63 Antworten in diesem Thema

[Liza]

Hier gibt es übrigens seit Kurzem eine Video-Rezension von "Drei Phasen der Entwurzelung", vielleicht interessant für Unentschlossene:

 

@lapismont : das ist ja doof, dass das so lange dauert. Laut Twitter/insta hat Otherland das Buch inzwischen. Allgemein sollte die direkte Bestellung über den Verlag online am schnellsten gehen.

[lapismont]

Ich bin je eh noch an Jols Roman dran. Hab wieder mehr Lesebedarf als Zeit.
Und beim Otherland bestell ich ja immer gleich ein paar Bücher auf einmal.

[lapismont]

Endlich hab ich hiermit begonnen und der Anfang ist schon einmal fesselnd.

[Rezensionsnerdista]

Ah ja super ich sehe total was du so liest

[Liza]

Und kommst du vorwärts @lapismont?

[lapismont]

Und kommst du vorwärts @lapismont?

Hatte leider die Tage dafür keine Zeit, aber ich bleib dran!

[Liza]

[Jol Rosenberg]

Ich habe die Schildkröten auch gelesen. Den ersten Teil mochte ich sehr, besonders die Stimmung und Sprache. Im zweiten habe ich mich dann doch gequält. Mich haben vor allem die Mütter gestört, die ihre Kinder verlassen, ohne dass es dafür für mich nachvollziehbare Gründe gab. Bei Teil drei bin ich dann ausgestiegen, mir war es deutlich zu düster und ich konnte nicht mehr nachvollziehen, warum die Personen handeln, wie sie handeln. Das war für mich auch im ersten Teil schon ein Problem. Sprachlich und atmosphärisch fand ich das aber trotzdem einen gelungenen Text und die gebauten Welten fand ich beeindruckend.

[lapismont]

Ich stecke noch im ersten Teil, Seite 97. Wunderschön geschrieben, sehr traurig, melancholisch, aber auch mit interessantem Worldbuilding, das langsam und wohldosiert aus den Seiten sickert.

[Liza]

Ich habe die Schildkröten auch gelesen. Den ersten Teil mochte ich sehr, besonders die Stimmung und Sprache. Im zweiten habe ich mich dann doch gequält. Mich haben vor allem die Mütter gestört, die ihre Kinder verlassen, ohne dass es dafür für mich nachvollziehbare Gründe gab. Bei Teil drei bin ich dann ausgestiegen, mir war es deutlich zu düster und ich konnte nicht mehr nachvollziehen, warum die Personen handeln, wie sie handeln. Das war für mich auch im ersten Teil schon ein Problem. Sprachlich und atmosphärisch fand ich das aber trotzdem einen gelungenen Text und die gebauten Welten fand ich beeindruckend.

 Interessant! Welche Mütter meinst du denn, Jol? Für mich war das eigentlich eher von der Tochter ausgegangen, die Trennung... aber vielleicht meinst du den Briefwechsel? Meine Absicht war eigentlich, dass das ein verzweifelter Versuch ist, weil beiden klar ist, dass sie sich so nicht mehr sehen können. Weil keine in die Welt der anderen passt, bzw es für Anna auch wirklich körperlich gefährlich sein könnte. 
Schade dass du bei Teil 3 ausgestiegen bist. Für mich ist das eigentlich der hoffnungsvollste Teil, es überrascht mich, dass man das offensichtlich auch ganz anders erleben kann! Ich würde sagen, ich hoffe, du liest zu Ende, weil am Ende der Rahmen geschlossen wird. Aber vielleicht kommt auch nur mir das so vor ;-p
Freue mich trotzdem, dass es dir sprachlich und atmosphärisch gefallen hat!

@lapismont: freut mich, dass es dir bisher gefällt! 

