Ein sehr interessanter Thread, ich habe die verschiedenen Ansichten sehr gern gelesen.
Da ich wahrscheinlich mit der Grund für den Ausbruch dieser Diskussion war, möchte ich mich entschuldigen, falls ich im EXODUS-Thread mit meiner Kritik jemandem auf die Füße getreten bin. Wenn ich vorher gewusst hätte, dass a) ich den meisten Texten nicht so viel abgewinnen würde (ich habe ja immer direkt nach dem Lesen kommentiert), b) die Autor*innen mitlesen und c) Kritik gar nicht erwünscht ist, hätte ich nicht mitgemacht. Ich war wohl als Neuling ein bisschen zu vorfreudig darüber, in einer Leserunde über Kurzgeschichten zu diskutieren. Das tut mir leid.
Ich glaube nicht, dass Kritik im Thread zu Exodus 48 von den mitlesenden Autori gar nicht erwünscht ist und ich der Einzige dort bin, der daran Interesse hat. Es geht manchen, vor allem Marianne/Fancy, wohl eher darum, wie Kritik formuliert wird. Kritik an Kritik finde ich vollkommen legitim und sie kann auch interessant sein, solange sie fair und sachkundig erfolgt. Aufschlussreich finde ich z.B., dass Mariannes Kritik an meiner Kritik zumindest teilweise darauf zu beruhen scheint, dass sie dachte, ich wollte die Texte abwerten durch das rhetorische und polemische fragen, wozu ein Text geschrieben wurde, in dem Sinne "Was soll man nur damit?". In Wirklichkeit hatte ich mich aber tatsächlich gefragt, was die Intention der Autoren war. Das Missverständnis beruhte darauf, was unter Unterhaltung gemeint ist. Marianne kennt mich halt nicht gut, sonst hätte sie gewusst, dass solche Verrisse nicht mein Ding sind und hätte erst nachgefragt. Das hat mir aber gezeigt, wo ich in Zukunft besser aufpassen sollte, wenn ich kommentiere. Solche Fragen sind offenbar irritierend, was ich durch etwas mehr Überlegung vielleicht hätte vorwegnehmen können. Jetzt weiß ich das und kann es demnächst berücksichtigen. Auf diese Weise werde ich hoffentlich zu einem besseren Kommentator.
Dabei bedeutet Kritik für mich, einen Text ernst zu nehmen. Klar freue ich mich als Autorin darüber, wenn jemand meine Geschichte lobt, wer tut das nicht? Aber wenn ich weiß, dass das in einer Umgebung passiert, in der Rezensierende sich nur davor fürchten, Kritik zu äußern, dann kann ich damit wenig anfangen.
In manchen Fällen habe ich auch den Eindruck, jemand hat Angst sich zu äußern. Wenn dem so sein sollte, wäre das natürlich nicht nur schade, sondern sogar bedenklich, denn faire Kritik ist Teil des Rechtes auf freie Meinungsäußerung. Wenn wir uns nicht einmal in einem SF-Net frei fühlen können, unsere Meinung kund zu tun, wo dann?
Ich sage, dass ich Autorin bin, dabei war ich länger Leserin bzw. schreibe ich schon länger Rezensionen, aber erst seit kurzem werden Geschichten von mir veröffentlicht. Muss ich mich deshalb jetzt beim Rezensieren zurückhalten? Das käme mir unehrlich vor. Ich möchte immerhin auch zeigen, dass ich andere Autor*innen ernst nehme und nicht den Eindruck erwecken, dass ich den Menschen, die jetzt sozusagen meine Kolleg*innen sind, Honig ums Maul schmiere, um selbst bessere Chancen zu haben oder so.
Wenn es so sein sollte, dass Autori im Schnitt kundigere Rückmeldungen geben können als Leseri, wäre es doch erst recht ein Verlust, wenn sie es nicht täten.
Das alles erinnert mich an eine Diskussion, die alle paar Monate mal wieder in den sozialen Medien hochkocht, nämlich wofür Rezensionen da sind und ob man kritische Rezensionen überhaupt veröffentlichen sollte. Dabei kommen viele Menschen meist bei dem Konsens an: Rezensionen sind für die Lesenden, nicht für die Autor*innen. Das ist auch meine Auffassung, und ich glaube, es ist der Unterschied in dieser Grundeinstellung, die Diskussionen wie diese verursacht.
