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Kurzgeschichten-Lesezirkel: Strandgut (hrsg. von Marianne Labisch)


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100 Antworten in diesem Thema

#31 rostig

rostig

    Temponaut

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Geschrieben 04 April 2024 - 15:56

Fabeln und Märchen sehe ich als eigenständige Kategorien, die wie die Fantasy nicht in das weite Feld der SF fallen. Dagegen stellt die allgemeine Fantastik (z.B. "Die Wand" oder Marraks "Lex Talonis") einen Grenzfall dar, der an die SF angelehnt erscheint. Als ich noch zum DSFP-Komitee gehörte, habe ich daher solche Werke als nominierbar betrachtet.



#32 Rezensionsnerdista

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    Yvonne

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Geschrieben 05 April 2024 - 06:10

Die Tiere vor den Fenstern von Veith Kanoder-Brunnel

 

Okay, hier brauche ich nachher ein paar Spoiler-Tags. Die Story habe ich auch zu Ende gelesen, aber Mensch, die ersten paar Seiten, mussten die alle sein? Die Action geht dann ungefähr auf Seite 5 los. Jetzt, da ich Botschaft und Prämisse kenne (und das ist wirklich Mal eine Story mit einem bemerkenswerten Schluss!), finde ich, das meiste vom Anfang wäre nicht notwendig gewesen. 

 

Anfänglich erfahre ich vermeintlich viel über den Ich-Erzähler, aber eigentlich nicht wirklich etwas, nur eben Fakten. Besser wäre es gewesen, er wäre mir als Figur irgendwie nahe gebracht worden.

 

Dann fängt endlich die Story an. Ein Raumschiff mit 400.000 Seelen nähert sich. Flüchtlinge. Wollen aufgenommen werden. Haben einiges hinter sich. Sind schon ab und zu abgelehnt worden.

 

Spoiler

 

Nicht übel, wegen der echten Handlung mit Anfang, Mitte, Schluss (!), würde ich trotz der Mängel sagen, dass es eine der besseren Geschichten in der Anthologie ist. Hat eben auch bisher die klarste Prämisse. Vielleicht ein bisschen zu klar, aber im Rahmen des Buchthemas finde ich das angemessen.


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#33 Mammut

Mammut

    DerErnstFall Michael Schmidt

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Geschrieben 05 April 2024 - 07:04

Friedhelm Schneidewind - Rebell aus Liebe

 

Damit konnte ich leider nichts anfangen. Ein Märchen für Kinder, ich glaube, so ähnlich habe ich das tausendmal gelesen. Einhorn trifft auf Drachen, sie verlieben sich und Einhorn motiviert den Drachen, endlich gegen die Unterdrückung der roten Drachen anzukämpfen und schwuppdiwupp sind alle befreit und leben in Utopia. Am Ende kommt dann noch ein Lied.



#34 Rezensionsnerdista

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    Yvonne

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Geschrieben 05 April 2024 - 08:43

Ich muss meinen Nick wohl bald ändern in Rezensionsschrecken oder so.

Wirklich, ich hatte diesen Lesezirkel gestartet in der Erwartung, dass ich fast jede Story total feiern würde, sorry, dass es jetzt ein bisschen anders läuft.

 

Karsten Lorenz: Ein paar Minuten noch

 

Die Erde wird evakuiert. Daniel fragt sich, ob er mitkommen sollte, mit seiner Tochter Sinah und ihren Kindern gemeinsam flüchtet, oder auf der Erde bei seinen Tieren bleiben. Der Konflikt ist inhaltlich nicht so uninteressant, wird aber sehr distanziert geschildert. Dann entscheidet er sich, mit seiner Tochter mizukommen (auch aus dem Nichts, ist überhaupt nicht klar, was den Ausschlag gibt) und die Stelle geht so:

 
"Gut. Ich komme mit."
 
[...]
 
Sinah stößt einen Seufzer der Erleichterung aus:
 
"Oh Papa, ich bin so froh! Ich hätte es nicht ertragen."
 
 
In dem Ton geht es dann weiter, sie laufen durch den Hof, verabschieden sich von allen Tieren, ein bisschen Bauernhofatmosphäre kommt mit, ein wenig erfahre ich auch über die drohende Zerstörung der Erde, dann kommt es zum Schlusstwist:
 
Spoiler
 
Rein inhaltlich bietet mir das jetzt nicht wirklich irgendeinen neuen Aspekt, ganz nett fand ich, dass es auf einem Bauernhof spielt. Da hätte man was draus machen können.
 
Mittendrin wechselt die Perspektive zu Sinah, dann wieder zu Daniel, dann zu Sinah. Vermutlich soll das Head Hopping oder ein auktorialer Erzähler sein, ist aber nicht so mein Ding.
 
Jemand, den ich sehr bewundere, hat kürzlich gesagt "Jede Schreibgemeinschaft hat ihre eigenen Konventionen, was sie spannend findet und was nicht."
Insofern bin ich wohl in dieser Schreibgemeinschaft einfach falsch und ziehe meine Konsequenzen daraus (zukünftig werde ich keine Anthologien mehr lesen und auch in keinen mehr publizieren, nur noch Magazine).
 
Was eine ganz gute Story hätte werden können, wurde keine. Den Twist hätte man vorbereiten können, damit es nicht so aus dem Nichts kommt. Die Figuren hätte man  mir näher bringen können (die Tiere auch). Die Dialoge sind wirklich sehr allgemein distanziert.
 
Echt, Leute! Die Erde stirbt? Alle müssen weg? Einen größeren Raum für krasse Gefühle kann man ja gar nicht auf machen. Das ist doch heftig! Da will ich aber mitgerissen werden von dieser Endgültigkeit. Da reicht es nicht, wenn jemand daran denkt, dass der Kuh das Euter weh tut, wenn keiner sie mehr melkt (abgesehen davon, dass das ein sehr oft bemühtes Trope der apokalyptischen Storys ist, großartig umgesetzt beispielsweise in Die Wand, aber selbst auch in Mainstream-Zombie-Serien). 
 
 
Das ist vermutlich genau mein Problem. Ich denke, Arno Endler hat bisher am besten durch geschickte Leerstellen eine berührende Geschichte geliefert (wenn mir da auch andere Dinge fehlten), und auch die hatte noch Raum nach oben, hat sich aber nach echten Menschen angefühlt, dafür nachträglich noch mal Chapeau.
 
 
Ich lese das jetzt schnellstmöglich zu Ende und wechsele dann zum Zwielicht 20.

 

 

 


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#35 Rezensionsnerdista

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Geschrieben 05 April 2024 - 09:54

Janika Rehak: Hashtag #Back_to_normal

 

Ein Szenario, das dank AfD oder Trump vielleicht gar nicht so weit von unserer Realität ist. Eine polyamore, queere Beziehung dreier Menschen mit Kind wird vor einen wirklich fiesen Konflikt gestellt. Der innere Kampf des Protagonisten und auch die Dialoge wirken auf mich echt, eindringlich.

Recht versöhnlicher Schluss (und ein guter Schluss, finde ich).

 

Gut finde ich, dass es zwar total zum Thema passt, aber eben eine total andere Geschichte erzählt, sehr weit weg von dem meisten, was ich sonst so lesen, trotzdem klar SF (wenn auch Near Future), vermutlich eher Richtung social SF, wenn ich dem einen Stempel geben sollte.


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#36 Rezensionsnerdista

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Geschrieben 05 April 2024 - 13:04

Michael Schmidt: Segmentfäule

Hier gibt es ein Rätsel (Segmentfäule), ein sympathisches Recherchieren zu Ursachen und auch Spannung.

Es gibt allerdings auch eine Menge Potenzial für Trauer und Schrecken, das stilistisch nicht ganz ausgenutzt wird. 

Immerhin hat der Autor (von dem ich ja nun schon eine Handvoll Geschichten kenne) nicht ganz so viel auf das Phrasenschwein gesetzt wie sonst, aber so etwas wie "Verzweiflung machte sich in Janus breit" reicht Lesenden wie mir noch nicht so recht, um Verzweiflung, oder später auch Schrecken und Panik spürbar werden zu lassen.

Ja, rein inhaltlich gehe ich mit - aber die Formulierungen könnten da für mich frischer sein.

 

Immerhin ist das klare SF, sogar stellenweise mein Lieblings-Unter-Genre, es kommt auf im letzten Drittel richtig Fahrt auf, die Story hätte ich auch genommen (vermutlich hätte ich versucht, dem Autor noch ein paar plastischere Gefühlsschilderungen zu entlocken, vielleicht komme ich ja mal wieder in den Genuss, etwas von ihm verlegen zu können).


Jol Rosenberg: Ankommen

Auch das hier klare SF (erzählendes Ich ist ein geflüchtetes Alien, das sich anpassen muss).


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#37 Rezensionsnerdista

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Geschrieben 05 April 2024 - 13:10

Jacqueline Montemurri: Hoffnungs-Tief

Ich glaube, diese Autorin und ich wurden von der gleichen wahren Geschichte inspiriert und haben daraus jeweils etwas anderes gemacht. Einige Seiten lang bleibt es sehr harte Gegenwartsdramatik, dann findet die Story aber doch noch eine phantastische Andeutung. Ziemlich heftiger Schluss. 

 

Marianne Labisch: Hope

Auch hier wieder SF. 

 

 

PS: Wenn ich zu Rehak, Labisch und Rosenberg jetzt nicht so viel sage, liegt das daran, dass ich mich etwas voreingenommen fühle, da ich damals schon testgelesen hatte und die Geschichten daher schon kenne.

 

 

 

Fazit: Mir war es in der Tendenz einfach ein wenig zu wenig Phantastik und zu nah an Gegenwartsdramatik und ich hatte da eine andere (sicherlich falsche) Erwartungshaltung. Daher entschuldige ich mich gern für die Direktheit, die sicherlich den meisten meiner Rezensionen hier inne wohnt.

Was die Vermittlung von Gefühlen betrifft, habe ich einen anderen Lesegeschmack und wünsche mir von Prosa einfach etwas völlig anderes.

Insofern hat das mit mir und dieser Anthologie nicht ganz so gut geklappt.


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#38 Gast_fancy_*

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Geschrieben 05 April 2024 - 15:59

Fabeln und Märchen sehe ich als eigenständige Kategorien, die wie die Fantasy nicht in das weite Feld der SF fallen. Dagegen stellt die allgemeine Fantastik (z.B. "Die Wand" oder Marraks "Lex Talonis") einen Grenzfall dar, der an die SF angelehnt erscheint. Als ich noch zum DSFP-Komitee gehörte, habe ich daher solche Werke als nominierbar betrachtet.

Danke rostig, das erklärt, dass du immer noch den SF-Blick auf die Texte hast. 

Wie gesagt, für die Texte dieser Anthologie gab es keine Vorgaben. 

 

Zitat von Yvonne zu "Segmentfäule"

 

Immerhin ist das klare SF, sogar stellenweise mein Lieblings-Unter-Genre, es kommt auf im letzten Drittel richtig Fahrt auf, die Story hätte ich auch genommen (vermutlich hätte ich versucht, dem Autor noch ein paar plastischere Gefühlsschilderungen zu entlocken, vielleicht komme ich ja mal wieder in den Genuss, etwas von ihm verlegen zu können).

 

Yvonne, bist du jetzt auch noch unter die Verlegerinnen gegangen? 

 

Danke für deine Einschätzungen, bevor ich mich äußere, warte ich erst noch ein paar andere Stimmen ab. 

