Ich stimme allen zu, die sagen, wir sollten uns ĂŒber Rezensionen freuen, denn das heiĂt, da hat sich ein Mensch mit unseren Texten beschĂ€ftigt und das ist erst einmal eine gute Sache. Wenn dieser Mensch sich dann noch so viel MĂŒhe macht, wie Jol hier, dann ist das besonders anerkennenswert. Da ich in der Nova Redaktion bin, aber kein Text von mir dabei ist, habe ich ĂŒberlegt, ob ich meine Gedanke zu dieser Rezension ĂŒberhaupt in den Ring werfen sollte, aber ich denke, dass es hier etliche Stellen gibt, die als ultimative Wahrheit dargestellt werden, obwohl sie das eindeutig nicht sind, sondern lediglich die Meinung der Rezensentin wiedergeben. Insofern, möchte ich gerne einfach meine Gedanken als Privatperson Marianne Labisch dagegen stellen wo wir sehr unterschiedlicher Meinung sind.
Zu Die Retardierten
Wahrscheinlich hat Michael Iwoleit in seinem Vorwort zur Story von Maike Braun verallgemeinert und im Prinzip sollte man das eher nicht tun, aber auch ich nehme es so wahr, dass das Thema gendergerechte Sprache nirgendwo so ernst genommen wird, wie im wissenschaftlichen Bereich, dort wird den Mitarbeitern sogar hĂ€ufig vorgeschrieben, diese Sprache zu verwenden, egal, ob sie nun dahinter stehen oder nicht. (Das hat schon ein wenig was von Diktatur.) Nicht jeder, der nicht gendert, ist ein sexistisches Arschloch. Ich halte auch nichts von gendergerechter Sprache und ich bin eine Frau. Ich glaube auch nicht, dass jeder Text, der geschrieben wird, ein Frauenbild prĂ€sentieren muss, das wir uns vielleicht wĂŒnschen, das aber in der RealitĂ€t noch lĂ€ngst nicht Standard geworden ist. Ja, ich glaube auch, dass Autoren versuchen sollten, die Leser zum Nachdenken zu animieren, aber sie dĂŒrfen die Wirklichkeit nicht ausblenden. Solange es Frauen gibt, die mit Haushalt und Kindern völlig ausgelastet sind und sich dabei wohlfĂŒhlen, solange darf ĂŒber diese Frauen geschrieben werden. Meiner Meinung nach muss auch nicht in jeder Story eine queere Person auftauchen, besonders dann nicht, wenn der Autor sich in deren Welt nicht auskennt und nicht dazu recherchieren mag.
Zu Fast Forward
Es gibt immer verschiedene Lesarten und GeschmĂ€cker. Man muss sich meistens auf eine Story einlassen, um zu verstehen, wie sie gemeint sein könnte. Ich habe es so gelesen, dass der Sex mit zum Programm gehört und mit dazu beitragen soll, dass er sich von seiner Ex distanziert. Ich denke, es wird dem Mann vorgespielt, dass viele Jahre vergehen, damit er die Trennung im Laufe der Zeit immer besser wegstecken kann. (Die Zeit heilt âŠ) Ich finde nicht, dass der Autor die unvorhergesehene Wendung irgendwie hĂ€tte ankĂŒndigen können, ohne die Ăberraschung zu zerstören. Die Idee, dass ein Programm angeboten wird, um Trennungsschmerz besser und/oder schneller zu ĂŒberwinden, das fand ich interessant, weil das in meinen Augen eine gewisse Gesellschaftskritik darstellt. Sind wir nicht alle versucht, unseren Schmerz zu reduzieren? Und ist das nicht bis zu einem gewissen Grad legitim? Aber wo endet dieser Grad? Und wer legt das fest? Mir hat dieser Denkansatz gefallen.
Zu Am Scheideweg:
Wirklich Neues wird wohl relativ selten verfasst, daher habe ich den Anspruch beim Lesen nicht, ganz neue Inhalte zu entdecken. Dass es in einer Beziehung nur um Sex geht und die Frauen in der Hinsicht nichts zu sagen haben, das lese ich beim besten Willen nicht aus dem Text.
Zu Ein Shoppingmall-Sonnenuntergang
Meiner Meinung nach, geht aus dem Text klar hervor, dass er keinesfalls ironisch zu verstehen ist, vielmehr wird der Charakter als kein sehr freundlicher Mensch dargestellt. Meiner Meinung nach dĂŒrfen RĂŒckblenden durchaus im PrĂ€sens verfasst sein. Ich verwende diesen Kniff auch gerne, wenn ich die Vergangenheit versuche gegenwĂ€rtig zu machen.
Wenn ich im Vorwort sage, dass wir gute Geschichten suchen, dann hat das bei mir nicht in erster Linie damit zu tun, dass die Frauen fortschrittlich, selbstbewusst, erfolgreich und wenn irgendmöglich auch queer zu sein haben, sondern, dass die Story unterhalten soll. Wenn sie zudem noch gut geschrieben ist, wird das gerne angenommen.
Bei Maikes Geschichte lÀsst die Frau sich ganz von alleine den Chip entfernen, ohne, dass ein Mann sie dazu ermuntert hÀtte.