Für mich ging es beim Schreiben eigentlich viel um Hoffnung, ich bin etwas überrascht, dass die Atmosphäre melancholisch/düster rüberkommt. Aber vielleicht ist das meine Grundstimmung, die mir selbst gar nicht auffällt *kopfkratz*

Ich denke, die Sache mit den drei Teilen ist (leider) etwas problematisch und führt beim Lesen zu Brüchen. Ich hatte mir auch überlegt, die drei Teile zu verflechten, und abwechselnd ein Kapitel aus jeder Perspektive zu schreiben. Aber hatte dann befürchtet, dass man dann total die Ãœbersicht verliert. Alternativ hatte ich gehofft, dass der Verlag vorschlägt, es als drei Teile zu veröffentlichen, aber dafür wäre es dann wahrscheinlich zu kurz. 
Wie dem auch sei. Wie Uwe geschrieben hatte in seiner Rezension, die drei Teile schlagen einen großen Bogen, was auch seine Stärken hat, aber machen das Lesen vielleicht nicht unbedingt leichter...

Liebe Grüße
Lisa

[Uwe Post]

Ich hätte die drei Zeitebenen definitiv verflochten durch diverse Rückblenden geschrieben (gibt auch ganz gute Optionen für Cliffhanger durch Kapitelwechsel im geeigneten Moment), aber dafür bin ich ja auch gefürchtet, es ist also nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlen 

Wieder andere Leute hätten eine Trilogie draus gemacht.

Eine Erzählzeit über drei Generationen hinweg ist auf jeden Fall ein sehr anspruchsvolles Projekt.

Bearbeitet von Uwe Post, 06 Februar 2023 - 11:06.

[Jol Rosenberg]

Liza, letztlich kannst du ja nur selbst entscheiden, was für dich für dieses Projekt passt. Für mich las es sich so, als hätte jede der Mütter stets die eigene Arbeit über die Tochter gestellt und diese darum bereits vor der Geburt verlassen. Und das fand ich unglaublich deprimierend: Immer wieder eine Frau im Zentrum und immer wieder ein Workaholic, der eigentlich zu engen Beziehungen nicht fähig ist. Das ist aber meine ganz individuelle Sichtweise, andere Personen lesen das sicher anders.

 

Ich hol mal etwas aus, aber Achtung: Spoiler!

 

Die Sprache dieses Textes mochte ich sehr. Sie hat etwas Fließendes, Intimes, man rückt sehr nah an die Prota ran. Das ist Anna, eine Biologin, die versucht, irgendwelche Erbgutprobleme zu lösen, die ich nicht genau verstehe. Sie ist enorm zwanghaft und in ihre Arbeit verbissen, was sie mir nicht gerade sympathisch macht. Nach und nach versteht man, warum sie soziale Kontakte meidet: Sie hat alle Menschen verloren, die sie geliebt hat und fürchtet Wiederholung. Und sie hat eine Schuld abzutragen, die so groß ist, dass Anna sie nicht abtragen kann.

Der Text ist sehr langsam, fast handlungsarm, wir sind viel in Annas Innenwelt, die sich um Verluste und Arbeit dreht. Dabei geht es im Außen fast immer szenisch zu, es gibt aber lange keinen roten Faden, so dass ich eine Weile brauchte, eine Idee zu haben, was das Thema des Romans ist. Meines Erachtens geht es um die Frage, ob und wie die Menschheit überleben kann.

Sehr faszinierend ist der Weltenbau, den Krieg aufmacht. Man erfährt ihn sehr häppchenweise: Die Meeresspiegel sind angestiegen, die Menschen sind so stark von genetischen Defekten betroffen, dass nur wenige Babys überleben. Eine Lösung dafür sind Hybridisierungen, Genbehandlungen, bei denen bereits im Mutterleib tierische Gene verwendet werden, um die Kinder überlebensfähig zu machen. Dabei kommen Individuen heraus, die teilweise wenig menschlich wirken und große gesundheitliche Probleme haben. Natürlich wird die Methode nicht von allen gutgeheißen und zu stark abweichende Individuen werden ausgegrenzt.

Sprachlich finde ich den Text an vielen Stellen sehr gelungen, Krieg findet eigenwillige Bilder und Vergleiche. Die vielen Zusammensetzungen mit Alg waren mir zu viel. Es gibt Alg-Bier, Alg-Kleidung, Alg-Brei, sogar Alg-Rikschas und bei keinem einzigen dieser Dinge habe ich eine Idee, wie sie aussehen oder schmecken. Auch gibt es bereits recht früh eine Liebesgeschichte und hier ist die Dichte an Phrasen stellenweise höher als ich gern hätte. Es gibt „kühlender Balsam für die Seele“ und brechende Herzen und natürlich haben sich die beiden Verliebten nur wenige Male gesehen, sind sich aber sooo wichtig.

