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Was macht eine gute SF-Kurzgeschichte (oder Erzählung) aus


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96 Antworten in diesem Thema

#61 Naut

Naut

    Semantomorph

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Geschrieben 10 November 2023 - 08:51

Yvonne, Du verwandelst Dich gerade in Michael Iwoleit ;) Aber ich meine das gar nicht abfällig oder so: Er hat schon seit Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass die deutschsprachige Szene ein Qualitäts- und Selbstwahrnehmungsproblem hat. Leider sind die meisten Anstrengungen, daran etwas zu ändern, zwar immer von kurzfristigem Erfolg gewesen, aber letztlich nie besonders nachhaltig. Es hängt eben immer an einzelnen Personen (Herausgebern, Redakteuren, Verlagen).


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#62 Rezensionsnerdista

Rezensionsnerdista

    Yvonne

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Geschrieben 10 November 2023 - 09:26

Der Iwoleit hat's gepredigt, der Rottensteiner vor ihm und zwischendurch war der Karl Michael Amer sehr treffsicher mit seinem Aufsatz im SF Jahr. Plus, meiner Erinnerung nach hat Helmuth Mommers auch zeitweise sehr ähnlich geklungen.

 

 

Ich weiß, dass du Recht hast, ich will's aber nicht so richtig einsehen. Noch habe ich Hoffnung! Sonst ziehe ich eben meine Konsequenzen. Gerade haben wir hier im Forum jedenfalls einige sehr tolle Lesezirkel laufen, ich fühle mich da schon sehr verstanden.

 

Mit dem Michael Iwoleit wollte ich mich eigentlich verbünden, hat leider nicht ganz geklappt. Ich bewundere vieles an ihm und erst recht an seiner Prosa und seinen Errungenschaften für unser Fandom. Er hat mir jedenfalls viele tolle Lesetipps gegeben und ich habe während unserer Austauschs viel gelernt, dafür bin ich sehr dankbar!


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#63 Mammut

Mammut

    DerErnstFall Michael Schmidt

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Geschrieben 10 November 2023 - 10:21

Ich weiß, dass du Recht hast, ich will's aber nicht so richtig einsehen. Noch habe ich Hoffnung! Sonst ziehe ich eben meine Konsequenzen. Gerade haben wir hier im Forum jedenfalls einige sehr tolle Lesezirkel laufen, ich fühle mich da schon sehr verstanden.

 

Ich finde, so streng darf man das überhaupt nicht sehen, zumindest in einer solchen Absolutheit. Ich meine, diejenigen, die sich gezwungen sehen, jedes Jahr über 200 entsprechender Kurzgeschichten zu lesen, die haben ein hartes Los und das war wohl so oder so ähnlich schon immer so und wird sich wohl auch nie ändern.

Was machst du denn wenn du Kurzgeschichtenautor bist? Als Neuling bringt dir eine Veröffentlichungsmöglichkeit die Motivation weiterzumachen. Als Nichtneuling gibt es dir die Praxis, durch permanentes Schreiben dich - hoffentlich - zu verbessern.  Jol hatte mal nicht zu Unrecht gesagt, die Publikationsmöglichkeiten sind, wenn man den Fokus verengt auf das was man selbst will, sehr begrenzt.

 

Woran es mangelt ist meines Erachtens der Auswahlprozess. Geschichten generell zu verbessern bevor sie veröffentlicht werden (Testleser, Lektorat, Absagen). Als Herausgeber hat man da natürlich nur bedingt Argumente in der Hand wenn die eigene Publikation keine große Reichweite hat und man auch nichts an Tantiemen bezahlen kann. 

 

Im Prinzip muss die Auswahl aber auch von oben nach unten geschehen. Das heißt, für einen Literaturpreis muss ein höherer Anspruch für eine Nominierung geleistet sein als für den gewöhnlichen Herausgeber. Ob immer die besten und generell herausragende Geschichten nominiert werden und ob wirklich tolle Stories ignoriert werden, das kann ja jeder für sich selbst entscheiden.

Den führenden Publikationen, egal ob es jetzt eine Reihe wie Nova/Exodus ist oder ein Herausgeberteam, die müssen halt Maßstäbe setzen. Das ist ja der Versuch, den Helmuth W. Mommers gegangen ist. Vier Visionen mit 29 Nominierungen und fünf Siegern, eine Breite Akzeptanz, dass dort gute Literatur veröffentlicht wurden, ich finde das ist eine sehr gute Adresse. Ih könnt ja für euch mal beantworten, ob es aktuell eine vergleichbare Publikation gibt.



#64 Rezensionsnerdista

Rezensionsnerdista

    Yvonne

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Geschrieben 10 November 2023 - 10:27

 

Woran es mangelt ist meines Erachtens der Auswahlprozess. Geschichten generell zu verbessern bevor sie veröffentlicht werden (Testleser, Lektorat, Absagen). Als Herausgeber hat man da natürlich nur bedingt Argumente in der Hand wenn die eigene Publikation keine große Reichweite hat und man auch nichts an Tantiemen bezahlen kann. 

 

Genau. Und da sehe ich immer noch die Magazine weiter vorn. Auch wenn ich durchaus dem Leseratten-Verlag attestieren will, dass sie coole Anthologien machen (die vielleicht thematisch nicht so mein Ding sind, aber das macht ja nichts). 


Das ist ja der Versuch, den Helmuth W. Mommers gegangen ist. Vier Visionen mit 29 Nominierungen und fünf Siegern, eine Breite Akzeptanz, dass dort gute Literatur veröffentlicht wurden, ich finde das ist eine sehr gute Adresse. Ih könnt ja für euch mal beantworten, ob es aktuell eine vergleichbare Publikation gibt.

 

Gibt es nicht. Wenn, dass die Exodus.

 

Aber auch so sind die Visionen schon deutlich qualitativ drüber gewesen. Ich habe die ja tatsächlich nachgeholt. Klar, einiges ist schlecht gealtert, aber einiges war immer noch geil. Alleine schon diese Messner-Apokalypse-Story vom Hammerschmitt.