Immerhin ist das klare SF, sogar stellenweise mein Lieblings-Unter-Genre, es kommt auf im letzten Drittel richtig Fahrt auf, die Story hätte ich auch genommen (vermutlich hätte ich versucht, dem Autor noch ein paar plastischere Gefühlsschilderungen zu entlocken, vielleicht komme ich ja mal wieder in den Genuss, etwas von ihm verlegen zu können).



#39 Rezensionsnerdista

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Geschrieben 05 April 2024 - 17:10

Entschuldige, ich meinte natürlich herausgeben

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#40 Gast_fancy_*

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Geschrieben 06 April 2024 - 10:45

Wenn ich es jemandem zugetraut hätte, dass auch noch ein Verlag eröffnet wird, dann dir. ;-) 



#41 Mammut

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    DerErnstFall Michael Schmidt

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Geschrieben 06 April 2024 - 17:50

Michael Schmidt: Segmentfäule

Hier gibt es ein Rätsel (Segmentfäule), ein sympathisches Recherchieren zu Ursachen und auch Spannung.

Es gibt allerdings auch eine Menge Potenzial für Trauer und Schrecken, das stilistisch nicht ganz ausgenutzt wird. 

Immerhin hat der Autor (von dem ich ja nun schon eine Handvoll Geschichten kenne) nicht ganz so viel auf das Phrasenschwein gesetzt wie sonst, aber so etwas wie "Verzweiflung machte sich in Janus breit" reicht Lesenden wie mir noch nicht so recht, um Verzweiflung, oder später auch Schrecken und Panik spürbar werden zu lassen.

Ja, rein inhaltlich gehe ich mit - aber die Formulierungen könnten da für mich frischer sein.

 

Immerhin ist das klare SF, sogar stellenweise mein Lieblings-Unter-Genre, es kommt auf im letzten Drittel richtig Fahrt auf, die Story hätte ich auch genommen (vermutlich hätte ich versucht, dem Autor noch ein paar plastischere Gefühlsschilderungen zu entlocken, vielleicht komme ich ja mal wieder in den Genuss, etwas von ihm verlegen zu können).

 

Immerhin, damit steht es 2:4 an der Herausgeberfront. Vielen Dank für deine netten und motivierenden Worte.



#42 rostig

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Geschrieben 07 April 2024 - 08:06

Rudolf Arlanov - Die Verstoßenen
Exodus von der zerstörten Erde zum Mars - ein abgegriffenes Sujet, das mir auch hier wieder nicht einleuchten will: mit dem geschilderten Aufwand (Kuppelstädte, Wasserrecycling etc.) hätte man auch auf einer total vergifteten Erde leichter überleben können als auf dem Mars. Zudem würde man nur sehr wohlhabende oder sehr wichtige Menschen evakuieren (können oder wollen), keinenfalls würde man diese zu Minenarbeiten heranziehen, die leicht robotisierbar wären.

Veith Kanonder-Brunnel - Die Tiere vor dem Fenster
Also eigentlich hat mir die Geschichte sehr gut gefallen, vom Unheil raunenden Einstieg bis zum gelungen bösen Schlußgag (für Schnarchnasen wie mich). Aber ich störe mich an der Tatsache, dass es dem Ich-Erzähler von Anfang an hätte klar sein müssen, dass eine Kommunikation im Wochentakt nicht mit einem fremdem Planeten stattfinden kann. In einer Lichtwoche Entfernung kann es keine unentdeckte Zivilisation geben. Dieser physikalische Lapsus verdirbt mir ein wenig den Spass.
 

Apropos Spass: Als Ausgleich zu den eher düsteren Geschichten lese ich die Anthologie "Nicht du bist verrückt sondern die Welt" von Olaf Kemmler (Hrsg.) Sehr empfehlenswert wenn man skurrilen Humor mag.


Bearbeitet von rostig, 07 April 2024 - 08:35.


#43 Jol Rosenberg

Jol Rosenberg

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Geschrieben 07 April 2024 - 14:42

Ich hab im Urlaub auch gelesen und muss sagen, das sich eher enttäuscht bin. Bislang hat mich kein einziger Text begeistert, viele haben mich etwas gelangweilt. Allerdings sind die Texte sprachlich fast alle auf erfreulich hohem Niveau.

 

Jacqueline Montemurri: Vorwort

Die Autorin beschreibt den Wunsch, ihr Dasein als Autorin und als Flüchtlingsberaterin zusammen zu bringen, was mit diesem Vorwort nun wahr werde. Sie höre oft die Idee, in Science-Fiction gehe es nur um Weltraumschlachten und Aliens – dabei greife das Genre sehr aktuelle Themen auf, wie auch diese Anthologie. Montemurri benennt beispielhaft einige der vielfältigen Fluchtgründe und die Spaltung der deutschen Gesellschaft in die, die Geflüchteten helfen wollen und die, die sie weghaben wollen.

 

Vincent Voss: Die Geschichte von zwei Reisen

Der gut lesbare und flüssig geschriebene Text handelt von einem Strandgutsammler und Geschichtenerzähler, der sein Geld nicht mehr mit der Fischerei verdient, sondern mit Erzählungen für Touristen. Aber je mehr Dinge er am Strand findet, desto mehr möchte er von denen erzählen, die über das Mittelmeer Europa zu erreichen suchen.

Gonzalves erzählt seine Geschichte in Ich-Form und flicht Geistererzählungen ein – bis die freundliche und zugewandte Erzählstimme sich plötzlich wandelt, zynisch wird und sich in detaillierten Gewaltschilderungen westafrikanischer (?) Milizen ergeht. Plötzlich folgen wir dem Weg einer Pistole, dann wieder einem Menschen, dann wieder der Pistole. Der Text soll offenbar schockieren und das tut er auch, allerdings gefällt mir die zynische Art, wie massive Gewalt präsentiert wird, nicht wirklich. Ich verstehe weder, warum die Geschichten nur zum Teil verortet werden, noch warum ich ihnen in dieser Kaleidoskopform folgen soll. Um damit etwas anfangen zu können, bräuchte ich mehr (auch lokalpolitische) Einbettung. So ist das ein Start in der Anthologie, der mich so vor den Kopf stößt, dass ich kaum weiterlesen mag, auch weil er letztlich nur Afrika-Klischees bedient. Außerdem sind die SF-Elemente wirklich marginal, der Text könnte heute spielen, der Hintergrund der Gewalt bleibt kryptisch. Dazu passt auch die illustration, die unter anderem Geldstapel vor einem Umriss von Afrika zeigt – und damit leider ziemlich klischeehaft wirkt.

 

Arno Endler: Rote Nase

Der Vater eines kranken Kindes kann es nicht aushalten, zum Arztgespräch über sein Kind zu gehen. Er sieht einem Clown zu, der ihn im Kinderhospiz zum Lachen bringt. Er lässt sich von dem Clown überreden, mit ihm in ein Café zu gehen, und hört sich dessen Fluchtgeschichte an. Danach wendet er sich seinem Sohn zu.

Der text ist gut lesbar, kann mich aber trotzdem nicht recht packen. Für mich werden weder der Clown noch der Vater als Figuren spürbar, außerdem stören mich zahlreiche Phrasen und abgegriffene Formulierungen wie „Die Wahrheit, die unendlich unbarmherzige Wahrheit, veränderte seine Stimme“. Befremdet hat mich auch die Beschreibung der Bewegungen des Clowns als „Veitstanz“, hier den Vergleich mit einer schweren Krankheit zu verwenden, finde ich auch angesichts des Themas unpassend. Das Ende des textes wirkt auf mich unglaubwürdig und dadurch kitschig. Auch hier ist der SF-Gehalt marginal: Der Clown hat eine KI auf dem handy.

Die Illustration finde ich ziemlich nichtssagend, sie zeigt halt einen Clown.

 

Aiki Mira: Was wir im Traum einander antun

Die Ich-Erzählerin flieht mit ihrer Mutter nach Deutschland und lässt sich vorher ein Implantat setzen, das Vorteile verspricht. Es funktioniert aber nicht, so dass die Protagonistin behindert ist. Mit ihren Geschwistern und der Mutter versuchen sie sich in Deutschland durchzuschlagen. Die Prota bekommt schließlich Arbeit, aber die scheint einen Haken zu haben, denn sie muss ihre Träume beobachten lassen. Die Familie lebt vom Schwebehindertengeld und dem Job der Prota, warum die Mutter keine Arbeit findet, bleibt völlig unklar, ebenso wie warum ihre trans Schwester nicht offen als Mädchen leben kann. Warum hantiert die Schwester plötzlich mit dem Messer und warum wird das als Psychose bezeichnet? Und was hat es mit den Träumen auf sich? Was ist das für ein Mädchen, in das die Prota sich verliebt, und warum können die beiden nicht zusammenkommen? Was soll die Idee einer Zukunft, wo sich die beiden begegnen?

Ich war zunächst enorm begeistert von diesem Text, von der fließenden Sprache, den gelungenen Bildern und der atmosphärischen Dichte. Mira flicht geschickt Weltenbau ein und auch die bedrückende Stimmung spricht mich sehr an. Die zunächst linear erzählte Geschichte zerfasert jedoch immer mehr und wird zum Schluss vollends kryptisch. Angesichts des für mich auch nach mehrfachem Lesen unverständlichen Endes, das die aufgeworfenen Fragen nicht einmal ansatzweise beantwortet, sitze ich am Ende nur schulterzuckend da, was enorm schade ist. Das wäre eine wunderschöne Geschichte, wenn der Spannungsbogen dann zuende geführt wäre.

Hier wäre ich auch enorm neugierig, wie ihr das Ende interpretiert. Es scheint, als stünden hier nicht alle auf dem Schlauch. So wirkt das für mich wie nicht zuende erzählt, eher wie ein Entwurf als wie eine fertige Geschichte.

Was mir auffällt, ist die mangelnde Verortung des Ursprungslandes der Hauptfigur – das dadurch zu einem vagen Ort in Afrika wird. Schade.

Die Illustrationen passen dazu, sie sind ausdrucksstark, aber ein wenig kryptisch.

 

Regina Schlehek: Rosinenpicken

Die Hauptfigur lebt in Annaba (in Algerien) auf der Straße. Als sie sich in eine Touristin verliebt, wagt sie die Reise nach Europa. Mehrfach stirbt sie fast, kommt dann aber doch nicht nur in Europa, sondern sogar bei der geliebten Person an.

Achtung, Spoiler! Die Geschichte ist flüssig erzählt und enthält einige Irritationsmomente, die sich am Ende auflösen, als deutlich wird, dass die Hauptfigur kein Mensch ist. Leider gibt es für mich zwischendrin zu viele Figuren, die durcheinanderreden, so dass ich trotz mehrfachen Lesens nicht verstehe, was da passiert und wie die einzelnen Familienmitglieder der Aufnahmefamilie miteinander interagieren. Deutlich wird, dass die Hauptfigur eine Fähigkeit hat, die sich als Geldquelle erweist. Insgesamt frage ich mich, ob ich es wirklich gelungen finde, eine Fluchtgeschichte aus der Sicht eines Hundes zu erzählen – und zwar so, dass Hund und Mensch gleichgesetzt werden. Etwas daran scheint mir ungewollt zynisch.

Das Voewort finde ich an dieser Stelle besonders unpassend, behauptet es doch eine Verquickung von SF und Krimi, die die Geschichte meines Erachtens nicht bietet. Ich kann weder SF- noch Krimielemente darin finden.

Die Illustration spricht mich wenig an und spoilert den Text – aber da sie sich am Textende befindet, ist das vielleicht auch egal.

