Ich lese deinen Post nun das zweite Mal, Christoph, und bin mir nicht sicher, ob ich ihn verstehe. Du schreibst:
Gab es daran irgendeinen Zweifel? Mein Gefühl ist, du gehst auf mein Hauptargument gar nicht ein (dass die Zusammenstellung schwierig ist, nicht die einzelnen Texte). Aber vielleicht verstehe ich dich auch einfach miss.
Ich versuche es, auch wenn mir die Antwort schwierig fällt. Sie ist zumindest lang.
Daher zunächst zu etwas anderem: Im Weltenportal Nr. 4, welches (hoffentlich, endlich) in den nächsten Tagen online geht, wird die Geschichte "Ein seltsamer Feierabend" von Kai Focke veröffentlicht. Die Geschichte entstand zu Beginn der Corona-Pandemie, womit jetzt vermutlich klar ist, in welche Richtung sie geht. Er hat sie mir gegen Ende 2020 zugeschickt. Zur Zeit des zweiten großen Lockdown, der, wie wir alle wissen, im Gegensatz zum ersten sehr unterschiedliche Reaktionen hervorrief. Mein Kommentar zur Geschichte - die ich so verstanden habe, wie er sie meinte - war: "Ist aktuell natürlich ein heißes Eisen." und "Wir dürfen uns bei all den Schwurblern, Aluhut-Trägern und rechten Idioten bedanken, den Begriff des Querdenkers für lange Zeit versaut zu haben." Daraufhin hat Kai - den ich persönlich kennengelernt habe und bei dem ich absolut sicher bin, dass er definitiv weit von diesem Spektrum entfernt ist - zunächst überlegt die Geschichte zurückzuziehen. Letztendlich hat er ein Nachwort vorgeschlagen, ich habe zugestimmt.
Darin macht er das, was wir Autor:innen und Herausgebende hassen: Er erklärt die Absicht seiner Geschichte und distanziert sich deutlich von realweltlichen, absurden Verschwörungstheorien, Extremisten und Schwurblern (Stichworte: Bill Gates' Chip-Impfung, Wendlers "Alle Geimpfte werden sterben" usw.).
Kai will nicht in eine Ecke gestellt werden, in die er nicht gehört. Ich will das auch nicht - und ich will auch nicht, dass irgendwo auf dem Vorhof der Hölle (Twitter) plötzlich ein Posting wie "Im Weltenportal werden Schwurbler-Texte abgedruckt" auftaucht. (Wer es nach dem Nachwort vermutet, dem kann ich dann auch nicht mehr helfen).
Du fragst dich sicher, warum ich das im NOVA-31-Thread erzähle:
Weil ich Parallelen sehe. Ich sehe, was Marianne, C. M. Dyrnberg und J. A. Hagen im Threadverlauf geschrieben haben. Ich habe das Statement von Uwe auf Seite 3 bemerkt ("Das sind sehr deutliche Worte. Da ich die Ausgabe nicht besitze, kann ich mir kein eigenes Urteil bilden, aber wenn auch nur die Hälfte Deines Befundes zutrifft, entspricht das in etwa meinen schlimmsten Befürchtungen"), ich habe einige Reaktionen auf Twitter gelesen - von denjenigen, die gleichfalls gar nicht erst gewillt sind, sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Es gibt nichts Unangenehmeres, als an der (sozialmedialen und Online-)Wand zu stehen und sich für eine Einschätzung rechtfertigen bzw. etwas klarstellen zu müssen. Ich habe einen Shitstorm hinter mir - ich will das nie wieder erleben. (Kay Noa vom Skoutz-Award kann ebenfalls ein Lied davon singen, nachdem sie sich im vergangenen Jahr zugebenermaßen etwas unglücklich ausgedrückt hatte).
Dass My und MKI Entscheidungen trafen oder Ansichten äußerten, die durchaus kritisiert werden dürfen, oder auch schon schriftliche Entgleisungen hatten, will ich gar nicht klein- oder schönreden. Ich sehe aber auch anderes: Die zahlreichen Autorinnen und zumindest ein Autorx (Aiki), die von My verlegt wurden. Ich habe MKIs Einschätzung von Alice Sheldon gelesen und sehe sein Gesamtwerk als Herausgeber. Hinzu kommen zig Artikel, Blogpostings und Forenbeiträge. Kurz: Ich halte My, MKI und Marianne nicht für misogyn. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass sie abwertend gegenüber irgendwelchen menschlichen Gruppierungen eingestellt sind. Somit habe ich, der für eine Menschheit auf Augenhöhe ist, eine Art „Grundsympathie“, die natürlich auch auf NOVA abfärbt.
Ich gehe davon aus, dass Personen, die keine diskriminierende Einstellung haben, auch keine Anthologie zusammenstellen wollen, die absichtlich diskriminierende Inhalte enthält oder diese Inhalte gutheißen. Allenfalls werden Aspekte anders gesehen oder beurteilt – wie ja in diesem Thread in den Diskussionen zwischen Marianne und dir nachzulesen war. (Ich füge an dieser Stelle hinzu, bei einigen Punkten eher bei dir, bei manchen neutraler Meinung und bei anderen bei Marianne gewesen zu sein).