Ich bin ja glücklich, dass der Hammerschmitt in diesem Jahr wieder eine Story veröffentlicht hat ("In der Trockenzeit") und werde die auch nominieren, das ist für mich bisher die beste des ganzen Jahrgangs.


Ich meine, diejenigen, die sich gezwungen sehen, jedes Jahr über 200 entsprechender Kurzgeschichten zu lesen, die haben ein hartes Los und das war wohl so oder so ähnlich schon immer so und wird sich wohl auch nie ändern.

 

Ja. Mache ich ja auch nicht mehr. 

 

Ich muss mir halt überlegen, wie viele der Storys ich mir für den Kurzgeschichtenartikel fürs SF Jahr reinziehe und wenn ich nicht bereit bin, dafür ausreichend viele zu lesen, muss ich eben Konsequenzen ziehen. (Oder mir von euch Tipps geben lassen, welche Storys gut sind.)


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#65 Mammut

Mammut

    DerErnstFall Michael Schmidt

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Geschrieben 10 November 2023 - 10:39

Genau. Und da sehe ich immer noch die Magazine weiter vorn. Auch wenn ich durchaus dem Leseratten-Verlag attestieren will, dass sie coole Anthologien machen (die vielleicht thematisch nicht so mein Ding sind, aber das macht ja nichts). 

 

Ich habe mal versucht zwei Themenanthologien herauszugeben und bin beides mal gescheitert. Da kam einfach nicht genügend Veröffentlichungswürdiges zusammen. Themenanthologien sind allerdings im Trend, die Vermutung liegt nahe, die haben potenziell ein größeres Publikum.

Wenn man also eine Anthologie zu einem Thema veröffentlichen will, ist man auf Neukreationen angewiesen. Bei einer Publikation wie Zwielicht haben wir viele Texte veröffentlicht, die woanders durch das Raster fielen. Generell hat man mehr Auswahl an guten Geschichten.



#66 Rezensionsnerdista

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Geschrieben 10 November 2023 - 10:51

Ich habe mal versucht zwei Themenanthologien herauszugeben und bin beides mal gescheitert. Da kam einfach nicht genügend Veröffentlichungswürdiges zusammen. Themenanthologien sind allerdings im Trend, die Vermutung liegt nahe, die haben potenziell ein größeres Publikum.

Wenn man also eine Anthologie zu einem Thema veröffentlichen will, ist man auf Neukreationen angewiesen. Bei einer Publikation wie Zwielicht haben wir viele Texte veröffentlicht, die woanders durch das Raster fielen. Generell hat man mehr Auswahl an guten Geschichten.

 

So etwas in der Art hat der Uwe auch letztens gesagt. Themen können auch sehr einschränkend sein.

 

Der Tod kommt auf Zahnrädern hatte zwar eine Subgenre-Vorgabe, aber keine Themenvorgabe. Dieses Verdienst geht noch auf Galax zurück, der das so vorgeschlagen und uns davon sofort überzeugt hatte. Das war ein sehr guter Vorschlag.


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#67 Naut

Naut

    Semantomorph

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Geschrieben 10 November 2023 - 11:04

Themenanthologien haben Vor- und Nachteile. Die letzten zwei von Rößler/Hebben/Skora musste ich z.B. skippen, weil mir einfach nichts dazu einfiel (obwohl die Resultate qualitativ immer sehr gut waren und ich daher gern dabei gewesen wäre). Für die Auswahl hinterher ist es eher nachteilig. Manchmal verkaufen sich Themen besser als "freien" Anthos, aber das hängt auch stark an der Tagesstimmung.
Grundsätzlich sind eingeladene Anthos gut für die Qualität, aber irgendwo muss ja andererseits der Nachwuchs publizieren.
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#68 Rezensionsnerdista

Rezensionsnerdista

    Yvonne

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Geschrieben 10 November 2023 - 11:12

Grundsätzlich sind eingeladene Anthos gut für die Qualität, aber irgendwo muss ja andererseits der Nachwuchs publizieren.

 

 

Das ist wahr. Man kann natürlich vorher auch zwei Jahre intensiv rezensieren, dann kennen einen die Leute auch. (Ich sehe aber ein, dass das eher der arbeitsintensive Ansatz ist.)


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#69 Udo Klotz

Udo Klotz

    Yoginaut

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Geschrieben 11 November 2023 - 11:17

Ich habe den Eindruck, dass es zwar eine gute Bandbreite gibt, was als Kriterien für eine "gute" oder "herausragende" Kurzgeschichte herangezogen werden kann, aber dass wir mehr oder weniger auch den Kriterien der anderen zustimmen können. Da gibt es Vorlieben und Geschmäcker, aber nicht wirklich Widerspruch.

Wenn das also mehr oder weniger Konsens ist, wieso wird dann so viel veröffentlicht, das diesem Konsens nicht entspricht?

Ich habe ja auch eine Liste von Ausschlusskriterien zusammengestellt, und ich vermute, dass es hier diesen Konsens nicht gibt, denn weit mehr als die Hälfte der pro Jahr 400-500 veröffentlichten SF-Storys beinhalten solche Ausschlusskriterien.

Man könnte jetzt argumentieren, das ist halt Geschmackssache, aber ich sehe hier zwei gravierende Nachteile:

  1. Wer einen Überblick haben will, muss unter hunderten von nicht lesbaren Storys die paar Dutzend ausgraben, die lesbar sind, und hier wieder das anderthalb Dutzend, das man nominieren könnte.
  2. Wenn ich jemandem, der gerne liest, die SF per Kurzgeschichten nahebringen möchte, kann ich nicht mehr, wie früher, fast blind zu einer SF-Anthologie aus den Publikumsverlagen greifen, wo alle Storys nicht nur lesbar, sondern mindestens gut, meist sehr gut oder herasuragend waren. Heute muss ich sagen: Hier, in dieser Antho ist eine gute Story enthalten, lies die mal. Und wenn Du noch eine gute Story lesen willst, hier ist noch eine Antho oder eine Magazinausgabe. De facto kann ich über die SF-Kurzgeschichte heute niemanden mehr für die SF begeistern, denn man sieht sofort den Müll, der jede gute Story umgibt.

