Das Thema erinnert ein wenig an den letzten 007-Film in dem auf DNA-programmierte Nanobots gezielt gegen einzelne Menschen aber auch gegen Bevölkerungsgruppen eingesetzt werden.
Kurzgeschichten-Lesezirkel: Strandgut (hrsg. von Marianne Labisch)
#61
Geschrieben 09 April 2024 - 08:33
#62
Geschrieben 09 April 2024 - 08:40
Ich habe die Anthologie nicht vorliegen, aber wenn ich die Kommentare richtig interpretiere, dann steht hier der Vorwurf im Raum, deutsche Behörden hätten absichtlich eine Krankheit freigesetzt, die die eigene Volksgruppe verschont, andere aber tötet. Das wäre allerdings dann ein organisierter Völkermord - das Töten von Menschen, nur weil sie einer bestimmten, fremden Gruppe angehören. Damit würde ich nicht so einfach hantieren wollen.
Reine Spekulation. Fakt ist, in der vorliegenden Geschichte werden nur Araber von dem Virus getötet mit Ausnahme der drei Kinder. Die Hintergründe sind unklar. Wenn der Virus keinen natürlichen Ursprung hat, könnte jede Gruppierung ihn freigesetzt haben. Das Verhalten der Behörde würde sogar dafür sprechen, dass es die Gruppierung XYZ ist.
#63
Geschrieben 09 April 2024 - 08:48
Wie gesagt, ich kann mich nur auf die Kommentare beziehen. Aber nochmal: ein Virus, das nur Araber tötet und sonst niemanden befällt, ist aus medizinischer Sicht praktisch unmöglich, schon weil "Araber" keine biologisch oder medizinisch definierte Gruppe ist.
#64
Geschrieben 09 April 2024 - 09:01
Mir ist auch tatsächlich entgangen, dass es natürlich saumäßig gefährlich für andere potenziell vulnerable Personen ist, wenn die Mädchen einfach gehen. Krass. Dabei ist das ja eine ziemlich naheliegende Annahme, selbst wenn man erstmal annimmt, dass sowas wie ein Virus gegen Araber (aua!) möglich wäre.
Ernsthafte Textarbeit gefällig? https://www.federteufel.de/
Science-Fiction-Buchblog: https://www.jol-rose.../de/rezensionen
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#65
Geschrieben 09 April 2024 - 09:21
Hallo Jol Rosenberg
auch auf dein Feedback gehe ich gerne ein:
Rudolf Arlanov: Die Verstoßenen
Ein Paar ist von der Erde auf den Mars geflohen und schuftet dort in einem Bergwerk. Aber zum Glück lieben sie sich ja, da ist das alles nicht so schlimm. Leider muss das durch die Beschreibung des Äußeren der Frau gezeigt werden.
--> Ich lese die markierte Anmerkung als Kritk am Text, kann sie aber leidern icht nachvollziehen. Könntest du mir deinen Einwand bitte näher erläutern?
Der Text enthält trotz seiner Kürze diverse Redundanzen und einen infodumpigen Dialog eine Kürzung hätte ihm meines Erachtens gut getan.
-->Welche Redundanzen und welchen Infodumpigen Dialog meinst du?
Wozu neben dem Chef eine vierte Person eingeführt wird, erschließt sich mir nicht, da diese für die sehr überschaubare Handlung keinerlei Funktion hat.
--> Die Funktion von Phillipe ist eine beispielhafte zwischenmenschliche Szene mit einem relativ neuangekommenen Flüchtling stellvertretend für all die anderen Flüchtlinge. In seiner Situation waren Adam und Loreen, Phillipe hat die ganze Situation noch nicht verarbeitet und versucht zu funktionieren. Adam und Loreen sind ihm gegenüber achtsam und erzwingen kein Gespräch. Es genügt manchmal einfach da zu sein und zu verstehen.
Auch sprachlich spricht mich der sehr phrasenreiche Text wenig an.
--> Mag sein, dass Aussagen wie "Was zählt, ist das Hier und Jetzt" eine Phrase ist, aber manchmal sind es genau diese simplen Phrasen, die einen motivieren und nicht aufgeben lassen. Dahingehend überlegte ich mir nichts Hochtrabendes oder Aufgesetztes, sondern etwas Einfaches, das für mich sehr gut zur Story passte.
Allgemein:
Bislang liefern die Vorworte mir nicht viel Mehrwert, so wenig, dass ich nicht recht verstehe, was konzeptuell die Idee dahinter war. Ich mag es nicht, wenn mir ein Vorwort erklärt, wie ich den Text zu verstehen habe.
--> Ich gebe dir recht, dass die Vorworte bereits eine mögliche Leserichtung für die Texte vorgeben und Lesende dahingehend beeinflussen in ihrer Wahrnehmug der einzelnen Storys. Ich lese die Vorworte als eine Art Einleitung und eine Art Stimmungsaufbau, aber auch als eine Wertschätzung jeder einzelnen Geschichte. Mir haben die Vorworte insgesamt sehr gut gefallen und ich finde sie eine schöne Idee im Gesamtkonzept der Anthologie.
Vielen Dank für deine Zeit und Mühe, die du in die Feedbacks zu den Storys gesteckt hast, und deinen Leseeindruck der Anthologie.
Trotz der Kritik an den Storys, wenn wir mit den Storys den ein oder anderen Leser abholen konnten, ist das ein schönes Lob für die Anthologie.
Liebe Grüße
Rudolf
#66
Geschrieben 09 April 2024 - 09:49
Rudolf ich freue mich einerseits, dass du mitliest. Andererseits habe ich keine Lust, hier meine Rückmeldung zum Text zu rechtfertigen oder dir gratis einen Schreibworkshop zu geben. Ich müsste all die Textfragmente abtippen und säße sicher mehr als eine Stunde daran. Das mag ich grad zeitlich nicht leisten. Hinzu kommt, dass du selbst das Zitat des Perspektivfehlers (den ich auf Anhieb sehe) wiederholst und sagst, du sähst da keinen Perspektivfehler. (Erklärung: Du bist in seiner Sichtweise, da kannst du nichts beschreiben, was er nicht wahrnimmt.) Das weckt in mir die Vermutung, dass wir uns dann über die zitierten Stellen streiten würden.
Plus: Du hast keinen einzigen anderen Text gelesen und gibst auch keine Rückmeldungen an andere. Das wirkt dann etwas einseitig auf mich.
Darum schreib ich jetzt mal nur das, was mit für mich vertretbarem Aufwand hinhaut und schau nur kurz nochmal in deinen Text.
Ich denke, dass es leicht für dich ist, in den Text zu schauen, wie die Frau beschrieben wird. Da ist die Sache mit ihrem Stapfen, das ist gelungen finde ich (wenn auch übererklärt). Dann kommt eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung des Mannes und dem, was er behauptet: verfilzte Haare (wieso denn das?), abgebrochene Fingernägel und "Risse und Löcher in Jeans und Pullover". Da hättest du ein Bild malen können, aber es bleibt generisch. Angesichts der vorher beschriebenen Arbeit finde ich es auch ziemlich hmm ... unfreiwillig komisch, mir nun ihre Fingernägel anzusehen. Der Mann sagt trotzdem, sie sei schön. Auch das finde ich klischeehaft. Was an ihr ist denn schön für ihn? Wenn ich nun nach bestimmten Textstellen suche, fällt mir auf, wie viele generisch-vage Formulierungen es gibt, auch in den Beschreibungen: "breite Straßen, Wohncontainer und Industrieanlagen" das erzeugt kein Bild. Das wirkt auf mich wie eine Rohfassung, bevor du dich hingesetzt und genau überlegt hast: wie sieht es da aus? Wie sieht sie aus? Wovon ist ihr Haar wo verfilzt und wie lang ist es? Sind es Locken, die schnell verfilzen? usw usw.
Der Infodump ist im Dialog, als er zu Loreen sagt, dass die Erde ausgelöscht ist und sie nichts haben ... aber das ist natürlich Unsinn, weil es gar keinen Grund gibt, das auszusprechen, außer für uns Lesende. Denn sie weiß es. Man könnte das daher auch als mansplaining labeln, denn er erklärt ihr was, von dem er eigentlich wissen müsste, dass sie es weiß.
Ich hab auch gar nichts gegen gut eingesetzte Phrasen, mach das selbst auch viel und gern. Aber sowas wie "alles gut, Schatz?" in einer Situation, die total scheiße ist - das charakterisiert sie nicht. Bzw. es ist out of character, denn sie ist die, die die Scheiße benennt udn dagegen aufbegehrt. Seine Antwort ist wieder reiner Infodump und gleichzeitig vage: Was ist denn genau deprimierend? Und was für Strukturen sind die Gleichen?
Bin gespannt, ob dir das jetzt irgendwie weiterhilft.
Und nur um es abzumildern: Ich hab ja vorletzte Woche meinen Text gelesen und fand sofort mehrere Stellen, die ich nun raffen und straffen und genauer schreiben würde. Um richtig gut zu werden, hätte mein Text noch sechs Monate Liegen und zwei Überarbeitungszyklen gebraucht.
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#67
Geschrieben 09 April 2024 - 12:21
Ich glaube, Physiker Heidrun Jänchen feiert gerade, dass du sie für einen Mann hältst.
Sie mag nur die Bezeichnung "Physikerin" nicht
Pronomen sie ist aber okay. ;-)
Verzeih, Heidrun, das war keine Absicht. Es war zu spät und ich zu beschäftigt damit, die Stichpunkte meiner Schwester in Fließtext zu übertragen. Ich habe in aller Hast einfach nur schnell die Vita aufgeschlagen und es geistlos so übernommen.
Das Thema ist in der Tat ziemlich kompliziert. Ein Virus, der alle Araber tötet, aber keine Deutschen befällt, ist in der Tat undenkbar. Grundsätzlich sind alle Menschen sehr eng verwandt, enger als Hunderassen. Krankheiten, die nur einzelne Volksgruppen befallen, sind allenfalls theoretisch denkbar. Und Araber sind - genetisch gesehen - ebensowenig eine homogene Volksgruppe wie Deutsche. Seit der Altsteinzeit gibt es gerade im Nahen Osten und in Mitteleuropa immer wieder große Wanderungsbewegungen. Die vorletzte war im zweiten Weltkrieg, die letzte findet gerade statt. Nach den neuesten Zahlen haben rund ein Viertel der Deutschen einen Migrationshintergrund. Die Mittelmeervölker durchmischen sich, seit es dort Handel gibt, und immer wieder entstanden neue Reiche und wanderten Völker. Also: "Araber" definiert keine genetische Gemeinschaft, "Deutscher" ebensowenig.
