„Exodus: The Archimedes Engine“ von Peter F. Hamiton
Exodus ist eine episch angelegte, opulente, teils fast schon überbordende Space Opera in ferner Zukunft, die den Bogen von unserer relativ nahen Zukunft bis 40.000 Jahre weiter spannt. Wir erleben eine Menschheit, die sich in Teilen weit vom Menschsein entfernt hat (Stichwort Posthumanismus). Die sogenannten Celestials sehen kaum noch menschlich aus, denken auch nicht mehr so, können viele Jahrtausende alt werden und planen dementsprechend auch langfristig. Gleichzeitig gibt es aber noch Menschen, die uns ähnlich geblieben sind und auf Welten in den Imperien der Celestials leben, wo sie mehr Untertanen als Bürger sind und vor allem für die Nahrungsproduktion (Agrarwirtschaft) der „Overlords“ verantwortlich – wobei es ihnen auch nicht wirklich schlecht geht, nur mit der Freiheit ist das so eine Sache. Aber es gibt auch Mischformen zwischen Celestials und Menschen, wie unser Protagonist Finn und unzählige Mutationen und Weiterentwicklungen, die für ein bunt und vielseitig bevölkertes und sehr abwechslungsreiches Universum sorgen, ohne, dass es klassische Aliens benötigt.
Der Einstieg in den Roman gestaltet sich noch etwas sperrig, mit einer chronologischen Aufzählung der Ereignisse von der nahen Zukunft bis in die ferne, wo unsere Handlung beginnt. Und auch bei den Handlungssträngen um die Celestials wie Thyra oder die Queen Helena-Chione dauert es etwas, bis man sich zurechtfindet, da Hamilton sie bewusst abstrakter gestaltet hat, um deren Fremdartigkeit (aber nur bis zu einem gewissen Grad, denn sie fluchen wie wir) zu den Menschen herauszustellen. Doch diese Menschen geben uns einen Bezugspunkt. Vor allem der Ermittler Terence, der als Agent eines Celestials agiert, aber auch Ellie und der Uranic Finn, der ein wenig als Bindeglied zwischen Menschen und Celestials dient.
Faszinierend ist, wie Hamilton hier das Konzept der Zeitdilatation umsetzt. Ellies Generationenschiff ist vor 40.000 Jahren losgeflogen, war aber selbst nur 200 Jahre unterwegs, und kommt erst jetzt im Imperium der Celestials an, mit ihren Großvater Josia ist sogar ein Mensch dabei, der noch auf der alten Erde gewandelt ist. Sie begleiten wir als Leser bei der Erkundung dieser fremdartigen Zukunft, für deren Exposition Hamilton sich viel Zeit nimmt, die aber nie langweilig gerät.
Die Zeitdilatation ist aber auch spannend, wenn es um Reisen mit Sternenschiffen knapp unter der Lichtgeschwindigkeit geht, wenn Finn nach eigener Zeit nur ein paar Monate unterwegs ist, seine Zwillingsschwester aber um 30 Jahre altert. Hamilton setzt das Konzept konsequent um, auch Nachrichten können mehrere Jahre brauchen, bis sie ankommen und beantwortet werden. Dementsprechend langfristig sind die Planungen der Akteure.
Finn ist der typische Sprössling einer privilegierten Familie, der rebellisch wird und glaubt, das Richtige zu tun und macht dabei eine interessante Entwicklung durch.
Terence beginnt als Hard-Boiled-Detective, der zum Geheimagenten und schließlich Chef eines Spionagerings wird. Entwickelt sich zwar interessant, wirkt gegen Ende aber etwas zu übermächtig und unfehlbar.
Trotz des riesigen Ensembles sind die beiden eigentlich unsere Hauptbezugs- und Identifikationspersonen. Auch wenn wir immer wieder kurze Kapitel aus Perspektive anderer Figuren im auktorialen Stil erzählt bekommen.
Wie kommt das Buch rüber
Trotz aller futuristischen Elemente und Exotik bringt Hamilton auch aktuelle Themen mit ein. Die Klimaproteste der letzten Generation bzw. der Exitinction Rebels, die drastischen Repressionen des Staates darauf (Hamilton ist ja Brite, wo unter den Tories besonders drakonische Gesetze verabschiedet wurden). Aber auch Freiheit und Demokratie, und wie schnell die Demokratie einem Volk weggenommen werden kann.