Ich sehe einen dringenden Bedarf, an dieser Veröffentlichtungswut von schlechten Storys etwas zu ändern, wenn wir die Auflagen der Kurzgeschichtensammlungen steigern wollen, was dann auch endlich erlauben würde, den Autor*innen ein kleines Honorar zu zahlen.


Udo

#70 Christian Hornstein

Christian Hornstein

    Illuminaut

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Geschrieben 11 November 2023 - 15:05

Beschaffenheit deutscher SF-Kurzgeschichten
In Bezug auf Entscheidungen von Ausschreibenden / Herausgeberi gibt es natürlich eine Reihe unterschiedlich gearteter Erwägungen, die darauf Einfluss nehmen z.B. das erwähnte Problem bei themenbebundenen Anthologien oder vielleicht auch das Problem, nur selten Texte zu bekommen, die alle Kriterien halbwegs erfüllen, was ja auch schwer zu realisieren ist. Vielleicht können uns die Herausgeberi Hinweise geben, womit sie kämpfen und wie sie entscheiden. Ich glaube, wenn ich Herausgeber wäre, würde ich der Qualität immer den Vorrang geben, auch wenn es bedeuten sollte, dass ich nur einmal alle zwei Jahre eine Anthologie veröffentliche, denn wem nützt es am Ende, Halbgares zu publizieren?

Rezeptionseigenschaften der deutschen SF-Leseri
Die meisten deutschen SF-Fans, die ich kennengelernt habe, kannten kein einziges deutsches Phantastik-Magazin und Anthologien waren ihnen eher fremd. Sie ernährten sich in erster Linie von SF-Filmen und in zweiter Linie von SF-Romanen, die zum Teil auch eher älter waren. Ich wünschte, es gäbe einen Weg, wie die Neugier und das Verständnis der deutschen SF-Fans in Bezug auf SF-Kurzgeschichten gefördert und die Qualität letzterer erhöht werden könnte. Warum? Für mich sollten SF-Kurzgeschichten nicht nur, aber in besonderem Maße auch die cutting edge der SF-Literatur sein d.h. Literatur sein, die neue Wege geht. Wenn ich an die Zeit denke, als der Cyberpunk aufkam - was ich als junger Mensch life miterlebt habe - dann wünschte ich, die heutige Generation dürfte so etwas auch mal erfahren. Es ist nämlich höchst inspirierend. Wir haben seitdem zwar verschiedene Neuerungen in der SF gehabt, aber nichts, was mit diesem Paradigmenwechsel vergleichbar wäre.

Konsenskriterien
Die von uns genannten Konsenskriterien gelten bestenfalls für einen Großteil der Menschen, die Genreliteratur lesen und/oder schreiben. Ob ein Konsenskriterium in Bezug auf einen bestimmten Text erfüllt ist oder nicht wird wahrscheinlich wieder zu Dissenz führen, es sei denn, konkrete Anhaltspunkte für die Bestimmung des Erfüllungsgrades werden ebenfalls im Konsens bestimmt. Hier müssen wir schon recht nahe an die Beschaffenheit des Textes herantreten. Die Story Grid Methode von Shawn Coyne, die in den USA immer beliebter wird, ist dafür ein gutes neueres Beispiel, das allerdings auch sehr normativ ist.

Weitere Kriterien
Die Operationalisierbarkeit hat ihre Grenzen. Das musste auch schon die Narratologie bei ihrer Erzähltextanalyse feststellen. Dennoch ist es oft möglich, diese anderen Kriterien zumindest zu benennen, wenn sie zum Tragen kommen. Die Konsenskriterien helfen sogar dabei, denn wenn ein Text sie einigermaßen erfüllt, uns aber dennoch nicht begeistert, oder sie nicht gut erfüllt, uns aber aus den Socken haut, dann merken wir: Hier ist etwas anderes am Werk. Dann können wir uns fragen, was es ist.



#71 ChristophGrimm

ChristophGrimm

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Geschrieben 11 November 2023 - 16:02

Beschaffenheit deutscher SF-Kurzgeschichten
In Bezug auf Entscheidungen von Ausschreibenden / Herausgeberi gibt es natürlich eine Reihe unterschiedlich gearteter Erwägungen, die darauf Einfluss nehmen z.B. das erwähnte Problem bei themenbebundenen Anthologien oder vielleicht auch das Problem, nur selten Texte zu bekommen, die alle Kriterien halbwegs erfüllen, was ja auch schwer zu realisieren ist. Vielleicht können uns die Herausgeberi Hinweise geben, womit sie kämpfen und wie sie entscheiden. Ich glaube, wenn ich Herausgeber wäre, würde ich der Qualität immer den Vorrang geben, auch wenn es bedeuten sollte, dass ich nur einmal alle zwei Jahre eine Anthologie veröffentliche, denn wem nützt es am Ende, Halbgares zu publizieren?


Okay, das erfordert eine sehr differenzierte Betrachtung, denn grundsätzlich bin ich bei Udo und dir. Halbgare Sammlungen nutzen niemandem. Andererseits verrät mir deine Aussage, dass du notfalls nur alle zwei Jahre eine Anthologie publizieren würdest, sollte nicht das Nonplusultra zustande kommen, dass du vermutlich noch nie Herausgeber warst. Die Arbeit an solchen Sammlungen sind Selbstausbeutung. Frage dich selbst, ob du 6-8 Stunden die Woche über zwei Jahre hinweg an einer einzigen Sammlung arbeiten würdest - und das dann wiederholst.
Frage dich auch, wie deine Reaktion ausfallen würde, wenn jemand wie bspw. ich dir auf eine Einsendung antworten würde: „Da ist Potential drin, aber zu viele Baustellen. Ich empfehle dir, den Text noch einmal neu zu schreiben …“
(Bevor du fragst: Sven Haupts Reaktion auf die rohe Erstfassung meiner Geschichte „Die Summe aller Teile“).