...
Ich habe die Anthologie nicht vorliegen, aber wenn ich die Kommentare richtig interpretiere, dann steht hier der Vorwurf im Raum, deutsche Behörden hätten absichtlich eine Krankheit freigesetzt, die die eigene Volksgruppe verschont, andere aber tötet. Das wäre allerdings dann ein organisierter Völkermord - das Töten von Menschen, nur weil sie einer bestimmten, fremden Gruppe angehören. Damit würde ich nicht so einfach hantieren wollen.
Auch hier: Natürlich hast du Recht. Ein Araber wäre beleidigt, würde man ihn / sie / them als Perser, Türke oder Afghane bezeichnen und auch andersherum (das weiß ich, denn das ist mir in meinen Zwanzigern immer wieder mal passiert). Ebenso ist es naiv, die Afghanen als ein Volk zu bezeichnen. Ich habe mir hier erlaubt, sie aus Zeitgründen als Arabischstämmige zusammenfassen, so wie man auch Asiaten und Weiße sagt. Tatsächlich gibt es wohl einige genetische Codes, die nur den arabischen Völkern innewohnen, die auch im Zuge der aktuellen Debatten wohl schon eruiert worden sind, aber ja, ein Virus, der nur sie befällt ...?
Das hat die Debatte ausgelöst.
Nachdem ich die Frage gestellt und drüber nachgedacht habe, kam ich, wenn auch sehr laienhaft, auf ein ähnliches Szenario wie du skizziert hast. Es ist unwahrscheinlich, aber möglich, dass so eine Krankheit nur einen Volkststamm befällt, andere nicht. Aber die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass diese Krankheit künstlich erzeugt wurde.
In beiden Fällen wirkt das ganze Szenario aber irgendwie unrund. Da sind welche, die sind befallen und es trifft nur Araber und die drei Mädchen, die immun sind, können einfach so abhauen bzw. es hat überhaupt keiner richtig zur Kenntnis genommen, dass sie überlebt haben. Dann kommt ein obskures Amt, das mit bürokratischer Gemütlichkeit am nächsten Tag die Mädchen abholen will.
Für mich liest sich das ganze wie ein Skript für das ZDF. Würde ich als Totalausfall werten. Deine Antwort dagegen, Maximilian, würde die spannendere Geschichte ergeben.
Bisher bietet das Buch so in etwa, was ich befürchtet habe.
Genau. Das war exakt mein Konflikt mit der Story. Besser könnte ich es nicht ausdrücken
"Dann kommt ein obskures Amt, das mit bürokratischer Gemütlichkeit am nächsten Tag die Mädchen abholen will." Der Satz trifft es perfekt.
"Part Five: Boobytrap the stalemate button!"
#68
Geschrieben 09 April 2024 - 12:47
Tatsächlich gibt es wohl einige genetische Codes, die nur den arabischen Völkern innewohnen, die auch im Zuge der aktuellen Debatten wohl schon eruiert worden sind, aber ja, ein Virus, der nur sie befällt ...?
Soweit ich weiß, gibt es keine genetischen Codes, die nur den arabischen Völkern innewohnen, allenfalls solche, die dort häufiger - oder seltener - sind. Wie gesagt: Menschen sind untereinander erstaunlich nahe verwandt, so nahe, dass viele Wissenschaftler annehmen, dass alle Menschen von einigen wenigen (>10000) frühen Homo sapiens abstammen, die vor ca. 70000 Jahren gelebt haben. Das Stichwort lautet "Genetischer Flaschenhals".
https://de.wikipedia...er_Flaschenhals
#69
Geschrieben 09 April 2024 - 13:04
Hallo Maximillian Wust
ich beschränke mich bei deinem Feedback auf deine Anmerkungen zu meiner Story.
Die Verstoßenen
Von Rudolf Arlanov
Nachdem die Erde schließlich unterging, zogen sich die Menschen auf u.a. den Mars zurück. Ein Minenarbeiterehepaar erinnert sich an seine Zeit auf der Heimat und sucht ein wenig Trost, wo sonst keiner zu finden ist.
--> auch eine interessante Zusammenfassung der Story. Es wäre wohl Definitionssache, was man unter "Untergang der Erde" versteht. Aus Sicht der Menschheit mag es sich wie ein Untergang anfühlen, aus Sicht der Erde wohl eher wie ein Befreiungsschlag gegen Parasiten.
Wieder geht es dabei um tote Kinder (bzw. eines), aber leider nicht so, dass ich daran Anteil nehmen konnte.
--> Wie lange Hannahs Tod zurückliegt, bleibt unbekannt und in der Story geht es nicht primär darum, Anteil an ihrem Tod zu nehmen, sondern ein Elternpaar in einer Extremsituation gezeigt zu bekommen und wie sie mit der Extremsituation umgehen. Der Tod Hannahs ist dabei ein Aspekt, aber nicht der alleinige.
Ich muss hierzu auch mal aussprechen: Wenn am oder vor dem Anfang der Handlung ein Elternteil, ein bester Freund, die kleine Schwester oder die Tochter sterben, dann muss das wirklich gut inszeniert werden … oder es trifft mich einfach gar nicht.
--> Die "Inszenierung" dieses Aspekts der Hintergrundgeschichte erfolgt in der dritten Szene mit dem Traum und Adams Erwachen daraus. Von mir war dieser Aspekt nicht intendiert worden, ihn emotional so auszuschlachten, um Leser mit Betroffenheit oder noch schlimmer, dies zu sehr ins Kitschige abdriften zu lassen.
Ich kannte diese Person nicht, ich habe nicht mein Leben mit ihr verbracht, sondern sie gerade erst kennengelernt. Ihr Tod ist also für mich nur einer von sehr, sehr vielen und in einer Zeit, in der ich fast täglich von Kriegstoten lese, eigentlich nur noch Statistik.
--> Zustimmung. So gesehen stehen Adam und Loreen als Stellvertreter für die Flüchtenden, von denen jeder irgendjemanden verloren hat. Phillipe ist noch am Anfang und vielleicht erfährt er auch eine Entwicklung in Richtung Adam und Loreen, mit der noch zu verarbeitenden Situation zu leben.
Das Ehepaar aus Ich-Erzähler und Loreen ist dafür besonders gegen Ende schön erzählt. Mir gefiel auch sehr, dass ihnen Arlanov durchaus auch Raum für Intimität und Verletzlichkeit lässt.
--> Danke für die Bestätigung und für das Lob. Ich wollte der Trauer zwar Platz einräumen, aber mich insgesamt auf die beiden, Adam und Loreen, konzentrieren, dass sie trotz des ganzen Scheiß, den sie erlebt haben, auch Platz für sich haben.
Und weil ich gerne jammere: Selbst wenn das Ökosystem der Erde kollabiert und sich der Planet lunarisiert, ist das Überleben hier immer noch leichter als irgendwo sonst.
--> Die Erde macht so gesehen eine Kur gegen das Ungeziefer Menschheit und somit, nein, leider ist im Augenblick kein Platz für die Menschheit.auf der Erde.
Bunker- oder Zylinderstädte sind doch auch ein schönes Setting und Kuppelstädte auf dem Mars gab es schon genug.
--> Für mich ist das ein so starkes und klassisches SF-Bild mit den Kuppelstädten auf dem Mars (oder sonstigen Planeten, Planetioden u.Ä. im All). Warum dieses Bild zwanghaft vermeiden? Es ist ein mögliches, klassisches Design und für mich als Hommage oder Verbeugung ganz wunderbar geeignet, um klassische SF mit (meiner) Interpretation zu verbinden. Abgegriffen oder nicht, war mir hierbei wurscht.
Ich muss eine Lanze für die Illustration zu meiner Story brechen: Einfach wunderschön, die Marslanfschaft mit der Kuppelstadt und mit dem Hauch grün mit Äpfeln genau der Hoffnungsschimmer in der Einöde, der mir sehr gut gefällt. Toll!
Maximillian, ich danke dir für deine Muhe, dich mit meiner Story zu beschäftigen, und deinen differenzierten und für mich spannenden Leseeindruck.
Herzliche Grüße
Rudolf
#70
Geschrieben 09 April 2024 - 13:24
@Fermentarius:
Ich muss leider zugeben, dass mein Fachwissen hierzu nicht ausreicht, um dir irgendwie widersprechen oder zustimmen zu können. Auf Anhieb würde mir die Regulation des Melanin-Haushalts einfallen. Als Zeichner vom Beruf kann ich zudem sagen, dass arabischstämmige Menschen eine andere Schädelform als bspw. weiße Mitteleuropäer oder Afrikaner aus der Sub-Sahara haben (man erkennt tatsächlich schnell, wenn man z.B. einen Schwarzen mit weißer Haut illustriert, selbst wenn man andere Merkmale europäisiert). Inwiefern das allerdings von Genetik oder von Ernährung und Klimazonen abhängt, ist mir nicht bekannt. Dass ein Virus diese Merkmale attackiert, ist – laut meiner Quelle eben – nicht unmöglich, aber wohl sehr, sehr, sehr unwahrscheinlich.
Dass wir Menschen unglaublich nah miteinander verwandt sind, dabei stimme ich dir absolut zu. Ich habe auch noch nie jemanden mit Ahnung auf dem Gebiet sagen hören, dass es anders wäre. Das ist auch ein Grund, warum ich bei diesem recht berühmten Stonetoss-Comic von 2018 eine ziemliche Wut bekam. Aber klar, als Comiczeichner wird man mir einfach Neid um seinen Erfolg vorwerfen, also erspare ich uns allen die Diskussion.
Schlussendlich geht es aber eigentlich nur um das Ende von Jänchens Geschichte. Dabei spielt es nicht einmal eine Rolle, ob es eine Biowaffe oder natürlich entstanden ist: Der Umgang durch den Staat fühlt sich einfach seltsam an. Mammut hat das perfekt ausgedrückt.
"Part Five: Boobytrap the stalemate button!"