Zu Unverbaubarer Blick ĂŒber die Bucht
ich denke, dass es in der Story nicht in erster Linie um die Hauptprotagonisten ging, sondern vielmehr um die seltsamen TĂŒrme, darum, wie wir mit Dingen umgehen, die wir uns nicht erklĂ€ren können. Aber das ist nur meine Interpretation, die auch falsch sein kann. Auf jeden Fall schĂ€tzte ich solche Geschichten, die mich zum Nachdenken anregen. Was könnte der Autor gemeint haben?
Zu Die ChimÀre
Ich lasse bei der Story komplett auĂen vor, wer sie verfasst hat und was ich persönlich vom Verfasser halte.
Die Story hat mich unterhalten, weil ich in diesem Wahn zur vermeintlichen Perfektionierung Parallelen zur RealitĂ€t sehen konnte. Ich sehe C-Promis, die sich Rippen entfernen lassen, um eine Puppentaille zu haben, ich sehe junge MĂ€dchen, die sich die Lippen aufspritzen, ihre Bilder aufhĂŒbschen und ich denke, das wird hier kritisiert, dass es Einzelne gibt, die ein vermeintliches Schönheitsideal vorgeben, denen alle hinterherlaufen. Und ich möchte nicht wissen, wie das erst aussehen wird, wenn tatsĂ€chlich immer mehr Möglichkeiten existieren. Es gibt schon heute Menschen, die sich Ăsen in die Haut am RĂŒcken stanzen lassen, um sie wie bei einem Korsett zuzammenziehen zu können. Es gibt, welche, die sich Elfenohren machen und die Zunge spalten lassen. Ich finde, das alles wird hier nur logisch weiter gedacht.
Ich habe nicht gelesen, dass die Ausgestellten keine Erlaubnis erteilt hĂ€tten, wenn ich mich recht entsinne, wird das gar nicht thematisiert. Und auch hier sehe ich Parallelen zur RealitĂ€t, wenn ich an die Körperwelten denke. Ich persönlich habe keine groĂe Lust, mir so eine Ausstellung anzusehen, aber ich sehe, dass sie gut besucht werden und das seit Jahren.
Ich habe auch keine Person im Text gefunden, die sich am Aussehen der Exponate aufgegeilt hĂ€tte. Das findet, glaube ich zumindest, nur in deinem Kopf statt und könnte sogar als Unterstellung gewertet werden. Warum die Ausstellung rassistisch sein soll, nur weil du sagst, dass alle als weiĂ dargestellt werden, weiĂ ich auch nicht. Und ich bin mir gar nicht sicher, ob die Hautfarbe ĂŒberhaupt thematisiert wird. Dazu mĂŒsste ich die Story noch einmal lesen.
zu Der Gast
Ich finde es nicht gut, wenn Geschichten ausschlieĂlich daraufhin abgeklopft werden, ob nun Frauen darin vorkommen oder nicht. Wann die Story spielt, ob das in 50 Jahren ist, oder zu einer anderen Zeit, wird nicht erwĂ€hnt.
Es gibt unterschiedliche GeschmĂ€cker und ich finde das auch gut so, denn ich fĂ€nde es fĂŒrchterlich langweilig, wenn wir alle die gleichen Storys gut fĂ€nden, dann hĂ€tten wir keine Diskussionsgrundlage mehr. Insofern ist es fĂŒr mich völlig in Ordnung, dass diese Geschichte dir nicht gefallen hat.
Zu Biofilm 1983
Auch hier sind, wie immer und ĂŒberall, verschiedene Sichtweisen zulĂ€ssig. Das fehlen von Namen und ein vager Weltenbau könnten bewusst, als Stilelemente des MĂ€chens, gewĂ€hlt worden sein.
Zu Briefe an eine imaginÀre Frau
Es ist schon verdammt interessant, wie unterschiedlich zwei Personen ein und denselben Text lesen und beurteilen können. Vorab, bevor es nachher untergeht: Du schreibst, es sei der Text eines Narziss, der versuche, sich selbst zu lieben, aber daran scheitere. Was im Klartext hieĂe, es ist kein Narziss, denn der zeichnet sich ja nun mal durch die Eigenliebe aus.
Nun zum Rest: Ja, es mag sein, dass einige SĂ€tze lang waren, es mag sein, dass der Text vielleicht noch hĂ€tte gekĂŒrzt werden können, aber das wĂ€ren dann schon alle Gemeinsamkeiten, die wir in der Beurteilung haben.
FĂŒr mich war es der schonungslos offene und ehrliche Text einer zu tiefst unglĂŒcklichen Person, die nach der wahren Liebe sucht und sie nicht erkennt, wenn sie direkt vor ihm steht.
Dass die Personen sich selbst optimieren und dann auch noch auf den Trichter kommen, ihre Umwelt zu »verschönern« ist aus meiner Sicht auch Gesellschaftskritik. Iwoleit sieht ja die Nachteile und er verliebt sich ja nicht in die optisch perfekte Frau, sondern in eine, die Àlter ist, als all die anderen »Schönheiten«.
