Man kann auch Klischees reproduzieren, wenn man lebende Vorbilder nimmt. Ich habe außerdem das Gefühl, dass mir hier ein Status zugeschrieben wird, den ich nicht haben möchte: Ich habe ja auch nur meine Wahrnehmung beschrieben. Und die ist eben nur meine Wahrnehmung als Person, die zwar mit autistischen Personen arbeitet, sich aber nicht als Exptertx in dem Bereich bezeichnen würde. Ähnlich ist es mit Vorurteilen: Ich habe in dem Bereich geforscht, aber Expert*innenstatus möchte ich nicht für mich requirieren. Da gibt es ganz andere Koryphäen auf den jeweiligen Gebieten.
Ich als Karikatur? Kritisch finde ich okay, solange es nicht feindselig ist und in Klischeefallen tappt. Wobei Karikaturen ja immer mit Klischees arbeiten, das macht sie ein Stück weit aus.
Jamie-Lee Campbell: RAUM, der (maskul.) sonderbare (adj.) (KG)
Wie von Campbell bekannt, ist auch dieser Text voller absurder Wendungen und Sprachhumor in bester weird-Fiction-Manier. Auch wenn ich die vielen Anspielungen auf aktuelle Debatten genieße, hängt mich der Text immer wieder ab. Zwei Männer sind wider Willen in einem Escaperoom gefangen und was sie tun müssen, um ihm zu entrinnen, bleibt unklar. Der Text lebt von den absurden Dialogen und bekommt es hin, zwei weiße wohlhabende cis männliche Figuren ins Zentrum zu stellen, und trotzdem Rassismus, Misogynie und Klassismus zu thematisieren. Das finde ich beachtlich.
Alexander Klymchuk: Anomalie (KG)
Ein Raumschiff fliegt durchs All und eine das Schiff steuernde Androidin unterhält sich mit der Schiffs-KI. Mir war schnell klar, dass es hier um die Sorte Humor geht, in dem Figuren um das eigentlich lebensbedrohliche Problem herumreden und so ist es keine Überraschung, als dann das Weltenende bevorsteht. Ich fand den Text an manchen Stellen witzig, aber die sich wiederholenden Beschreibungen und künstlichen Eigenheiten der Figuren haben mich nicht einfangen können.
Sarah Lutter: Rache (KG)
Ein Text von Lutter gehört zu jeder mir bekannten Ausgabe des Weltenportals. Wie immer entführt Lutter in eine Steampunkwelt um 1900 und wie immer sind Frauen bestenfalls schmückendes Beiwerk. So auch hier: In der reinen Männergeschichte kommt nur eine Frau als Anstoß des „Verbrechens“ vor (in Anführungszeichen, weil es eigentlich keins ist). Die Frau soll geheiratet werden – oder eben nicht – und wird so zum Streitpunkt der Männer ohne erkennbare eigene Agenda oder auch nur Sichtweise.
Ich finde, dass Lutters Schreibstil besser geworden ist, trotzdem hänge ich auch bei diesem Text an verschiedenen Stellen, wo mich Beschreibungen irritieren, weil sie widersprüchliche Bilder in mir hervorrufen (so sucht jemand, der scheinbar zu Fuß unterwegs ist, plötzlich einen Parkplatz). Der Text ist atmosphärisch ganz gelungen, der Kriminalfall erschließt sich mir aber nicht. Und wie bislang alle Fortsetzungsgeschichten von Lutter im Weltenportal fehlt auch hier ein zufriedenstellendes Ende.
Kai Focke: Leseprobe: „Nuclear Dirtbag Gang“
Anders als die Überschrift „Leseprobe“ nahelegt, handelt es sich hier um eine abgeschlossene Kurzgeschichte, die anscheinend Teil eines bei p.machinery erschienenen Kurzgeschichtenbandes ist. Ich fand die Fantasygeschichte um einen Schrat, der einer Ruhestörung aug den Grund geht, ganz vergnüglich zu lesen, eine tiefere Message findet sich aber nicht.