 

Friedhelm Schneidewind: Rebell aus Liebe

In dieser phantastischen Geschichte begegnen sich ein Drache und ein Einhorn. Der Plot ist leider enorm vorhersehbar und enthält infodump-Dialoge, der Text enthält deutliche Längen, die Figuren sind wenig plastisch und auch sprachlich fällt der Text zu den bisherigen Texten ab, gleitet er doch immer wieder in Kitsch. Auffällig ist die Häufung des Wortes „elegant“ und eigenwillige Umständlichkeiten wie „Nachtsichtigkeit“ statt „Nachtsicht“. Besonders peinlich empfand ich das kitschig-unrunde Gedicht am Ende, in dem Wörter des Reims zuliebe verhunzt werden und von dem sogar Noten abgedruckt sind. Das hat sehr etwas von einem Schülerwerk und fällt zumindest bislang völlig aus dem hohen Niveau der Anthologie heraus.

 

Heidrun Jänchen: Ausreißer

In einem Flüchtlingsheim bricht eine Seuche aus und tötet nur arabischstämmige Leute. Aus der Sicht des Kindes Aynur verfolgen wir, wie alle um sie herum sterben und sie mit ihren beiden noch jüngeren Cousinen übrig bleibt.

Der Text ist angenehm phrasenfrei und bringt mir die Hauptfigur gekonnt nahe, der Blick aus Sicht des Kindes ist gekonnt umgesetzt. Er baut auch gelungen Spannung auf, als sich eine Bedrohung für die Kinder ergibt. Am Ende gibt es einen recht unvermittelten Perspektivwechsel, dann wechselt die Perspektive zurück. Ein wirkliches Ende hat der Text nicht, was einerseits folgerichtig und andererseits etwas enttäuschend ist.

 

Yvonne Tunnat: Das ist hier nicht Bullerbü

Eine Mutter mit zwei Kindern wurde aus einem nicht benannten Grund in die Zukunft geschickt, wo sie zu überleben versucht. Tunnat schildert die Wanderung der Schwangeren in ausdrucksstarken, eigenwilligen Bildern inklusive Bodyhorror-ähnlicher Schilderungen und widerlichen Begegnungen. Auch wenn der Weltenbau gut eingeflochten ist, bleibt mir zu viel unklar. Wie leben all diese menschen, wenn es da fast nichts gibt? Warum trennt sich die Frau von ihrem Mann bzw. warum meinen sie, jeweils getrennt mit Kindern eher überleben zu können? Und wenn es zeitreisen gibt, warum dann die Menschen ins fast sichere Verderben senden? Wovor fliehen sie eigentlich?

Vor allem das Ende enttäuscht mich (Achtung Spoiler!): Die Mutter kann ihren Sohn in die Sicherheit geben, entscheidet sich aber dagegen, mit der Folge, dass auch er verdurstet. Die Geschichte endet mit einer Begegnung, die klar macht, dass die Tochter nur eine Illusion ist, was die Frage aufwirft, was in diesem Text eigentlich überhaupt real ist und ob es diese letzte Begegnung gibt oder sie nur den Tod der Mutter darstellt.

Trotz der schönen Sprache (aus der ein Genidativ unschön hervorsticht) kann mich der Text nicht überzeugen, die Hauptfigur bleibt mir dazu zu widersprüchlich und nicht fassbar und der Plot zu kryptisch.

 

Achim Stößer: Stürzender Stern

Ein gefangener Außerirdischer läuft vor seinen Wächtern weg, wobei ich mich frage, welchen Sinn das auf einem Raumschiff macht. Die Wächter stellen aus einem Blut ein Rauschmittel her. Dann schwenkt die Perspektive zu den Wächtern, die als rein böse dargestellt werden und ihn einfangen wollen. Etwas Neues erfahren wir nicht.

Das Raumschiff stürzt ab, es kommt die Dritte Perspektive hinzu, die eine andere außerirdische Spezies beschreibt. Die bösen Menschen bedrohen natürlich auch diese, ohne dass dies für mich erkennbar einen anderen Sinn hat, als zu zeigen, wie böse sie sind. Zum Schluss rettet jemand von der neuen Spezies den Gefangenen – oder auch nicht, der Text bricht unvermittelt ab, bevor das klar wird. Warum der telepathsiche Außerirdische nicht mit den Menschen spricht, bleibt auch unklar.

Für mich las sich dieser Text sprachlich holprig, er hatte zahlreiche Redundanzen und dazu noch infodumpige Informationen, die für den Text nicht nötig sind. Es wird ein sehr reichhaltiger Weltenbau aufgefahren, der aber nicht durch einen zufriedenstellenden Spannungsbogen zusammengehalten wird. Die handelnden Figuren sind für einen so kurzen Text arg viele und bleiben alle blass – alles in allem hat mich das leider gelangweilt.

 

Rudolf Arlanov: Die Verstoßenen

Ein Paar ist von der Erde auf den Mars geflohen und schuftet dort in einem Bergwerk. Aber zum Glück lieben sie sich ja, da ist das alles nicht so schlimm. Leider muss das durch die Beschreibung des Äußeren der Frau gezeigt werden.

Der Text enthält trotz seiner Kürze diverse Redundanzen und einen infodumpigen Dialog eine Kürzung hätte ihm meines Erachtens gut getan. Wozu neben dem Chef eine vierte Person eingeführt wird, erschließt sich mir nicht, da diese für die sehr überschaubare Handlung keinerlei Funktion hat. Auch sprachlich spricht mich der sehr phrasenreiche Text wenig an.

 

Veith Kanoder-Brunnel: Die Tiere vor den Fenstern

Ein superreicher Geschäftsmann benutzt sein vieles Geld, um nach Zeichen von Leben im All zu forschen. Der Mann wird uns als egoistische und selbstzentrierte Person vorgestellt, die es völlig in Ordnung dindet, dass das Überleben au fder erde mit Genoziden einhergeht. Daher verwundert es nicht, dass er, als sein Projekt erfolg hat, dieses als Hobby weiterbetreibt. Seine Angestellte berät ihn und so gelingt wirklich ein Außerirdischer Kontakt. Der unsympathische Prota agiert nun aber plötzlich out of character und erweist sich als naiv und hilfsbereit. Für mich ist es außerdem wenig glaubwürdig, dass der beschriebene Erstkontakt ein isoliertes Privatprojekt zweiter Männer ist, vor allem aus der Position des Gegenübers auf einem Generationenschiff erscheint das nicht glaubwürdig, ebensowenig wie der Wissensaustausch, den ein egoistischer Geschäftsmann sicher nicht so leichtfertig initiieren würde.

Der Text endet mit einer doppelten Pointe, die zwar unerwartet kommt, aber zumindest zum Teil sehr an den Haaren herbeigezogen wirkt. Außerdem werden beide Teile nur behauptet und nicht gezeigt. Für mich funktioniert der zweite Teil der Pointe auch deshalb nicht, weil die Hauptfigur enorm blass bleibt. Gefühle scheint sie so gut wie nicht zu haben, die sich anbahnende Katastrophe lässt mich (und offenbar auch ihn) völlig kalt.

Sprachlich liest sich der Text glatt, ohne Besonderheiten aber auch angenehm phrasenarm, durch die blasse Hauptfigur gibt es aber trotzdem Längen. Die Illustration verrrät die Pointe nicht, liefert aber dadurch eine Fehlinterpretation des Textes.

 

Allgemein:

Bislang liefern die Vorworte mir nicht viel Mehrwert, so wenig, dass ich nicht recht verstehe, was konzeptuell die Idee dahinter war. Ich mag es nicht, wenn mir ein Vorwort erklärt, wie ich den Text zu verstehen habe.

Außerdem kann ich die Vorworte aufgrund der Farben enorm schwer lesen. Die Biografien gehen etwas besser, aber auch das ist anstrengend. Das ist bei einem so hochwertig produzierten Buch mehr als ärgerlich.


Bearbeitet von Jol Rosenberg, 07 April 2024 - 14:43.

Ernsthafte Textarbeit gefällig? https://www.federteufel.de/

 

Science-Fiction-Buchblog: https://www.jol-rose.../de/rezensionen

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#44 Maxmilian Wust

Maxmilian Wust

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Geschrieben 08 April 2024 - 11:24

Dann fange ich auch mal an.

 

 

Oh, Flüchtlinge. Mein Lieblingsthema. Es gibt vermutlich kein Topic, das die Gemüter schneller erregt und scheidet, als die aktuelle Immigrationskrise. Eine ganze Partei wurde darum gegründet und kannibalisiert es bis heute für den zunehmend erfolgreicheren Wahlkampf – wobei ich mich frage, ob die Blau-Wähler auch wirklich das Parteiprogramm gelesen haben (denn neben Ausländern wollen sie auch Urlaubstage abschaffen, aber hey). An den Mittagstischen führte es immer wieder zu Streitigkeiten und die Familientreffen drohen stets interessant zu werden, wenn „dieser“ Onkel oder „jene“ Tante auftaucht, „um mal ein paar Dinge sagen zu dürfen“. Ich vermisse die Zeiten, als sie von Heilkristallen und Sternzeichen gesprochen haben.

 

Im Internet, dem herrlichen Reich der Extreme, überbietet man sich entweder gegenseitig in Lobpreisung für die Geflohenen (im gewohnten Wettkampf darum, wer der bessere Mensch ist) oder aber man spricht von einer stillen Eroberung, dem Kalgeri-Plan und immer verrückteren Verschwörungstheorien. Als hätten beide Seiten den Verstand verloren. Was aber den Schreihälsen geschuldet ist.

 

Eine gemäßigte Diskussion ist nur noch selten möglich. Deshalb meide ich das Thema eigentlich, wo ich nur kann. Umso mehr gefällt es mir aber, dass Marianne Labisch exakt das nicht tat und sich mit ihrer neuen Anthologie tief ins moderne Diskursgebiet gewagt hat. Mehrere Autoren und -innen sind mir auch nicht mehr unbekannt und ich bin tatsächlich sehr gespannt, was sie hierzu beigetragen haben … oder ob sie vielleicht ihren Meister fanden.

 

Kleine Vorwarnung: Ich gehe in dieser Runde nun etwas mehr ins Detail und störe vielleicht mich an Dingen, die eigentlich kein Problem darstellen. Dafür versuche ich aber auch zu erwähnen, was mir gefiel oder ich positiv mitnehmen konnte.

 

 

Cover und Einband:

Ich glaube, kaum jemand wird sich an der Haptik und der angenehmen Griffigkeit eines Hardcovers stören. Die Bindung ist unauffällig und robust (war sicher nicht ganz billig) und das Einmerkerbändchen bei einem ordnungsliebenden Chaoten wie mir immer willkommen.

 

Das Cover selbst würde ich als gemischt-gut bezeichnen. Ich weiß noch nicht, welche Geschichten mich erwarten werden, doch die Cover-Grafik weiß auch subtile Art zu schocken. Ein Strand vor einer utopisch-futuristischen Skyline, im Wasser liegt ein Düsentriebwerk und ein Schild mit der Aufschrift „Keep Out“ macht deutlich, dass man in der Techno-Opulenz (ich zitiere Alejandro Jodorowsky) keine Gäste wünscht. Erst nach einem Moment, nachdem das Z-Schema einmal gegriffen und mich über den Titel („Strandgut“) geführt hat, wurde mir bewusst, dass das vermeintliche Stück Treibholz in Wirklichkeit Alan Kurdi ist, der syrische Junge, dessen angeschwemmter Leichnam 2015 für einen Aufschrei sorgte. Drei Artikel musste ich über den syrischen Kurden schreiben, der nur das zweite Lebensjahr hinter sich brachte, bevor ich nicht mehr wollte – weil ihn damals alle Seiten, von links über libertär bis rechts, als Marketing missbrauchten.