Schade finde ich auch die Redundanzen. Anna begegnet im Meer beim Tauchen einer Schildkröte und diese ist etwas sehr besonderes, denn sie gehört zu einer eigentlich ausgestorbenen Art. Die Begegnungen mit dem Tier haben etwas Magisches, es gibt eine tiefe Verbindung, die bis zum Schluss nicht erklärt wird. Leider ist der Zauber dieser Begegnung für mich bei den Folgebegegnungen etwas zu ausführlich beschrieben, es kommt fast nichts Neues hinzu. Hier hätte meines Erachtens etwas Straffung gutgetan. Insgesamt hat das Buch für meinen Geschmack etwas zu viele ausufernde Beschreibungen von Unterwasserwelten – und zu wenig von Beziehungen. Die Personen, mit denen Anna sich umgibt, bleiben leider fast alle blass.

 

Im zweiten Teil des Buches steht Nisha im Zentrum. Sie ist die Tochter von Anna und ein Mensch-Schildkröten-Hybrid. Auch hier gibt es wieder einen faszinierenden Weltenbau – und wieder die Schwierigkeit, dass die Autorin mitunter mitten in eigentlich schnellen Szenen ganze Seiten mit Hintergrundinformationen einbaut, die zwar interessant sind, mich aber aus der Szene werfen. Wie auch im ersten Teil gibt es viele Personen, in denen ich mich erst nur schwierig zurechtfinde.

Die Menschen haben sich verändert und sind Hybridwesen, die im Wesentlichen im Meer leben. Die Schwierigkeit der sterbenden Embryonen besteht nach wie vor, es gibt nur noch ganz wenige Kinder. Und wieder besteht eine Spaltung zwischen denen, die das durch eine Religion und Gebete lösen wollen und denen, die an wissenschaftliche Lösungen glauben. Die Parallele zum ersten Teil mit Hybridbefürworten und -gegnern sticht ins Auge und überzeugt mich leider nicht. Auch finde ich, dass ich Nisha nicht so nahe komme wie im ersten Teil Anna.

Hier fällt mir auf, dass alle Charaktere ziemlich zugespitzt sind. Der Zwanghafte ist enorm Zwanghaft, die Zahlenverliebte ein kleiner Einstein usw. Gut dargestellt finde ich die Frage, ob die Hybridkinder eigentlich noch Menschen sind. Ihre Eltern können ihnen nur noch wenig beibringen, weil sie nicht wissen, was für die Hybridwesen möglich ist und was nicht. Während die Eltern auf das Land fixiert bleiben, auf das sie irgendwann zurückwollen, richten sich die Kinder in Richtung Meer aus.

Auch hier gibt es wieder das mystische Element der Sternschildkröte. Und Anna nimmt es trotz ihrer eigenen Erfahrungen nicht ernst. Genau wie im ersten Abschnitt gibt es auch hier eine Entfremdung zwischen Eltern und Tochter, wobei diese Entfremdung zwischen allen Kindern und ihren Eltern beschrieben wird, was mir etwas zu eindimensional erscheint. Auch, dass Nisha wesentliche Informationen vorenthalten werden, erscheint mir zu konstruiert. Wahrscheinlich braucht der Plot das, damit die Jugendlichen ohne Wissen der Eltern zum Dunkelriff aufbrechen können, einem magischen Ort, von dem sie Wunder und Heilung erwarten. Die Expedition ist spannend beschrieben, mich hat aber das Teenager-Rumgezicke und die naive Herangehensweise der Gruppe etwas genervt: Da ist eine Gesellschaft weit entwickelt und macht Genforschung im großen Stil, aber was sie essen können, müssen die Kids durch Versuch und Irrtum herausfinden. Schließlich entscheiden sie sich gegen den Willen ihrer Eltern, am Dunkelriff zu leben, wo magisch erscheinende Anpassungen ihrer Körper passieren. Auch das erscheint mir wenig nachvollziehbar (sowohl die Endscheidung als auch die plötzlichen Veränderungen, schon gar nicht, als deutlich wird, dass das Leben in der Tiefsee auch Opfer fordert). Ein Plus sind die wirklich atmosphärischen Schilderungen der Unterwasserwelt.