Er schreibt allerdings auch, dass der Optimierungswahn sich nicht auf Frauen beschrÀnkt, alle wollen einfach nur Perfekt sein.
Dass er seine Geschichte nicht schönt, indem er vorgibt ein anderer, besserer Mensch zu sein, macht ihn mir sympathisch, wo es dich vor ihm ekelt. Aber ich hatte das Thema auch schon einmal bei einem anderen Autor, wo es mich beim ersten Lesen auch abgeschreckt hat. Aber dann habe ich mir ĂŒberlegt, dass auch dazu, zu seinen SchwĂ€chen offen zu stehen, ein gewisser Mut gehört und es im Prinzip sehr einfach wĂ€re, gewissen Gedanken einfach auszusparen.
Der Text soll ja eine völlig offene Beichte an diese eine Frau sein, die er nicht findet. Er berichtet aus seiner Vergangenheit, so wie sie halt gewesen ist, ungeschönt.
Ich hĂ€tte es als völlig unrealistisch empfunden, wenn er keine sexuellen Erlebnisse gehabt hĂ€tte. Ich habe es so wahrgenommen, dass es fĂŒr ihn â und auch fĂŒr seine ganze Umwelt â einfach dazu gehört. Dass er keine GefĂŒhle fĂŒr seine Partnerinnen aufbringen konnte, empfand ich als Makel, den er selbst erkannt hat, aber nicht beheben konnte. Auch dafĂŒr hatte er mein MitgefĂŒhl. Ich stelle mir das nicht besonders schön vor. Mir hat dieser Text ganz auĂerordentlich gut gefallen.
Zu deinem Fazit:
Wenn ĂŒberwiegend Texte von MĂ€nnern eingereicht werden, kann man leider nicht mehr Texte von Frauen bringen. So einfach ist das.
Mit deinem Rassismus und Sexismusvorwurf schieĂt du meiner Meinung nach deutlich ĂŒbers Ziel hinaus. Denn der Text, in dem du Rassismus vermutest, spielt er ĂŒberhaupt keine Rolle. Da geht es vielmehr darum, wie Menschen mit ihren vermeintlichen MĂ€ngeln umgehen und sich optimieren.
Der Redaktion vorzuwerfen, sie suche geradezu nach Texten, in denen alte Frauenbilder bedient werden, ist aberwitzig. Du kennst die Texte, die eingereicht werden nicht, somit kannst du auch nicht beurteilen, was angenommen und was abgelehnt wird. Wenn ich Frauen dazu auffordere, Texte einzureichen, dann gewiss nicht, weil wir vorhaben, die alle auszusortieren, weil sie uns zu fortschrittlich sind. Wenn ich das tue, dann deshalb, weil ich gerne mehr Texte von Frauen in Nova sehen wĂŒrde. Und wie du leider nicht mehr sehen wirst, weil du ja dein Urteil schon gefĂ€llt hast, hat sich Aiki Mira dazu entschlossen, einen Text einzureichen, der auch angenommen wurde und in der nĂ€chsten Ausgabe erscheinen wird. Was deine Vermutung/deinen Vorwurf, wir wĂŒrden keine Frauentexte annehmen, wohl widerlegen dĂŒrfte.
Auf deinen Vorwurf des Sexismus und Rassismus kann von der Redaktion aus nicht in Vorworten eingegangen werden, weil sie schlicht nicht vorhanden sind. Nicht jeder, der etwas gegen das Gendern hat, sich vielleicht sogar darĂŒber lustig macht, ist ein Sexist. Und nicht jeder, der ĂŒbereifrige Feministinnen nicht besonders leiden kann, ist deshalb transfeindlich. Wo nimmst du das nur her, Jol? Warum fĂŒhlst du dich da angegriffen, wo es doch tatsĂ€chlich etliche Personen gibt, die es ĂŒbertreiben? Auf allen Seiten gibt es die. Ich habe und hatte nie etwas gegen queere Personen. Und das wird auch so bleiben. Und ich finde auch nicht, dass eine Story Mist ist, nur weil keine queere Person vorkommt, oder weil die Frau lieb und nett ist. Ich finde nicht, dass man Autoren, die solche durchaus immer noch realistische Personen darstellen, als unaufmerksame Deppen hinstellen sollte, die einfach zu dumm sind, das gewĂŒnschte Frauenbild zu prĂ€sentieren. Vielleicht tun sie es ganz bewusst.
Ja, wir sollten mehr darauf achten, nicht sexisisch oder rassistisch zu sein, aber ich glaube nicht, dass wir dieses Ziel erreichen, indem wir es einfach mal Autoren unterstellen, wenn uns die Protagonisten nicht genehm sind.
Noch schlimmer finde ich es, Personen in rechte Ecken zu Stellen nur weil sie dem VDS angehören. WĂ€re mal interessant zu erfahren, was Didi Hallervorden zu dem Vorwurf sagen wĂŒrde.
Ach, ich schĂ€tze, der wĂŒrde es mit Humor nehmen und sagen er könne den Leuten nicht vorschreiben, was sie denken sollen âŠ
Wahrscheinlich tÀte uns allen etwas mehr Humor gar nicht so schlecht.