Im Hinblick auf eine Periodika ist es Harakiri. Weder mein „Weltenportal“ noch „EXODUS“, „Nova“ oder das „Future Fiction Magazine“ können es sich erlauben, einfach längere Zeit nicht zu erscheinen. Dann wird eher akzeptiert, dass ein zugkräftiger Eschbach eben eine für seine Verhältnisse ziemlich bescheidene Geschichte hergegeben hat. Oder dass es nicht 13 Perlen in Serie sind, sondern in einem Jahrgang wohl nur Aiki und Uwe Hermann beeindruckt haben.

Ich habe 166 Einsendungen für die sechste Weltenportal-Ausschreibung erhalten. 17 davon ziehe ich in Erwägung. Einige weitere haben teils interessante Ideen, befinden sich aber auf einem Level, mit dem ich nicht arbeiten kann.
Die Reaktion meines Co-Redakteurs: „Habe auch die hochgeladenen Geschichten schon gelesen ... keine dabei, die ohne lektorielle Bearbeitung für mich bestehen könnte. Vielleicht sind meine Vorstellungen die falschen, aber es sind aus meiner Sicht echt Basics, die manchmal nicht stimmen ... Kann deinen Frust nachvollziehen.“
Ich stimme ihm zu. Da war eine Geschichte dabei, die ich (mit Überarbeitung!) als Rohdiamanten bezeichnen würde, andere haben zumindest Potential. Ob die Autor:innen es nutzen wollen, wird sich zeigen, wenn wir das Lektorat verschicken.

Was mache ich, wenn meinem Co-Redakteur und mir kollektiv der Vogel gezeigt wird?
Eine zweite Ausschreibung? Dann hält man mich für bekloppt.
Das, was ich ohnehin schon mache - versierte, mir bekannte Autor:innen in der Hoffnung anbetteln, sie würden eine Perle in der Schublade horten oder in absehbarer Zeit damit um die Ecke kommen - nochmal intensiver betreiben?
Nur noch auf Einladung gehen?
Wie lange kann ich das 6. Weltenportal vor mir herschieben, bevor die Ersten ihre Beiträge zugunsten einer anderen Publikation zurückziehen?
Welche Auswirkungen hat es auf künftige Einsendungen, wenn die Periodika eben nicht in gewissen Abständen erscheint?

Aber ja: Ich tue es mir an, weil es mir Spaß macht und ich noch den Ehrgeiz habe, die Zeitschrift nach vorne zu bringen. Weil ich die Hoffnung habe, dass sich die Güte der Einsendungen aufgrund der Regelmäßigkeit des Erscheinens steigern wird …
… aber so, wie es derzeit läuft, mache ich es nicht ewig.

Bearbeitet von ChristophGrimm, 12 November 2023 - 08:13.

„Alien Contagium: Erstkontakt-Geschichten“: https://eridanusverlag.de | "En passant - Die Reisen des Sherlock Holmes": https://burgenweltverlag.de<p>Kostenloses SF/Fantasy-Literatur-Webzine: https://weltenportalmagazin.de
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#72 Rezensionsnerdista

Rezensionsnerdista

    Yvonne

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Geschrieben 11 November 2023 - 16:27

Danke, Chris, für den hochinteressanten Einblick!

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#73 lapismont

lapismont

    Linksgrünversifft

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Geschrieben 11 November 2023 - 16:57

Mir als Leser geht es so, wenn ich eine Ausgabe schlecht fand, kauf ich ne Weile das Mag nicht mehr. So bei Exodus und Nova und jüngst FFM geschehen. Ausnahme ist die phantastisch, die ich von Anfang abonniert habe und das wohl auch so schnell nicht ändern werde, aber die lese ich nicht wegen der KGn.

Nach der ersten Antho von Rico hab ich nie wieder in eine reingeschaut.

 

Also mich vergrault man als Kunde schon. 


Überlicht und Beamen wird von Elfen verhindert.

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#74 Helge

Helge

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Geschrieben 11 November 2023 - 17:08

Die Reaktion meines Co-Redakteurs: „Habe auch die hochgeladenen Geschichten schon gelesen ... keine dabei, die ohne lektorielle Bearbeitung für mich bestehen könnte. Vielleicht sind meine Vorstellungen die falschen, aber es sind aus meiner Sicht echt Basics, die manchmal nicht stimmen ... Kann deinen Frust nachvollziehen.“
Ich stimme ihm zu. Da war eine Geschichte dabei, die ich (mit Überarbeitung!) als Rohdiamanten bezeichnen würde, andere haben zumindest Potential. Ob die Autor:innen es nutzen wollen, wird sich zeigen, wenn wir das Lektorat verschicken.
 

Ich habe selbst schon eine kleine Reihe von Themenanthologien herausgegeben (Fur Fiction 1 bis 3 plus einen abschließenden Sammelband mit Bonusstories) und hatte da von Anfang an gar nicht erst den Anspruch, dass die Stories ohne Lektorat/Korrektorat auskommen müssten. Wichtig war mir die Story an sich, die Idee, der Aufbau, die Charaktere, die wesentlichen Dinge eben; alles andere kann man ja in Ordnung bringen. Rechtschreibung, Grammatik und Satzbau waren mir dabei nicht weiter wichtig; wenn die Story an sich entsprechend gut war, dann war ich auch bereit, viel Arbeit in das Lektorat/Korrektorat zu stecken. (Es gab aber durchaus auch Stories, bei denen ich überhaupt nichts mehr machen musste.)



#75 Naut

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Geschrieben 11 November 2023 - 17:21

Danke, Chris, für den hochinteressanten Einblick!