Der zweite Teil des Buches geht dann in Briefe über. Der Briefwechsel zwischen Nisha und Anna wird abgedruckt, wobei eine andere Zeitrechnung verwendet wird, die ich nicht verstehe. Hier zeigt sich für mich die deutliche Schwäche des Buches: Sämtliche Beziehungen erscheinen wenig ausgearbeitet und auch wenig nah. Nishas Vater bleibt eine vage Figur am Rande, ein abwesender Vater, der sich aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht um sein Kind bemühen kann und ihr nicht schreibt. Auch sie schreibt ihm nicht. Nisha und Anna lösen ihre Konflikte nicht, verbleiben in Anschuldigungen und gehen dann auf die faktische Ebene über, wobei Wesentliches unausgesprochen bleibt, ohne dass es einen Subtext gibt, der sich mir erschließt. Es wird zwar deutlich, dass es wesentliche Veränderungen in der Welt gibt, mir blieb aber unverständlich, was passiert und vor allem warum. Auch, warum sich Nisha und Anna zehn Jahre nicht sehen, obwohl sie keine Tagesreise voneinander entfernt leben, bleibt unverständlich.

Dann kommt im Buch wieder ein erzählender Teil, die Erklärungen für die Entfremdung werden in einem Infodumpblock nachgeliefert, aber ich verstehe sie nicht, weil die zugrundeliegende Beziehungslosigkeit seltsam unverständlich bleibt. Es gibt eine Katastrophe, das Meer wird heiß, alles stirbt. Die ausufernden Schilderungen eigentlich rasanter Szenen haben mich doch zunehmend genervt. Nisha bleibt allein zurück und rettet sich an Land, wo sie seitenweise fast stirbt. Hier hat der Text mE deutliche Längen und ich habe mich ziemlich gequält. Irgendwann hat auch sie wieder eine Vision, erfährt von einer Schwangerschaft und verwandelt sich in einen Schmetterling. Das fand ich so fantasyartig, dass es mich nicht für sich einfangen konnte.

 

Im Teil drei steht Lokapi im Mittelpunkt, Nishas Tochter. Auch sie ist wieder ein Workaholic und arbeitet in einer wundersamen Blase, in der all die ausgestorbenen Tierarten noch leben. Was genau sie dort untersucht, bleibt unklar, ihr Equipment besteht aus einem nicht näher spezifizierten Gerät und einem Armband, das ihr Kontakt nach außen ermöglichen soll, was es aber nicht tut. Lokapi lebt allein in einer fast verlassenen Forschungsstation. Sie hat einen Partner, die Beziehung scheint aber recht fern und nichtssagend, es ist eine Zweckgemeinschaft zum Zwecke des Kinderzeugens, was auch benannt wird. Wie das funktionieren kann, wenn es eine Fernbeziehung ist, bleibt lange offen, irgendwann wird deutlich, dass nach einer Fehlgeburt die Versuche, ein Kind zu bekommen, aufgegeben wurden.

Mit Lokapi bin ich nicht warmgeworden, was schon beim Namen anfängt. Sie heißt l’Okapi, nach dem französischen Namen eines ausgestorbenen Tiers, von dem ihre Mutter ein Mal im Radio gehört hat. Warum das so bedeutsam ist, dass sie ihr Kind danach benennt, bleibt unverständlich. Zu unverständlich war mir auch, was sie dort arbeitet und was sie eigentlich sucht. Auch wie sie eigentlich aussieht, von ihrem Haar einmal abgesehen, habe ich nicht verstanden. Die endlosen Beschreibungen der Idylle in der Blase und des körperlichen Unwohlseins Lokapis haben mich sehr genervt, der ohnehin dialogarme Text hat hier kaum noch Dialoge – einfach weil es kaum jemandem gibt, dem Lokapi begegnet.

