@Jol
Du wünschst Dir zu erfahren, wie Deine Rückmeldung zu Grün bei mir angekommen ist. Meine Gedanken dazu und was ich mitnehme habe ich Dir ja geschildert, auch das, was für mich unklar geblieben ist. Falls Du möchtest, dass ich Fragen ausformuliere, lass es mich wissen. Falls dem so sein sollte, wäre es vielleicht besser dies außerhalb des Forums zu tun, denn es scheint für solche Vertiefungen nicht gedacht zu sein. Ausgelöst hat Deine Rückmeldung bei mir auch Erstaunen, Neugier, Überraschung, Interesse und Aha-Erlebnisse. Es hat mir Spaß gemacht, mich damit auseinander zu setzen, auch wenn es stellenweise frustrierend für mich ist, wenn bei manchen Leseri so viele Irritationen aufkommen.
Es tut mir leid, dass Du meine Aussagen als herabwürdigend empfunden hast. Das hat mir viel zu denken gegeben. Mir geht es nicht darum zu belehren, sondern um Austausch. Ich strebe keine Entwertungen an. Wenn wir uns etwas erzählen oder erklären, dann sehe ich uns auf gleicher Augenhöhe. Ich dachte, ich hätte entsprechend formuliert, und habe aufgrund Deiner Reaktion meine Zeilen nochmal gelesen, und ich verstehe, dass man sie so interpretieren kann, wie Du es getan hast, auch wenn ich nicht glaube, dass so, wie ich formuliert habe, man kaum eine andere Wahl hat, als es so aufzufassen. Ich habe überlegt, ob ich die Information, um die es mir ging, auch hätte so vermitteln können, dass es nicht zu dieser Interpretation kommt. Mir sind viele alternative Formulierungen eingefallen, aber bei keiner bin ich mir sicher, dass der Eindruck von Belehrung sicher vermieden würde. Das liegt letztlich an etwas grundsätzlichem, nämlich daran, dass die Art, wie meine Äußerungen aufgefasst werden, nicht allein von der Art abhängt, wie ich mich ausdrücke, sondern auch davon, welche Kommunikationsabsicht der andere annimmt. Die vielleicht sicherste Methode wäre, solche Interpretationen bei jeder Äußerung vorbeugend vorweg zu nehmen, z.B. so: "Ich meine das jetzt nicht belehrend und möchte nur ...". Du kannst Dir aber bestimmt vorstellen, wie sperrig und defensiv das auf Dauer wirken kann. Und auch hier besteht eine Gefahr, denn der andere könnte irgendwann denken "Für wen hält der mich eigentlich, dass er mich ständig darauf hinweist, dass ich seine Ausführungen nicht als Belehrung auffassen soll" oder "Na, wer so oft ohne Not vorauseilend dementiert, wird es wohl nötig haben".
Ich sagte ja, dass Textinterpretation auf Annahmen beruht. Du empfindest was ich geschrieben habe als belehrend, also von oben herab. Du hast es z.B. daran festgemacht, dass ich erwähnt habe, dass Jugendsprache heute schon durch Anglizismen geprägt ist und meintest, ich wollte Dir damit etwas Neues erzählen. Das war aber nicht der Grund, weshalb ich das erwähnt habe.
Du hattest erklärt, womit Du das Wort Peilen spontan in Verbindung gebracht hast, nämlich etwas mit einem Peilsender machen, anpeilen, verpeilt sein und keine Peilung haben. Nach mehrmaligem Lesen bist Du dann auf die Idee gekommen, dass es vielleicht bedeuten soll, dass Sergej genau schaut, und hast Dich gefragt, warum ich nicht ein gebräuchlicheres Wort verwendet habe. Diese Frage wollte ich beantworten. In Grün habe ich einen sprachlichen Trend überspitzt in die Zukunft projiziert. Peilen ist heute in bestimmten Bedeutungen bereits Teil der Jugendsprache. Das habe ich übernommen und in einer weiteren Bedeutung des Wortes forgeführt, so ähnlich wie bei den Anglizismen, die auch, so wie das Wort Peilen, heute schon die Jugendsprache prägen, weshalb ich diese erwähnt habe. Ich wollte Dich nicht über deren Vorliegen in der heutigen Jugendsprache aufklären, sondern auf die Parallele hinweisen. Beides, das Wort Peilen und die Anglizismen, sind heute schon Teil der Jugendsprache, und ich habe für beide diesen Umstand überzeichnend in die Zukunft fortgeschrieben. Das wollte ich vermitteln.