 

Und obwohl Kurdi seitdem als Inspiration für einige Covers und grauenvoll schlechte Kurzgeschichten diente, so sehe ich ihn hier als Herausforderung: Mir wird eine schonungslose Härte versprochen, von der ich jetzt hoffe, dass man sie liefert.

 

Das Design ansonsten ist gut und funktional, die Farbwahl aus ruhigem Komplementär schön gewählt, auch wenn die Elemente etwas sehr eingefügt wirken. Mario Franke, der sich ja sogar in meiner Szene einen gewissen Namen gemacht hat (u.a. als „seltsam unkompliziert“), zeigt weiterhin sein grafisches Talent wie auch die für ihn gewohnte Routine, ist aber dieses Mal ein bisschen der Myst-Krankheit verfallen. Es freut mich aber umso mehr, dass er seiner Art der Bildabschlüsse treu geblieben ist.

 

Ich würde gerne mal mit ihm übers Design fachsimpeln ;-) Die vom Triebwerk verschluckte Kerbe beim S von „Strandgut“ war eine gute Idee.

 

 

Layout:

Sehr überzeugend!

 

Das 2300er Format ist zwar keine Neuheit mehr, eignet sich aber nach wie vor hervorragend für Hardcovers – wie sich in „Strandgut“ wieder einmal gut beobachten lässt. Die Schrift ist angenehm verspielt, bleibt aber hierbei flüssig lesbar. Das Q ist wunderschön. Ich kann keine verstärkte Laufweite erkennen, was für eine ausgesprochene Natürlichkeit der Schrift spricht. Sehr gut gewählt, wirkt mir aber weniger wie die Arbeit eines reinen Textsetzers. Hier hat jemand mit Spieltrieb gelayoutet – und ja, das ist ein Lob.

 

Auf die leider auch eine kleine Kritik folgt: Um Hurentöchter und Schusterjungen vorzubeugen, wurde hie und da die Laufweite auf -20 und die Schriftbreite auf (ich schätze) bis zu 90% reduziert. Das stört nicht und fällt einem Nicht-Typografen nicht auf, erregt aber den Zorn der Kunstgöttin. Und ich gebe zu, ich habe das auch schon getan …

 

Die Seitenzahl in einem negativen Balken darzustellen ist eine gute Idee. Im Softcover würde ich zwar davon abraten, das Hardcover erhält dadurch spürbar Wertigkeit. Außerdem war ich schon immer mehr Fan des Ravensburger als des Random House-Designs, von daher …

 

 

Und dann mal in die Geschichten! Ich bin enttäuscht, wenn ich nicht mindestens einmal enttäuscht werde.

 

 

Die Geschichte von zwei Reisen

von Vincent Voss

 

Und da ist sie auch schon, die Geschichte von dem ertrunkenen Jungen. Die inzwischen Dreißigste, die ich zu Alan Kurdi lese. Und während ich nun erwartet habe, wieder darüber belehrt zu werden, wie wir Europäer solche Grausamkeiten zulassen können, so als auserwählte Retter der ganzen Welt … wurde ich unglaublich positiv überrascht.

 

Feinfühlung und auf höchster Stufe flüssig erzählt sich die Geschichte des Geschichtenerzählers José, der im grausamen Sinne Strandgut einsammelt: also jene, die es nicht ins gelobte Land geschafft haben. Er spinnt sich ihre Geschichten aus eigenen Erlebnissen, Fundstücken und Sichtungen zusammen. Eine davon, bzw. die gesamte zweite Phase, macht eine Waffe zur Hauptperson (die zwar in Deutschland entworfen worden sein soll, aber klischee-französische Spezifikationen trägt). Aus ihren Augen (oder ihrem Lauf) sieht José das zentrale Afrika, wo Bürgerkriege, Unruhen und ethnische Konflikte beeindruckend nah geschildert und realistisch werden.

 

Für mich persönlich erschreckend: Die Geschichten stimmen tatsächlich stark mit denen überein, was mir Schwarzafrikaner erzählten, als ich am Flughafen zwei Jahre lang mit einigen zusammengearbeitet habe: Die Gleichgültigkeit einer Welt, die keine Ordnung finden kann und dass auch die Geflüchteten keine „noble savages“ sind, wie man sie gerne verkauft, sondern Menschen mit Facetten, Traumata, dunklen Seiten und mehr. Vincent Voss hat seine Hausaufgaben gemacht.

 

Seine Geschichte ist exzellent geschrieben und ein mächtiger Start in die Sammlung.

 

 

Rote Nase

von Arno Endler

 

Der Vater eines sterbenden Sohnes trifft im Kinderkrankenhaus auf einen Clown mit ähnlichen Erfahrungen. Mit Anleihen aus Black Mirror.

 

Obwohl ich seit den Romanen von John Green wirklich kein Fan der sterbenskranken Kinder mehr bin (Schriftsteller haben seitdem einfach zu viele davon über den Jordan geschickt) und den Tropus der Eltern, die ihr verstorbenes Kind als Android, Cyborg oder KI wiederauferstehen lassen, kaum noch ertragen kann, muss ich hier eine Ausnahme machen. Arno Endler hat einen netten, kurzen Texthappen erschaffen, der immer stets weitergeht, bevor er in Klischees verfällt und dann auch abgerundet endet. Nichts Neues vielleicht, nicht besonders tief leider, aber dennoch ein gutes Leseerlebnis.

 

Ich muss auch zugeben, dass Vincent Voss gerade sehr hohe Maßstäbe angesetzt hat. Bevor ich die finalen Rezensionen weitergebe, werde ich diese Geschichte daher noch einmal alleinstehend lesen. Ich möchte sie nicht schlechter bewerten als sie ist.

 

 

Was wir im Traum einander antun

von Aiki Mira

 

Aiki Miras Schreibstil wurde bereits von anderen und tiefgehender analysiert, als ich hier könnte: Er ist wie gewohnt amerikanistisch, als das allerdings herausragend, unglaublich flüssig und funktioniert bizarr gut, irgendwie immer.

 

Eine nicht-binäre Afrikanyx erzählt von ihrem Leben in Deutschland, das von Fremdenfeindlichkeit, Widersprüchen und einem Augmentationsunfall geprägt wird.

 

Die Geschichte ließ mich allerdings nicht ein. Zum einen lag das am umstrittenen Checkbox Writing, das hier ein wenig zu drastisch appliziert wurde. Das hat die sehr gute Geschichte gerade zur Mitte hin wie Fluff wirken lassen, der nur existiert, damit die besagten Elemente existieren können. Zum anderen, und eigentlich mein Hauptkritikpunkt, ist der etwas respektlose Umgang mit der afrikanischen Kultur. Die Charaktere stammen eher aus einem Traumbild des modernen Los Angeles als dem afrikanischen Subkontinent. Es ist, wie ich schon in einem anderen Thread sagte: Anderen Kulturen unsere Werte aufzudrücken, sie direkt nur mit ihnen ausgestattet zu schreiben, schmeckt für mich wie Arroganz – so als kennen nur wir die Wahrheit und die anderen, die sollten besser auch so sein wie wir, wenn sie sich weiterentwickeln wollen.

 

Ich weiß natürlich, dass Aiki Mira nicht so denkt (oder bzw., es ist mir gleich) und grundlegend trenne ich eh immer die Kunst vom Künstler, aber dennoch: „Neongrau“ war gut und reflektiert, „Was wir im Traum einander antun“ hingegen war zu wenig Aiki und zu viel Twitter Pandering – für mich jedenfalls.

 

Mir gefiel dafür sehr, dass das Thema Flüchtlinge in einem futuristischen Blickwinkel beleuchtet wurde. Wie auch das Ende, dieser jugendliche Traum von einem Sieg durch Größe, auch so herrlich ins „Einmal dann“ impliziert, war absolut spitze.

 

 

Rosinenpicken

von Regina Schleheck

 

Nach jetzt bald 40 Anthologien würde ich gerne ein weiteres Genre in die Liste der bekannten hinzufügen, nämlich das „Ich habe meinen letzten Italienurlaub hinein verarbeitet“-Subgenre. Das war nun gefühlt die Zehnte ;-)

 

Tatsächlich ist „Rosinenpicken“ aber auch eine grausam-schöne Geschichte, die sich zumindest über Dreiviertel der Strecke gut liest. Die junge Amal kämpft sich mal allein, mal gemeinsam nach Europa und begegneten dabei Freunden und bestialischen Feinden.

 

Mich in Amal hineinzufühlen, fiel mir leicht. Ich kann nicht einmal genau beschreiben, wie das vor sich ging, aber mir gefiel der Charakter und seine bittere Reise … die teilweise sehr odysseeisch angelegt war. Immer wieder stolpert Amal in Ereignisse oder Begebenheiten, die wie aus anderen Geschichten entliehen scheinen. Sie erinnerten mich an „Herz der Finsternis“, überzeichnet, jedoch ohne die nachvollziehbare Symbolstärke. Ab etwa der Hälfte beginnen diese Etappen ein unglaubwürdig zu wirken und auch eher im Phantastischen angelegt zu sein. Gerade der Höhepunkt, die Action, fühlte sich eingefügt an. Nichts deutete darauf hin, dass es dazu kommen würde. Es passierte einfach, damit etwas passiert.

 

Und obwohl ich jetzt etwas sehr ins Gericht gegangen bin, war es durchaus eine Geschichte, die mir sprachlich Spaß gemacht hat. Es hätte vielleicht geholfen, von Anfang an den Campy-Stil zu verfolgen, anstatt ihn erst gegen Mitte einzuführen.

 

By the way: Als Amal spontan zur Survival-Expertin wird, welche Knollen gräbt sie da aus? Meine Recherche findet nichts.

 

 

Rebell aus Liebe

von Friedhelm Schneidewind

 

In einer Fantasywelt, die von (einmal wieder) roten Drachen beherrscht wird, begegnen sich ein gejagter blauer Drache sowie ein Einhorn und teilen bald mehr als nur freundschaftliche Gefühle.

 

Hier muss ich nun ein wenig entwirren. Zuerst dachte ich, hier ein Märchen-artiges Gleichnis für den Nepalesischen Bürgerkrieg vorgesetzt zu bekommen, bevor dieses plötzlich mit Anachronismen um sich wirft und das Einhorn von Migrationswellen und anderen Dingen spricht. Und während ich solche Stilmittel durchaus akzeptiere, sehe ich sie eher im Bereich des Slapsticks oder der Situationskomik.

 

Im Allgemeinen bricht die Geschichte der Aussage wegen mit vielen Gewohntem. Einhörner sind in der Fantasy eher hochherrliche Kreaturen und nur selten anzutreffen – hier drohen sie, den (wie zumeist bösartig expansionistischen) Menschen geschuldet, eine Immigrationsflut auszulösen. Das fühlte sich anfangs etwas ungewohnt an. Desweiteren kam die Prämisse, die Schneidewind mit den roten Drachen verfolgt, bei mir nicht an: Diese zogen sich zurück, um durch eugenische Programme rassische Reinheit zu erreichen, was ihnen auch gelang. Die Holzhammer-Kritik ist absolut klar. Dass sie aber danach sämtliche Kreaturen und sogar alle anderen Drachen unterwerfen konnten, zeigt aber doch eher, dass ihr Plan aufging.