Da schließe ich mich an. Und stelle fest, es hat sich in den letzten 17 Jahren nicht viel geändert.
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#76 ChristophGrimm

ChristophGrimm

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Geschrieben 11 November 2023 - 18:08

Ich habe selbst schon eine kleine Reihe von Themenanthologien herausgegeben (Fur Fiction 1 bis 3 plus einen abschließenden Sammelband mit Bonusstories) und hatte da von Anfang an gar nicht erst den Anspruch, dass die Stories ohne Lektorat/Korrektorat auskommen müssten. Wichtig war mir die Story an sich, die Idee, der Aufbau, die Charaktere, die wesentlichen Dinge eben; alles andere kann man ja in Ordnung bringen. Rechtschreibung, Grammatik und Satzbau waren mir dabei nicht weiter wichtig; wenn die Story an sich entsprechend gut war, dann war ich auch bereit, viel Arbeit in das Lektorat/Korrektorat zu stecken. (Es gab aber durchaus auch Stories, bei denen ich überhaupt nichts mehr machen musste.)

Weil die Aussage meines Co-Redakteurs wohl missverständlich war: Ein Lektorat und ein Korrektorat gibt es sowieso. Mit „lektorieller Bearbeitung“ ist ein intensives, mehrstufiges Lektorat gemeint, dass sich zunächst auf die Basics, anschließend auf den inhaltlichen und sprachlichen Grobschliff und anschließend auf Feinschliff bzw. auf möglicherweise neu entstandenen Lektoratsbedarf aufgrund der Änderungen der vorangegangenen Stufen bezieht. Erst dann erfolgt Korrektorat und Schlussprüfung.

Um es mal an einem Beispiel zu erläutern: Yvonnes Geschichte „Die Geburtstagsparty“ (Weltenportal 5) hatte lediglich ein Feinschliff-Lektorat nötig, auch wenn Korrektorat und Schlussprüfung noch Kleinigkeiten gefunden haben.

Hätte ich keinen grundsätzlichen Spaß daran, an Texten zu arbeiten, wäre ich nicht Herausgeber. Bei originellen Ideen und manchem Neuling investieren mein Team und ich auch gerne den Aufwand eines mehrstufigen Lektorats - einerseits wegen dem vielversprechenden Rohentwurf, andererseits weil irgendjemand auch ein (erstes) Erfolgerlebnis geben muss. Die Nominierung von Helen Obermeiers „Der blassblaue Punkt“ („Alien Contagium“) empfinde ich auch für die Lektorin Tine und mich als Erfolg.

Dennoch: So 4-5 Mal das Kaliber Yvonne zu bekommen, wäre meiner Laune als Hrsg. zuträglich ;)
(Und dann haut Lapismont auch nicht ab ;)).

Bearbeitet von ChristophGrimm, 11 November 2023 - 18:09.

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#77 Rezensionsnerdista

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Geschrieben 11 November 2023 - 20:08

Da muss ich aber auch kurz mal meine Testlesenden loben, ohne die wäre ich nämlich viel zu zerstreut, um so abzuliefern.

Danke natürlich für die Blumen!

Podcast: Literatunnat

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#78 Dyrnberg

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Geschrieben 12 November 2023 - 09:28

Danke für die Einblicke, Christoph. Leuchtet alles ein. Vor allem die Problematik, dass man eine Ausgabe nicht ständig vor sich herschieben kann – und zwar sowohl mit Blick auf die wartenden Leser:innen wie aber auch unter Berücksichtigung jener, die bereits eine Story eingereicht haben, die akzeptiert worden ist.

Grundsätzliche Anmerkung: Sehr, sehr oft las ich über die Jahre hier im Forum Sätze wie diesen: "Gute, spannende Idee, da hätte man aber mehr draus machen müssen."

Und ich glaube, das ist kein Zufall. Gerade das Genre "Phantastik" verführt (uns alle) dazu, zu schnell von der Idee und dem Setting einer Story überzeugt zu sein und von ihr quasi mitgerissen zu werden – während die feinteilige, sorgfältige literarische Ausarbeitung in der Folge vernachlässigt wird. Implizite Hoffnung: Die Idee soll und wird die Geschichte tragen, nicht die Worte.

 



#79 Naut

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Geschrieben 12 November 2023 - 09:36

Das ist ein interessanter Gedanke, Dyrnberg. Gibt es also in dem anderen Genre, der "Hochliteratur" weniger Ausfälle, weil sich diese nicht hinter dem bunten Weltenbau verstecken können und es somit schnell auffällt, wenn eine Geschichte schlecht erzählt ist?

Die Konsequenz ist für mich, bei jeder phantastischen Geschichte zu hinterfragen, ob sie ohne das Novum irgendeine Substanz hätte.
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#80 Rezensionsnerdista

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Geschrieben 12 November 2023 - 09:59

Die Konsequenz ist für mich, bei jeder phantastischen Geschichte zu hinterfragen, ob sie ohne das Novum irgendeine Substanz hätte.


Das ist genau das, was Tim Waggoner in seinem Sachbuch zu Horror mehrmals betont hat.

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#81 Naut

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Geschrieben 12 November 2023 - 11:37

Das ist genau das, was Tim Waggoner in seinem Sachbuch zu Horror mehrmals betont hat.

Ja, sicher. Die Erkenntnis ist ja auch nicht neu. Aber ich finde es schon interessant, mir in Erinnerung zu rufen, dass die Phantastik hier zwei Richtungen des Denkens erfordert:

1. Die Geschichte sollte nicht ohne das Novum auskommen, denn sonst wäre es keine Phantastik: Ein Vater-Sohn-Konflikt, bei dem beide zufällig Zauberer sind, der aber exakt genauso ablaufen würde, wenn beide Maurer wären, ist im eigentlichen Sinne keine Phantasik.

2. Die geschichte muss auch ohne Novum auskommen, denn sonst ist sie nicht interessant: Eine Geschichte, die auf der persönlichen Ebene nichts zu bieten hat, kann ebensogut als Essay ausgeführt werden.

 

Diese scheinbare Dichotomie aufzulösen macht einen Aspekt guter SF-Geschichten aus.

 

Paradebeispiel ist hier wieder einmal Ted Chiang: Seine Geschichten existieren nur, weil ihnen ein abgefahrenes Novum zugrunde liegt. Gleichzeitig sind sie ohne die menschlichen Konflikte darin völlig undenkbar.


