Alte Wärme im Meer und neue Kälte im Wohnzimmer
Von Fritz Vahrenholt.
Fritz Vahrenholt ist Honorarprofessor an der Universität Hamburg im Fachbereich Chemie und war bis 1997 Umweltsenator der Freien und Hansestadt Hamburg. Von 1998 bis 2013 war er in Vorstandsfunktionen im Bereich der Erneuerbaren Energien bei der Deutschen Shell AG, der Repower Systems AG und der RWE Innogy. Er ist Vorsitzender der Deutschen Wildtier-Stiftung.
Im Januar 2019 erschien in Science eine lesenswerte Arbeit mit dem Titel „The Little Ice Age and the 20th-century deep Pacific cooling". Das Ergebnis: der Pazifik hat sich in der Tiefe abgekühlt von 1870 bis heute, der Atlantik nicht. Die Zirkulation der Tiefsee bringt es mit sich, dass die pazifischen Tiefen noch heute von der mittelalterlichen Warmperiode („MWP“), etwa 950 bis 1250, und dem Übergang zur kleinen Eiszeit (etwa 1500 - 1800) beeinflusst werden. Das erwärmte Wasser von vor 1.000 Jahren braucht so lange, bis es im Pazifik in Tiefen um 3.000 Meter ankommt! Das impliziert zweierlei: Die mittelalterliche Warmperiode war eine globale Erwärmung von vergleichbarer Größe der heutigen Erwärmung, wie wir es auch im Projekt MWP und in mehreren Veröffentlichungen (hier, hier, hier) nachweisen. Die IPCC-Modelle können diese Erwärmung nicht abbilden, sie versagen in der Rückschau.
Warum ist diese Veröffentlichung so wichtig? Im Jahre 1750 war das Klima eben noch nicht im Gleichgewicht, wie es die Modelle voraussetzen. Weil die Modelle die Erwärmung seit 1750 auf anthropogene Anteile zurückführen, vernachlässigen sie, dass noch Restwärme aus der MWP in den Tiefenwässern des Pazifik vorhanden war. Das Wachstum im Gesamtwärmeinhalt der Ozeane bis heute ist also kleiner, als die Modelle annehmen. Anders ausgedrückt: Die Empfindlichkeit des Klimas gegenüber CO2 ist deutlich kleiner als bisher angenommen.
Der IPCC-Bericht müsste also grundlegend überarbeitet werden. Es spricht viel dafür, dass die Temperaturerhöhung bei Verdoppelung von CO2 nicht 1,85°C (IPCC) sondern eher allenfalls 1,3°C beträgt. Eine Überschreitung der 1,5°/2°C- Ziele in diesem Jahrhundert ist nicht zu befürchten. Wir hätten also wesentlich mehr Zeit - bis zum Ende des Jahrhunderts, um auf eine CO2-arme Energieversorgung umzustellen. Diese Erkenntnis hätte umwälzende Auswirkungen auf die Politik, wenn diese sich nicht allein auf Berater wie Hans Joachim Schellnhuber stützen würde, der uns ja eine Erwärmung von 6 bis 8°C prophezeit: "Einige Kipppunkte sind vielleicht schon überschritten. Umso wichtiger ist es, die 2-Grad-Grenze zu verteidigen. Geben wir die auf, kann es sein, dass das Holozän mit seinen milden Temperaturen bald ferne Vergangenheit ist und wir in einen selbstverstärkenden Treibhauseffekt mit 6 oder 8 Grad Erwärmung rutschen".
Der Kohleausstieg und der Preis der Panik
Die Bundesregierung hat die Ergebnisse der Kohlekommission begrüßt und wird diese umsetzen. Danach werden bis zum Jahre 2022 Kohlekraftwerke mit 12.700 Megawatt stillgelegt, bis 2038 insgesamt 52.100 MW (einschl.Kernkraftwerke). Die heutige Höchstlast beträgt etwa 75.000 Megawatt. Die Kosten werden auf 80 Milliarden Euro geschätzt.
Eine selbst von der Kommision eingeräumte Strompreiserhöhung von 1,5 €ct/kwh wird den Industriestrompreis für die Aluminium-, Stahl-, Metall- und chemische Industrie um 40 Prozent erhöhen. Das hat Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit dieser Industrien. Die Bundesregierung will diese Preiserhöhung aus dem Bundeshaushalt kompensieren. Ob die EU-Kommission das mitmacht, steht in den Sternen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier erklärte zum Kohleausstieg: „Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet.“ Er weiß es besser und sollte uns nicht anlügen.
