Hallo zusammen.
Zuerstmal Dank an
Beverly. Ich teile Deine Meinung nicht (ich widersprech ihr auch nicht, ich habe zur Frage »Gehts bergab mit der SF, Leute?« keine entschiedene Ansicht) aber ich weiß ein so mutiges Sich-Luft-machen sehr zu schätzen.
Star Trek kann durchaus als positives Beispiel für SF gelten, auch wenn ich mir jetzt nicht den Haxn vor Begeisterung ausreiß. Als ich vor Jahren bei McD gearbeitet habe und jeden Tag ziemlich feddich heimkam, war auch ich froh, den guten Nelix als frohgemuten Künchenhansel sehen zu können. Ich kenne Star Trek auch weniger als Serie, denn als Wochenendsession-Guck-Event. So in größeren Happen haben mir ST:NG, DS9 und V durchaus Spaß gemacht. Classic ist schlicht kurios und für mich voller zeitgeschichtlicher Exotik, da vernebelt sich mein klarer Blick fürs Urteilgeben. Also, ich schmunzel und lach viel, aber gute SF, ich weiß nicht.
Ansonsten. Was für ein cooler Thread! Danke
Michael, Rowlf, yiyippee, Armin für die geil-informativen Listen;
und
Oliver: genial dein Klammernposting und für Dein Postuliat Neal Stephensons als gegenwärtig schon unter uns weilenden Klassiker möcht ich High-Five geben find aber den entsprechenden emoticon nicht. Fühle Dich gehighfivet.
Ich bin sicherlich bei weitem nicht 1/4 so gut über die Entwicklungen auf dem Gebiet SF der letzten Jahre im Bilde wie die Mehrheit hier, aber ich *traue mir* durchaus etwas zu, wenns ums querbeet durch alle Zeiten, Völker und Textgattungen-Lesen geht.
Ich frag mich: Was ist denn gemeint, wenn von KLASSIKERN die Rede ist?
Es sind wohl gemeint: Einzel-Werke oder auch ganze Schriftsteller-Biographien, die kanonbildend auf die Gattung (Prosa) oder das Genre (Science Fiction) gewirkt haben. Die Kanon-Auswahl erfordert Einschluß- und/oder Ausschluß-Kriterien und spätestens hier beißt sich die formal-logische Katze in den Schwanz.
Für meinen persönlichen SF-Begriff kanonbildend waren neben von vielen geteilten Klassikern von Leuten wie Wells, Verne, Lem und Dick auch ehr obscure Werke, wie die Dark-Future Bücher von Jack Yeovil (= Kim Newman) bei Games Workshop oder auch deren Warhammer 40K-Universum; Oder Bücher von Wilden Trümpfen, die nur teilweise mit dem SF-Genre verbunden sind wie W. S. Burroughs, R.A. Wilson, A. Schmidt und Orwell; Oder überhaupt (Mainstream)-Sachbücher wie »Unser Kosmos« von Sagan, »Außerirdische Zivilisationen« von Asimov, »Das Lächeln der Medusa« von Watson. - Kurz: der Mittelwert mag ja stimmen. Ich will bei einer Kanonbildung also warnen vor der Fixierung auf das Zentrum, Peripherien sind viel aufregender (aber auch herausfordernder, man fällt schneller). - Von Comics und Filmen gar nicht anzufangen, aber ich denke hier mal betont *literarisch*.
Sicher ist für mich: Die SF ist einer der breitesten popularen (man denke sich ruhig auch »volkstümlichen«) Kanäle für Verhandlungen und Bespiegelungen der Moderne, (der Globalität oder Globalisierung, je nach dem wo man sich emotionell-ideologisch im Moderneverlauf befindet) und der Pläne und Ängst, wohin es denn mit ihr geht/gehen soll.