Lokapi hatte eine geniale Vorgängerin, aber die ist verschwunden. Natürlich versteht man sofort, dass sie in der Blase leben muss und so ist es nicht erstaunlich, dass auch Lokapi sich irgendwann dafür entscheidet, in die Blase zu gehen, die als Dimensionstasche beschrieben wird, ohne dass klar ist, was das nun genau sein soll. Dort ist alles merkwürdig. Lokapi vergisst Dinge und denkt wirr, was ich anstrengend zu lesen fand. Auch werden mir Informationen künstlich vorenthalten, erst sehr spät gibt es eine Begegnung mit der anderen Bewohnerin der Blase: Savanna, die drei Mal ihren Namen gewechselt hat – wie es scheint nur, damit Krieg nach und nach aufklären kann, wer sie ist. So kann sie dann auf den letzten Seiten erklären, warum Lokapis Mutter sie einfach verlassen hat, wobei auch diese Erklärung für mich nicht nachvollziehbar bleibt. Denn warum sollte jemand das eigene Kleinkind oder Baby verlassen, um eine Mutter zu suchen, die jahrelang eine Tagesreise entfernt lebte, ohne dass man sich die Mühe machte, mal vorbeizusehen? Nun gibt Nisha ihre eigene Tochter auf, um die kranke Mutter zu pflegen, eine Wendung, die in ihrem Charakter nicht einmal ansatzweise angelegt ist und die mir daher unplausibel erscheint.

Ärgern tun mich auch solche Sachen, wie, dass Lokapi sich mal eben aus Rinde und Blättern Kleidung webt – ohne Kenntnisse, wie man Fasern gewinnt und ohne Webstuhl?

Das Buch endet damit, dass Lokapi schließlich völlig in eine Traumwelt entschwindet. Dort begegnet sie „dem Uralten“, der Sternschildkröte, die schon ihre Mutter und Großmutter imaginiert haben. Und sie begegnet ihrer Mutter und ihrer Großmutter. Ob das nun eine Vision, ein Wahn oder eine Eingebung sein soll und was sie bedeutet, bleibt vage, weshalb das Ende des Buches für mich unbefriedigend bleibt.

 

Insgesamt muss ich sagen, dass ich mich im letzten Drittel wirklich gequält habe. Die die drei Teile überspannenden Linien sind für mich unzureichend aufgegriffen. Was es mit der Schildkröte auf sich hat, bleibt ebenso unerklärt wie die Beziehungslosigkeit der Protas. Das übergreifende Thema, ob die Menschheit überlebt und wenn ja, wie, bleibt ebenfalls offen.

Die Beschreibungen, die zunächst eine Stärke des Buches waren, haben mich zunehmend genervt (auch weil sie sich wiederholen), die starke Innenschau ist im zweiten Teil kaum noch, im dritten fast gar nicht mehr vorhanden. Und dann gibt es doch immer wieder Phasen, wie „eine kalte Hand schloss sich um ihre Brust“.

 

Das Buch endet mit einem ausführlichen Infoteil. Neben einer Welterklärung, die das Buch nicht brauchen sollte und die lückenhaft bleibt, gibt es ein Glossar (das ich nicht vermisst habe), die Erklärung des Kalenders und eine Figurenübersicht. Und Anregungen für Lesezirkel, die mich in ihrer pädagogischen Wirkung befremden.

[Naut]

Ich hätte die drei Zeitebenen definitiv verflochten durch diverse Rückblenden geschrieben (gibt auch ganz gute Optionen für Cliffhanger durch Kapitelwechsel im geeigneten Moment), aber dafür bin ich ja auch gefürchtet, es ist also nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlen  [...]

Eine Erzählzeit über drei Generationen hinweg ist auf jeden Fall ein sehr anspruchsvolles Projekt.

Andererseits habe ich zufällig gerade zwei Bücher gelesen, die das genau so lösen und auch noch hochgelobte Bestseller sind:

- "Die Geschichte des Wassers" von Maja Lunde

- "Die Experten" von Merle Kröger

 

Besonders bei Kröger fand ich faszinierend, wie sie quasi alle Ratschläge für Schreibanfänger in die Tonne tritt: Sie macht einen ziemlich großen, unübersichtlichen Personenpool auf, beginnt jedes Kapitel mitten in der Handlung und blendet dann sofort etwa 3 Wochen bis zwei Stunden in die Vergangenheit, um dort nochmal anzusetzen, sie wechselt mittendrin die Erzählperspektive, hüpft zwischen Personen und wechselt mitten im Satz in auktoriale Positionen, indem sie Kolportagetechniken verwendet. Und trotzdem konnte ich das Buch lesen, ohne zuviel zu bekommen.