#71 Gast_fancy_*
Geschrieben 09 April 2024 - 14:01
So nun sind ja schon ein paar Stimmen zusammen gekommen, sodass ich mich auch einmal zu Wort melden kann. Zuerst einmal möchte ich hier auf Jols Beitrag reagieren, weil ich ihn für unangemessen halte:
Rudolf ich freue mich einerseits, dass du mitliest. Andererseits habe ich keine Lust, hier meine Rückmeldung zum Text zu rechtfertigen oder dir gratis einen Schreibworkshop zu geben.
Wow, Jol, das hört sich für mich aber verdammt arrogant an. Bitte sei so lieb und tu nicht so, als wäre deine Meinung die ultimative Wahrheit, die nur ausgesprochen werden müsste. Wir alle sollten wissen, dass es in der Kunst kein ultimativ gut oder schlecht gibt. Rudi hier vom hohen Ross herab zu behandeln, finde ich nicht besonders nett. Ich hätte mir hier einen freundschaftlich, kameradschaftlichen Umgangston gewünscht, wie ein User es kann (Maximilian). Es muss doch gestattet sein, auf deine Kritik mit Nachfragen zu reagieren. Aber du scheinst dann regelmäßig (bei einem von Achims Texten hast du das auch schon getan.) genervt zu sein. Wenn dein Anliegen, Texte allgemein besser zu machen, stimmen sollte, dann sollte es auch in deinem Sinne sein, dass die Kritik auch verstanden wird. Und wenn sich dann ein Autor freundlich bei dir bedankt, dass du dir die Arbeit gemacht hast, und nachfragt, wie dies oder das gemeint ist, sehe ich darin absolut keinen Grund, den Autor von oben herab zu behandeln.
Ich müsste all die Textfragmente abtippen und säße sicher mehr als eine Stunde daran. Das mag ich grad zeitlich nicht leisten. Hinzu kommt, dass du selbst das Zitat des Perspektivfehlers (den ich auf Anhieb sehe) wiederholst und sagst, du sähst da keinen Perspektivfehler. (Erklärung: Du bist in seiner Sichtweise, da kannst du nichts beschreiben, was er nicht wahrnimmt.) Das weckt in mir die Vermutung, dass wir uns dann über die zitierten Stellen streiten würden.
Plus: Du hast keinen einzigen anderen Text gelesen und gibst auch keine Rückmeldungen an andere. Das wirkt dann etwas einseitig auf mich.
Woher willst du denn wissen, was Rudi gelesen hat und wozu er noch Stellung nehmen wird? Wie unschwer zu erkennen ist, hat Rudi sich hier gerade erst angemeldet. Wahrscheinlich, um am Lesezirkel teilzunehmen. Wenn so Neumitglieder empfangen werden, dann gute Nacht.
Darum schreib ich jetzt mal nur das, was mit für mich vertretbarem Aufwand hinhaut und schau nur kurz nochmal in deinen Text.
Ich denke, dass es leicht für dich ist, in den Text zu schauen, wie die Frau beschrieben wird. Da ist die Sache mit ihrem Stapfen, das ist gelungen finde ich (wenn auch übererklärt). Dann kommt eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung des Mannes und dem, was er behauptet: verfilzte Haare (wieso denn das?), abgebrochene Fingernägel und "Risse und Löcher in Jeans und Pullover". Da hättest du ein Bild malen können, aber es bleibt generisch. Angesichts der vorher beschriebenen Arbeit finde ich es auch ziemlich hmm ... unfreiwillig komisch, mir nun ihre Fingernägel anzusehen.
Ich kann mir unter verfilzten Haaren im Zusammenhang mit staubiger Arbeit sehr wohl ein Bild machen. Und ich finde es nicht seltsam, dass der Mann die abgebrochenen Fingernägel bemerkt. (Ich denke mir dabei, dass es ihm wohl auffallen wird, weil sie früher sorgfältig manikürte Nägel gehabt hat.)
Der Mann sagt trotzdem, sie sei schön. Auch das finde ich klischeehaft. Was an ihr ist denn schön für ihn?
Sie ist als ganze Person schön für ihn. Mein Mann findet mich auch immer noch schön, obwohl ich keine 20 mehr bin und auch nicht mehr so aussehe. Ich finde, es gibt kaum ein schöneres Kompliment, dass ein Mann einer Frau machen kann. Denn bei dieser Aussage geht es nicht nur um Äußerlichkeiten, aber das steht halt zwischen den Zeilen.
Wenn ich nun nach bestimmten Textstellen suche, fällt mir auf, wie viele generisch-vage Formulierungen es gibt, auch in den Beschreibungen: "breite Straßen, Wohncontainer und Industrieanlagen" das erzeugt kein Bild. Das wirkt auf mich wie eine Rohfassung, bevor du dich hingesetzt und genau überlegt hast: wie sieht es da aus? Wie sieht sie aus? Wovon ist ihr Haar wo verfilzt und wie lang ist es? Sind es Locken, die schnell verfilzen? usw usw.
Hätte Rudi alles genau beschrieben, hätte der Leser keinen Raum mehr für eigene Bilder gehabt. Ich muss als Leser nicht wissen, wie lang ihr Haar ist oder ob es lockig ist. Mir reicht es zu wissen, dass es verfilzt ist. Ich kann sie mit rot, braun, schwarz oder blond vorstellen.
Der Infodump ist im Dialog, als er zu Loreen sagt, dass die Erde ausgelöscht ist und sie nichts haben ... aber das ist natürlich Unsinn, weil es gar keinen Grund gibt, das auszusprechen, außer für uns Lesende. Denn sie weiß es. Man könnte das daher auch als mansplaining labeln, denn er erklärt ihr was, von dem er eigentlich wissen müsste, dass sie es weiß.
He, he, wenn jeder Satz unausgesprochen bliebe, von dem wir denken, der andere müsste es bereits wissen, würde wohl sehr viel wegfallen. Ich empfand diese Stelle nicht als Infodump. Natürlich müssen wir nicht einer Meinung sein. Und dein Leseindruck ist deiner, der von meinem völlig abweichen darf.
Ich hab auch gar nichts gegen gut eingesetzte Phrasen, mach das selbst auch viel und gern. Aber sowas wie "alles gut, Schatz?" in einer Situation, die total scheiße ist - das charakterisiert sie nicht. Bzw. es ist out of character, denn sie ist die, die die Scheiße benennt udn dagegen aufbegehrt. Seine Antwort ist wieder reiner Infodump und gleichzeitig vage: Was ist denn genau deprimierend? Und was für Strukturen sind die Gleichen?
Bin gespannt, ob dir das jetzt irgendwie weiterhilft.
Rudi wollte deine Kritik lediglich verstehen. Das ist meiner Meinung nach ein legitimer Wunsch. Ob er sich davon etwas annimmt, das bleibt ihm überlassen.
Und nur um es abzumildern: Ich hab ja vorletzte Woche meinen Text gelesen und fand sofort mehrere Stellen, die ich nun raffen und straffen und genauer schreiben würde. Um richtig gut zu werden, hätte mein Text noch sechs Monate Liegen und zwei Überarbeitungszyklen gebraucht.
Ich finde nicht, dass diese Aussage irgendetwas abmildert. Sie versucht lediglich die unangebrachte Härt herauszunehmen, aber die ist nun mal leider schon ausgesprochen.
Und nun zu den anderen Stimmen:
@Mammut: ich freue mich, dass wir Vincents Story gleich einschätzen. Ich finde sie überragend.
Regina hat die Flucht vom Menschen auf Tiere übertragen und ich fand diesen Clou interessant, aber wie man hier im Lesezirkel sieht, kommt das nicht überall an.
Friedhelm hat das Thema auch verfremdet und ein positive Ende gebracht. Ich habe mir gleich gedacht, dass diese märchenhafte Verfremdung nicht bei allen gut ankommen würde.
@Yvonne: Zu Achims Story: Hätte Achim noch beschreiben wollen, wie Pitbebee sich dort einlebt, wäre die Geschichte um einiges länger geworden. Für mich war klar, dass es für ihn kein zurück geben wird und er sich dort zurecht finden muss.
Zu Karstens Story zitiere ich dich:
Was eine ganz gute Story hätte werden können, wurde keine. Den Twist hätte man vorbereiten können, damit es nicht so aus dem Nichts kommt. Die Figuren hätte man mir näher bringen können (die Tiere auch). Die Dialoge sind wirklich sehr allgemein distanziert.Das ist deine Meinung. Bitte nicht als allgemein gültig hinstellen, was lediglich deine Meinung ist. Danke.
Echt, Leute! Die Erde stirbt? Alle müssen weg? Einen größeren Raum für krasse Gefühle kann man ja gar nicht auf machen. Das ist doch heftig! Da will ich aber mitgerissen werden von dieser Endgültigkeit. Da reicht es nicht, wenn jemand daran denkt, dass der Kuh das Euter weh tut, wenn keiner sie mehr melkt (abgesehen davon, dass das ein sehr oft bemühtes Trope der apokalyptischen Storys ist, großartig umgesetzt beispielsweise in Die Wand, aber selbst auch in Mainstream-Zombie-Serien).
Ich lese das jetzt schnellstmöglich zu Ende und wechsele dann zum Zwielicht 20.
Es tut mir leid, dass dir die Lektüre so zuwider ist.
Es steht weder auf dem Klappentext, noch habe ich irgendwo behauptet, es befänden sich in dieser Anthologie nur SF-Texte, daher kann ich nicht so ganz nachvollziehen, dass es immer wieder als Kritik angeführt wird.
Die Berufsbezeichnung Physikerin gibt es nicht, daher ist es keine Geschmackssache. Heidrun möchte einfach mit der korrekten Berufsbezeichnung benannt werden.
@rostig;
Ich wollte mit dieser Anthologie berühren, aufrütteln und zum Umdenken anregen. Deshalb finde ich es gut, dass Vincent in seiner Geschichte die Zustände wie sie sind schildert und nichts schön wäscht.
Wie gesagt, es waren keine phantastischen Geschichten gefordert, insofern sehe ich es nicht als Manko, wenn die Stroys nicht in dieses Genre eingeordnet werden können. Wobei es auch bei Zuordnungen offensichtlich immer unterschiedlichen Kriterien zu geben scheint.
Ich kenne und schätze Regina Schleheck seit Jahren und sie würde niemals eine Fingerübung bei mir einreichen. Auch hier fehlt mir der Zusatz, dass es sich hier um deine eigene subjektive Meinung handelt.
Auch Heidrun wollte mit ihrer Story eher nicht für wohlig Samstagabend Unterhaltung sorgen.