 

Das ist auch das Gefühl, dass mich eigentlich durch die gesamte Geschichte hindurch verfolgte: „Was will mir der Autor sagen?“ Auf der einen Seite spielt er mit Fantasy-Elementen und stellt die dort gewohnte Hierarchie auf den Kopf, auf der anderen hagelt es Anachronismen, wenig subtile Anspielungen auf die aktuelle Immigrationskrise und seltsame Gleichnisse zum Thema Rassismus – die dann wiederum manchmal etwas sehr in die Richtung spielen: „Rassismus ist nicht schlimm, solange er gegen die richtigen Rassen geht.“

 

Die Geschichte ist gut geschrieben und flüssig zu lesen, die Handlung hält zu Dreiviertel ein angenehmes Tempo. Die Liebesbeziehung zwischen beiden fühlt sich unverdient an, ebenso wie der plötzliche Sieg am Ende. Während den Monologen, die eher vom Autor an den Leser gerichtet sind, blieb den Charakteren auch nur wenig Raum, um sich zu entwickeln.

 

Ich hatte jedenfalls die ganze Zeit den bitteren Beigeschmack, dass die Geschichte selbst nicht ganz wusste, was sie eigentlich sein will.

 

Was das Lied am Ende angeht: Die Tonfolge erinnert mich an irgendeines. Ich kann nur nicht sagen, welches. Der Schluss bricht etwas. Ist aber nett, dass die Geschichte von einem Lied begleitet wird. Das zündete für mich damals bei „Scott Pilgrim“ sehr, zumal der Track auch wirklich gut zum Graphic Novel passte.

 

 

Ausreißer

von Heidrun Jänchen

 

Aynur ist ein arabischstämmiges Mädchen, das immer wieder mal aus ihrem Flüchtlingsheim ausbüchst. Als in diesem eine Epidemie ausbricht und die ersten Opfer fordert, wird sie bald schon dazu gezwungen, das noch einmal zu tun. Hinzu kommen auch noch zweifelhafte Prüfer vom Gesundheitsamt …

 

Kleiner Nitpick: Meines Wissens nach werden und wurden Ukrainer nicht mehr mit Moslems und Schwarzafrikanern in dasselbe Heim gesteckt, da diese dort wohl massive Anfeindungen erfuhren. Meine Recherche bestand allerdings lediglich aus einer WhatsApp-Nachricht an einen Bekannten, der in Flüchtlingsheimen arbeitet. Von daher bitte ich gerne um Korrektur.

 

„Ausreißer“ erzählt sich jedenfalls glatt und angenehm und geht dabei nie tief ins Detail. Das machte es mir auf der einen Seite schwer, um die Todesfälle zu trauern, da diese kaum Gelegenheit hatten, mir ans Herz zu wachsen, hat aber auch jegliche Langatmigkeit vermieden.

 

Das Ende scheint mir erzwungen positiv und wurde dadurch anorganisch:

 

Auch wenn es nie direkt ausgesprochen wird, hat offensichtlich die Regierung oder wer auch immer eine Biowaffe entwickelt, die direkt Sequenzen angreift. Das ist nicht nur der feuchte Traum aller Diktatoren, sondern noch dazu ein medizinisches Wunderwerk, das nebenher auch fast alle Arten von Krebs heilen könnte. Und dann lässt man die einzigen beiden Aberrationen nicht nur unbeobachtet, sondern laufen? Selbst wenn es kein Säuberungsprojekt gewesen ist, sondern eben nur ein Cousin der Sichelzellkrankheit, so könnten trotzdem die beiden Mädchen eine immense Gefahr darstellen und andere Araber (zum Beispiel: alle!) anstecken.

 

 

Das hier ist nicht Bullerbü

von Yvonne Tunnat

 

Eine zweifache, bald dreifache Mutter zieht durch eine endzeitliche Trostlosigkeit, auf der Suche nach einem Ort, an dem sie bleiben kann oder wenigstens einen Unterschlupf. Mehr und mehr wird jedoch deutlich, dass es noch schlimmer ist, als zuerst angenommen.

 

Während ein paar der vorherigen Geschichten nicht arg in die Tiefe gingen oder das Thema in Eindimensionalität begruben, hat Yvonne gar keine Gnade. In ihrer post-apokalyptischen Zeichnung gibt es kein Gut oder Böse mehr, keine Moral, sondern einfach nur noch die Flucht und das eigene Selbst. Gut und gnadenlos geschrieben, mit entfernten Anleihen an „Die Straße“ von McCarthy, gibt es niemanden, vor dem die Grauen in dieser Geschichte Halt machen, nicht einmal vor einer schwangeren Mutter. Auch erwähnenswert ist, wie hier mit Implikationen gearbeitet wird. Immer wieder deuten Charaktere nur an, was sie getan haben oder tun würden, sprechen es aber nicht aus … was dadurch die tatsächlichen Sünden umso schlimmer macht.

 

Ich lamentiere oft darüber, dass mir die aktuelle Literatur zu weich, zu vorsichtig und zu brav geworden ist – umso mehr freut es mich, dass Yvonne Tunnat da keine Reißleine zieht, sondern ihre Leser in unterhaltsame und inspirierend dunkle Abgründe führt.

 

„Das hier ist nicht Bullerbü“ war für mich nicht nur eine außerordentlich gute Geschichte, die auch tiefgehend auf das initiale Thema des Flüchtlings eingeht, sondern auch eine echte Kampfansage an die moderne „Oh, Vorsicht, das könnte doch jemand triggern“-Angstkultur. Sie zeigte mir, was Autoren tatsächlich wieder etwas mehr werden sollten: Herausforderer und anstößig. Gerne wieder, bitte mehr davon!

 

 

Stürzender Stern

von Achim Stößer

 

Die Sätze sind gerne lang und die Metaphern zahlreich – wer Achim Stößer lesen will, der braucht einen langen Atem … und wird im Regelfall dafür belohnt. Aber dazu muss ich ins Detail gehen:

 

Zwei Astronauten transportieren einen Außerirdischen, aus dessen Blut man Drogen herstellen kann – vermutlich inspiriert von den Fotos, die 2017 viral gingen: Auf diesen wurde gezeigt, wie das Blut von Pfeilschwanzkrebsen geerntet wird, um daraus Prüfmittel für Impfstoffe herzustellen. Auch wenn das „blaue Gold“, wie es damals genannt wurde, seitdem einige Tausend Leben gerettet hat, so ist die Extraktion alles andere als ein ansehnlicher, moralisch unbedenklicher Prozess. Als der außerirdische Krebs jedenfalls entwischt und sich durch ein Bodengitter erleichtert, kommt es zum Kurzschluss und das Raumschiff stürzt auf einem fremden Planeten ab.

 

„Stürzender Stern“ erinnert in mehreren Aspekten an die Geschichten von Buck Rogers, John Carter oder Flash Gordon und während ich anfangs noch versucht war, mich über die Stochastik oder die Eindimensionalität der (wie immer) bösen Menschen zu ärgern, wurde ich eigentlich durchgehend nur unterhalten. Die Charaktere werden mit Liebe skizziert, die Bösewichter machen Lust, die Guten sind interessant. Auch das Männer-Frauen-Verhältnis der Außerirdischen ist angenehm fremdartig entworfen.

 

Einziger Kritikpunkt: Als der Antagonist endlich auffährt und mir Laune auf mehr von ihm machte (seine Motive wurden plötzlich sogar zu einem Teil nachvollziehbar), war die Geschichte auch schon vorbei. Da hätte jetzt ruhig nochmal so viel nachfolgen dürfen.

 

 

Die Verstoßenen

Von Rudolf Arlanov

 

Nachdem die Erde schließlich unterging, zogen sich die Menschen auf u.a. den Mars zurück. Ein Minenarbeiterehepaar erinnert sich an seine Zeit auf der Heimat und sucht ein wenig Trost, wo sonst keiner zu finden ist.

 

Wieder geht es dabei um tote Kinder (bzw. eines), aber leider nicht so, dass ich daran Anteil nehmen konnte. Ich muss hierzu auch mal aussprechen: Wenn am oder vor dem Anfang der Handlung ein Elternteil, ein bester Freund, die kleine Schwester oder die Tochter sterben, dann muss das wirklich gut inszeniert werden … oder es trifft mich einfach gar nicht. Ich kannte diese Person nicht, ich habe nicht mein Leben mit ihr verbracht, sondern sie gerade erst kennengelernt. Ihr Tod ist also für mich nur einer von sehr, sehr vielen und in einer Zeit, in der ich fast täglich von Kriegstoten lese, eigentlich nur noch Statistik.

 

Das Ehepaar aus Ich-Erzähler und Loreen ist dafür besonders gegen Ende schön erzählt. Mir gefiel auch sehr, dass ihnen Arlanov durchaus auch Raum für Intimität und Verletzlichkeit lässt.

 

Und weil ich gerne jammere: Selbst wenn das Ökosystem der Erde kollabiert und sich der Planet lunarisiert, ist das Überleben hier immer noch leichter als irgendwo sonst. Bunker- oder Zylinderstädte sind doch auch ein schönes Setting und Kuppelstädte auf dem Mars gab es schon genug.

 

 

Tiere vor dem Fenster

von Veith Kanoder-Brunnel

 

Wer noch vor oder Anfang der 90er geboren wurde und an dem MTV nicht ganz vorüberging, wird sich vermutlich an das Rap-Trio „Die Firma“ erinnern, die sich lyrisch oft mit Phantastik, Science-fiction und Verschwörungstheorien auseinandersetzte. In ihrem vorletzten Album „Goldene Zeiten“ von 2007 erzählte der Track „Die neue Welt“ von Astronauten, die eben die namensgebende neue Welt betraten. Und auch, wenn „Tiere vor dem Fenster“ vermutlich nicht dadurch inspiriert wurde, leiht es sich doch ein zentrales Element aus dem Rap.

 

Ein Wissenschaftler und Visionär erhält Nachrichten von Außerirdischen. Als die Kadenz dieser bald zunimmt und die Abstände zwischen den Antworten ab, stellt sich sein Gesprächspartner als Teil eines außerirdischen Flüchtlingszugs heraus – der jetzt Zuflucht sucht.

 

Die Geschichte wechselt dabei immer wieder zwischen szenisch und nicht-szenischer Erzählweise (die ich persönlich bevorzuge) und das auch gekonnt. Ich hatte keine Probleme, wenn zwischen den Geschwindigkeiten gewechselt wurde. Dagegen sehr schade ist der eigentlich schöne Twist am Ende: Ich weiß nicht, wie es anderen ging, aber ich habe ihn schon mehrere Seiten vor der finalen Offenbarung vorausgesehen. Ursula K. Le Guin verwendete zwar ähnliche Wenden, wusste aber, sie geschickt unter guten Red Herrings zu kaschieren. Das gelang in „Tiere vor dem Fenster“ leider nicht – aber nicht, weil es schlecht geschrieben war, sondern einfach, weil man Geschichten dieser Art schon zu oft geschrieben hat. Und so fiel sie dem „Literacial Profiling“ zum Opfer.

 

 

Ein paar Minuten noch

von Karsten Lorenz

 

Als Außerirdische eine Hyperraum-Umgehungsstraße durch die Erde bauen wollen – äh, korrigiere: als sie aus der Sonne ein Kraftwerk machen, muss unser Heimatplanet weg. Da es sich bei den Sonneningenieuren aber nicht um Vogonen handelt, evakuieren sie wenigstens die Menschheit … bis auf eben ein paar Renitente, wie Daniel. Als ihn Sinah, seine Tochter, davon überzeugen will, mit ihr den Planeten zu verlassen, kommt es zu einem längeren Gespräch.

 

… das irgendwie nirgendwo hingeht. Daniel und Tochter marschieren über den Hof, diskutieren über dies und jenes, immer wieder werden auch interessante, kleine Ideen für Bauern- und Agrarkultur eröffnet, die zumindest mir (als Bewohner eines bayrischen Voralpendorfes) einigermaßen sinnig erscheinen, aber nie so wirklich in die Tiefe gehen. Dabei sind die Themen gar nicht mal schlecht gewählt: Heimatverbundenheit gegen Aufbruch ins Neue, wie Alt und Jung durchaus einander brauchen und dass wir am Ende alle dem Neuen Platz machen müssen. Kürzer hätte die Geschichte wahrscheinlich besser gezündet.

