Beverly schrieb am 11 Apr 2005, 08:31:
Die heute erscheinende Science Fiction entlockt selbst eingefleischten Fans oft nur ein müdes Gähnen. Die Kritik macht sich an folgenden Punkten fest:
Die Bücher sind zu dick, eine nur für 200, 300 Seiten taugende Handlung wird auf 600 oder 700 Seiten aufgeblasen
Die x-te Space-Opera nach Schema F mit fiktiven Technologien, welche die SF schon vor 60 oder 70 Jahren beherrschte (Raumschiffe etc.).
"Weltraum" ist zudem trotz stagnativer Tendenzen in der Raumfahrt auf dem besten Wege, Realität zu werden, man denke nur an die Entdeckung von immer mehr extrasolaren Planeten. Hier hat die Wirklichkeit die SF längst eingeholt.
Ich selbst kann hinzufügen, dass ich Bücher über das 21. Jahrhundert, "nahe Zukunft" nur in Ausnahmefällen lese. Zum einen hat das John Brunner schon vor 30 Jahren treffend abgehandelt - "Morgenwelt", "Schafe blicken auf". Ferner ist diese Literatur ziemlich deprimierend und wir leben doch in der von ihr beschriebenen Welt (es wäre daher eigentlich Gegenwartsliteratur)
Eine Zufallsbegegnung sagte bezüglich SF mal "das ist alles so finster und deprimierend". Stimmt, wenn man an die Szenarien in "Outland", den "Alien-Filmen" oder den Romanen von Alastair Reynolds denkt.
Aber m. E. gibt es auch Licht am Ende des Tunnels:
So durchgeknallte Weltentwürfe wie in "Lord Gamma" von Michael Marrak oder die Taschenuniversa in dem Zyklus von Philipp José Farmer. Mehr davon! Mehr abgedrehte Ideen.
Zum Vergleich dazu zwei Zitate von früher:
"Was die heutige Science Fiction angeht, so ist Aldiss skeptisch. Das Genre sei etwas heruntergekommen, meint er. In den Frühzeiten sei SF noch etwas besonderes gewesen, sie habe ein verständiges, kenntnisreiches und interessiertes Publikum gehabt, einen regen Austausch zwischen Lesern und Autoren. In diesem begrenzten Rahmen sei so etwas wie eine immerwährende Diskussion abgelaufen, eine beständige Weitergabe von Ideen, und das habe viele gute Stories, viele ausgezeichnete Romane hervorgebracht. Doch als die SF dann den Sprung in die Massenliteratur schaffte, da habe man das ganze vereinfachen müssen. Leser, die über den "Krieg der Sterne" oder "E.T." zur Science Fiction gekommen seien, brauchten leichtverdauliche Kost, simple Fakten, einfache Handlungen. Bücher, die wirklich umwälzende Ideen enthielten, die den Leser zum Nachdenken bringen wollten, seien für dieses Publikum nicht das richtige Lesefutter. Solche Leser und die Autoren, die für sie schreiben, sind dann -so Aldiss- wohl auch der Grund, weshalb SF als Literatur in den vergangenen Jahren sehr viel weniger aufregend oder anregend geworden ist.
Science Fiction als Literatur über die Zukunft? Aldiss schüttelt den Kopf: "Ich glaube, daß die Zukunft nur als Spiegel benutzt wird, um die guten oder bösen Entwicklungen der Gegenwart zu reflektieren, sie deutlicher ins Bewußtsein zu heben." Und die Zukunft der Science Fiction? Hier kann er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die Rolle des Propheten liegt ihm - und so schlecht ist er darin gar nicht. 1970 bereits hatte er die Erwartung geäußert, daß die akademisch Gebildeten sie für sich entdecken - und das ist auch innerhalb von nur zehn Jahren eingetreten.
Für die Zukunft erwartet er eine weitere Differenzierung des Angebots: auf der einen Seite intellektueller Bücher, geschrieben vielleicht für eine Minderheit, die an echter SF, an "hardcore science fiction" interessiert ist. Und auf der anderen Seite Romane, die für die Leute gedacht sind, die sich von E.T. zu Begeisterungsstürmen hinreißen ließen. Bücher für das rasche Geschäft, sozusagen.
So schief dürfte er damit nicht liegen. In den USA, Großbritannien und der Bundesrepublik haben die Medienkonzerne die Ware Science Fiction längst für sich entdeckt. Und bei so manchem, was unter dem Etikett SF vermarktet wird, kann es einen gelegentlich nur noch grausen..."
aus
"Hat die Science Fiction Zukunft?"
SF-Star 11/12 Nov./Dez. 1983
"Das Literaturgenre des Phantastischen wird zusehends langweiliger: Auf dem scheinbar für alles aufnahmebereiten Büchermarkt der Bundesrepublik erscheinen immer mehr Titel, doch der boomartige Zuwachs hat nicht unbedingt zu einer Vermehrung der in diesem Genre grundsätzlich raren Qualitäten geführt. Allmählich scheint den Autoren und Verlagen das eigentliche der Phantastik aus dem Blick zu geraten, den meisten Schreibern fehlt das Bewußtsein um deren subversive Elemente. Bizzarerie und Befremdlichkeit ersetzen immer mehr das Subversive, die möglichst ironische Unterminierung der erwartbaren, durch die aufgeklärte Vernunft scheinbar so zementierten Wirklichkeit fehlt der um der Allgemeinverständlich- und Absetzbarkeit willen domestizierten Phantastik.
Zu ihrem Schaden.
"Ich glaube, daß jegliche Horror-Fiktion allegorisch zu verstehen ist. Die verborgensten Ängste einer Gesellschaft kommen in den Horror-Romanen in Form von Alpträumen ans Licht." Das stammt von Stephen King -der es wie kein zweiter wissen muß- und läßt sich sinngemäß durchaus auch auf die anderen Gebiete der gedruckten Phantastik anwenden. Was aber bekommt der Leser anstelle der Allegorien kollektiver Alpträume? Mit Weltraumkriegen (noch immer), dümmlichen Endzeitszenarios, E.T.s oder pseudosoziologischer Wahrsagerei(besonders bei uns) verseuchte SF, Fantasy im Stile der reichlich überschätzten Michael Ende oder Hans Bemmann, die den guten alten Bildungs- und Eriehungsroman nur ein wenig aufpoliert haben, und Horror, der angesichts von John Sinclair oder der Blutrunstwelle im Kino jedweden Anspruch -und das auf längere Zeit- verloren hat. Die literarische Subversion aber, in Form negativer und positiver Utopien oder als Zerrspiegel einer Realität, die selbst schon phantastische Züge trägt, gibt es nur gelegentlich noch."
aus
"Die Furie des Vergessens - Die Visionen der Brüder Strugatzki"
SF-Star 11/12 Nov./Dez. 1983
Wie man sieht, ist die Thematik nicht neu, aber nicht unberechtigt: Auch beim heutigen Angebot kann einen bei manchem nur noch grausen

.