Zu Veiths Story: Ich finde, der Autor hat es eigentlich, für mich auf jeden Fall, vernünftig dargestellt, warum seinem Protagonisten nicht auffällt, dass die Antworten immer schneller kommen. Aber gut, das kann der Leser glauben oder nicht.
Die Storysammlung um Donnas Kaschemme kann ich nur empfehlen.
Das "angeblich" in deiner Aussage zu Ankes Text empfinde ich als unpassend. Möchtest du hiermit unterstellen, dass sich Anke mit fremden Federn schmückt? So etwas sollte bitte zukünftig vermieden werden.
Ich finde es äußerst professionell, wenn ein Rezensent sich nicht nur an den Kritikpunkten abarbeitet, sondern auch nach dem sucht, was ihm gefallen kann.
@Jol: Auch an dich noch einmal die Info: Es waren keine reinen SF-Texte gefordert, daher ist das kein Qualitätsmängel.
Zu Vincents Story. Ich akzeptiere, dass dir die Story nicht gefällt. Muss sie auch nicht.
Zum Clown: Wenn es in der Story um einen Clown geht, dann passt eine Illustration, die eine Clown zeigt, meiner Meinung nach sehr gut. Auch hier weichen unsere Meinungen von einander ab.
Zu den Illus allgemein: Ich habe sie extra ans Textende gesetzt, damit sie nicht spoilern. Insofern können sie nur spoilern, wenn du dir das Bild ansiehst, bevor du liest.
Friedhelms Lied ist eine Draufgabe, die ich gerne angenommen habe. Auch das muss dir natürlich nicht gefallen.
Ich persönlich fand Heidruns offenes Ende besser, als wenn sie weiter erzählt hätte.
Zu Yvonnes Story: Ich habe sie so gelesen, dass es in erster Linie (wie sehr oft bei Yvonne) um den Tod und den Umgang damit geht. Dass die Mutter ihre Tochter nicht loslassen kann. Ich finde, das kam ganz gut rüber.
Noch mal eine Frage zu Rudis Text: Sollten deiner Meinung nach gar keine Frauen mehr beschrieben werden dürfen? Hier wird sie ja nicht auf ihre sexuellen Merkmale reduziert. Wenn ja, warum? Müsste dann nicht gleiches Recht für alle Geschlechter gelten? Darf deiner Meinung nach niemand mehr beschrieben werden?
Bei deiner Meinung zu Veiths Text hatte ich fast die Vermutung, wir hätten unterschiedliche Texte gelesen, aber wir haben sie nur anders wahrgenommen.
Die Einleitungen (nicht Vorworte) sind wahrscheinlich echt Geschmacksache. Ich empfinde sie als Wertschätzung der Texte. Aber die muss man natürlich auch nicht annehmen.
Hast du Yvonnes Kommentare nicht gelesen? Die waren auch kritisch. Oder wünscht du dir nur, dass alle deine schlechte Meinung teilen?
@Maximilian: Herzlichen Dank für deine Meinung. Solche Kritik wird unter Garantie gerne angenommen. So respektvoll kann man miteinander umgehen. Gefällt mir sehr gut.
Noch einmal zu Heidruns Text: Ich empfand das mit dem Amt, das zu spät kommt, als Spitze zur aktuellen Politik. Unser Bürokratismus sorgt tatsächlich für viele "Verspätungen". ;-)
@Rudi: Herzlich willkommen im Forum. Ich hoffe, du lässt dich von dem Ton hier nicht gleich wieder vergraulen.
@all: Ich bin dankbar, dass Yvonne den Lesezirkel ins Leben gerufen hat. Ich wünsche mir aber doch einen respektvolleren Ton.
Es ist völlig klar, dass mir die Texte gefallen und natürlich ist es auch klar, dass die Texte, die mir gefallen nicht allen gefallen können.
#72
Geschrieben 09 April 2024 - 14:09
@Rudolf:
Mal von den Teilaspekten abgesehen: Kuppelstädte sind absolut kein schlechter Tropus. Ich meine Jol Rosenbergs "Etomi" dreht sich auch um Kuppelstädte und ist eine, würde ich behaupten, ordentliche Geschichte, wobei da die Kuppel eher ein Storytelling Device als ein technisches Gedankenspiel ist. Sie sind nur einfach etwas in die Jahre gekommen und fühlen sich, wenn man sich ein bisschen mit Statik beschäftigt, inzwischen eher wie Laserkanonen an: Also nett, aber technisch schwierig umsetzbar – plus: Es gibt Alternativen, die genauso, wenn nicht besser funktionieren.
Sie hat mich aber nicht gestört. Schlussendlich war es nur ein Hintergrundsetting für eine Charakterstudie, die sagen wollte "Auch wenn wir nichts mehr haben, so haben wir immer noch uns". Diese Aussage an sich bleibt zeitlos schön. Ob sie richtig rübergebracht wurde, darüber scheiden sich halt die Geister ;-)
Bearbeitet von Maxmilian Wust, 09 April 2024 - 15:06.
"Part Five: Boobytrap the stalemate button!"
#73
Geschrieben 09 April 2024 - 14:53
Liebe Marianne
Du nimmst mir (mehr oder weniger) die Worte aus dem Mund und zu deinen Ausführungen zu Jol Rosenbergs Reaktion auf meine Rückmeldung habe ich nichts hinzuzufügen. Deckel drauf und abhaken.
@Rudi: Herzlich willkommen im Forum. Ich hoffe, du lässt dich von dem Ton hier nicht gleich wieder vergraulen.
@all: Ich bin dankbar, dass Yvonne den Lesezirkel ins Leben gerufen hat. Ich wünsche mir aber doch einen respektvolleren Ton.
Es ist völlig klar, dass mir die Texte gefallen und natürlich ist es auch klar, dass die Texte, die mir gefallen nicht allen gefallen können.
Ich kenne rauhen Wind und Geschmacksfragen bereits aus anderen Schriftstellerforen.
Vielen Dank und herzliche Grüße
Rudolf
Bearbeitet von Rudolf, 09 April 2024 - 15:39.
#74
Geschrieben 09 April 2024 - 15:06
Hallo Maximillian
@Rudolf:
Mal von den Teilaspekten abgesehen: Kuppelstädte sind absolut kein schlechter Tropus. Ich meine Jol Rosenbergs "Etomi" dreht sich auch um Kuppelstädte und ist eine, würde ich behaupten, ordentliche Geschichte, wobei da die Kuppel eher ein Storytelling Device als ein technisches Gedankenspiel ist. Sie sind nur einfach etwas in die Jahre gekommen und fühlen sich, wenn man sich etwas mit Statik beschäftigt, inzwischen eher wie Laserkanonen an: Also nett, aber technisch schwierig umsetzbar – plus: Es gibt Alternativen, die genauso, wenn nicht besser funktionieren.
--> Du hast absolut recht, dass das Bild der Kuppelstädte einige Jahre auf dem Buckel hat und es bessere Alternativen gibt. Das Prinzip des "Kill your darlings" hat nicht gegriffen und auch während der Überarbeitungen und Lektorate blieb die Kuppelstädte im Text. Es ist einfach ein klassisches SF-Bild, das (vielleicht) in der Story bleiben musste. :-)
Sie hat mich aber nicht gestört. Schlussendlich war es nur ein Hintergrundsetting für eine Charakterstudie, die sagen wollte "Auch wenn wir nichts mehr haben, so haben wir immer noch uns". Diese Aussage an sich bleibt zeitlos schön. Ob sie richtig rübergebracht wurde, darüber scheiden sich halt die Geister ;-)
--> Ja, ein Hintergrundsetting als Hommage. Und es wäre ja langweilig, wenn sich die Geister nicht scheiden würden. :-)
Danke für deine nochmalige Rückmeldung.
Liebe Grüße
Rudolf
#75
Geschrieben 09 April 2024 - 18:44
@Rudolf:
Ich tausche mich immer gerne aus, insbesondere, wenn ich merke, dass mein Gegenüber Intellekt mit Offenheit kombiniert. Schlimmstenfalls lerne ich noch was ;-)
Ich muss aber hierzu als einen Disclaimer vorausschicken, dass Schreiben zwar meine Passion, aber letztendlich doch nur ein Hobby ist. Alles, wonach ich strebe, sind ein festes Kontingent an Verlegern und eine kleine, kritische Leserschaft. Zudem ist meine Zeit als professioneller Buch- und Medienkritiker lange, lange, lange her (wir sprechen hier vor dem Launch von World of Warcraft), als man im Internet noch Leute frei beleidigen und Vollzeitjobs ohne Ausbildung oder Studium bekommen konnte. Also weiß ich nicht, ob meine Analysen und Gedanken großen Mehrwert besitzen.
Wenn sie dir aber trotzdem helfen, dann teile ich sie gerne.
Und es ist mir immer eine Freude, einen weiteren Kollegen kennenzulernen.
Bearbeitet von Maxmilian Wust, 09 April 2024 - 18:45.
"Part Five: Boobytrap the stalemate button!"
#76
Geschrieben 10 April 2024 - 06:57
Yvonne Tunnat: Das ist hier nicht Bullerbü
Eine Mutter mit zwei Kindern wurde aus einem nicht benannten Grund in die Zukunft geschickt, wo sie zu überleben versucht. Tunnat schildert die Wanderung der Schwangeren in ausdrucksstarken, eigenwilligen Bildern inklusive Bodyhorror-ähnlicher Schilderungen und widerlichen Begegnungen. Auch wenn der Weltenbau gut eingeflochten ist, bleibt mir zu viel unklar. Wie leben all diese menschen, wenn es da fast nichts gibt? Warum trennt sich die Frau von ihrem Mann bzw. warum meinen sie, jeweils getrennt mit Kindern eher überleben zu können? Und wenn es zeitreisen gibt, warum dann die Menschen ins fast sichere Verderben senden? Wovor fliehen sie eigentlich?
Vor allem das Ende enttäuscht mich (Achtung Spoiler!): Die Mutter kann ihren Sohn in die Sicherheit geben, entscheidet sich aber dagegen, mit der Folge, dass auch er verdurstet. Die Geschichte endet mit einer Begegnung, die klar macht, dass die Tochter nur eine Illusion ist, was die Frage aufwirft, was in diesem Text eigentlich überhaupt real ist und ob es diese letzte Begegnung gibt oder sie nur den Tod der Mutter darstellt.
