Science Fiction wird oft als die "Literatur der Ideen" definiert. In der Vergangenheit machte die Science Fiction viele neue Ideen, von der Raumfahrt bis zur Computertechnik, populär. Seit geraumer Zeit jedoch scheint Science Fiction jedoch eher eine "Literatur der Sorgen" zu sein. Es überwiegen Dystopien, aber es gibt auch viel Science Fiction, die sich in Scheinwelten flüchtet, die mit den Dingen, die uns im wirklichen Leben umtreiben, nichts zu tun haben - Fantasy mit Raumschiffen.
Es mangelt freilich nicht an Science Fiction, in der aktuelle Themen wie Klimawandel und Artensterben eine zentrale Rolle spielen. Aber: es handelt sich eben fast immer um Dystopien, in denen der Zusammenbruch der Zivilisation aufgrund der unbewältigten Nachhaltigkeitskrise geschildert wird. Vielfach ist das zukünftige dunkle Zeitalter auch Folge einer Katastrophe, die nichts mit der Nachhaltigkeitskrise oder anderen realweltlichen Problemen zu tun haat, wie etwa - derzeit besonders beliebt - einer Seuche, die Menschen massenhaft in Zombies verwandelt. Oder ein Bergbaukonzern sticht eine Höhle an, in der feuerspeiende Drachen hausen, die sich dann über die Menschheit hermachen. Hauptsache, es gibt wieder Raum für Helden und Abenteuer.
Manche Science-Fiction-Autoren fabulieren auch von einer Flucht auf einen Planeten B, nachdem die Menschheit die Erde zugrunde gerichtet hat, und wo es ebenfalls wieder Raum für Helden und Abenteuer gibt, sei es ein terraformter Mars oder ein Planet eines anderen Sterns. Das ist natürlich keine Lösung. Sollen wir etwa noch einen Planeten zugrunde richten? Aber diese Option haben wir nicht: Es ist mehr als ungewiss, ob Terraforming funktioniert - wenn ein Planet lebensfeindlich ist, dann hat das seine Gründe, die sich wahrscheinlich mit keiner Technologie abänder lassen - und interstellare Reisen scheinen jenseits des technisch Realisierbaren zu liegen. Es führt kein Weg herum um die Erkenntnis, die längst zu einem beliebten Motto der Klima- und Umweltschutzbewegung geworden ist: Es gibt keinen Planeten B!
Dabei könnte die Science Fiction die Lösung der Nachhaltigkeitskrise zu ihrem Thema machen. Denn Ideen zur Lösung unserer Probleme gibt es viele, nur werden sie bislang noch viel zu wenig in spannender, unterhaltsamer Literatur präsentiert, sondern schlummern in mehr oder weniger trockenen Sachbüchern und wissenschaftlichen Arbeiten, die kaum jemand liest. Wo bleiben sie also, die positiven und zugleich realistischen Zukunftsvisionen? Es gibt sie, wenn auch noch zu wenige.
Als ein Beispiel kann der Roman Das Ministerium für die Zukunft von Kim Stanley Robinson (2021) gelten, dessen Protagonistin eine UN-Klimaschutzbehörde leitet, die für die Umsetzung der internationalen Klimaschutzvereinbarungen zuständig ist. Sie stößt zunächst auf allerlei Widerstände, doch am Ende, so viel sei verraten, ist ihre Mission erfolgreich. Schon 2010 erschien die Anthologie Shine, die optimistische Nahzukunfts-Stories enthält, von denen einige von der Lösung aktueller Probleme handeln. Auch einige Werke von Bruce Sterling, einem der Hauptprotagonisten der Cyberpunk-Bewegung der 1980er, weisen in diese Richtung. Das Magazin Solarpunk versteht sich als eine Plattform für solche Science Fiction. Und Robinson hat schon in den 1990er Jahren einen Gegenentwurf zum entfesselten Kapitalismus in seiner Mars-Trilogie vorgelegt, wenn auch im Rahmen einer Planet-B-Geschichte, die auf einem terraformten Roten Planeten spielt.
Denn Erzählstoff bietet die Auseinandersetzung um eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise mehr als genug! Umweltaktivisten und Whistleblower erleben Abenteuer und haben sich mit Gegnern wie profitgierigen Konzernen, korrupten Beamten und politischen Widersachern auseinanderzusetzen. Weitere Gegenspieler könnten Ökoterroristen sein, die für die richtigen Ziele mit den falschen Mitteln kämpfen, und damit der guten Sache schaden. Des weiteren kann eine spannende Kriminalgeschichte oder ein romantisches Liebesdrama in einer Welt spielen, die sich deutlich erkennbar in die richtige Richtung bewegt, können die Protagonisten ein Vorbild in Sachen nachhaltiger, verantwortungsbewusster Lebensführung sein. All das lässt sich in vielfältigster Weise miteinander kombinieren.
Es kommt hierbei darauf an, nicht nur zu beschreiben, wie eine nachhaltige, freie und gerechte Zukunft aussehen kann, sondern spannend zu erzählen. Ich habe beschlossen, dies zu meiner Lebensaufgabe zu machen. Derzeit sammle ich Ideen für solche Stories, von denen die ersten bereits beginnen, Gestalt anzunehmen. Das ist sicher nicht einfach, aber die oben genannten Beispiele zeigen, dass das machbar ist und wie solche Geschichten aussehen können.
Weblink
Literatur
Jetse de Vries (Hg.) (2010): Shine. An Antholoy of Near-Future Optimistic Science Fiction. Oxford: Solaris.
Kim Stanley Robinson (1993): Red Mars. New York: Random House.
Kim Stanley Robinson (1994): Green Mars. New York: Random House.
Kim Stanley Robinsin (1996): Blue Mars. New York: Random House.
Kim Stanley Robinson (2021): Das Ministerium für die Zukunft. München: Heyne.
Peter Seyferth (2014): Wo bleibt das Positive? In S. Mamczack, S. Pierling, W. Jescke (Hg.): Das Science Fiction Jahr 2014. München: Heyne.
(Dieses Post ist übernommen aus meinem Blog.)