Ich habe am Wochenende diesen Thread gelesen und verfolgt, wie engagiert hier der KLP und der DSFP verhandelt werden †¦
Ich weiss nicht genau, ob es angemessen ist, mich als diesjähriger Preisträger in die Diskussion einzuschalten †¦ und doch erlaube ich mir, einige persönliche Gedanken beizusteuern.
Vorab: der Preis hat mich ungemein gefreut und motiviert mich, weiter zu schreiben! Dabei bin ich überzeugt, dass man solche Preise nicht überschätzen sollte. Beim KLP und dem DSFP sind die Shortlists viel relevanter als der Preisträger, dort werden die Perlen des vergangenen Jahres zusammengetragen. Und wertvoll sind die Diskussionen - wie hier im Forum - die sie auslösen.
Wenn man wie die Jungfrau zum Kinde kommt, fragt man sich schon, was genau da vorgefallen ist. Ich hatte meine Lektorin und meinen Verleger im Verdacht, dass sie ihr Händchen im Spiel oder sogar ihr Zauberstäbchen geschwungen hatten. Auf meinen Dank reagierten beide abweisend: die Lektorin hat ihren Dienst in der Jury vor einem Jahr quittiert (zu viel Pflichtlektüre von unbekömmlichen Texten †¦) und Michael Haitel hat sich der Stimme enthalten, da er nicht alle Plots der Shortlist gelesen hatte. Soviel zu meiner unbefleckten Empfängnis: Die Jury hat offenbar echt über die Texte debattiert, ohne dass mich jemand kennen würde oder supportet hätte. Keine Verlagspromotion, keine persönlichen Bruderschaften, das kann ich hier ausdrücklich bestätigen.
Dabei sollte man solche Jury-Entscheide nicht überbewerten. Wer den Preis von der Shortliste letztlich kriegt, ist irrelevant. Texte sind kein Sportanlass, wo Zehntelsekunden über Sieg oder Niederlage entscheiden, »Coleo« von Nadine Muriel ist einfach vollkommen anders als meine Story, aber sicher nicht schlechter. Letztlich ist es der Zufall, ein Quäntchen Glück oder die Einschätzung eines einzelnen Jurymitgliedes, das die Rangordnung definiert. Das würde sich auch nicht ändern, wenn das Verfahren überarbeitet und verändert würde. In meinen Augen haben sich sowohl der DSFP wie der KLP über die Jahre bewährt, in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit. Die Gremien leisten erstaunliches, und ich zücke meinen Hut vor all diesen Berserker-Lesern, die sich Jahr für Jahr durch Textberge quälen, sich redlich und unentgeltlich bemühen, die Szene zu durchleuchten.
Ich teile die Einschätzung, die Auszeichnung von Eschbachs PR-Roman sei rückwärtsgewandt, nicht. Im Gegensatz zum DSFP, bei dem eine Jury über Texte debattiert (Form, Inhalt, Originalität, Sprache, Handwerk etc. usf.) bildet der KLP mehr ab, was im vergangenen Jahr gelesen und gekauft wurde. Das schliesse ich aus meinem eigenen Verhalten: Ich kenne nur einen Bruchteil der nominierten Werke, setze meine Punkte selbstredend bei dem, was ich gelesen habe. Ich bin schlichtweg gezwungen, nicht gelesene Texte zu übergehen - und so kriegt beispielsweise Cixin Liu für "Jenseits der Zeit" immer noch einen Punkt, obwohl ich ihn nach 50 Seiten konsterniert weggelegt habe und mir unbekannte Werke mich womöglich um Welten mehr angesprochen hätten. ABER: Ich finde das nicht schlimm, es ist einfach ein völlig anderer Fokus auf die Szene. Ich teile mit, was ich lese und was ich mag, von der Auswahl, die ich unter dem Jahr getroffen habe.
(Man sollte nicht vergessen: es gibt selbstverständlich Berührungspunkte zwischen Bestsellerautoren und Exoten wir mir. Klaus W. Frick hat vor einigen Jahren aus PR-Perspektive an einem meiner Texte rumgemäkelt, Eschbach hat mich mal als Leser einiger meiner Plots ermuntert, dran zu bleiben. Ich wage zu behaupten, dass es die experimentelle Sektion der deutschen SF ohne Perry Rhodan und Erfolgsautoren in der Währung Eschbachs nicht in dieser Form geben würde. Also: Preis in meinen Augen absolut verdient;-)
Ich denke, jede Jury muss den Mut zur Lücke aufweisen. Wie man das Auswahlverfahren auch organisiert, immer werden gute Texte übersehen oder auf der Strecke bleiben. Wenn aber jemand hartnäckig dran bleibt, wird die Qualität irgendwann jemandem auffallen und ihn ansprechen.
Wie wählen Jurys aus? Muss man alles kennen, um sich einen "objektiven" und gerechten Überblick zu verschaffen? Wohl kaum: Auswählen hat viel mit statistischem Evaluieren zu tun.
Vor Jahren habe ich jeweils Studenten für eine Kunstschule ausgewählt. Zwanzig Plätze, hundert Bewerber*innen. Die ersten fünf, bestenfalls zehn Plätze waren rasch vergeben: Die wiesen Talent auf und ragten klar aus der Masse heraus. Über die Hälfte, eher 60% waren ebenfalls rasch aussortiert: Die hätten sich in einem kreativen Job sehr unglücklich gemacht. Die Krux stellte das Mittelfeld dar: wie werden die verbleibenden 35 bis 40 Personen auf die restlichen 10 bis 15 Plätze aufgeteilt? Da wurde es verdammt schwierig, objektive Kriterien aufzustellen.
Ich stelle mir vor, das Zusammenstellen der Shortlist heisst, die 5 bis 10 herausragenden Texte herauszupicken. Das bedeutet aber kaum, alle restlichen Kurzgeschichten und Romane von A bis Z zu lesen: oft genügt da ein Blick, ein Überfliegen, um den Text einzuordnen. Die ersten zwei drei Seiten - und wenn der Text den Leser nicht packt, wird er es kaum mehr schaffen. So im Sinne des Page 99-Tests von https://tell-review.de/. Natürlich ärgert uns Autoren, wenn wir Monate an einem Text rumwerkeln und der in 30 Sekunden beurteilt wird - aber diesem Elevator-Pitch müssen wir uns wohl stellen. Jeder Leser verfährt so.
Also: Ich plädiere für eine Jury mit Mut zur Lücke. Und den Mut, auf sein persönliches Urteil zu Vertrauen. Es ist ausgesprochen schade, wenn Szenenkenner*Innen immer wieder aus den Gremien flüchten, weil sie zu unmässigem Textkonsum verdonnert werden.
All diese Verbesserungsvorschläge in dieser Diskussionsrunde in Ehren - ich glaube aber kaum, dass sie zu "gerechteren" Preisvergaben führen würden.
Bearbeitet von tom-c-t, 22 Juni 2020 - 20:39.