Trotz der schönen Sprache (aus der ein Genidativ unschön hervorsticht) kann mich der Text nicht überzeugen, die Hauptfigur bleibt mir dazu zu widersprüchlich und nicht fassbar und der Plot zu kryptisch.
An dieser Stelle: Ich finde die Vorbemerkungen von Michael, auch wenn man sie schlecht lesen kann auf Grund der Gestaltung, bringen einem Autor und Text näher und gefallen mir sehr gut.
Bei der Geschichte muss es zwei Versionen geben, ich habe eine andere gelesen. Bis Gudrun auftaucht, hat mir die Geschichte nicht zugesagt. Es gab zwar schöne Bilder, aber keinen Lesefluss, es ist immer wild hin und her gesprungen.
Mit Gudrun, deren "Funktion" nicht so klar wird - ist sie ein Geist, das Gewissen rsp. die Hoffnung? - wird die Story wirklich stark und sie hilft ihr zu sehen, was mit der Tochter passiert ist und öffnet ihr die Augen (und das wird noch fett dargestellt und doppelt unterstrichen, das hätte man sich an der einen Stelle sparen können).
Die Lücken in der Geschichte machen sie eigentlich interessant, ich brauche da keine ausführliche Erläuterung, welche Welt das ist, etc. Aber warum Zeitreise und warum Flucht, da hätte ich mir was gewünscht.
Das mit Aaron verstehe ich nicht. Wie kommt they zu diesem geschilderten Eindruck?
#77
Geschrieben 10 April 2024 - 07:15
Kneipenasyl
von Monika Niehaus
In einer interstellaren Kneipe gerät ein Reptoid an ein paar Speziesisten (wie Achim Stößer nun sagen würde) – und erhält unerwartet Hilfe.
Diese Geschichte objektiv zu bewerten, wird mir nicht leicht fallen. Einer meiner ersten Romane war „Per Anhalter durch die Galaxis“, meiner ersten Computerspiele hieß „Space Quest III“ und mein erster Science-fiction war der erste „Star Wars“. Und auch heute kann ich einmal im Monat „The Red Tangerine“ von Finlay Christie sehen, wenn mir der Sinn nach Pointing Out-Humor steht (also immer, denn nur damit fühle ich mich schlau!). Oder kurz: Ich liebe Weltraum-Kneipen!
Vermutlich ist „Kneipenasyl“ also nur eine mittelmäßige Kurzgeschichte, deren Humor tatsächlich aus Versehen entstand (und in Wirklichkeit gar keiner ist) und dessen Thema einfach nur die Abarbeitung der typischen Klischees darstellt, aber bei mir traf die recht pulpige Geschichte einen Nerv und machte Spaß. Und ja, mir ist bewusst, dass die Auflösung des Konflikts schon wirklich bizarr leicht fiel – selbst im Rahmen einer Pulp-Story. Let me enjoy things!
Zu Donnas Kaschemme gibt es einen Sammelband, mit überwiegend sehr kurzen Geschichten:
https://www.pmachine...-131-140/7432-2
Die sind teilweise zu kurz und wiederholen sich, gerade wenn man mehrere am Stück liest, aber insgesamt doch sehr heiter und unterhaltsam.
Die Autorin hat viele 2 Seiten Geschichten, wie man hier erkennen kann:
Bibliographie deutschsprachiger SF-Stories und Bücher: Monika Niehaus - Bücher (chpr.at)
Vorliegende Geschichte ist arg mit dem Holzhammer vorgetragen, aber ich teile deine Meinung, es ist auch sehr amüsant.
Marianne Labich: Hope
Flucht auf Grund unmenschlicher Arbeitsbedingungen, der Mann opfert sich, damit die Frau und das ungeborene Kind flüchten kann nach Eden...okay, Terra 1. Sie kommt da an und fühlt sich auch wie im Paradies, bis die Bedingungen klar werden. Eine Geschichte über Gebärmachinen resp. Leihmütter in Verbindung mit Asyl, das fand ich eine ausgesprochen interessante Idee und das Ende, so wie es dasteht, hat auch gut gepasst. Hat mir gefallen, auch dass das Mädchen den Namen Hoffnung hat und diese sich in Wohlgefallen aufgelöst hat.
Einziger Kritikpunkt: Für meinen Geschmack und das zu Grunde liegende Thema ist der Erzähton zu locker, das hätte ich mir ernster und schwermütiger vorstellen können.
#78
Geschrieben 10 April 2024 - 08:15
Ich werde hier nicht mehr mitlesen. Das offene Aussprechen einer persönlichen Befindlichkeit meinerseits so negativ auszulegen wie Marianne es tut, empfinde ich als derart feindselig, dass es mir jegliche Lust auf eine gemeinsame Diskussion verleidet. Da fehlt mir der grundlegende Respekt. Dass sich dann noch andere finden, die eine derartige Ansprache angemessen finden ... ohne Worte.
Natürlich gehe ich nicht davon aus, dass meine persönliche Meinung zu einem Text die Wahrheit ist. Da Marianne und ich darüber schon x Mal ausgiebigst gesprochen haben und sie hier in diesem Thread eine besondere moderierende Funktion einnimmt, kann ich das In-den-Raum-Stellen einer gegenteiligen Behauptung auch nicht mehr für ein Versehen halten.
Ernsthafte Textarbeit gefällig? https://www.federteufel.de/
Science-Fiction-Buchblog: https://www.jol-rose.../de/rezensionen
- • (Buch) gerade am lesen:Schildmaid
- • (Buch) als nächstes geplant:Empfindungsfähig
-
• (Film) gerade gesehen: Paradise
-
• (Film) als nächstes geplant: nope
#79 Gast_fancy_*
Geschrieben 10 April 2024 - 09:02
@Jol: Ich hoffe, dass du dies noch lesen wirst.
Du hast Rudolf gesagt, dass du ihm keinen kostenlosen Schreibworkshop angedeihen lassen möchtest.
Das war überheblich und hat meine Reaktion ausgelöst. Du kennst Rudi nicht, hast keine Ahnung, seit wann er schreibt und was für Texte er verfasst hat. Ihn hier öffentlich als Schreibanfänger hinzustellen, der deine Hilfe nötig hat, war überflüssig, wenn nicht gar unverschämt.
Bevor du Respekt einforderst, solltest du ihn erst einmal anderen angedeihen lassen.
Das ist immer eine Sache der Gegenseitigkeit, keine Einbahnstraße.
Dass Rudi meine Ansprache als angemessen ansieht, sollte dich eigentlich nicht überraschen. Weitere Personen, die sich hierzu geäußert hätten, konnte ich beim besten Willen nicht finden.
#80
Geschrieben 10 April 2024 - 11:05
Zu Donnas Kaschemme gibt es einen Sammelband, mit überwiegend sehr kurzen Geschichten:
https://www.pmachine...-131-140/7432-2
Die sind teilweise zu kurz und wiederholen sich, gerade wenn man mehrere am Stück liest, aber insgesamt doch sehr heiter und unterhaltsam.
Die Autorin hat viele 2 Seiten Geschichten, wie man hier erkennen kann:
Bibliographie deutschsprachiger SF-Stories und Bücher: Monika Niehaus - Bücher (chpr.at)
Vorliegende Geschichte ist arg mit dem Holzhammer vorgetragen, aber ich teile deine Meinung, es ist auch sehr amüsant.
Danke für die Info. Die bestelle ich mir demnächst.
Wenn ich hierzu ein bisschen philosophieren darf: Mir war schon beim Lesen bewusst, dass "Kneipenasyl" weder tiefgehend intellektuell noch spitzfindig witzig ist, dass der zentrale Konflikt schon tausendmal erzählt und am Ende zu einfach gelöst wurde, aber ... ich hatte ehrlich Spaß. Also warum sollte ich eine Geschichte kritisieren, die offensichtlich irgendwas richtig gemacht hat? Das war mein Gedanke. "Kneipenasyl" ist wie gutes Rahmgeschnetzeltes, nämlich mehr als die Summe seiner Teile
Wenn ich einer Geschichte zudem anmerke, dass sie mit Liebe und großem Spaß geschrieben wurde, kann das für mich ansteckend sein. Gerade im Pulp-Bereich, wo ich eigentlich sofort weiß, dass ich jetzt keine tiefschürfende Verarbeitung des Anthropischen Prinzips oder der Apophänie zu erwarten habe. Und manchmal werden Pulp-Geschichten dann sogar extrem philosophisch, ohne dass sie es vermutlich wollten – auch, weil sie keinerlei Interesse haben, mich zu dozieren oder die gestellten Fragen zu beantworten.
Bearbeitet von Maxmilian Wust, 10 April 2024 - 11:05.
"Part Five: Boobytrap the stalemate button!"
#81
Geschrieben 10 April 2024 - 11:58
Da ich den ersten Sammelband zu Donnas Kaschemme aufgestöbert habe, verlinke ich den auch mal:
#82
Geschrieben 10 April 2024 - 12:12
1) Zur Semantik des Wortes "angeblich": Ich wollte lediglich ausdrücken, dass ich die Angaben des Buches zur Authorin nicht verifiziert habe. Besser wäre gewesen: wie im Buch angegeben.
2) Alle meine Meinungen sind persönlich und erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.
3) Dies gilt m.E. auch für die Meinungen von MKI die mich anfangs gestört haben, da sie meinen Leseeindruck steuern wollten, was nicht gelang. Später habe ich sie nach dem Text gelesen, dann garnicht mehr.
4) Weitere persönliche Meinungen zu den Geschichten:
Ansgar Sadeghi - Manuels Worte
Recht gelungene (autobiografische?) Darstellung der Probleme dieser Anthologie, sehr nachvollziehbar und nur ein wenig zu klischeebehaftet (vorallem im erotischen Bereich). Lesenwert.
Michael Tinnefeld - Livorno sehen und ...
Beliebte Umkehrung des Flüchtlingsmotiv: Deutsche fliehen vor dem Klimawandel nach Afrika. Zum einen würde das Zusammenbrechen des Golfstroms nicht zu den geschilderten Klimaveränderungen führen, zum anderen geht es den Flüchtenden in Livorno noch unrealistisch gut. Die gekünstelte Jugendsprache stört eher und komplettiert einen wenig überzeugenden Eindruck.
