Heute morgen habe ich mich bei dem Gedanken ertappt, meine ganzen akuten Lesevorhaben zu nehmen, damit auf einen öffentlichen Platz zu gehen, sie mit Benzin zu übergießen und anzuzünden. Sozusagen eine kleine Bücherverbrennung, warum sollen nur Nazis oder Islamisten sich sowas gönnen
Den Grund werden intelligente resp. psychologisch versierte Menschen vielleicht schon erraten haben:
Die Entspannung beim Lesen von Science Fiction funktioniert nicht mehr!
Ich lese Science Fiction, um mich abzulenken und zu entspannen, um an nichts Tristes, Deprimierendes oder Schlechtes denken zu müssen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass die Autoren nur heile Welt schildern müssen - im Gegenteil, oft war die hart und heftig geschilderte "böse Welt" die beste Entspannung. Ich denke an die Geschichten von Dick - die Bücherverbrennung auf dem Con im Universum von "Das Orakel vom Berge" wäre eine Story-Idee IMHO ganz in seinem Sinne. Oder der Todtsteltzer-Zyklus - verglichen mit den stets entbehrlichen Untertanen des "Imperiums" geht es uns in der BRD wirklich gut, wären da nicht ihre anencephalischen Eliten. Frank Herberts DUNE-Universum fällt mir wieder ein, weil da Gottkaiser Leto II. mitsamt ihm missfallenden Büchern auch ihre Autoren verbrennen ließ

- ein dezenter Hinweis, wozu Literatur führen kann, die nicht entspannt, sodern aufregt
Ich denke, dass was sich in meinem Regal breit macht, ist zu oft weder Fisch noch Fleisch, allenfalls Hering mit Schlagsahne. Gegenwartszustände werden mit phantastischen Elementen vermischt, doch die Mischung kommt sauer hoch, weil alles nur halb ausgearbeitet wird.
DER SCHWARM von Schätzing hat diese Ebenen
1. die US-Eliten mit der Generalin Li im Machtkampf mit CIA-Funktionär Vanderbild unter einem als Bush-Verschnitt erkennbaren Präsidenten
2. die Identitätsprobleme eines Indianers, der lieber in der Welt der Weißen leben will, und eines Drei-Viertel-Iren, der Indianer sein will (das Beste an dem Buch)
3. ein Katastrophenroman mit Seuchen, aggressiven Tieren und Tsunamis
4. Wesen in der Tiefsee, welchen den Menschen feindlich gesonnen sind - das eigentlich Spannende und Titelgebende, was sich aber auch nach mehr als 500 Seiten nicht blicken lässt
5. Ein Heldenepos über die tapferen Wissenschaftler aus der Mittelschicht, die es ja mit Fleiß und harter Arbeit zu was bringen, was mir aber angesichts Heerscharen arbeits- und perspektivloser Akademiker erstunken und erlogen dünkt. Viele Kids werden vermutlich schon mitbekommen haben, dass sie mit "zuvorkommend in der Schule" GAR NIX erreichen, die Resultate sieht man Auto verbrennenderweise in Frankreich - weitermachen! - und krakeelenderweise in Berlin - die Gören sollten sich an den Franzosen ein Beispiel nehmen!
Anstatt eines Wälzers von 900 Seiten, wo der Verlag lieber 200 Seiten bla bla hätte rausnehmen und dafür eine größere Schrift verwenden sollen, wären aus den Zutaten auch mehrere kürzere, schneller und leichter lesbare Romane oder Novellen denkbar gewesen.
SPEKTRUM von Lukjanenko hat das gleiche Problem. Will es ein Gegenwartsroman über Russland sein? Sorry, dafür ist es nicht hart genug. Über die Wirklichkeit des nachsowjetisches Russland von Frauenhandel über leicht zu findende Auftragskiller und -schläger oder Gangsterbanden, die unwilligen Rekruten mit der Vergewaltigung der Schwester drohen, von der Union nach Deutschland und rechten Zionisten nach Israel geholten, rechts wählende Berufsmigranten, die weder Deutsche noch richtige Juden sind, weiß ich scheinbar mehr als der Autor. Eine Story aus postsowjetischen Zeiten, die das Leben schrieb, geht so:
Beim bekanntlich blutigen Nahostkonflikt ermordeten die Israelis den Vorsitzenden einer palästinensischen paramilitärischen Gruppe. Die Palästinenser wollten Rache, Vergeltung und Abschreckung - auch um die Israelis davon abzuhalten, ungestraft weitere Funktionäre von ihnen zu töten. Wegen seiner Hetze auch gegen in Israel lebende Araber war der Herr Avigdor Liebermann als Opfer ausgesucht. Doch diese Gruppe versorgte sich mit Waffen aus dem ehemaligen Ostblock. Der Herr Liebermann mit seinen osteuropäischen Wurzeln verfügte nun auch über gute Kontakte zu den Waffenlieferanten der Palästinenser. Deshalb untersagten die Waffenlieferanten den Palästinensern, Liebermann zu töten und der Herr ist dieser Tage wohl zum Verdruss vieler Israelis Minister geworden.
Nachtrag: die Erpressung von "Wegegeld" durch Einwanderer aus Russland spielte sich in meinem Heimatkaff ab.
Wenn der Herr Lukjanenko mir weiß machen will, dass sei alles nicht so schlimm und blah, soll er sich einen anderen Deppen suchen. Er braucht auch keine Gesellschaftskritik zu schreiben, wenn er das nicht kann. Er soll nur nicht versuchen, triste Zuständen schön zu schreiben, dadurch werden sie nur noch trister. Warum schreibt er gleich auf den ersten Seiten schon wieder von den "Ärmsten der Armen" und in Moskau wohl ums Überleben kämpfenden Touristenführern und Taxifahrern und verhunzt sich damit eine an sich geniale Idee, wegen der ich das Buch gekauft habe. Kommen Putins Todesschwadronen, wenn ein russischer Autor Armut und Elend nicht als quasi schicksalhaft, gottgewollt oder dergleichen darstellt?
Es sollte doch nicht so schwer sein, ein Russland, eine Welt zu schildern, wo es allen Menschen dank des Handels mit den Außerirdischen und der Reisen durch die Tore gut geht. Früher haben es selbst erzkonservative SF-Autoren fertig gebracht, Zukunftswelten zu schildern, wo einen nicht an jeder Ecke unnötige Armut und ein sinnloser Kampf ums Überleben angrinsten. Da hat das Lesen auch noch Spaß gemacht, einen Spaß den ich im Zeichem postmoderner Blödschwätzer vermisse.
Die nächste Bücherverbrennung kommt bestimmt - hoffentlich nicht in der Wirklichkeit, aber in endlich wieder lesenswerter SF!
Bearbeitet von Beverly, 10 Mai 2007 - 09:27.