 

Das Ende war vorhersehbar, aber sympathisch. Bittersweet but wholesome, würde man wohl auf Reddit sagen.

 

 

Kneipenasyl

von Monika Niehaus

 

In einer interstellaren Kneipe gerät ein Reptoid an ein paar Speziesisten (wie Achim Stößer nun sagen würde) – und erhält unerwartet Hilfe.

 

Diese Geschichte objektiv zu bewerten, wird mir nicht leicht fallen. Einer meiner ersten Romane war „Per Anhalter durch die Galaxis“, meiner ersten Computerspiele hieß „Space Quest III“ und mein erster Science-fiction war der erste „Star Wars“. Und auch heute kann ich einmal im Monat „The Red Tangerine“ von Finlay Christie sehen, wenn mir der Sinn nach Pointing Out-Humor steht (also immer, denn nur damit fühle ich mich schlau!). Oder kurz: Ich liebe Weltraum-Kneipen!

 

Vermutlich ist „Kneipenasyl“ also nur eine mittelmäßige Kurzgeschichte, deren Humor tatsächlich aus Versehen entstand (und in Wirklichkeit gar keiner ist) und dessen Thema einfach nur die Abarbeitung der typischen Klischees darstellt, aber bei mir traf die recht pulpige Geschichte einen Nerv und machte Spaß. Und ja, mir ist bewusst, dass die Auflösung des Konflikts schon wirklich bizarr leicht fiel – selbst im Rahmen einer Pulp-Story. Let me enjoy things!

 

Kleine Anmerkung: „Locutus“ und „Alpha-Quadrant“ sind meines Wissens nach Begriffe aus dem Star-Trek-Universum. Hätte Niehaus da nicht ein paar Eigennamen erfinden können? Der „Sirius-Cluster“ zum Beispiel! Alle Sci-Fi-Pulp-Geschichten spielen doch im Sirius-Cluster.


Bearbeitet von Maxmilian Wust, 08 April 2024 - 11:26.

"Part Five: Boobytrap the stalemate button!"


#45 rostig

rostig

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Geschrieben 08 April 2024 - 12:03

Nach so viel positiver Rückmeldung wieder mein Senf:

 

Karsten Lorenz - Ein paar Minuten noch
Vorhersehbare und damit langweilige Geschichte um einen Exodus der gesamten Menschheit in einem (!) Raumschiff. Das kann ja wohl nur in elektronischer Form als Download gemeint sein und hiermit wird auch der Satz, dass kein Platz für den Protagonisten als letzten (?) Menschen sei, verständlich: die Speichermedien sind voll.

Monika Niehaus - Kneipenasyl
Wie immer bei den Geschichten aus der Kaschemme unterhaltsam, humorvoll und stilsicher geschrieben. Vielleicht zu wenig Tiefgang aber allemal lesenswert. Ich muss doch mal die Sammlung der Geschichten aus Donnas Kaschemme bei p.machinery bestellen.

Anke Höhl-Kayser - Tiefes Wasser
Mein erster Eindruck: wohl eher eine unerfahrene Autorin - viele unnötige Inquits, blasse Charaktere, wenig Worldbuilding für eine Alienwelt, aufgesetzte Botschaft. Angeblich hat sie viel veröffentlicht und Preise gewonnen. Da täuscht wohl der erste Eindruck, aber das macht die ungelenke Geschichte nicht besser.

Janika Rehak - Hashtag#back_to_normal
Ist mir ein wenig zu platt an der heutigen Entwicklung einer erstarkenden AfD angelehnt. Aber die Protagonisten sind glaubhaft, die Geschichte rund. Da  gabe sin diesem Band schon Schlimmeres.



#46 Maxmilian Wust

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Geschrieben 08 April 2024 - 12:35

Nach so viel positiver Rückmeldung wieder mein Senf:

 

Ich weiß nicht, ob du diesen Satz ironisch meinst. Falls ja, ich war zu kritisch, nicht wahr? Deshalb habe ich ja auch immer versucht, zu erwähnen, was mir gefallen hat.


"Part Five: Boobytrap the stalemate button!"


#47 Rezensionsnerdista

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Geschrieben 08 April 2024 - 13:02

Ich weiß nicht, ob du diesen Satz ironisch meinst. Falls ja, ich war zu kritisch, nicht wahr? Deshalb habe ich ja auch immer versucht, zu erwähnen, was mir gefallen hat.


Ich musste auch grinsen, was viele Storys betrifft, hatte Roland sogar das positivste Feedback!

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#48 ShockWaveRider

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Geschrieben 08 April 2024 - 14:04

"Strandgut" has arrived! Bzw. wurde angeschwemmt.

 

In diesen Thread steige ich aber erst in ein paar Tagen ein.

 

Gruß

Ralf


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#49 Jol Rosenberg

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Geschrieben 08 April 2024 - 14:17

 

 

By the way: Als Amal spontan zur Survival-Expertin wird, welche Knollen gräbt sie da aus? Meine Recherche findet nichts.

 

Trüffel natürlich. Ich fand das ja ziemlich überflüssig, dass der Text das nicht nur ausgiebig vorführt, sondern auch noch benennt, aber offenbar bin ich damit allein. Genauso wie mit meiner kritischen Sicht auf die Texte.


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#50 rostig

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Geschrieben 08 April 2024 - 14:24

Also - ironisch war das nicht gemeint mit dem positiven Feedback. Es  hat mich durchaus beeindruckt, wenn man in manch mediocren Geschichte noch Gutes zu finden weiß. Und es interessant, wie unterschiedlich Geschichten bewertet werden. Ich empfand die Einstiegsstory eher banal bis fatal während mich "Die rote Nase" echt berührt hat.



#51 Jol Rosenberg

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Geschrieben 08 April 2024 - 14:34

Ich bin auch erstaunt, wie gut die Texte hier wegkommen ... mich konnte ja nichtmal der Clown einfangen.


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#52 Maxmilian Wust

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Geschrieben 08 April 2024 - 19:33

Also - ironisch war das nicht gemeint mit dem positiven Feedback. Es  hat mich durchaus beeindruckt, wenn man in manch mediocren Geschichte noch Gutes zu finden weiß. Und es interessant, wie unterschiedlich Geschichten bewertet werden. Ich empfand die Einstiegsstory eher banal bis fatal während mich "Die rote Nase" echt berührt hat.

Oh. Aber ich hatte doch an jeder Story bis auf der von Yvonne bisher was auszusetzen, teilweise ziemlich viel. Ehrlich gesagt, dachte ich sogar noch vor dem Abschicken, dass meine Kritik viel zu drakonisch ausgefallen wäre.


"Part Five: Boobytrap the stalemate button!"


#53 Jol Rosenberg

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Geschrieben 08 April 2024 - 20:42

Die Tiere vor den Fenstern von Veith Kanoder-Brunnel

 

...

 

Nicht übel, wegen der echten Handlung mit Anfang, Mitte, Schluss (!), würde ich trotz der Mängel sagen, dass es eine der besseren Geschichten in der Anthologie ist. Hat eben auch bisher die klarste Prämisse. Vielleicht ein bisschen zu klar, aber im Rahmen des Buchthemas finde ich das angemessen.

 

Ich habe nach diesem Text ja lange gegrübelt, was eine Prämisse sein könnte. Das Einzelpersonen keine wichtigen Entscheidungen für viele allein treffen sollten? Das schien mir nicht die Intention des Autors. Daher wäre ich neugierig, was ihr als Prämisse gelesen habt.

 

@Maximilian: Nee, drakonisch fand ich das nicht. Sondern schön klar begründet, auch was dir gefallen hat.

 

Bei Yvonnes Story scheint mir Einiges entgangen zu sein. Mir war die aber auch deutlich zu horrorlastig.


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#54 Mammut

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Geschrieben 08 April 2024 - 20:50

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Ausreißer
von Heidrun Jänchen

Aynur ist ein arabischstämmiges Mädchen, das immer wieder mal aus ihrem Flüchtlingsheim ausbüchst. Als in diesem eine Epidemie ausbricht und die ersten Opfer fordert, wird sie bald schon dazu gezwungen, das noch einmal zu tun. Hinzu kommen auch noch zweifelhafte Prüfer vom Gesundheitsamt …

Kleiner Nitpick: Meines Wissens nach werden und wurden Ukrainer nicht mehr mit Moslems und Schwarzafrikanern in dasselbe Heim gesteckt, da diese dort wohl massive Anfeindungen erfuhren. Meine Recherche bestand allerdings lediglich aus einer WhatsApp-Nachricht an einen Bekannten, der in Flüchtlingsheimen arbeitet. Von daher bitte ich gerne um Korrektur.

„Ausreißer“ erzählt sich jedenfalls glatt und angenehm und geht dabei nie tief ins Detail. Das machte es mir auf der einen Seite schwer, um die Todesfälle zu trauern, da diese kaum Gelegenheit hatten, mir ans Herz zu wachsen, hat aber auch jegliche Langatmigkeit vermieden.

Das Ende scheint mir erzwungen positiv und wurde dadurch anorganisch:

Auch wenn es nie direkt ausgesprochen wird, hat offensichtlich die Regierung oder wer auch immer eine Biowaffe entwickelt, die direkt Sequenzen angreift. Das ist nicht nur der feuchte Traum aller Diktatoren, sondern noch dazu ein medizinisches Wunderwerk, das nebenher auch fast alle Arten von Krebs heilen könnte. Und dann lässt man die einzigen beiden Aberrationen nicht nur unbeobachtet, sondern laufen? Selbst wenn es kein Säuberungsprojekt gewesen ist, sondern eben nur ein Cousin der Sichelzellkrankheit, so könnten trotzdem die beiden Mädchen eine immense Gefahr darstellen und andere Araber (zum Beispiel: alle!) anstecken.
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Woran machst du es fest, dass es sich um eine Biowaffe handelt?

Bearbeitet von Mammut, 08 April 2024 - 20:52.


#55 Rudolf

Rudolf

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Geschrieben 08 April 2024 - 23:56

Hallo Zusammen, Hallo Rezensionsnerdista/Yvonne

 

Ich bin begeistert über diesen Lesezierkel und dass sich (Mit-)Autoren und Leser der Anthologie über die einzelnen Stories austauschen. Dahingehend eine tolle Idee @Rezensionsnerdista bzw. Yvonne und vielen Dank an alle Beteiligten für die Mühe und Zeit. Das ist nicht selbstverständlich.

Ich möchte gerne auf das Feedback zu meiner Story "Die Verstoßenen" eingehen.

 

 

Rudolf Arlanov: Die Verstossenen

Der Autor sagt mir bisher nichts, aber laut Vita schreibt er auch nicht erst seit gestern, also kann ich ja hoffentlich auch ein bisschen direkter werden. 

--> Natürlich kannst du direkter werden.

 

 

Die Story habe ich auch bis zum Ende gelesen, mit Interesse, und es ist auch eine richtige Story und auch SF. Das ist schon mal gut.

--> Danke. Das freut mich, dass dich die Story mit Interesse bis zum Schluss halten konnte. Das Subgenre innerhalb der Phantastik war relativ frei wählbar und ich entschied mich zur Abwechslung für ein SF-Setting.

 

Loreen und ihr Mann (Ich-Erzähler) werden sogar leicht plastisch, haben beide unterscheidbare Persönlichkeiten, auch die Dialoge sind glaubwürdig (wenn auch ein bisschen 1990er Schnoddrigkeit). 