Ich glaube auch nicht, dass Du wenig gebildet bist. Deine Assoziationskette zur Bedeutung des Wortes Peilen beinhaltete nicht die in Grün verwendete Bedeutung dieses Wortes, weshalb ich annahm, diese Bedeutung sei Dir nicht bekannt, was für mich nicht gleichbedeutend ist mit mangelnder Bildung. Weil Du in diesem Zusammenhang geschrieben hast, dass Du seltene Worte liebst, dachte ich, Du meinst, Peilen sei ein solches Wort. Auch das war für mich kein Hinweis auf mangelnde Bildung. Es gibt viele Gründe warum jemand annehmen kann, ein Wort sei selten. Deshalb habe ich das, was ich dazu weiß, mit Dir teilen wollen. Das finde ich bei einem Austausch selbstverständlich.
Ich habe auch nicht geglaubt, dass nur Du all diese "Probleme" hast, denn das eine oder andere wurde auch von Charline beschrieben. Das hatte ich auch erwähnt. Ich weiß nicht, wieviele Leseri ähnliches beim Lesen erlebt haben wie Du. Ich habe nur erklärt, warum die entsprechenden Textstellen es in die finale Version geschafft haben, weil ich mich das oft frage, wenn mir etwas schwer leserlich erscheint, und gedacht habe, Du fragst Dich das auch. So etwas kann natürlich leicht als Verteidigung interpretiert werden, wenn man die Kritik als Angriff sieht oder meint, der andere habe sie so aufgefasst. So habe ich das aber nicht gesehen. Diese Textstellen blieben unverändert, weil die Probeleseri und auch meine Lektorin nicht darüber gestolpert sind. Ich weiß nicht, ob das bedeutet, dass deren Textinterpretation ungewöhnlich ist und die meisten anderen Menschen aus der Zielgruppe eher so interpretieren wie Du, oder ob nur wenige Menschen Deine Interpretationstendenz teilen. Dafür sind die Stichproben zu klein. Wie auch immer es sein mag, ich finde es interessant, dass es diese verschiedenen Interpretationsweisen gibt und wie sie zustandekommen.
Es gibt für mich auch keinen guten oder schlechten belletristischen Text, nur weil er irgendeine Regel oder Erwartung nicht erfüllt. Wie die Umsetzung, die ein Text darstellt, zu werten ist, hängt primär von der Intention der Autori ab. Ohne die Intention zu kennen, kann ich nur sagen, was mir persönlich auffällt, gefällt und missfällt, und was ich glaube, wie es die mutmaßliche Zielgruppe aufnimmt, aber solange ich nicht weiß, was die Intention war, kann ich die Umsetzung nicht beurteilen. Das ist auch ein Grund, warum mich die Intention der Autori interessiert.
Wenn jemand schreibt, um zu empören, dann kann man nicht sagen, dass der Text misslungen ist, weil er empörend ist. Jemandem zu unterstellen, er habe gar nicht empören wollen, obwohl er das Gegenteil angibt, ohne als Leseri zu wissen, was er tatsächlich beabsichtigt hat, ist einer Voreingenommenheit geschuldet. Selbst wenn jemand grammatisch falsch schreibt, gibt es viele Menschen, denen das nicht wichtig ist, zuweilen gehören Autori auch dazu. Wenn Autori etwas beabsichtigen und es ihnen nicht gelingt, dann haben sie an der Stelle tatsächlich etwas falsch gemacht, z.B. wenn sie orthografisch korrekt schreiben wollen, dies aber nicht tun. Du sagst, dass Deine Interpretation und Wertung nur Deine eigene Sichtweise spiegeln. Das trifft für uns alle zu. Nur wenn wir uns auf Fakten oder jemand anderes beziehen ist das etwas anders. Wieviele Menschen unsere Auffassung teilen, wissen wir meist nicht. In solchen Fällen können wir auch nicht wissen, welche Verbreitung unsere Einschätzung hat, was zuweilen auch ihren Gültigkeitsbereich und Aussagen über Zielgruppen tangiert.
Ich hoffe, ich konnte damit die entstandenen Missverständnisse und Irritationen ausräumen.