Michael Schmitt - Segmentfäule
Endlich mal ein neuer Ansatz an das Thema Flüchten mit einem glaubhaft geschilderten exotischen Szenario. Obwohl das Grundmotiv (einer erkennt die Vorzeichen der Katastrophe, die Verantwortlichen wollen nicht handeln und ignorante Zeitgenossen geifern) aus jedem Katastrophenfilm bekannt ist, besticht die Erzählung durch viele liebevoll ausgearbeitete Details. Eine der besten Geschichten in diesem Buch.
Bearbeitet von rostig, 10 April 2024 - 12:13.
#83
Geschrieben 10 April 2024 - 12:59
Michael Schmitt - Segmentfäule
Endlich mal ein neuer Ansatz an das Thema Flüchten mit einem glaubhaft geschilderten exotischen Szenario. Obwohl das Grundmotiv (einer erkennt die Vorzeichen der Katastrophe, die Verantwortlichen wollen nicht handeln und ignorante Zeitgenossen geifern) aus jedem Katastrophenfilm bekannt ist, besticht die Erzählung durch viele liebevoll ausgearbeitete Details. Eine der besten Geschichten in diesem Buch.
Hey, das höre ich natürlich gerne und freue mich auf diese Einschätzung. Die Geschichte entstand übrigens schon vor der Flüchtlinswelle 2013 und war Teil eines Gemeinschaftsprojekts, das leider nie das Licht der Welt erblickt hatte:
https://defms.blogsp...-leben-als.html
#84
Geschrieben 10 April 2024 - 14:15
Die letzten:
Jol Rosenberg - Ankommen
Die Verfremdung bekannter Ausbeutungsformen durch Aliens geht dem Leser hier sehr nahe, da Jol wie so oft sehr emotionsbetont schreibt. Damit gelingt eine starke Bindung an die Ich-Erzählerin.
Jacqueline Montemurri - Hoffnungs-Tief
Eine märchenhafte Verklärung alltäglichen Flüchtlingselend die einen mit ambivalenten Gefühlen zurück lässt. Darf man Elend mit einem bunten Disney-Ariel-Teppich zudecken? Oder muss man es um es für uns erträglich zu machen? Nur Fragen, keine Antworten.
Marianne Labisch - Hope
Bitterböse Geschichte um die Ausbeutung von Menschen auf verschiedenste Weise. Berührend und verstörend mit welcher Selbstverständlichkeit hier Forderungen an die Protagonistin formuliert werden, die erschreckend glaubhaft erscheinen.
Gesamtfazit:
Am bewegensten sind Geschichten, die sich nicht auf uns leider nur allzu gut Bekanntes beziehen wie die Eingangsgeschichte, sondern Verfremdungen nutzen um Ungerechtigkeiten deutlich zu machen. Hier sind insb. "Hope", "Ankommen" und "Was wir imTraum einander antun" zu nennen. Aus SF-Sicht (schließlich ist dies eine SF-Plattform) haben mir "Stürzender Stern" und "Segmentfäule" gut gefallen. Das sind für mich neben "Rote Nase" und Kneipenasyl" die Highlights der Anthologie. Leider sind 7 aus 20 für mich keine gute Ausbeute ...
#85
Geschrieben 10 April 2024 - 20:10
Die letzten:
Jol Rosenberg - Ankommen
Die Verfremdung bekannter Ausbeutungsformen durch Aliens geht dem Leser hier sehr nahe, da Jol wie so oft sehr emotionsbetont schreibt. Damit gelingt eine starke Bindung an die Ich-Erzählerin.
Die fand ich auch sehr gelungen. Sehr einfühlsam, und die Außerirdischen sehr fein gezeichnet. Das Ende ist fast zwingend. Anrührend das ganze.
#86 Gast_fancy_*
Geschrieben 11 April 2024 - 13:42
@rostig: Danke für die Richtigstellung zum "angeblich".
Ich persönlich würde sage, dass MKI den Leser auf die Story einstimmen möchte, nicht ihn lenken, aber das nimmt offensichtlich jeder anders wahr. Es war das erste Mal, dass ich mit Einführungen gearbeitet habe. Mir gefällt es ganz gut.
Bei der Jugendsprache von Michael Tinnefeld bin ich mir nicht sicher, ob die gekünstelt ist. So weit ich weiß, hat der Autor Kinder im entsprechenden Alter. Ich kann in dieser Hinsicht leider nicht mitreden.
Bei Michaels Story hat mich sehr beeindruckt, das er die Problematik Flüchtlinge und rechte politische Gruppen zum Thema hatte, lang bevor die in der Gesellschaft angekommen sind. Sehr beeindruckend.
Bei Jols Geschichte fand ich das Bedürfnis nach körperlicher Nähe sehr interessant und glaubwürdig vermittelt.
Danke für deine Leseeindrücke.
#87
Geschrieben 03 Mai 2024 - 15:45
Tut mir leid, dass ich erst jetzt weitermache, aber mir fehlte aufgrund Quartalsende einfach die Zeit, um endlich mal meine Gedanken aufzuschreiben.
Tiefes Wasser
von Anke Höhl-Kayser
Stille Wasser sind … gemischt.
In den Ozeanen einer fremden Welt werden deren bewusstseinsfähige Bewohner von (scheinbar menschlichen) Drohnen aus ihrer Heimat verjagt. Doch ganz gleich, wie weit sie fliehen, die unbekannten Ausbeuter ihrer Welt folgen ihnen – aus gutem Grund, wie sich bald herausstellt.
Diese Geschichte war mein persönlicher Nicholas Cage. Zuerst dachte ich, einfach nur in einer Eigeninterpretation des zweiten Avatar-Films gelandet zu sein, wurde dann aber mit überraschend intelligentem World Building eines Besseren belehrt. Gleich darauf kamen eine Reihe an Klischees um die Ecke, die man aus wirklich jedem „Menschen beuten fremde Welten aus“-Werk kennt, wie zuletzt in „In andere Welten“, nur um mich daraufhin wieder scharfsinnig zu unterhalten. Diesem Auf-und-ab bleibt Höhl-Kayer wirklich bis zur letzten Zeile treu und lässt mich stutzen, ob ich die Geschichte als altbacken und klischiert abtun oder als eigentlich gute Unterhalten betrachten sollte. Auf einer Notenskala von 1 bis 6 erhält sie daher von mir ein Lila.
Das wahrscheinlich zentrale Problem von „Tiefes Wasser“ ist, dass sie auf der einen Seite intelligent sein will (und dann auch wird), aber immer wieder ins Territorium des Pulp umschwenkt, wo sich Zufälle schon sehr zufällig aneinanderreihen und Aliens die menschliche Sprache sofort verstehen. Mit beidem komme ich gut zurecht, beides gelingt der Geschichte. Es ist einfach die Mischung, die sich riskant gestaltet.
Das Ende ...
Hashtag #back_to_normal
von Janika Rehak
In einem bedrückend realistischen Zukunftsszenario leidet ein polyarmores Throuple an der Außenwahrnehmung, konservativer Politik und sich selbst.
Die ersten Zeilen drohen bereits mit einer amerikanisch links-liberalen Belehrung, wie man sie sonst nur von Reddit kennt: Von wegen, dass alle alten Beziehungsvorstellungen falsch gewesen und alle neue so viel besser sind – ja eigentlich, die einzige, sinnvolle Existenzform überhaupt. Von Janika Rehak hatte ich um Einiges mehr erwartet … und bekommen!
Statt in einfach nur ein Idyll, taucht Rehak in vielschichtige Charaktere ein, die sich lieben und doch immer wieder einander scheitern. Jen, die Frau in der Dreierbeziehung entpuppt sich rasch als Puella aeterna, die vor allem wichtig sein, an den Idealen ihrer Jugend festhalten, aber nicht in Verantwortung stehen will. Immer wieder verletzt und manipuliert sie ihre beiden Männer, die nicht nur daran, sondern auch unter der Vaterschaftsfrage ihrer gemeinsamen Tochter leiden. Alle drei können sich aus dem Netz zu befreien, in das sie sich gegenseitig eingesponnen haben.
Ich will nicht leugnen, dass ich selten einen so tiefgreifenden, so gut entwickelten Antagonisten wie Jen lesen durfte. Es fällt mir leicht, sie für ihre Selbstsucht und Spielchen zu verachten und doch verspürte auch viel Mitleid, wenn sie selbst wieder nicht aus ihrer Haut kommt und mit eigenen Verlustängsten zu kämpfen hat. Man würde sie am liebsten anschreien oder einfach darum bitten wollen, den Männern, die sie lieben, nicht mehr solche Schmerzen zuzufügen. Auch bei ihnen fragte ich mich oft, warum sie das mit sich machen lassen – und verstand es dann doch sehr gut.
Gleichzeitig, eher hintergründig, warnt Rehak vor der Kehrseite der Hegelschen Dialektik: Der Pendel ging nun wieder nach rechts, die Menschen gieren wütend nach einem Konzept der Normalität, während die Ideale und Errungenschaften der Ultra-Linken abgestoßen werden. Zunehmend per Gesetz.
Vor der Kulisse einer Zukunft, die so ähnlich wirklich eintreten könnte, lobt aber auch kritisiert Janika Rehak die Bestrebungen und Ideale der Wokeismus-Bewegung. Und erzählt dabei eine beeindruckend gute Geschichte mit viel Menschlichkeit.
Ein Minuspunkt: Mit dem Flüchtlingsthema hat es wenig zu tun.
Manuels Worte und Imaras Geschichten
von Ansgar Sadeghi
In einer fiktiven, an unsere angelehnte Welt sucht ein Autor nach Inspiration für eine Anthologie, die sehr an „Strandgut“ erinnert. Die Meta-Ebene ist mehr eben als meta. Dabei lernt er eine sympathische Geflüchtete kennen, erfährt viel über ihr Leben auf der Flucht und entwickelt sogar Gefühle für sie.
„Manuels Worte und Imaras Geschichten“ war leider die Geschichte, mit der ich im Negativen gerechnet hatte. An sich gut geschrieben erzählt sie von allen Klischees des Flüchtlingsdaseins, als wären sie dem Echo Chamber einer US-Studentenverbindung entnommen worden: Einstmals plünderten und zerstörten die Weißen alle umliegenden Reiche. Nun fliehen deren Bewohner (mit Frauen und Kindern zuerst) ins Land besagter Invasoren, wo sie nur Anfeindung und Schrecken erwarten. Und über die gesamte Geschichte fragte ich mich: Warum ziehen die Menschen durch Tod und Entbehrung in einen Fleischwolf, in dem sie gehasst, bekämpft und sogar angefahren am Straßenrand liegen gelassen werden?
