kümmert ihr euch um euren Alltag, wir kümmern uns um alles andere. Ist es nicht schön, wenn so für einen gesorgt wird?
Wie enttäuschend ist es dagegen, wenn der Held heulend zusammenbricht, sich ergibt, um Gnade fleht. Oder, fast genau so schlimm, wenn der Held sich als telefonierender Handy-Naivling entpuppt, der sich erschüttert darüber zeigt, wie er von einem "Freund" belogen und abgehört wird. Das mag ja originell sein, ist aber sonst voll daneben. Man stelle sich Bond vor, wie er sich an M's Schultern ausweint, weil ein Kollege erschossen wurde. Noch schlimmer, wenn solch eine Jammerfigur am Schluss die Bösen überwindet, weil sie so entsetzlich dämlich sind. Völlig klar ist natürlich auch, dass die Figuren ihrem Charakter gemäß handeln müssen. Der Rhodan der Altserie wurde immer ein wenig zwiespältig geschildert. Er war einerseits der Visionär, der bei Konflikten grundsätzlich eine gewaltfreie Lösung anstrebte, aber er wich der Gewalt auch nie aus, wenn sie sich denn nicht vermeiden ließ. Und natürlich ließ sie sich selten vermeiden, das ist nun einmal die Geschäftsgrundlage einer Abenteuerserie. Band 230 war in der Beziehung typisch. Wer sich trotz Warnungen unbedingt in Gefahr begeben will kommt darin manchmal um. Bedauerlich, aber nicht zu ändern. Nichts, worüber sich ein Perry Rhodan allzu lang den Kopf zerbrechen muss.
Die Bösen, das ist die andere Seite, müssen den Guten ebenbürtig sein. Keine tumben Totschläger oder Maulhelden sondern Leute, die austeilen und einstecken können wie Thomas Cardif in seiner letzten Rolle, Miras-Etrin oder Hotrenoor-Taak. Nur dann ist ihr Überwinder ein Held und nicht jemand, von dem jeder Heldenlehrling meint, dass auch er das Problem leicht hätte lösen können.
Dass Helden tatkräftig sein müssen, ist bei einem sogenannten Spannungsroman eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Eigentlich! Wie gerade die letzten Jahre von PR zeigen, sind selbst einfachste Dinge nicht selbstverständlich. Kann man sich einen Kriminalroman vorstellen, in dem der Detektiv unentschlossen von hier nach da taumelt, dies und das unternimmt bis ihm schließlich die Lösungen der verschiedenen Probleme vor die Füße fallen und er sie nur noch aufheben muss? Zufälle gibt's immer, aber sie sollten sich nicht gerade häufen.
Mit und nach Band 1000 veränderte sich der Rhodan-Charakter. Von einem genialen, wenn auch gewöhnlichen Menschen wurde er zunächst zu einem kosmischen Jesus, dessen Taten ganze Völker auf eine neues evolutionäres Niveau hoben, und schließlich zu einem unerträglichen Beauftragten des Großen und Ganzen, der das Gute vorlebt und am liebsten jede Fliege einzeln aus seiner Wohnung eskortieren würde. Besser noch, er räumt seine Wohnung aus Verständnis für die Belange der Fliege. Man muss kein Zyniker sein, um zu wissen, dass ein Politiker, der für das Wohl einer ganzen Gesellschaft zuständig ist, auch mal schmerzliche Entscheidungen treffen muss wie Helmut Schmidt 1977. Das gilt nicht nur in der Politik sondern überall dort, wo es Gruppen- gegen Einzelinteressen abzuwägen gilt.
Schließlich noch kurz zu den Nebenfiguren. Das wurde schon oft behandelt und ich notiere es nur der Vollständigkeit halber. Die Serie lebte auch von den Leuten, die sich nicht so sehr für das Große und Ganze interessierten sondern einfach nur ihr gewohntes Leben weiterleben wollten und ihre alltäglichen Probleme bewältigten. Leuten wie dem schlampigen Soldaten Brazos Surfat, der einfach nur seine Ruhe haben wollte. Es gab Soldaten, die ein lebendes Schwein an Bord ihres Raumschiffs schmuggelten, um auch mal Frischfleisch zu bekommen. Es gab Patulli Lokoshan, der sich mit seinem eigenwilligen Erbgott herumärgerte und viele andere, die weniger auffällig waren und vielleicht nur einmal in der Serie auftraten, die aber ihre Sorgen und Probleme mit sich herumtrugen und sehen mussten, wie sie klarkommen. Und es gab (leider zu selten) auch mal den gestressten Rhodan, der den Major Hole Hohle ("mit einem h in der Mitte") anbrüllte: "Ich pfeife auf ihr h in der Mitte." Naturgemäß waren es immer nur Ansätze, aber zwischendurch war immer mal das wirkliche Leben zu besichtigen.