Bearbeitet von Naut, 06 Februar 2023 - 15:25.

[Rezensionsnerdista]

Alle drei Lunde-Bücher waren großartig, ja! Die habe ich auch gern gelesen. 

[Liza]

Liza, letztlich kannst du ja nur selbst entscheiden, was für dich für dieses Projekt passt. Für mich las es sich so, als hätte jede der Mütter stets die eigene Arbeit über die Tochter gestellt und diese darum bereits vor der Geburt verlassen. Und das fand ich unglaublich deprimierend: Immer wieder eine Frau im Zentrum und immer wieder ein Workaholic, der eigentlich zu engen Beziehungen nicht fähig ist. Das ist aber meine ganz individuelle Sichtweise, andere Personen lesen das sicher anders.

 

Ich komm mit der Zitierfunktion nicht ganz klar, deswegen antworte ich mal so... 
Hmmm ja ich verstehe, warum du das so siehst. Beabsichtigt war das nicht, da ich denke, man kann schon auch viel Leidenschaft für die Arbeit haben, und Fehler machen gegenüber den Kindern, aber das würde ich nicht mit "Verlassen vor der Geburt" und Beziehungslosigkeit gleichsetzen. Aaaber sagen wir mal so, ich habe seitenweise Tabellen mit Themen und Muster und Narrativen und Metanarrativen für jeden Teil und jede Person etc pp, und da spielt dann vielleicht auch eine gewissen Betriebsblindheit rein, dass mir das in der Wiederholung nicht aufgefallen ist. 

Und repetitive Szenen und zu lange Beschreibungen, da hofft man natürlich auf das Lektorat, weil einem auch da bei aller Liebe und Bereitwilligkeit und trotz allen Kürzungen, die man selbst so macht, auch einfach viel entgeht, wenn man das ganze schon hundert mal selbst gelesen hat.

Aber du weißt schon, was das heißt... vielleicht brauche ich gründlichere Beta-Leser*innen für das nächste Projekt... ähem... *räusper* ;-)

 

Andererseits habe ich zufällig gerade zwei Bücher gelesen, die das genau so lösen und auch noch hochgelobte Bestseller sind:

- "Die Geschichte des Wassers" von Maja Lunde

- "Die Experten" von Merle Kröger

 

Die das wie lösen? Durch Verflechtung oder nacheinander? Lunde hab ich auch gelesen und gemocht, erinnere mich aber nicht mehr, wie die Struktur war.

[Naut]

Die das wie lösen? Durch Verflechtung oder nacheinander? Lunde hab ich auch gelesen und gemocht, erinnere mich aber nicht mehr, wie die Struktur war.

Ich habe doch Uwes Beitrag zitiert, darin steht es: Interlaced und mit Rückblenden.

 

Trotzdem (oder genau deswegen) bin ich jetzt neugierig auf Dein Buch!

Alle drei Lunde-Bücher waren großartig, ja! Die habe ich auch gern gelesen. 

OT: Gerade ist wohl das vierte erschienen, damit ist das Quartett komplett.

[Uwe Post]

Man muss natürlich die Zielgruppe im Auge behalten. Zwar hast Du, Naut, nicht "zuviel gekriegt", aber ich bin sicher, dass manche Leser von einer von Dir erläuterten Erzählstruktur überfordert wären. Typischen Lesern von (Nicht-bloß-Spaceshooter-)SF kann man grundsätzlich schon ein bisschen fast zumuten, meiner Erfahrung nach. Das gilt übrigens bis zu gewissem Grad auch für Glaubwürdigkeit von Figuren und Ereignissen.