Ich befürchte, wenn Rezensionen nur für Leseri erstellt würden, blieben für die Autori ziemlich viele Fragen offen. Was wäre, wenn wir unsere Rezensionen verfassen würden der Art: Rezension erster Teil für das breite Publikum, Rezension zweiter Teil mit Vertiefung für Interessierte? Aber es wurde schon mal angedeutet, dass es manchen Autori gar nicht recht sein könnte, wenn ihre Werke in der Öffentlichkeit so genau analysiert werden. Vielleicht könnte man eine Umfrage unter Autori machen und schauen, wieviel Prozent daran Interesse hätten?
Christians Gedanke:
Wie wäre es, wenn wir positive Rückmeldungen öffentlich und negative unter vier Augen geben würden?
ist interessant, würde ich persönlich aber furchtbar finden. Ich finde, Kritiker*innen sollten das Recht haben, öffentlich zu kritisieren, und Autor*innen sollten das Recht haben, diese Kritik zu ignorieren. (Nicht ohne Grund sagen viele erfolgreiche Autor*innen, dass sie gar keine Rezensionen lesen.) Denn wenn ich etwas kritisiere, möchte ich damit nicht etwa erreichen, dass die Autor*innen darauf reagieren oder gar ihre Texte/ihren Schreibstil/ihr politisches Wertesystem etc. ändern. Sondern ich möchte in den Austausch mit anderen Lesenden kommen. Es ist ja auch immer sehr spannend zu sehen, wie unterschiedlich Texte gelesen werden – was ich kritisiere, kann einer anderen Person gerade gefallen.
Das geht mir auch so, aber es gibt viele, durchaus auch legitime Motive zu kritisieren.
Zum Rezensieren der eigenen Anthologien: Das hatte ich bisher für ein ungeschriebenes Tabu gehalten, deshalb bin ich dankbar, dass eine Diskussion darüber geführt wird. Ich habe es bisher erst einmal gemacht, weil die Anthologie bei ihrer Zielgruppe leider ziemlich untergegangen ist und ich das für die vielen guten Texte darin sehr schade fand.
Ich weiß gar nicht, ob es diese ungeschriebene Regel gibt, denn das würde bedeuten, dass die allermeisten Beteiligten es immer so haben wollen. Auch da wäre eine Umfrage interessant, vielleicht auch für jede Anthologie neu und zwar vor Erscheinen des Werks. Ich habe nämlich den Eindruck, dass dieser Art Kritik eher ambivalent gegenüber gestanden wird. Kommentare, auch von Autori, sind erwünscht, weil ohnehin so wenig Resonanz kommt, und solange sie positiv sind, ist alles gut, aber je weniger positiv sie ausfallen, desto mehr besinnt man sich wieder auf eine vermeintliche Regel der Abstinenz.
Was die Reaktion von Autor*innen auf Kritik angeht, bin ich zwiegespalten, denn ich habe da als Rezensentin schon unangenehme Erfahrungen gemacht. In der Theorie wäre es natürlich toll, mit Autor*innen über Texte diskutieren zu können und herauszufinden, wie der Text intendiert war vs. wie er gelesen wurde. Manchmal verstehe ich ja wirklich etwas im Text falsch. Nur leider habe ich es schon erlebt, dass Autor*innen mir wütende „Du hast nur mein Buch nicht verstanden!“-Kommentare unter eine kritische Rezension gerotzt haben (natürlich ohne mir zu erklären, was genau ich denn falsch verstanden habe – das komplette Buch von vorn bis hinten?). Aber auch das Gegenteil habe ich schon erlebt: Autor*innen, die sich geradezu kleinmachen unter meiner Kritik, Besserung geloben und mir dann ihr neues Buch ans Herz legen, mit der Beteuerung, dass das viel besser sei und ich ihm doch noch eine Chance geben soll. Auch das finde ich unangenehm. Am Ende bin ich ja auch nur irgendeine Person aus dem Internet, die keine Deutungshoheit über irgendwas für sich beansprucht.
Hier gilt natürlich: Je ausgeglichener die Gemüter und je sachlicher und konkreter die Argumente, desto aufschlussreicher und angenehmer.