Absolut. Sehr schön strukturiert analysiert!
Klar, auch ich will unterhalten werden und das ist durchaus möglich. Man sieht mich regelmäßig begeistert von Büchern (kürzlich, sogar übersetzt, von Das andere Tal). Ich kann sogar ganz massiv von Büchern beeindruckt und begeistert sein (leider noch nicht übersetzt: The Deluge von Stephen Markley, aber auch Luftschlösser von Hilary Leichter, bereits übersetzt). Diese drei Bücher habe ich in den letzten Monaten zweimal bzw. sogar dreimal (Luftschlösser) gelesen bzw. gehört und gelesen, teilweise in beiden Sprachen.
Mein Spektrum ist aber entsprechend groß. Ich kann megamäßig begeistert sein (ich lese ja nun mal auch wirklich extrem gern und so viel man mich zu Hause irgendwie lässt) und quasi 50 Sterne geben, aber ich bin eben auch oft sehr underwhelmed. Oder breche gelangweilt ab und gehe woanders hin.
Ein Punkt, der mir heute im bilateralen Gespräch noch mal klar gemacht wurde (implizit wusste ich das) und den du auch nun wieder ansprichst mit der Bemerkung zu YA:
Ich stehe eben an einem bestimmten Punkt.
Eigentlich will ich nicht mehr YA lesen (und mache es zwischendurch aus Versehen doch, wie kürzlich Something Kindred und Pet), denn die Probleme, die da adressiert werden, habe ich normalerweise schon vor 25 Jahren hinter mich gebracht. Das heißt nicht zwingend, dass ich nur noch Bücher lesen will mit Perspektivfiguren Mitte vierzig und Familie (Beware!).
Die Wahrscheinlichkeit, dass mich eine erwachsene Perspektivfigur abholt, die ähnliche Hintergründe hat wie ich, ist ziemlich hoch, aber es gibt auch viele Gegenbeispiele (die Figur in Das andere Tal ist in der ersten Hälfte sechzehn Jahre alt).
Dune könnte ein echter Game Changer sein, wenn man es rechtzeitig liest. Ich mochte es, war aber zu spät dran.
Mein ältestes Kind hat zwischen fünf und sieben Harry Potter gelesen und das war für sie ein absoluter Game Changer. So spannend kann Lesen sein? Inzwischen ist sie weitergezogen und findet das nicht mehr sonderlich interessant, sie hat nun Herr der Ringe entdeckt und erwachsene SF und ist davon viel beeindruckter (wobei HP auf dem Weg dorthin sicher wichtig und sinnvoll war).
Auch ich finde manchmal Bücher und denke dann "Das geht auch? Wow!". Solche Erlebnisse suche ich (und finde sie auch immer wieder), aber es gibt eben verdammt viel Literatur, die habe ich nach einem halben Jahr halb wieder vergessen (ach, da war ja was ...).
Um noch mal die Brücke zum Podcast zu schlagen: Die haben ja irgendwie keine Lust mehr auf die ewig gleiche Heldenreise eines able-bodied weißen Mannes. Die haben Lust auf andere Storys. Aber das Publikum hat dabei nicht mitgezogen.
Ich finde beispielsweise Apokalypse aus Sicht von trans Figuren hammer geil, wenn das Buch eben gut ist (siehe Manhunt). Das berührt mich dann auf eine andere Weise als das Buch, das ich gerade lese, das mich ziemlich kalt erwischt, weil es meiner Lebensrealität streckenweise recht nah kommt (A Better Life von Sarah Langan).
Progressive Phantastik und Prosa mit queeren Figuren ist ja nicht per se gut, nur weil sie queer ist. Sie muss eben zusätzlich noch gut sein. Und sowas gibt's ja, siehe Mein letztes Lied von Lena Richter. Ich habe aber auch in diesem Jahr wieder einen gefeierten queeren Roman aus dem Genre Phantastik gelangweilt abgebrochen und habe keine Ahnung, wer das spannend findet. (Das ist einer, der sich sehr gut verkauft, also gibt es dafür ein Publikum, vielleicht ist das auch zu sehr YA.)
Jedenfalls war früher vermutlich nicht alles besser.
Es gab schon immer progressive Phantastik und oft war sie auch mega erfolgreich. Herr der Ringe war damals progressiv. Hobbits sind ja nun wirklich nicht die typischen Helden! Also, manchmal klappt's. Vielleicht haben wir das richtige Buch noch nicht gefunden, das der Game Changer der Szene wird.