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#82 Rezensionsnerdista

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Geschrieben 12 November 2023 - 11:40

Ich möchte nur meine Begeisterung für deinen (und Tims) Gedanken zum Ausdruck bringen.

Wir kämen sehr viel weiter, wenn wir das beim Schreiben immer beherzigen würden

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#83 Naut

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Geschrieben 12 November 2023 - 11:53

Ich möchte nur meine Begeisterung für deinen (und Tims) Gedanken zum Ausdruck bringen.

Wir kämen sehr viel weiter, wenn wir das beim Schreiben immer beherzigen würden

Ich persönlich käme viel weiter, wenn ich überhaupt mal wieder etwas schreiben würde, aber das ist ja eher mein Problem.

 

Aber ja, das Kernproblem zu benennen ist einfach, auch können wir nun einen leichten Negativtest durchführen ("Kann die Geschichte ohne Novum und bietet die Geschichte eine menschliche/persönliche Ebene?")

Wie dies aber im positiven Sinne zu erreichen, zu konstruieren ist, dafür hat Udo u.A. ein paar Möglichkeiten aufgezeigt. Es gibt noch weitere, aber dann sind wir wieder schnell in den Gefilden des "acquired taste".

Ich denke, jeder Herausgebende wäre schon froh, einfach grundsolide Erzählungen zu bekommen, die die beiden Grund-Kriterien der Phantastik erfüllen.


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#84 Rezensionsnerdista

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    Yvonne

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Geschrieben 12 November 2023 - 11:56

Mir ist durchaus bewusst, dass ich aus dem Horror komme und da maßgeblich von Stephen Kings Prosa beeinflusst worden bin. Da ist bzgl "akquired taste" bei mir ohne Nähe zu den Figuren fast nie etwas zu holen.

Da muss es schon Asimov sein, was die Ideen betrifft ;-)

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#85 Naut

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Geschrieben 12 November 2023 - 12:17

Hmm, ja, verstehe, was Du meinst. Mit "acquired taste" meine ich aber eine Bewertungsdimension, wie wir hier nur an Rande verhandeln können. Lass mich das in einer Analogie erklären:
Der Free Jazz hat sich in seiner Entwicklung so weit vom "normalen" Jazz entfernt, dass dem "normalen" Hörer nicht mehr zu vermitteln ist, was dort als besser oder schlechter gilt. Das Konsumieren von Free Jazz ist ein "acqired taste", weil er Training und Hingabe zum Subjekt erfordert. (Andere Beispiele: Wein, Schimmelkäse, Austern, Black Metal, Kubismus.)

Ich vermute, dass das eines der Probleme ist, mit denen wir im Hinblick auf "Geschmack" zu kämpfen haben. Aber das spielt sich auf einer viel späteren Ebene ab, es wäre sprichwörtlich Meckern auf hohem Niveau.
Um im Jazz-Bild zu bleiben, müssten wir erstmal die Instrumente meistern, ehe wir über solche Feinheiten diskutieren.
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#86 ChristophGrimm

ChristophGrimm

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Geschrieben 12 November 2023 - 12:37



Ich denke, jeder Herausgebende wäre schon froh, einfach grundsolide Erzählungen zu bekommen, die die beiden Grund-Kriterien der Phantastik erfüllen.


Ja, sicher. Die Erkenntnis ist ja auch nicht neu. Aber ich finde es schon interessant, mir in Erinnerung zu rufen, dass die Phantastik hier zwei Richtungen des Denkens erfordert:
1. Die Geschichte sollte nicht ohne das Novum auskommen, denn sonst wäre es keine Phantastik: Ein Vater-Sohn-Konflikt, bei dem beide zufällig Zauberer sind, der aber exakt genauso ablaufen würde, wenn beide Maurer wären, ist im eigentlichen Sinne keine Phantasik.
2. Die Geschichte muss auch ohne Novum auskommen, denn sonst ist sie nicht interessant: Eine Geschichte, die auf der persönlichen Ebene nichts zu bieten hat, kann ebensogut als Essay ausgeführt werden.
 
Diese scheinbare Dichotomie aufzulösen macht einen Aspekt guter SF-Geschichten aus.
 
Paradebeispiel ist hier wieder einmal Ted Chiang: Seine Geschichten existieren nur, weil ihnen ein abgefahrenes Novum zugrunde liegt. Gleichzeitig sind sie ohne die menschlichen Konflikte darin völlig undenkbar.


Da ich nichts hinzuzufügen habe: Volle Zustimmung.
„Alien Contagium: Erstkontakt-Geschichten“: https://eridanusverlag.de | "En passant - Die Reisen des Sherlock Holmes": https://burgenweltverlag.de<p>Kostenloses SF/Fantasy-Literatur-Webzine: https://weltenportalmagazin.de
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#87 Christian Hornstein

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Geschrieben 12 November 2023 - 13:17

Vielen Dank, Chris, für diese offene, ausführliche und aufschlussreiche Darstellung. Ja, das sind genau die Gründe, weshalb ich nie Herausgeber war, obwohl ich so manches Mal damit geliebäugelt habe. Ich wüsste nicht, woher ich die Zeit nehmen sollte.

Als erstes bin ich damals, als ich noch ernsthaft darüber nachdachte, über die Frage gestolpert, wie ich die Flut an Einsendungen in annehmbarer Zeit sichten soll, denn ich hätte nur sehr begrenzt Zeit dafür zur Verfügung gehabt. Dann habe ich überlegt, ob es möglich wäre, die Erstevaluation auf viele Schultern zu verteilen. Da hatte ich mir verschiedene Modelle ausgedacht, die mich aber alle nicht überzeugt haben. Gerne nehme ich den Gedankenpfad wieder auf, wenn jemand Ideen hat.