--> Dein Lob über die Charakterisierungen und Dialoge nehme ich gerne und freue mich, dass die beiden für dich unterscheidbar sind. Schöne Formulierung und Leseeindruck von dir: "1990er Schnoddrigkeit". :)

 

Nach deinem eher positiven Teil des Feedback-Sandwiches geht es im Folgenden mit deinen Kritikpunkten weiter:

Die Situation, in der die beiden sind, ist durchaus déjá lu und bringt nicht wirklich inhaltlich neue Aspekte. Leider habe ich gerade gestern eine Kurzgeschichte gelesen, in der auch jemand unter ziemlich hohem Druck in einer Fabrik arbeiten musste, da gab es viel augmented Reality, um die Arbeitenden so richtig unter Druck zu setzen, damit bessere Ergebnisse zu erzielen und die Figur hat sich bei einer Hexe etwas besorgt, um diese augmented reality nicht mehr sehen zu müssen, nur noch die groben Angaben, damit diese Hetze für sie wegfällt. Das fand ich originell.

--> Fantasy oder sonstige übernatürlichen Elemente hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse hätten bei mir nicht gepasst und haben mich auch nicht interessiert. Ich stellte mir eine Art "Industrialisierungs-Szenario" Ende 19./ Anfang 20. Jhdt vor, nur in eine vom Jahr her undefinierten Zukunft. Die Arbeitsverhältnisse waren für mich somit klar abgesteckt und in dieser Hinsicht wollte und musste ich nicht das Rad und meine Sichtweise neu erfinden: In der Vergangenheit wurden, in der Gegenwart und auch in Zukunft werden Menschen unter miserablen Arbeitsverhältnissen ausgebeutet. Mag kein neuer Aspekt sein. Passt.

 

However, sowas gibt es hier nicht, aber sehr schlechte Luft und die Filter werden nicht getauscht. 

Inhaltlich neue Idee also nein, aber ich bin ja Team "Brauche keine neuen Ideen, Hauptsache, die Story ist gut". 

--> Die Arbeitsverhältnisse der beiden Hauptprotagonisten sind nur ein "Baustein" der Story. Interessant wie sehr für dich dieser Aspekt der Story ins Gewicht fällt.

 

Ist sie das?

 

Na ja, schauen wir uns mal den Plot an

 

Spoiler

 

Wäre aber sonst als Slice-of-Life Story vom Alltag zweier Geflüchteter für mich auch vollkommen in Ordnung, ich lese sowas ja ganz gern, nur kommt da so wenig, was mich wirklich rein emotional überzeugt.

--> Slice-of-Life ist ein guter Ausdruck und trifft es genau. Der Leser begleitet zwei Geflüchtete für eine kurze Weile. Was das Emotionale angeht, mehr in deinen folgenden Ausführungen:

 

Ich nehme mal beispielhaft diese Stelle, weil ich das daran so gut zeigen kann:

 

Adam wacht auf und lässt sich von Loreen trösten. Er hat von Hannah geträumt.

 

 

Abgesehen mal von dem kleinen Perspektivfehler im letzten Halbsatz - hier soll ich ja offenbar mitfühlen.

--> Einen Perspektivfehler sehe ich im Halbsatz des Satzes

"Sie umarmt mich internsiver und hofft, dass ich ihr leises Schluchzen nicht höre." nicht.

Ich bin weiterhin in der Perspektive von Adam. Er nimmt Loreens leises Schluchzen wahr und versteht, was es bedeutet. Sie versucht in dieser Situation für ihn und für sich stark zu sein, obwohl ihr die ganze Situation auch nahe geht, dies aber nicht zeigen möchte.

 

Weil die beiden ihr Kind verloren haben. Und das ist ja rein faktisch wirklich traurig und würde mich normalerweise mitnehmen, berühren und für sie einnehmen. Warum aber klappt das hier nicht?

Ich vermute, weil sie nichts wirklich eigenes sagen.

--> Was meinst du mit "weil sie nichts wirklich eigenes sagen"?

 

Die Sätze, die sie zueinander sagen, sind alle bereits von mir zigmal irgendwo gelesen worden. Da kommt nichts neues.

--> Der Dialog kommt zigmal in anderen Geschichte vor? Da frage ich mich, wer hat bei wem abgekupfert.

Spaß beiseite: Ich führe keine Statistik über Trauerbewältigung. Es gibt einige klassische Szenarien und es läuft mehr oder weniger immer auf das gleiche hinaus. HIer: Der eine Partner trauert, der andere versucht zu trösten. That's it.

 

Ich erfahre nichts über Hannah, außer, dass sie tot ist. Ich erfahre nichts über ihre Persönlichkeit, auch nicht über die Beziehung zwischen ihr und ihren Eltern. Es kommen nur allgemeine Sätze, die auf mich distanziert wirken wie "Hannah ruht in Frieden". 

Da hat jemand sich nicht so richtig an die Gefühle der Figuren rangetraut.

--> Ich hatte dieses Szenario in einer Fassung geschrieben, dass Adam aus dem Alptraum erwacht, Loreen tröstet ihn und er sinniert über Hannah und einige vergangene Ereignisse. Ich ließ diese Passage etwas ruhen und betrachtete es mir nochmal. Sie gefiel mir nicht, wirkte auf mich aufgesetzt und gekünstelt, roch zu sehr nach Infodump und Holzhammer für den Leser. Nein. Die Übergangszeit ist fast vorbei und nähert sich ihrem Ende. Statt der Vergangenheit skizziert Adam auf der letzten Seite der Story kurz einen hoffnungsvollen Traum und scherzt sogar im letzten Satz dieser Passage. Es zeigt eine Entwicklung in Adam und unterstreicht den Blick ins Hier und Jetzt, den Loreen später formuliert.

 

 

Ich denke aber, das hätte sich gelohnt. 

--> Möglich. Vielleicht hätte ich mir dann den Infodump-Vorwurf anhören dürfen. Die Trauer der beiden Protagonisten mag nicht wirklich packen und das ist voll ok für mich, handelt es sich hierbei nur um einen Teil aus ihrem Leben.

 

 

Wenn der Autor sich näher an seine Figuren herangetraut hätte - auch an ihre Liebe (die aber deutlich besser geschildert wurde als ihre Trauer), dann hätte mich die Geschichte trotz des Slice-of-Life-Touches berührt.

--> Diese Aussage verstehe ich darin, was du aus einer Story für dich herausgenommen hast, kann aber versichern, dass ich mich mit meinen Figuren sehr auseinandergesetzt und einige Diskussionen geführt habe. Wir haben entschieden, der Liebe mehr Platz einzuräumen, mehr Blick ins Hier und Jetzt, mehr Licht, weniger Schatten. Schattenseiten gibt es in anderen Texten von mir zur Genüge.

 

Ich walze das hier so aus, weil sich das für mich bisher nicht nur durch diese Anthologie zieht (Ausnahme Aiki), sondern auch eigentlich durch die gesamte deutschsprachige Szene. Und ich weiß aber, dass es möglich ist, das anders zu lösen, weil ich jeden Abend auch anglo-amerikanische Magazine lese. 

 

Also, falls Rudolf mitliest, sorry, dass deine Szene als Beispiel dafür herhalten musste, immerhin hatte ich Lust, mich etwas intensiver mit deiner Geschichte zu beschäftigen.

--> Vielen Dank für dein tolles Feedback und deine Zeit und Mühen. Ich nehme es nicht als selbstverständlich und las deine intensive Auseinandersetzung mit Interesse und werde sehen, inwiefern ich deine Kritikpunkte in zukünftige Stories berücksichtigen kann. Es ist ja immer wieder ein Abwägen, was wie in einer Story geschrieben werden soll. Wenn ich am Ende das Gefühl habe, dass es für mich und für die Testleser passt und am Ende auch noch das Lektorat zufrieden ist, dann ist schonmal eine große Hürde genommen. Was Leser aus einer Geschichte machen, liegt nicht mehr in meiner Hand.

 

Ich bedanke mich sehr für deinen Leseeindruck.

 

Herzliche Grüße

Rudolf


Bearbeitet von Rudolf, 09 April 2024 - 07:24.


#56 Maxmilian Wust

Maxmilian Wust

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Geschrieben 09 April 2024 - 00:41

@Mammut

Ganz ehrlich, ich habe das getan, was ich immer tue und jemanden gefragt, der mehr Ahnung davon hat, als ich: Meine Schwester, eine Bio-Ingenieurin. Ihre Antwort lautete (kurzgefasst): Alle Viren und Bakterien bevorzugen oberflächlich gewisse Sequenzen, aber nicht, weil sie darauf anspringen, sondern weil diese Faktoren bedeuten, die es ihnen leichter machen, wie z.B. Zellwände, die sich leichter knacken lassen oder DNS, die empfänglicher für das eigene Erbgut ist ... oder einfach einen geringeren pH-Wert an den Angriffszonen im Blut. Das können im wahrsten Sinne des Wortes Milliarden von Bedingungen sein. Das, was wir als Epidemien wahrnehmen, sind im Endeffekt nur die Löwenzähne und Gänseblümchen der Krankheiten, die wenig wählerisch in ihren Wirten sind. Diese leiden aber wiederum an einem anderen Problem, das sie meist am Ende permanent aus dem Genpool entfernt: Sie töten zu oft ihre Wirte. Kaum eine Krankheit (bis auf natürlich Tollwut, eine berühmte Cordyceps-Infektion oder der mehr als rätselhafte Marburg-Virus, das einfach überhaupt keinen Sinn ergibt) will das tatsächlich, zumal dann aus dem Wirtskörper ein Sarg wird.

 

Krankheiten, die innerhalb eines Genos eine Subspezies attackiert, gibt es durchaus, sind aber höchstselten, wie eben die Sichelzellkrankheit, die vor allem Schwarze befällt, oder die Mukoviszidose, die uns europoide Weiße ganz heimelig findet. Auch hier: Gäbe es nicht die modernen Transportmöglichkeiten, wären beide aufgrund ihrer Überspezialisierung ständig vom Aussterben bedroht. Eine tödliche Krankheit, die sich über die Luft überträgt und auf ELE-Level agiert, hätte sich mit höchster Wahrscheinlichkeit in den arabischen oder persischen Ländern angekündigt, mit allerhöchster tatsächlich in Afghanistan. Dass es in Deutschland geschieht, ist entweder ein kosmischer Lottogewinn (weil einfach die Wirtzahl per Quadratkilometer zu gering ist) oder eben der finale Test einer Biowaffe – von der man sich sicher ist, dass ihre Mutationsrate sehr konservativ verläuft, denn ansonsten hätte man eine Geschichte für Detlefs Biokalypse-Anthologie gehabt. Von den Symptomen her scheint es sich um eine Abart der Grippe, vielleicht sogar COVID selbst zu handeln, wobei ich hier wirklich nur Aussagen weitergebe.

 

Das bedeutet entweder, dass sich COVID zu einer Letalität von über Ebola weiterentwickelt hat, dabei aber wirklich nur spezifisch Araber und Perser attackiert (was gefährlicher ist, als man denkt, denn als Kaukasier teilen wir mehr DNS mit ihnen, als der durchschnittliche Alt-right-Redpiller zugeben würde) oder aber eine gänzlich neue Krankheit mit denselben Spezifikationen entstand, die auf verrückte Art aus dem Thymus-Krieg hervorging. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist einfach so unglaublich gering, dass man annehmen müsste, dass hier nachgeholfen wurde. Dass das in Jänchens Geschichte nicht unbedingt der Fall ist, zeigt andersherum, dass nicht ständig von der Heilung von Krebs in den Nachrichten gesprochen wird, denn damit ließe sich auch jede Zelle zerstören, die z.B. keine Drucksensoren mehr in ihrer DNS hat. Und wieder andersherum geht das Gesundheitsamt auch seltsam und weitab von jedem Protokoll mit dem Fall um, was für mich wie eine Verschwörung riecht – so als hätten sie nichts dagegen, dass der Anti-Araber-Virus ein bisschen herumkommt. In beiden Fällen ist ein derart effizienter Erreger absolut nichts, was der Staat einfach abtun würde.