Die Zusammenstellung der Geschichten für diese Ausgabe - so habe ich Marianne weiter vorne im Thread verstanden - wurde auf Basis der verfügbaren Manuskripte getroffen. Pure Spekulation über ein Speculative-Fiction-Magazin: Ob zusätzlich zu den regulären Einsendungen Autor:innen angefragt wurden, ist mir nicht bekannt, wäre aber denkbar. Ebenso ist denkbar, dass Geschichten, die bereits für NOVA 31 vorgesehen waren, durch den Thread um NOVA 30 zurückgezogen wurden.
Es ergab sich bei den verfügbaren Geschichten für NOVA 31 dann eben das:
- Texte von Autorinnen waren in der Unterzahl. Als einziger Text einer Autorin konnte nur der von Maike Braun überzeugen
- Die Texte von Autoren, die das Team überzeugt hat, waren in Charakteren von Männern dominiert
- Die Texte, die das Team überzeugt hat, beinhalten u. a. misogyne Charaktere
Das NOVA-Team (oder vielleicht auch nur MKI) lässt uns in den Vorworten wissen, wie die Beiträge eingeordnet wurden. Im Gegensatz zu vielen anderen Anthologien wurde den Lesenden also konkret mitgeteilt, was in der Geschichte gesehen wurde, um sie in die Zusammenstellung aufzunehmen. Die Geschichten überzeugten vielleicht selbst die Storyredakteure nicht unbedingt durch ein progressives oder angemessenes Weltbild, aber dafür in anderen Dingen.
Marianne thematisiert im Vorwort, dass NOVA einen niedrigen Anteil an Autorinnen hat und fordert zum Einsenden auf. Das zeigt mir, dass hier durchaus ein Wunsch vorhanden ist, der aber noch nicht nach gefordertem Qualitätsanspruch umgesetzt werden konnte.
Um noch einmal den Schwung zu mir zu machen: Yvonne lobte weiter vorne den hohen Autorinnen-Anteil meiner Projekte. Ich finde nicht, dass ich dafür ein Lob verdient habe. Abgesehen von einzelnen Anfragen ergab sich dieser Anteil, weil ich unter den Einsendungen von Autorinnen viele großartige Werke fand. Im Falle der „Weltenportal“-Ausschreibung waren es sogar fast nur Autorinnen, die mich überzeugen konnten. (Btw.: Kai Focke und Sven Haupt sind im Weltenportal mit von der Partie, weil ich konkret Geschichten von Kai und Sven haben wollte – nicht, weil ich eine Notwendigkeit sah, das Geschlechter-Verhältnis anzupassen). Wie du von einem Tweet von mir weißt, ist mir jedoch irgendwann aufgefallen, dass ich kaum Texte erhalten habe, die queere Themen beinhalten oder von queeren Autor:innen stammen. Die wenigen, die ich erhielt, konnten mich in anderen Aspekten nicht überzeugen. Das sind die Gründe, warum in meinen bisher veröffentlichten Projekten Queer-Aspekte nur minimal vertreten waren. „Alien Contagium“, „Fast menschlich“ oder die „Weltenportal“-Ausgaben bzw. ich als Herausgeber oder Jana als Verlegerin sind deshalb aber nicht queerfeindlich.
Und genauso sehe ich es auch bei NOVA und Misogynie. Mein Weg war nun, über die Twitter-Bubble Feedback einzuholen - ich werde die Erkenntnisse bei meinem nächsten Ausschreibungstext berücksichtigen. Ich könnte mir – wieder pure Spekulation zum Speculative-Fiction-Magazin – vorstellen, dass im Hintergrund von NOVA vielleicht schon einige Anfragen laufen: MKI prüft für die Gaststory möglicherweise seine internationalen Kontakte und Marianne, der wir eine nach außen diplomatischere Ader attestieren können , hört sich vielleicht um.
Ich bin beim Thema Zusammenstellung auch zwiespältig: Ich wünsche mir Vielfalt und halte Repräsentation für wichtig. Ich sehe es aber auch ein Stückweit wie Amtranik und verlange gar nicht, dass ein Werk alles bieten muss. "Nichtbeachtung von Frauen" kann auf Misogynie der Herausgebenden und Verfassenden hinweisen - aber das muss es nicht.
All das zusammen betrachtet, macht es mir schwer, die Zusammenstellung - abseits einzelner Stellen, die ich in meinen Besprechungen der Geschichten erwähnt habe bzw. meine Meinung dazu äußerte – als problematisch zu sehen. Das ist auch das, was ich mit den vielzitierten Sinnsprüchen (mehrere Wahrheiten, Perspektiven) und meiner Lieblingsweisheit auszudrücken versuchte.