Wenn ich Dich recht verstehe, dann gibt es vor allem das Problem, dass die Erstgelesenen nicht zwei Jahre warten möchten, bis die Herausgeber auch mit den letzten Einsendungen durch sind, das heißt, die Autori wollen nicht erst in zwei Jahren publiziert werden. Kann ich verstehen. Ich möchte als Autor auch nicht ewig warten müssen, auch weil SF ein sehr schnelllebiges Genre ist. Unter bestimmten Umständen wäre ich aber bereit, zwei Jahre zu warten, z.B. wenn ich die Aussicht auf Publikation in einem Medium hätte, das sich durch Reichweite, Qualität oder ein anderes Merkmal besonders auszeichnet. Da es in Deutschland aus meiner Sicht nicht allzu viele Magazine gibt, die ein bestimmtes Niveau an Qualität realisieren, hätte ich jetzt beim Weltenportal nicht erwartet, dass so viele Autori abspringen, wenn es länger dauert. Mit anderen Worten: Wenn die Alternative zu "in zwei Jahren" lautet "in einem deutlich schwächeren Medium" oder "vielleicht gar nicht", würde ich die erste Option wählen. Aber vielleicht machen das viele anders, nach dem Motto: hauptsache publiziert. Ich weiß es nicht.

Für mich als Autor ist das so: Mein Anliegen ist die Vermittlung von Überlegungen, die ich für interessant, gesellschaftlich und menschlich wichtig halte, in unterhaltsamer Form. Gerne schaffe ich dabei auch Kunst, aber nicht die Art Kunst, mit der kaum jemand etwas anfangen kann. Wenn Herausgeberi / Lektori mir sagen, wo es aus ihrer Sicht in meinem Text noch klemmt, und ich das halbwegs nachvollziehen und beheben kann, dann tu ich das, ganz gleich wie oft ich den Text dafür überarbeiten muss, auch wenn ich dadurch erst später veröffentlicht werde. Ich mag das Überarbeiten (ja, ich weiß, ich bin da ein Sonderfall, sonst geht es mir aber gut ;) ) und Qualität geht für mich immer vor. Die einzige harte Grenze für Veränderungen liegt für mich dort, wo ich den Eindruck bekomme, dass die Überlegungen, um die es mir geht, nicht mehr transportiert werden. Die Sorge, dass mir von Profis Verschlimmbesserungen vorgeschlagen werden, habe ich nicht, weil ich das noch nie erlebt habe.

Aus Respekt gegenüber den Herausgeberi und den Leseri biete ich grundsätzlich nur Texte an, die ich selbst auch kaufen würde und gut finde. Da ich in Bezug auf eigene Texte irgendwann betriebsblind werde und Zielgruppen nicht immer gut einschätzen kann, schicke ich meine Kurzgeschichten an Probeleseri und lasse meine Texte auch vorab professionell lektorieren. Das rechnet sich finanziell zwar nicht, aber darum, Geld zu verdienen, geht es mir auch nicht. Ich sehe meine Tätigkeit als Autor wie ein Ehrenamt, das spannend ist, das mir Freude bereitet und zu dem ich mich mit Leidenschaft berufen fühle. Ein ernsthaftes Hobby würde ebenso Geld kosten. Mir geht es auch nicht darum ganz viel zu publizieren, berühmt zu werden oder dergleichen. Wenn ich nur eine einzige Geschichte publizieren könnte, diese dafür aber ein breites Publikum intellektuell und emotional stimuliert hätte, wäre ich zufrieden.

So ist das für mich. Ich entnehme aber den Berichten - auch Deinem, Chris -, dass es anscheinend viele Autori gibt, die einen anderen Anspruch daran haben, was sie anbieten. Ich würde gerne an sie appellieren, es ernsthafter anzugehen, denn ihr Tun trägt letztlich zur beklagten Situation bei, und wir alle wollen doch Geschichten lesen, die uns inspirieren. Dann müssen wir auch bei uns selbst anfangen. Das ist wie in vielen anderen Bereichen auch.


Bearbeitet von Christian Hornstein, 15 November 2023 - 16:18.


#88 Christian Hornstein

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    Illuminaut

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Geschrieben 12 November 2023 - 13:42

Ja, sicher. Die Erkenntnis ist ja auch nicht neu. Aber ich finde es schon interessant, mir in Erinnerung zu rufen, dass die Phantastik hier zwei Richtungen des Denkens erfordert:

1. Die Geschichte sollte nicht ohne das Novum auskommen, denn sonst wäre es keine Phantastik: Ein Vater-Sohn-Konflikt, bei dem beide zufällig Zauberer sind, der aber exakt genauso ablaufen würde, wenn beide Maurer wären, ist im eigentlichen Sinne keine Phantasik.

2. Die geschichte muss auch ohne Novum auskommen, denn sonst ist sie nicht interessant: Eine Geschichte, die auf der persönlichen Ebene nichts zu bieten hat, kann ebensogut als Essay ausgeführt werden.

 

Diese scheinbare Dichotomie aufzulösen macht einen Aspekt guter SF-Geschichten aus.

 

Paradebeispiel ist hier wieder einmal Ted Chiang: Seine Geschichten existieren nur, weil ihnen ein abgefahrenes Novum zugrunde liegt. Gleichzeitig sind sie ohne die menschlichen Konflikte darin völlig undenkbar.

 
Das ist genau das, was ich meine, mit dem Ausschöpfen des Potentials im SF-Genre. Ich verbinde nur die beiden von Dir genannten Punkte ursächlich: Ausgeschöpft wird das Potential nur dann, wenn es eine fundierte Spekulation gibt, die zu einer neuen Perspektive führt, im besten Fall zu einer neuen Erkenntnis (Dein Punkt 1), wobei dies eine zutiefst menschliche Relevanz hat (Dein zweiter Punkt).

Eine Geschichte, die ein Novum hätte, das unabhängig vom menschlichen Aspekt funktioniert, wäre so, als hätte man ein intellektuelles Element mit human touch garniert, z.B. ein physikalisches Novum, das in eine Liebesgeschichte drapiert wird, die mit dem Novum nichts zu tun hat.