 

Und ja, es kann auch einfach sein, dass hier sich hier einfach ein riesiges Plothole auftut, dass uns ganz klischeehaft woke sagen soll: Weiße sind böse und inkompetent und lassen Flüchtlinge einfach sterben, "weil Parasiten unzo". Das glaube ich aber nicht. Stattdessen denke ich, dass Jänchen durchaus Recherche betrieb und sich zumindest mal in den Alltag in einem Flüchtlingsheim beschreiben ließ (ein Beispiel hierfür ist die Waschküche), bevor er über ein derart prekäres Thema schrieb. Wenn er nicht sogar ein, zwei Tage dort gearbeitet hat. Daher wird er sicher von den Krankheitswellen gewusst haben, die dort regelmäßig ausbrechen und wie drastisch man dagegen vorgeht.

 

Daher meine Schätzungen und mein Konflikt damit.

 

Aber: Meine Meinung ist absolut nicht in Stein gemeißelt und ich mag es tatsächlich, eines Besseren belehrt zu werden. Einem "Tut mir leid, aber das stimmt so nicht", sehe ich also mit Freude entgegen  :bighlaugh:


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#57 Rezensionsnerdista

Rezensionsnerdista

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Geschrieben 09 April 2024 - 06:30

Ich glaube, Physiker Heidrun Jänchen feiert gerade, dass du sie für einen Mann hältst.

Sie mag nur die Bezeichnung "Physikerin" nicht
Pronomen sie ist aber okay. ;-)

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#58 Mammut

Mammut

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Geschrieben 09 April 2024 - 06:40

Nachdem ich die Frage gestellt und drüber nachgedacht habe, kam ich, wenn auch sehr laienhaft, auf ein ähnliches Szenario wie du skizziert hast. Es ist unwahrscheinlich, aber möglich, dass so eine Krankheit nur einen Volkststamm befällt, andere nicht. Aber die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass diese Krankheit künstlich erzeugt wurde. 

In beiden Fällen wirkt das ganze Szenario aber irgendwie unrund. Da sind welche, die sind befallen und es trifft nur Araber und die drei Mädchen, die immun sind, können einfach so abhauen bzw. es hat überhaupt keiner richtig zur Kenntnis genommen, dass sie überlebt haben. Dann kommt ein obskures Amt, das mit bürokratischer Gemütlichkeit am nächsten Tag die Mädchen abholen will.

Für mich liest sich das ganze wie ein Skript für das ZDF.  Würde ich als Totalausfall werten. Deine Antwort dagegen, Maximilian, würde die spannendere Geschichte ergeben.

 

Bisher bietet das Buch so in etwa, was ich befürchtet habe. 



#59 Rudolf

Rudolf

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Geschrieben 09 April 2024 - 08:22

Hallo rostig,

 

auf dein Feedback gehe ich gerne ein:

Rudolf Arlanov - Die Verstoßenen
Exodus von der zerstörten Erde zum Mars - ein abgegriffenes Sujet, das mir auch hier wieder nicht einleuchten will: mit dem geschilderten Aufwand (Kuppelstädte, Wasserrecycling etc.) hätte man auch auf einer total vergifteten Erde leichter überleben können als auf dem Mars.

--> Ich gebe dir recht: Wenn die Erde "nur" vergiftet wäre, wäre ein Bleiben auf ihr sicherlich eine Option gewesen. Ich habe es im Text nicht ausgewälzt, alle Beteiligten wissen, warum sie von der Erde fliehen mussten und mMn beließ ich es bei Andeutungen (ohne unnötigen Infodump), um die Motivation, warum die Menschheit von der Erde fliehen musste, am Beispiel von den beiden Hauptprotagonisten zu skizzieren.

 

Zudem würde man nur sehr wohlhabende oder sehr wichtige Menschen evakuieren (können oder wollen), keinenfalls würde man diese zu Minenarbeiten heranziehen, die leicht robotisierbar wären.

--> Deinen Gedanken der evakuierten Elite kann ich nachvollziehen, aber nein, das wäre eine andere abgegriffene, viel zu saubere Story geworden.

Nicht nur die Reichen und Wichtigen fliehen, alle fliehen. Die einen vielleicht luxuriöser, die anderen vielleicht mit gerade dem, was sie am Leib getragen bekommen haben. Auf dem Mars findet ein Neuaufbau statt, manches ist sauber und schön, anderes ist dreckig und (vor-)industriell. Da die reichen Viertel, dort die Slums. Kennt man alles bereits von der Menschheit auf der Erde und die bekannten Strukturen finden auf dem Mars eine Fortsetzung.

Wo werden in meiner Story wohlhabende und sehr wichtige Menschen zu Minenarbeitern herangezogen? Was verstehst du unter "sehr wichtige Menschen"? Wozu Robotisierung, wenn es mit den Flüchlingsströmen genug billige Arbeit gibt?

Vielen Dank für deinen Leseeindruck.

 

Rudolf



#60 Fermentarius

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Geschrieben 09 April 2024 - 08:28

@Mammut

Ganz ehrlich, ich habe das getan, was ich immer tue und jemanden gefragt, der mehr Ahnung davon hat, als ich: Meine Schwester, eine Bio-Ingenieurin. Ihre Antwort lautete (kurzgefasst): Alle Viren und Bakterien bevorzugen oberflächlich gewisse Sequenzen, aber nicht, weil sie darauf anspringen, sondern weil diese Faktoren bedeuten, die es ihnen leichter machen, wie z.B. Zellwände, die sich leichter knacken lassen oder DNS, die empfänglicher für das eigene Erbgut ist ... oder einfach einen geringeren pH-Wert an den Angriffszonen im Blut. Das können im wahrsten Sinne des Wortes Milliarden von Bedingungen sein. Das, was wir als Epidemien wahrnehmen, sind im Endeffekt nur die Löwenzähne und Gänseblümchen der Krankheiten, die wenig wählerisch in ihren Wirten sind. Diese leiden aber wiederum an einem anderen Problem, das sie meist am Ende permanent aus dem Genpool entfernt: Sie töten zu oft ihre Wirte. Kaum eine Krankheit (bis auf natürlich Tollwut, eine berühmte Cordyceps-Infektion oder der mehr als rätselhafte Marburg-Virus, das einfach überhaupt keinen Sinn ergibt) will das tatsächlich, zumal dann aus dem Wirtskörper ein Sarg wird.

 

Krankheiten, die innerhalb eines Genos eine Subspezies attackiert, gibt es durchaus, sind aber höchstselten, wie eben die Sichelzellkrankheit, die vor allem Schwarze befällt, oder die Mukoviszidose, die uns europoide Weiße ganz heimelig findet. Auch hier: Gäbe es nicht die modernen Transportmöglichkeiten, wären beide aufgrund ihrer Überspezialisierung ständig vom Aussterben bedroht. Eine tödliche Krankheit, die sich über die Luft überträgt und auf ELE-Level agiert, hätte sich mit höchster Wahrscheinlichkeit in den arabischen oder persischen Ländern angekündigt, mit allerhöchster tatsächlich in Afghanistan. Dass es in Deutschland geschieht, ist entweder ein kosmischer Lottogewinn (weil einfach die Wirtzahl per Quadratkilometer zu gering ist) oder eben der finale Test einer Biowaffe.

 

...

 

Und wieder andersherum geht das Gesundheitsamt auch seltsam und weitab von jedem Protokoll mit dem Fall um, was für mich wie eine Verschwörung riecht – so als hätten sie nichts dagegen, dass der Anti-Araber-Virus ein bisschen herumkommt. In beiden Fällen ist ein derart effizienter Erreger absolut nichts, was der Staat einfach abtun würde.

 

...

 

Und ja, es kann auch einfach sein, dass hier sich hier einfach ein riesiges Plothole auftut, dass uns ganz klischeehaft woke sagen soll: Weiße sind böse und inkompetent und lassen Flüchtlinge einfach sterben, "weil Parasiten unzo". Das glaube ich aber nicht. Stattdessen denke ich, dass Jänchen durchaus Recherche betrieb und sich zumindest mal in den Alltag in einem Flüchtlingsheim beschreiben ließ (ein Beispiel hierfür ist die Waschküche), bevor er über ein derart prekäres Thema schrieb. Wenn er nicht sogar ein, zwei Tage dort gearbeitet hat. Daher wird er sicher von den Krankheitswellen gewusst haben, die dort regelmäßig ausbrechen und wie drastisch man dagegen vorgeht.

 

Daher meine Schätzungen und mein Konflikt damit.

 

Aber: Meine Meinung ist absolut nicht in Stein gemeißelt und ich mag es tatsächlich, eines Besseren belehrt zu werden. Einem "Tut mir leid, aber das stimmt so nicht", sehe ich also mit Freude entgegen  :bighlaugh:

 

Das Thema ist in der Tat ziemlich kompliziert. Ein Virus, der alle Araber tötet, aber keine Deutschen befällt, ist in der Tat undenkbar. Grundsätzlich sind alle Menschen sehr eng verwandt, enger als Hunderassen. Krankheiten, die nur einzelne Volksgruppen befallen, sind allenfalls theoretisch denkbar. Und Araber sind - genetisch gesehen - ebensowenig eine homogene Volksgruppe wie Deutsche. Seit der Altsteinzeit gibt es gerade im Nahen Osten und in Mitteleuropa immer wieder große Wanderungsbewegungen. Die vorletzte war im zweiten Weltkrieg, die letzte findet gerade statt. Nach den neuesten Zahlen haben rund ein Viertel der Deutschen einen Migrationshintergrund. Die Mittelmeervölker durchmischen sich, seit es dort Handel gibt, und immer wieder entstanden neue Reiche und wanderten Völker. Also: "Araber" definiert keine genetische Gemeinschaft, "Deutscher" ebensowenig.

 

"Krankheiten, die innerhalb eines Genos eine Subspezies attackiert, gibt es durchaus, sind aber höchst selten, wie eben die Sichelzellkrankheit, die vor allem Schwarze befällt, oder die Mukoviszidose, die uns europoide Weiße ganz heimelig findet."

 

Die genannten Krankheiten sind Erbkrankheiten, keine Infektionskrankheiten. Heterozygote Träger (=die das Gen nur von einem Elternteil geerbt haben) haben eine bessere Resistenz gegen Malaria, sonst aber wenig Beschwerden. Deshalb kommt das Gen in Malariagebieten in Afrika häufiger vor.

 

Mukoviszidose ist überall selten (hier ist ca. einer von 10000 Menschent betroffen), und lediglich relativ gesehen hier häufiger als anderswo.

 

Ich habe die Anthologie nicht vorliegen, aber wenn ich die Kommentare richtig interpretiere, dann steht hier der Vorwurf im Raum, deutsche Behörden hätten absichtlich eine Krankheit freigesetzt, die die eigene Volksgruppe verschont, andere aber tötet. Das wäre allerdings dann ein organisierter Völkermord - das Töten von Menschen, nur weil sie einer bestimmten, fremden Gruppe angehören. Damit würde ich nicht so einfach hantieren wollen.

 

 

 

 

 




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