Schon Mitte Januar konnte in Deutschland die Stromversorgung nur dadurch gesichert werden, dass Grossverbraucher wie die Aluminiumindustrie mit 1.025 MW für drei Stunden vom Netz genommen wurden. Bereits in 2018 musste die Aluminiumindustrie 78 Abschaltungen erdulden (siehe meinen Vortrag vor der Stiftung Marktwirtschaft vom 8.2. 2019). Die Bundesnetzagentur befürchtet ab 2022 „erhöhte Wahrscheinlichkeit von Lastabschaltungen, erhöhtes Risiko von Großstörungen“.
Wie will die Kommission den Wegfall von gesicherter Leistung ausgleichen?
„Um die Nachfrage jederzeit zu decken..., muss die Flexibilisierung der Nachfrage vorangetrieben werden“ (Seite 21 des Abschlussberichts der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“). Das bestätigt meine Vermutung, dass der Lastabwurf zum neuen energiepolitischen Credo erhoben wird, also die Abschaltung von Industriebetrieben und Regionen, so wie wir es aus Schwellenländern kennen.
Das nächste Mittel zum Ausgleich ist „der Einsatz von Erneuerbaren Energien, Speichern und Power-to gas“ (Seite 8 des Berichts). Damit wir wissen, worüber wir reden: Um eine zehntägige Windflaute durch Batteriespeicher zu überbrücken, brauchen wir etwa 16 Terawattstunden Strom. Dies erfordert bei Speicherkosten von 100 €/kwh (die heute noch nicht erreicht werden) 1.600 Milliarden an Investitionen. Um die Schwankung eines Jahres auszugleichen, 4.000 Milliarden Euro Investitionen - alle acht bis zehn Jahre. Der Strom wäre dann dreimal so teuer wie heute. Zur Einschätzung der Wirtschaftlichkeit von Power-to-gas reichen zwei Zahlen: Heutige Gestehungskosten etwa 50 €ct/kwh. Börsenpreis heute 4 bis 4,5 €ct/kwh.
Gesicherte Leistung durch Windkraft?
Ernst machen will man mit dem Zubau durch Windkraftanlagen: Es „müssen für Windenergieanlagen und Freiflächen-PV Flächen in relevanter Göße ausgewiesen, akzeptiert und genehmigt werden“ (S. 21 des Berichts). Bei Verdoppelung der Windkraftanlagenzahl steht durchschnittlich alle 2,7 Kilometer eine Windkraftanlage. Naturschutz? Bürgerbetroffenheit? Muss akzeptiert werden. Dabei sollte zumindest die Bundesregierung wissen, dass heutzutage schon nahezu die Hälfte der erzeugten Windenergie ins Auslands verschoben wird. Wir zahlen 27 Milliarden EEG-Kosten pro Jahr, und fast die Hälfte der ach so stolzen 18 Prozent Windstrom aus 2018 gehen über die Grenze aus Netzstabilitätsgründen (Seite 6 der Präsentation „Ist die deutsche Energiewende kosten- und umweltfreundlicher gestaltbar?").
Aber wir retten das Klima. Wirklich? Für 80 Milliarden Euro Steuergelder werden die heutigen Emissionen von 256 Millionen Tonnen aus dem Stromsektor auf etwa 100 Millionen Tonnen reduziert, denn ohne teurere Gaskraftwerke (mit der Hälfte der CO2-Emission wie Steinkohlekraftwerke) - das sieht selbst die Kohle-Ausstiegs-Kommission - geht es ganz und gar nicht. Das sind also etwa 500 Euro pro Tonne CO2. Der heutige CO2-Preis liegt bei 20 €/t. Es geht also nicht um Wirtschaftlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit, es geht um den spektakulären Vorgang des Aussteigens, Abschaltens, Stillegens.
Aber wir wollen ja ein Vorbild sein. Für wen? Bis 2030 bauen China mit 280.000 MW und Indien mit 174.000 MW die zehnfache Kohlekapazität auf. Woher ich die Zahlen habe? Das sind die offiziellen Notifizierungen zum Pariser Klimaschutzabkommen durch China und Indien. Wir sparen 150 Mio. Tonnen ein, und China wird bis 2030 10 Milliarden Tonnen zusätzlich ausstoßen. In 62 Ländern der Erde werden in den nächsten Jahren 1.600 Kohlekraftwerke gebaut. Viele davon mit chinesischer Hilfe.
Aber die Bürger scheinen das alles gut zu finden. 59 Prozent sprechen sich für einen baldigen Ausstieg aus der Kohle aus. Die Grünen liegen in den Umfragen bei 20 Prozent und die neunmalkluge Greta Thunberg wird von den deutschen Medien gefeiert. Was die Bürger wahrscheinlich nicht wissen, ist, dass zwei Drittel der Kohlekraftwerke durch Kraft-Wärme-Kopplung für Haus-und Industriewärme sorgen. Dann müssen wir uns wohl warm anziehen.