Ein Beispiel, für eine gelungene Verbindung: Solaris (bevorzugt die Soderbergh-Variante). Ein unbekanntes physikalisches Phänomen, dessen Natur unklar bleibt (Quantenmanipulation? Leben? Intelligenz?), erschafft aus den Erinnerungen der Menschen Entitäten, die diese Menschen mit ihren Ängsten, Sehnsüchten und Konflikten konfrontieren. Hier erfolgt nun kein rüdes Action- oder Horrorszenario, sondern die Reaktion der Menschen - insbesondere der Hauptfigur - wirft ein einfühlsames Licht auf unsere Natur und Bewältigungsmöglichkeiten.



#89 Mammut

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Geschrieben 13 November 2023 - 12:19

Ich habe den Eindruck, dass es zwar eine gute Bandbreite gibt, was als Kriterien für eine "gute" oder "herausragende" Kurzgeschichte herangezogen werden kann, aber dass wir mehr oder weniger auch den Kriterien der anderen zustimmen können. Da gibt es Vorlieben und Geschmäcker, aber nicht wirklich Widerspruch.

Wenn das also mehr oder weniger Konsens ist, wieso wird dann so viel veröffentlicht, das diesem Konsens nicht entspricht?

Ich habe ja auch eine Liste von Ausschlusskriterien zusammengestellt, und ich vermute, dass es hier diesen Konsens nicht gibt, denn weit mehr als die Hälfte der pro Jahr 400-500 veröffentlichten SF-Storys beinhalten solche Ausschlusskriterien.

Man könnte jetzt argumentieren, das ist halt Geschmackssache, aber ich sehe hier zwei gravierende Nachteile:

  1. Wer einen Überblick haben will, muss unter hunderten von nicht lesbaren Storys die paar Dutzend ausgraben, die lesbar sind, und hier wieder das anderthalb Dutzend, das man nominieren könnte.
  2. Wenn ich jemandem, der gerne liest, die SF per Kurzgeschichten nahebringen möchte, kann ich nicht mehr, wie früher, fast blind zu einer SF-Anthologie aus den Publikumsverlagen greifen, wo alle Storys nicht nur lesbar, sondern mindestens gut, meist sehr gut oder herasuragend waren. Heute muss ich sagen: Hier, in dieser Antho ist eine gute Story enthalten, lies die mal. Und wenn Du noch eine gute Story lesen willst, hier ist noch eine Antho oder eine Magazinausgabe. De facto kann ich über die SF-Kurzgeschichte heute niemanden mehr für die SF begeistern, denn man sieht sofort den Müll, der jede gute Story umgibt.

Ich sehe einen dringenden Bedarf, an dieser Veröffentlichtungswut von schlechten Storys etwas zu ändern, wenn wir die Auflagen der Kurzgeschichtensammlungen steigern wollen, was dann auch endlich erlauben würde, den Autor*innen ein kleines Honorar zu zahlen.

 

Ich bin da anderer Meinung. Die Meinungen, was eine gute Geschichte bzw. eine gute Anthologie/Storysammlung ist, da gehen die Meinungen doch eher auseinander. Das sieht man oft auch an den Diskussionen hier zu den einzelnen Publiaktionen und auch an anderer Stelle finden sich zu einzelnen Geschichten doch sehr unterschiedliche Auffassungen.

 

Ich habe mir jetzt mal Gedanken zu Punkt 2 gemacht und überlegt, welche Bücher ich da aus der Erinnerung empfehlen würde (ohne jetzt zu weit in die Vergangenheit zurück zu gehen:

Nova 28,29,30

Future Fiction Magazin 2,3

Thorsten Küper - Belichtungszeit

Horst Pukallus - Am Abend kamen die Schnecken

Horst Pukallus Neutrino-Klänge in Stunde X

 

Jetzt habe ich aber auch zwei Bücher, die mir nicht gefallen haben, die aber großen Anklang gefunden haben:

Unsere Freunde von epsilon eridani

Der Tod kommt auf Zahnrädern

 

Generell kommen bei den beiden SF Preisen sehr gut an:

Exodus (aus fast allen Ausgaben finden sich Nominierungen)

Contagium: Erstkontakt-Geschichten (2 Nominierungen 2023)

Am Anfang war das Bild (3 Nominierungen 2022)

 

Also ich denke, da gibt es einerseits Publikationen, die man selbst empfiehlt aber auch wirklich unterschiedliche Meinungen in der Bewertung.

Als Beispiel bringe ich mal, da ja erst dieses Jahr erschienen, einen Roman, nämlich "Dies ist mein letztes Lied":

https://scifinet.org...n-letztes-lied/

 

Da sind die Meinungen sehr unterschiedlich in der Bewertung. Man kann anhand der Diskussion auch sehr gut erkennen, was für die eine Fraktion kein Problem darstellt, ist für die andere ein doch recht einschneidender Minuspunkt.



#90 Rezensionsnerdista

Rezensionsnerdista

    Yvonne

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Geschrieben 13 November 2023 - 12:29

So ein ähnlicher Punkt wurde hier ja schon (auf Seite 1 oder so?) eingebracht, und wir kamen rasch drauf, dass es eben doch ganz grundsätzlich auch Mängel gibt, die wir ungefähr alle als Mängel wahrnehmen und die nicht nur Geschmackssache sind.

 

Dass unsere Geschmäcker unterschiedlich sind usw., ist davon unbenommen. 

 

 

Nur ganz generell haben wir viel zu viel Luft nach oben und es hilft nichts, wenn es immer wieder heißt, "Geschmackssache", dann bessert sich ja gar nichts. Ich würde aber gern dazu beitragen, dass wir mal ein paar Level aufsteigen, und ja, danach werden wir uns immer noch nicht komplett einig über alles sein, das macht aber nichts. 

 

Nur hat die SF-Szene meines Erachtens ein Qualitätsproblem, dass z. B. das Zwielicht nicht hat (weiß nicht, wie es sonst im Bereich Horror aussieht), Geschmack hin oder her. Im Zwielicht gibt es auch Themen, die mich weniger ansprechen oder Twists, die ich schon kenne, aber da rede ich nicht über ganz grundsätzliche handwerkliche Probleme, wie ich das beispielsweise bei der Biokalypse tue (und nicht nur ich).


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