„Manuels Worte und Imaras Geschichten“ ist (wie eigentlich alle anderen Geschichten) schön geschrieben und Imara ein sympathischer Charakter, von dem ich verstehen kann, dass man ihn auf ein Date ausführen will. Aber über größere Strecken lesen sich ihre Erlebnisse eher eindimensional.
Obwohl ich Kunst vom Künstler trenne: Ansgar Sadeghi scheint mir ein echt netter Kerl zu sein.
Livorno sehen und …?
von Michael Tinnefeld
Der Golfstrom ist abgerissen, Europa tundraisiert und die Völker, die zuerst niemanden aus dem Süden aufnehmen wollten, sind nun selbst auf der Flucht dorthin. Die junge Jenny und ihre Familie warten im südlichen Italien auf eine Fähre in die zunehmend begrünte Sahara. Ungewissheit und Angst prägt dabei ihren Alltag.
Was wäre, wenn wir die Flüchtlinge wären, fragt sich Michael Tinnefeld und geht dabei vor allem auf den Akt der Flucht selbst ein: Wie die Entwurzelung, die riskante Fahrt über das Mittelmeer, aber auch das Leben ohne festen Mittelpunkt. Ich hätte dabei mir noch mehr Beleuchtung der muslimischen Staaten gewünscht und wie vielleicht sie reagieren, wenn Kulturen, die nur schwer mit ihrer kompatibel sind (mit Frauenrechten, offen ausgelebter Homosexualität und Atheismus), nun in ihre schwemmen. Oder warum sich eine militärische Supermacht wie Europa nicht einfach als Großes Heidenheer versucht und sich den Wohnraum einfach nimmt. Ich wurde aber dennoch gut bedient. Die Geschichte erzählt sich rasch und bevor sie klischiert oder langweilig wird, ist sie auch schon vorbei.
Ein netter, kurzweiliger Perspektivenwechsel.
Segmentfäule
von Michael Schmidt
Diese Geschichte muss ich nun mit einem gewissen Vorgedanken werten: Als ich vor etwas mehr als drei Jahren zurück in die Schreiberei ging und meine dritte Kurzgeschichte veröffentlichen konnte, kam die Verlegerin zu mir und fragte, ob ich einer von denen wäre, die sich durch die Anthologieszene in die Romanschreiberei hinauf arbeiten wollen – was sie recht gut erkannt hatte. Neben ein paar Tipps prophezeite sie mir auch die Lesezirkel, und dass ich dort irgendwann auch „einen meiner Verleger und zwar einen, den ich gut leiden kann“ bewerten muss. Und dass ich, wenn es soweit ist, absolut ehrlich bleiben sollte. Also tue ich jetzt genau das:
„Segmentfäule“ handelt von den Bewohnern einer „Bloom“ (oft übersetzt als „Flor“), also einer riesigen, vermutlich pflanzlichen Meereslebensform, die sie Vesika nennen. Diese leidet unter einer Art Fäulnis und trennt in Folge die betroffenen Bereiche ab, was wiederum deren Bewohner zur Flucht zwingt.
Michael Schmidt entwirft mit Vesika keine unbedingt neue Welt – bereits Autoren wie George Ziets versuchten sich an einer bewohnbaren Lebensform – aber dafür eine tiefgängig Interessante. Obwohl nur eine Kurzgeschichte, erhalte ich viele Einblicke in den Alltag, den Glauben, die Ängste und Albernheiten der Menschen, aber auch über ihre Schicksale und wie sie ihrer Welt ausgeliefert sind. Am Ende wollte ich mehr!
Vesika klingt für mich nach einer Romanwelt, die ich unbedingt erkunden würde. Welche Waffen verwenden seine Bewohner, wohlwissend, dass sie durchaus ihre Welt verletzen könnten? Was für Tiere gibt es dort? Woher gewinnt man Metalle? Gibt es Hochkulturen, Kriege? Wie sehen die Bestattungsrituale aus? Vesika ernährt sich vermutlich u.a. von Sonnenlicht, dachte ich auf einmal, also müsste es regelrechte „Zuckerwälder“ geben, in denen Nährstoffe abgelagert werden. Das wären Orte, die man druidengleich aufrechterhalten müsste, aber gleichzeitig um sie kämpfen könnte. In jeder „Blase“, wie man die Biosphären Vesikas nennt, könnten sich zudem andere Ökosysteme gebildet haben, wie beispielsweise an der Wallace-Linie auf Erden. Andere könnten, irgendwelchen Umständen geschuldet, für Jahrtausende abgeschottet worden sein. Und so vieles mehr! Auf jeder Seite wurde meine Phantasie zu endlosen eigenen Ideen angeregt.
Die Geschichte an sich, von Flucht, Ignoranz und Fanatismus, erzählt sich oft melodisch, meist schnell. Und lässt mir dabei (als Herr der Ringe-Fan) kaum Zeit für die heimliche Hauptperson: eine Welt, die ich am liebsten in einem Videospiel hätte – wo ich dann jede Ecke abgrasen kann, nur um noch mehr von ihr zu sehen und zu erfahren.
Wieso ist das eine Kurzgeschichte und kein Roman? Oder gleich eine ganze Serie? Wieso bekommen schnarchlangweilige Welten wie Philip José Farmers Riverworld mehrere Romane plus Verfilmung und Vesika nur einen Kurzgeschichten-Lichtblitz?
Ankommen
von Jol Rosenberg
In mittelferner Zukunft erarbeitet sich eine nicht-binäre Außerirdische als Krankenpflegeryx ein Aufenthaltsvisum für die Erde. Dabei erlebt sey viel Zwischenmenschlichkeit und sucht neben einer neuen Heimat auch nach Nähe. In liebevoller Manier.
Kleiner Nitpick: Die Müllwelt Deposa? Deponia lässt grüßen ;-)
Wer schon etwas mehr von Jol Rosenberg gelesen hat, weiß dass them vor allem zwei Geschichten schreibt: Vom Überlegenen, der helfen will und vom Außenseiter, der dazugehören möchte. „Ankommen“ ist Zweiteres und gestaltet sich angenehm nachvollziehbar und direkt liebevoll – insbesondere, was die so niedlich-herzliche Suche der Hauptperson nach Nähe betrifft. Wie für Rosenberg üblich werden die meisten Themen eröffnet, aber nie ganz abgeschlossen. Vieles bleibt auf intellektuelle Art der Phantasie des Lesers überlassen, während sich die Geschichte zudem flink und gekonnt präzise erzählt, ohne Zeit zu verschwenden – sogar wenn es langsam vorangeht.
Und während ich diesen Beitrag an sich für eine kleine, feine Addition zur Anthologie halte, frage ich mich so allmählich, was eigentlich im Joloversum geschieht, wenn jemand harter Prüfungen unterzogen wird oder auf Hürden stößt, die sich nicht so leicht (oder gar nicht) überwinden lassen. Kann es auch Überlegene geben, die das in Wirklichkeit nicht sind oder Außenseiter, die das aus gutem Grund sein sollten? Können die Guten auch dunkle Impulse verspüren, eine andere Person in Gedanken ausziehen oder an bösen Taten Gefallen finden? So interessant und tiefgehend Rosenberg schreiben kann, so fehlt mir auf Dauer das Risiko, der Schweiß und die Gefahr in thems Erzählungen. Bei „Ankommen“ ertappte ich mich gleich nach der Charaktervorstellung mit dem Gedanken: „Ist eine Jol-Geschichte, der Protagonistin wird also eh nichts passieren.“
Hoffnungs-Tief
von Jacqueline Montemurri
Eine Gruppe Flüchtlinge gerät auf See in Not, während einer von ihnen eine Begegnung phantastischer Natur erlebt.
Es ist nicht Montemurri geschuldet, dass man sich erneut im Mittelmeer wiederfindet und Kinder bzw. Jugendliche gegen das Ertrinken ankämpfen, nun aber einmal zu oft passiert. Und auch wenn ich bis hier als Leser genug mediterranes Salzwasser geschluckt habe, so heißt das nicht, dass ich nicht beim Lesen Spaß hatte. Mir gefiel, dass sich die Geschichte zuerst vorhersehbar entwickelte, nur, um dann doch noch ein wenig zu überraschen.
Die eben schon zu oft, ja sogar gleich mit der ersten Geschichte ausgeschöpfte Schlussprämisse ließ dann leider „Hoffnungs-Tief“ eher wie eine Rekapitulation der Anthologie wirken. Rein literarisch betrachtet ist sie somit einer der Fälle, in denen eine Kurzgeschichtensammlung wirklich zu mehr als die Summe ihrer Teile wird.
Hope
von Marianne Labisch
Und zuletzt folgt die Geschichte der Herausgeberin. Ich mag es, wenn die Regeln eingehalten werden! Jedenfalls:
Nach dem Tod ihres Mannes flüchtet eine werdende Mutter von einem Minen- zu einem Dienstleisterplaneten und stößt dort auf ein bizarres Geheimnis. Auf ungute Art muss sie verstehen, dass es auch im Paradies Nutzvieh braucht.
Labisch bedient sich dabei einer seltenen, aber nicht unangenehmen Mischform aus szenisch-erzählerischen Passagen und Dialogen. Besonders Letztere lesen sich kantig realitätsnah, als sich Blue-Collar-Umgangssprache gegen akademische Bevormundung zur Wehr setzt. Beide Parteien, Prota- und Antagonistin, führen dabei einen Kampf, den sie längst verloren haben – ob nun auf moralischer oder auf mechanischer Ebene. So nach der Prämisse: Wenn du hier bleiben willst, musst du uns nützen – wird der Protagonistin wie ein Messer an die Brust gelegt.
Und hier offenbart sich auf gruselige Art in der Meta-Ebene, was auch Flüchtlingen in der realen Welt bevorsteht: Während die Schleuser (und leider auch manche Bewegungen von links-außen) damit werben, in Europa würde es keine Arbeit, aber nur Luxus geben, erzählt die Realität etwas anderes: Ob nun die Schattenmenschen in den Fleischereibetrieben, die Arbeiter an den Fließbändern von Amazon oder Mülltrenner – es gibt viele Jobs, die der bildungsatrophierte, sanierte Europäer nicht mehr tun möchte. Und das zeigt Marianne Labisch bis unter die Gürtellinie auf: Ob rechter Parolengröler oder linke*r Genderkrieger*in – alle Ideale lassen sich doch viel besser vertreten, wenn man nicht S-Bahnen reinigen, Pizza ausliefern oder Schlachtabfälle wegräumen muss. Die Drecksjobs, die dürfen gern andere tun, während man selbst wichtig ist – so klagt Labisch an, ohne es zu tun.