[Naut]

Man muss natürlich die Zielgruppe im Auge behalten. Zwar hast Du, Naut, nicht "zuviel gekriegt", aber ich bin sicher, dass manche Leser von einer von Dir erläuterten Erzählstruktur überfordert wären. Typischen Lesern von (Nicht-bloß-Spaceshooter-)SF kann man grundsätzlich schon ein bisschen fast zumuten, meiner Erfahrung nach. Das gilt übrigens bis zu gewissem Grad auch für Glaubwürdigkeit von Figuren und Ereignissen.

Ja, absolut. Das spiegeln auch die Rezensionen zu "Die Experten". Andererseits: Spiegel Bestseller!

[Jol Rosenberg]

Liza, du kannst mich gern fragen, wenn es soweit ist - vielleicht können wir unsere Texte gegenseitig betalasen.

 

Ansonsten scheint es auch sehr individuell was als Redundanz empfunden wird. Da sind dann vielleicht Nuancen anders, die du bedeutsam findest und deren Bedeutsamkeit mir entgeht.

[Liza]

Liza, du kannst mich gern fragen, wenn es soweit ist - vielleicht können wir unsere Texte gegenseitig betalasen.

 

Ansonsten scheint es auch sehr individuell was als Redundanz empfunden wird. Da sind dann vielleicht Nuancen anders, die du bedeutsam findest und deren Bedeutsamkeit mir entgeht.

 

Das fände ich super, wenn wir gegenseitig betalesen. Du kannst mir auch gerne was schicken.

Dass das alles sehr subjektiv ist, ist natürlich klar

[lapismont]

Bin nun im zweiten Teil, Seite 242.

 

Bleibe dabei: Klasse geschrieben! Tolle lyrisch-beschreibende Sprache, sehr sinnlich und mir zumindest sehr klar verständlich. Ich fühle förmlich das Meer.

 

Fazit zum ersten Teil: Sehr interessanter Weltenbau samt biotechnologischer Ideen. Mit Anna konnte ich mitfiebern. Die Schildkröten-Story ist fast magisch und entwickelt eie Art von Epik. Ein ungewöhnliches Buch bisher.

 

Teil Zwei beginnt mit Annas pubertierender Tochter und entsprechend nervt die Figur zunächst. Doch auch hier kommen dramatische Ereignisse ins Spiel, was die Figur beeinflusst. Die Expedition zum Dunkelriff ist bisher sehr spannend, bekomme direkt Jules Vernes Vibes. Am Anfang des Teils musste ich aber mehrmals an Findet Nemo denken. Der Name ist wohl mein Erinnerunsprogramm.

Finde es auch toll, das die Jugendlichen so stark körperlich differieren.

[Rezensionsnerdista]

Ich habe bei Teil 2 auch etwas gebraucht, um reinzukommen. Insgesamt ist es immer noch ein toller Roman, ein Highlight aus 2022, definitiv!

[Jol Rosenberg]

Ich fand die Sprache und auch die Atmosphäre ein klares Highlight!

 

Und ich würde mich sehr gern darüber austauschen, wie ihr das Ende verstanden habt. Falls jemand Lust hat.

[lapismont]

Ich fand die Sprache und auch die Atmosphäre ein klares Highlight!
 
Und ich würde mich sehr gern darüber austauschen, wie ihr das Ende verstanden habt. Falls jemand Lust hat.

Gern, ich bin schon im dritten Teil, sind nur noch 80 Seiten.
 
Der zweite Teil war sehr traurig. Hätte Nisha gewünscht,

Spoiler

dass ihr Dunkelriffgemeinwesen Erfolg hätte.

Zum Schluss des zweiten Teils ging es ein wenig in Richtung Fantasy. Stört an sich nicht, mir wurde aber bis dahin sugeriert, dass die biologischen Veränderungen halbwegs wissenschaftlich erklärbar sind, die

Spoiler

Schmetterlingsmetamorphose und Sternschildkröten

kamen mir dann aber etwas unglaubwürdig in dem vorher definierten Rahmen vor

Spoiler

(als Pterry-Fan ist die Existenz von Sternenschildkröten natürlich vollkommen logisch)

.

 

Das große Plus bleibt die Sprache. Bin schon sehr gespannt, was Lisa noch alles veröffentlicht.