Hamiltons Stil ist einwandfrei und effektiv. Wenn er den Weltraum, fremdartige Welten und Ereignisse beschreibt, kann er sogar richtig elegant und poetisch werden. Ansonsten ist er routiniert, auch wenn ich bei manchen Action-Szenen etwas den Überblick verloren habe, weil so viel und so viel Schräges, Originelles und Abstraktes passiert. Die Sprache ist vielleicht etwas zu gewöhnlich, um eine so ferne Zukunft und so fremde Wesen wie die Celestials zu beschreiben. Da hätte der Autor ruhig etwas experimenteller werden können. Für ein breiteres Publikum ist sein Ansatz aber wohl besser.
Die Gesellschaft der Zukunft wirkt doch sehr anglozentrisch.
Insgesamt hält das Buch eine gute Balance aus spektakulärer Action, Charaktermomenten, Gesellschaftsporträt, Sense of Wonder und Hard-SF.
Der Sense of Wonder wird durch den Abenteuercharakter der Handlung mit Finns Missionen erzeugt, vor allem wenn er mit den Travelern gefährliche Orte aufsucht, um Artefakte und Waffen aus der sogenannte Remnant-Era zu bergen. Da musste ich an „Picknick am Wegesrand“ denken.
Das Buch hat durchaus ein paar Längen, vor allem, wenn es um die Celestials geht. 700 Seiten hätten sicher auch gereicht, aber wirklich gelangweilt habe ich mich zu keinem Zeitpunkt. Alles scheint sinnvoll in die Gesamthandlung miteinzufließen, auch wenn es lange dauert, bis sich herausstellt, worum es in dem Buch eigentlich geht.
Mir gefällt, wie viel Mühe Hamilton sich gegeben hat, eine lebendige, glaubhafte Gesellschaft der Zukunft zu entwerfen, vor allem, was die Menschen angeht, in Bezug auf Wirtschaft, Lebensumstände, Medizin, Drogen usw. Aber auch die ganzen kleinen Welten und Gesellschaften, die z. B. Finn auf seinen Abenteuern kennenlernt, wie die Welt auf dem Gasplaneten (King’s Nest), wo sie mit Luftschiffen unterwegs sind.
Teilweise tauchen etwas zu viele Figuren auf. Wenn z. B. auf Finns Missionen plötzlich neue Team- und Crew-Mitglieder auftauchen, kurz darauf aber schon wieder verschwunden (vor allem gestorben) sind. Oder all die Mietglieder des Hofstaats der Celestials. Manchmal habe ich ein wenig den Überblick verloren, wer wer ist. Wobei das aber größtenteils auch nicht so wichtig war.
Die Protagonist*innen sind alle eher privilegiert, die Auswirkungen der Handlung und der Unterdrückung durch die Celestials auf einfache Bürger kommt nicht so rüber. Keine Arbeiter-SF wie „The Expanse“.
Ellie bleibt mir etwas zu sehr Anhängsel der Männer. Hat keine wirkliche eigene Motivation.
Die Celestials konnte ich mir teilweise nicht so gut vorstellen, da wären vielleicht ein paar Illustrationen aus dem Computerspiel hilfreich gewesen.
Der Roman spielt 150 Jahre nach dem Computerspiel und im Sonnensystem neben dem aus dem Game. Es teilt also nur das gleiche Universum mit dem Spiel und ein paar kleine Referenzen darauf.
So ist es dem Buch auch nicht anzumerken, dass es ein solches Tie-In ist. Es könnte sich auch um einen ganz normalen Roman von Hamilton mit seiner eigenen Welt handeln. Aber er war ja auch an der Entwicklung des Computerspiels beteiligt. Das ist noch nicht erschienen, die Gamespresse hat aber hohe Erwartungen und hofft auf einen neues „Mass Effect“, da viele von dessen Entwicklern daran beteiligt sind. Der erste Trailer sieht sehr vielversprechend aus, ebenso die Episode in der Amazon-Serie „Secret Level“.
Bearbeitet von Pogopuschel, 11 März 2025 - 20:36.