Aber wo wir gerade davon reden: Ich hol mir jetzt noch einen Kaffee und vielleicht gehe ich dann auch schon heim. Ist ja schließlich Freitag und es nervt die Putzleute, wenn noch einer vom Marketing an seinem PC sitzt.
Zwei Punkte aber hätte ich:
Fazit
Und weiter bleibt das Thema Flüchtlinge schwierig, was „Strandgut“ wieder einmal gut aufzeigt. Sind sie alle wirklich einfach nur auf der Flucht oder doch auch einige auf der Suche nach einem besseren Leben? Sind die reichen Nationen überhaupt dazu verpflichtet, sie aufzunehmen oder sollten sie eher selektiv vorgehen und hineinlassen, wen sie wirklich brauchen? Und müssen sie am Ende nicht auch um ihre eigenen Werte und Ideale fürchten?
Diese Fragen werden nie direkt beantwortet. Vielmehr präsentieren die Autoren und -innen von „Strandgut“ Gedankenspiele und lassen mich damit dann auch allein. Aiki Mira, wenn auch mir zu dick aufgetragen, zeigte auf, dass Utopia letztendlich doch nur aus seinen Bewohnern besteht; Janika Rehak hingegen konterte (verflucht gut) mit der These, dass diese irgendwann infantilisieren. Yvonne Tunnat und Michael Tinnefeld erzählten neutral, wie grausam doch Flucht sein kann, Michael Schmidt konnte mich dann eher zur Flucht in eine andere Welt bewegen und Achim Stößer wollte einfach nur unterhalten. Zum Schluss noch warnte Marianne Labisch, dass Utopia nie ein Versprechen gewesen ist.
Zum Schluss bleibt eigentlich nur die Frage: War „Strandgut“ jetzt neben Strand auch gut?
Nun, die Anthologie „Strandgut“ macht Spaß, wenn sie Spaß machen soll und regt zum Nachdenken an, sogar wenn sie das nicht will. Jede Geschichte, selbst wenn sie mir nicht zusagte, ist konsistent gut geschrieben und das von Menschen, die sich auf ihr Handwerk verstehen. Ein bisschen zu oft geht es mir aufs Mittelmeer hinaus, manche Erzählungen neigen zur Eindimensionalität – was dann aber in anderen durch faszinierende oder groteske Gedankenspiele ausgeglichen wird. Gesamturteil: Ein Thema, das unbedingt angesprochen gehört, leichtgängig zu lesen und im schlimmsten Fall kurzweilig.
Ein Schlussgedanke noch:
Mir persönlich (und das ist jetzt AUSSCHLIESSLICH mein Gusto) fehlte eine Geschichte, die sich vielleicht mit Aristoteles‘ recht gemeingültigen Gedanken zum Thema Fremde und Flüchtlinge auseinandersetzt.
Ein Versuch, seine Thesen ins Moderne zu übertragen: In Anbetracht der Flüchtlingsströme wird (insbesondere in der rechten Szene) oft das Alte Rom oder die minoische Hochkultur herangezogen. Beide, so sagt man in Richtung Alt-right, gelangten zu großem Wohlstand, dieser lockte mehr und mehr Barbaren an, bevor letztendlich ihre Kulturen daran zerbrachen und untergingen. Und obwohl das ungut versimpelt (und auch schlicht falsch) dargestellt wird, würde ich das Gleichnis gerne zu Ende spinnen: Die Barbaren, die die Minoer überrannten, wurden später die Griechen und brachten Erleuchter wie Sokrates, Cleisthenes oder Parmenides hervor. Die Barbaren vor Rom hingegen verfügen heute über Arbeitsschutzgesetze, DIN-Normen und Penicillin. Als obläge der Menschheit ein inhärentes, gemeinsames Verlangen danach, den Göttern das Feuer zu stehlen.
Bearbeitet von Maxmilian Wust, 03 Mai 2024 - 15:46.
"Part Five: Boobytrap the stalemate button!"
#88
Geschrieben 04 Mai 2024 - 08:30
Segmentfäule
von Michael Schmidt
Diese Geschichte muss ich nun mit einem gewissen Vorgedanken werten: Als ich vor etwas mehr als drei Jahren zurück in die Schreiberei ging und meine dritte Kurzgeschichte veröffentlichen konnte, kam die Verlegerin zu mir und fragte, ob ich einer von denen wäre, die sich durch die Anthologieszene in die Romanschreiberei hinauf arbeiten wollen – was sie recht gut erkannt hatte. Neben ein paar Tipps prophezeite sie mir auch die Lesezirkel, und dass ich dort irgendwann auch „einen meiner Verleger und zwar einen, den ich gut leiden kann“ bewerten muss. Und dass ich, wenn es soweit ist, absolut ehrlich bleiben sollte. Also tue ich jetzt genau das:
„Segmentfäule“ handelt von den Bewohnern einer „Bloom“ (oft übersetzt als „Flor“), also einer riesigen, vermutlich pflanzlichen Meereslebensform, die sie Vesika nennen. Diese leidet unter einer Art Fäulnis und trennt in Folge die betroffenen Bereiche ab, was wiederum deren Bewohner zur Flucht zwingt.
Michael Schmidt entwirft mit Vesika keine unbedingt neue Welt – bereits Autoren wie George Ziets versuchten sich an einer bewohnbaren Lebensform – aber dafür eine tiefgängig Interessante. Obwohl nur eine Kurzgeschichte, erhalte ich viele Einblicke in den Alltag, den Glauben, die Ängste und Albernheiten der Menschen, aber auch über ihre Schicksale und wie sie ihrer Welt ausgeliefert sind. Am Ende wollte ich mehr!
Vesika klingt für mich nach einer Romanwelt, die ich unbedingt erkunden würde. Welche Waffen verwenden seine Bewohner, wohlwissend, dass sie durchaus ihre Welt verletzen könnten? Was für Tiere gibt es dort? Woher gewinnt man Metalle? Gibt es Hochkulturen, Kriege? Wie sehen die Bestattungsrituale aus? Vesika ernährt sich vermutlich u.a. von Sonnenlicht, dachte ich auf einmal, also müsste es regelrechte „Zuckerwälder“ geben, in denen Nährstoffe abgelagert werden. Das wären Orte, die man druidengleich aufrechterhalten müsste, aber gleichzeitig um sie kämpfen könnte. In jeder „Blase“, wie man die Biosphären Vesikas nennt, könnten sich zudem andere Ökosysteme gebildet haben, wie beispielsweise an der Wallace-Linie auf Erden. Andere könnten, irgendwelchen Umständen geschuldet, für Jahrtausende abgeschottet worden sein. Und so vieles mehr! Auf jeder Seite wurde meine Phantasie zu endlosen eigenen Ideen angeregt.
Die Geschichte an sich, von Flucht, Ignoranz und Fanatismus, erzählt sich oft melodisch, meist schnell. Und lässt mir dabei (als Herr der Ringe-Fan) kaum Zeit für die heimliche Hauptperson: eine Welt, die ich am liebsten in einem Videospiel hätte – wo ich dann jede Ecke abgrasen kann, nur um noch mehr von ihr zu sehen und zu erfahren.
Wieso ist das eine Kurzgeschichte und kein Roman? Oder gleich eine ganze Serie? Wieso bekommen schnarchlangweilige Welten wie Philip José Farmers Riverworld mehrere Romane plus Verfilmung und Vesika nur einen Kurzgeschichten-Lichtblitz?
Nach der Einführung hatte ich schon harsche Kritik befürchtet . Die hast du aber gut verpackt. Segmentfäule ist aus dem Jahr 2010-2012 und war das Schreibprojekt einer zwölfköpfigen Autorengruppe:
https://defms.blogsp...-leben-als.html
Am Ende waren es nur noch 9 Personen, aber das Ziel, eine Anthologie zu schaffen war misslungen. Die neun Texte waren in unterschiedliche Verfassungen. Manche noch nicht fertig, aber auch einige soweit, dass man sie hätte veröffentlichen können. Segmentfäule ist meines Wissens aber der einzige, der das Licht der Welt erblickt hat.
Da das Projekt auf eine Anthologie angelegt war, hat natürlich jeder der Texte nur ein mehr oder minder großes Schlaglicht auf Vesika geworfen und natürlich bleibt da bei einer einzelnen Kurzgeschichte vieles auf der Strecke. Aber wenn das Interesse geweckt wurde, mehr zu erfahren, hat die Geschichte ja auch ihren Zweck erfüllt.
#89
Geschrieben 04 Mai 2024 - 10:40
#90
Geschrieben 04 Mai 2024 - 11:08
Nach der Einführung hatte ich schon harsche Kritik befürchtet . Die hast du aber gut verpackt. Segmentfäule ist aus dem Jahr 2010-2012 und war das Schreibprojekt einer zwölfköpfigen Autorengruppe:
https://defms.blogsp...-leben-als.html
Am Ende waren es nur noch 9 Personen, aber das Ziel, eine Anthologie zu schaffen war misslungen. Die neun Texte waren in unterschiedliche Verfassungen. Manche noch nicht fertig, aber auch einige soweit, dass man sie hätte veröffentlichen können. Segmentfäule ist meines Wissens aber der einzige, der das Licht der Welt erblickt hat.
Da das Projekt auf eine Anthologie angelegt war, hat natürlich jeder der Texte nur ein mehr oder minder großes Schlaglicht auf Vesika geworfen und natürlich bleibt da bei einer einzelnen Kurzgeschichte vieles auf der Strecke. Aber wenn das Interesse geweckt wurde, mehr zu erfahren, hat die Geschichte ja auch ihren Zweck erfüllt.
Die Geschichte klingt interessant. Ich glaube ich muss mir das Buch auch noch holen.
- • (Buch) gerade am lesen:Michael Ende: Die unendliche Geschichte & Stephen King: Glas & Anthologie: In andere Welten
- • (Buch) als nächstes geplant:immer noch Alan Campbell - Scar Night (Kettenwelt 1), aber meine Planungen werden häufig über den Haufen geworfen.
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• (Buch) Neuerwerbung: Weltenportal Sonderausgabe
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