Frank Lauenroth: Leseprobe: „Laden! Zielen! Feuer!“
Auch diese abgeschlossene Story bietet Einblick in einen Kurzgeschichtenband beim selben Verlag. Die ersten Seiten lang fand ich diesen Text richtig grandios: Durch die Arbeitsschritte Laden, zielen, Feuer getaktet hren wir den Gedanken der Hauptperson zu, die im Bauch eines Schiffs Torpedos lädt. Lauenroth hat den Weltenbau gekonnt eingeflochten und es gelingt, dass ich Mitgefühl mit der nicht sehr intelligenten Hauptfigur entwickle und Spannung aufkommt. Wie so oft überzeugt mich die Pointe am Ende nicht, vermutlich weil sie mir keine Verbindung zum Rest der Geschichte ermöglicht: Wurde der Prota von Beginn an über das getäuscht, was er da tut? Oder gab es eine Wendung, die ihm entgangen ist? Trotzdem finde ich das eine gelungene Geschichte.
Sarah Lutter: Hund und Katz: Ein fiktives Interview (mit Anja Bagus)
Hier werden die Figuren einer Steampunk-Geschichtensammlung interviewt und geben uns eine Einführung in ihre Welt, die mich leider wenig neugierig macht. Es folgt eine Rezension desselben Buchs, allerdings ohne dass angegeben ist, wer sie verfasst hat. Die Rezension bleibt leider so vage, dass ich ihr nicht viel entnehmen kann.
Jol Rosenberg: Essay: Kann Phantastik progressiv sein, wenn sie keine Infragestellung des Status Quo beinhaltet
Udo Klotz: Ein Planet als Hauptfigur: Die Helliconia-Trilogie von Brian W. Aldiss (Rezension)
Klotz berichtet sehr begeistert von der Trilogie, was neugeirig auf den Tet macht, da auch gut hergeleitet wird, was begeistert. Die Frage, inwiefern der PLanet die Hauptfigur ist, bleibt für mich jedoch offen.
Anna Eichenbach: Von Monstren und Männern: Ich, Hannibal von Judith und Christian Vogt
Auch diese Rezension ist begeistert vom Buch und beschreibt gut, warum. Tatsächlich weiß ich aber zu wenig über den historischen Hannibal, um manche Details nachvollziehen zu können. Und ich stolperte wiederholt ber das ungebräuchliche Wort Monstren und musste erstmal nachschlagen, dass es sich um den Plural von Monstrum handelt. Was wohld er Unterschied zwischen einem Monster und einem Monstrum ist? Lust auf das Buch macht die Rezension trotzdem.
Volker Dornemann: Microstorys
In diesem Magazin sind zwei Microstorys enthalten und beide sind eher schwarzhumorig. Mich begeistern sie nicht, bei „Rosebud“ überzeugt mich nicht einmal die Idee, bei „Dialog 3.0.“ finde ich die Idee ganz witzig.
Sarah Lutter & Christoph Grimm: Lese-Log: Die Highlights der Redaktion
Hier sind 6 Bücher rezensiert, alle fluffig lesbar und informativ und für mich gerade in der richtigen Länge.
Das einseitige Comic über eine Autorin, die auf die Absage ihrer Kurzgeschichte mit Wut reagiert, ist gut gezeichnet und in Details auch witzig. Trotzdem hat es mich unangenehm berührt. Da ist einerseits das Klischee der wütenden Frau, die ihre Tage hat (ein Klischee, das nahelegt, das weibliche Wut nicht ernst zu nehmen ist). Aber auch darüber hinaus geht es um nicht ernst zu nehmende weibliche Wut, denn den Grund für die Ablehnung erfahren wir nicht und so scheint die Wut der Frau unangemessen – genau das soll das Witzige sein. Angesichts der Tatsache, dass ich keine einzige Frau kenne, die für mich sichtbar auf die Ablehnung einer Geschichte mit Wut reagiert hat, dafür aber einige Männer, bei denen das so war – in Bezug auf Literaturpreise ging das ja sogar groß durch die Presse – ist der Comic meines Erachtens ein Beispiel dafür, dass sich Aussagen mitunter verkehren, wenn Hauptfiguren das „falsche“ Geschlecht haben.
Bearbeitet von Jol Rosenberg, 30 Oktober 2025 - 14:04.