Zwei Anliegen hat die Leserschaft von SF wohl (grobe Einschätzung aufgrund Selbstbeobachtung, Gesprächen, Studium von Interviews und Sachtexten zum Genre):
†¢ SF soll Hoffnung spenden für die Zukunft. Motivier mich, erfülle mich mit dem Licht einer Utopie, einen längerfristigen Zweck der Welt erkennen zu können, ein Ziel zu haben.
†¢ Sie soll aber eben auch warnen, damit uns nichts in der Fresse explodiert und wir auf das Steinzeitfeld zurückziehen zu müsen, ohne über Los zu ziehen oder Credits aufnehmen zu dürfen.
Darunter das Grundbedürfnisses aller Phantastikleser:
†¢ Eine gänzlich andere Welt als die tatsächliche Faktenwelt eröffnet zu bekommen, an deren feinerer Detailausgestaltung (von Gedankenspiel bis zum LRPG) man teilnehmen kann.
Darunter die allgemeine Lesererwartung:
†¢ Eine packende oder berührende Geschichte erzählt zu bekommen, mit handelnden Identifikations-Trägern, mit oder über die man seine Schwerelosigkeitserlebnisse als Leser schöpfen kann.
Also, da ich nicht so am Puls der Zeit bin und mein Urteil also viel auf flüchtigen Eindruck beruht (im Laden pro Monat 10 bis 20 Titel bis zu 20 Seiten querlesen, Rezis schmökern, Kataloge stöbern) mosern kann ich nicht. Ich geb aber zu, das wenigste reißt mich wirklich hin. Aktuell überleg ich ehr Exoten-Anthos ne Chance zu geben (
»Sherlock Holmes im Lovecraft-Universum«, ist auch was von Gaiman dabei)
Höchstens eins.
Ich finde es immer sehr aufregend, wenn ein SF-Buch weniger EINE Welt (auch Kulturauffassung, *Realität*) behandelt, wie das klassischerweise die Vormoderne behandelt, sondern vom Nebeneinander von Welten erzählt, sowie den Wechsel und Austausch zwischen ihnen. Der beste SF-Roman aller Zeiten wäre für mich dabei sicherlich der Kosmos der versammelten Dick'schen Kurzgeschichten, eine Art 1001-Nacht der etwas dystopischen Art, freilich, aber ungemein ideenreich, menschlich *echt* und von einem sehr angenehmen Sinn für Humor durchzogen.
Insofern erwarte ich in der SF des 21. Jahrhunderts hoffentlich auch weiterhin gute Werke über
†¢ die Integrationen des FREMDEN (an sich). Der Mensch muß sich der Außenwelt öffnen. Wenn wir wirklich mal die Extremsituationen im All zur Routine machen wollen, dürfen wir nicht wegen jedem kleinen Einbruch des Exotischen oder des Chaos von Ekel oder Hass fortgespühlt werden.
†¢ Ich fürchte, daß auch angesichts der für All- (oder Meeresboden-, VR-)Besiedelung nötigen Umwelt-Synthese-Techniken für belebbare Menschenräume, die Disziplin allgemein um einiges strenger werden muß, sozusagen auf Samurai-Level (was nur meine persönliche verklährend-exotische Ausdrucksform ist für *militarisierung* des Zivilen): eine undichte Leitung auf der Raumstation, und servus.
†¢ Daraus folgt weiter, daß wir über eine Wende weg vom anthropozentrischen (»Blick auf den Menschen«) Denken machen müssen, eine Wende die mit dem Ende der Androzentrik (»Blick auf den Mann«) - auch Emanzipation genannt - begann, und die weitergeht in der Emanzipierung der Umwelt und fürs erste vielleicht in einer allgemeinen *Seins*-Rechtserklärung von lebensnotwendiger Technik (Lebendserhaltung, Kommunikation, Labor, Wiederaufbereitung und Navigation) mündet.
Soweit meine Wünsche fürs 21. Century.
Euer schizpoid man
Alex / molosovsky