[Rezensionsnerdista]

Ich fand den Schluss der zweiten Novelle toll. Richtig gut. Aber ja, es war etwas sehr phantastisch, aber gut vorbereitet

[Jol Rosenberg]

Ich bin da auch ausgestiegen, mir war das zu phantastisch. Vor allem aber habe ich auch im Nachdenken über den Text nicht verstanden, welchen Sinn das ergibt. Ich nehme an, da war etwas metaphorisches angedacht, was an mir vorbeigegangen ist.

[Rezensionsnerdista]

Mir war das Ende von Teil 2 nicht zu phantastisch und ich bin da auch nicht ausgestiegen, ich fand das Ende toll!

 

Spoiler

Ich habe es so interpretiert, dass das Leben unter Wasser und einfach an Land nun nicht mehr möglich war und sich daher andere Tiergene entfaltet haben, die das Leben in der Luft in Blasen ermöglichen würden. Klar, Evolution im Zeitraffer, aber ich fand das durchaus gut vorbereitet. 

[Jol Rosenberg]

Ich meinte die Sache mit der Sternenschildkröte, diese Visionen oder wie man das nennen soll. Wofür stehen die? Was ist der übergreifende Bogen? Da stehe ich total auf dem Schlauch.

[lapismont]

Ich meinte die Sache mit der Sternenschildkröte, diese Visionen oder wie man das nennen soll. Wofür stehen die? Was ist der übergreifende Bogen? Da stehe ich total auf dem Schlauch.

Zu phantastisch war es mir nicht, ich hab da eigentlich keine Grenzen. Für mich sind die Sternenschildkröten auch keine Visionen, sondern eine Art Weiterentwicklung zu Lebewesen, die eben auch im Vakuum leben können.

Noch bin ich nicht durch aber das Motto könnte sein: Das Leben findet seinen Weg.

[Liza]

ja - das Leben findet seinen Weg - das fast als Kernsatz gut meine Intention beim Schreiben zusammen. Auch in den Ruinen der Zerstörung finden sich Nischen, in denen unerwartetes Leben sprießt. Es geht weiter, und weiter, und weiter... wenn auch anders als zuvor.

 

Zum übergreifenden Rahmen mit den Sternschildkröten sage ich gerne auch noch was, aber das verstecke ich mal:

Spoiler

Hinten im Buch im Glossar schreibe ich:

"Wilde Meeresschildkröten gelten als ausgestorben. Dafür sind verschiedene Linien von genetisch manipulierten Arbeitsschildkröten allgegenwärtig in Teil I und II, um fossile Brennstoffe zu ersetzen. Die letzten wilden Meeresschildkröten agieren als reale und spirituelle Wesen im Verborgenen. Der mystische Uralte, eine gigantische Lederschildkröte, ist der Wächter der Schildkröten und ihrer Beziehungen zu den Menschen. In Träumen und Visionen erscheint er Anna, Nisha und Lokapi und gibt ihnen Hinweise. Die durch eine sternförmige Schuppe gekennzeichneten Sternschildkröten sind seine Boten. Sie sind in Traum und Realität auf der Suche nach Menschen, die besonders enge Beziehungen mit Schildkröten eingehen können. Durch Verflechtungen auf der genetischen und spirituellen Ebene stehen die Sternschildkröten den Menschen bei und retten gleichzeitig das Erbe der Meeresschildkröten."

Das geht also schon Richtung Fantastik, bewusst.
Intendiert war, dass Anna nicht die Einzige ist, die eine solche Begegnung mit einer Sternschildkröte hat, in der auch genetisches Material getauscht wird. Aber die Hybridisierung ist sozusagen der Schlüssel, um Schildkröten-Menschen zu kreieren, die bessere Chancen aufs Überleben haben, und in eine nicht näher definierte andere Dimension/anderen Aspekt der Wirklichkeit eintauchen können - wie Lokapi in den See hinein. Ob das dann Blasen, Vakuum, oder was auch immer ist, bleibt offen. Aber etwas geschieht durch diese Hybridisierung. Dass das nicht nur Anna passiert, sieht man auch am Sternschildkröten-Kult (auch wenn Anna das doof findet und sagt, die würden das alles verdrehen), und in einer "Vision" sieht Lokapi auch noch andere, die sind wie sie, die unsichtbaren Linien folgen.