In Kurzform: gegenüber Antike und Mittelalter haben sich folgende Dinge geändert
- enormer technischer Fortschritt > positiv, er beinhaltet u. a. die Verdopplung der Lebenserwartung
- gigantische demographische Expansion > negativ, da sie die Früchte des Fortschrittes im Wortsinne auffrisst
- in der Neuzeit Entstehung und Zerfall von Kolonialimperien, die ausdehnungsmäßig alle früheren "Großreiche" in den Schatten stellen > negativ, weil mit Aurottung und Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung verbunden
Aus dieser sehr gemischten Gemengelage heraus lässt sich zwar Ausbeutung heute nicht mit der früher gleichsetzen, weil die Sklavenarbeit von früher heute größtenteils Maschinen machen, aber sie lässt sich zumindest vergleichen. Selbst wenn es keine "gute alte Zeit" gab, so ist Geschichte auch kein eindimensionaler Fortschritt.
Irgendwann gibt es eben doch keine Wahl, als sich einzuschalten ...
Nichts für ungut, Beverly, aber wenn du schon einen Wertkritiker wie Robert Kurz zitierst, solltest du in dieser Kurzfassung vielleicht auch ein ganz bisschen marxistisch an die Sache rangehen, oder? Aus dieser Perspektive wäre erst mal deine These, dass es die gigantische demographische Expansion ist, die die Früchte des Fortschritts auffräße, stark anzuzweifeln. Das Problem ist nicht, dass die Menschheit auf dem gegebenen technischen Stand nicht versorgt werden kann, sondern das zwecks Mehrwertakkumulation produziert wird (und nicht weil die bösen Kapitalisten so Profitgeil sind [obwohl viele dass durchaus sein dürften], sondern weil sie um den Preis ihres Untergangs die Mehrwertakkumulation in Gang halten müssen, um nicht vom Markt verdrängt zu werden) und nicht zwecks Bedürfnisbefriedigung. Mehrwert kann
nur durch Ausbeutung akkumuliert werden (dass heißt durch die relative Unterbezahlung im Verhältnis zur durchschnittlichen gesellschaftlichen Produktivität der Arbeit, was - vorerst - nichts damit zu tun hat, ob jemand subjektiv das Gefühl hat, "angemessen" bezahlt zu werden und auch nichts mit der konkreten individuellen Eigenleistung der Arbeitenden). Durch den Verkauf der Waren auf dem Markt wird dieser Mehrwert dann als diese Differenz realisiert. Gleichzzeitg gibt es aber einen Wettbewerb zwischen den Kapitalfraktionen, d.h. Produkte sollen billig produziert und verkauft werden, das geht nur auf zwei Wegen: 1. wachsende organische Zusammensetzung des Kapitals: d.h. ich schaffe als Kapitalist Maschinen an, die weniger Arbeitskraft erforderlich machen, muss dadurch weniger Arbeit bezahlen - auf lange Sicht treibt das den technischen Fortschritt in der Produktion an und senkt damit den Anteil durchschnittlicher gesellschaftlicher Arbeit in den Produkten, so dass der Kapitalist mit ihnen weniger Mehrwert erwirtschaften kann (der wird nämlich nur durch menschliche Arbeit geschaffen. Das heißt, dass wir zwangsläufig früher oder später bei Alternative 2 landen, der verschärften Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft, um einerseits billig auf dem Markt anbieten zu können und andererseits hohen Mehrwert zu erwirtschaften.
Das heißt, dass es im Kapitalismus tendenziell (also im gesellschaftlichen Durchschnitt) unmöglich ist, eine den erwarteten gesellschaftlichen Standards angemessene Versorgung Aller zu Gewährleisten, da immer von dem was an gesellschaftlichem Wohlstand möglich ist abgeschöpft werden muss, um den Kapitalprozess am laufen zu halten, und die Ausbeutung dabei zu bestimmten Zeiten/an bestimmten Orten immer wieder verschärft werden muss.
Insofern wird die Sklavenarbeit von früher auch nicht "heute von Maschinen gemacht". Maschinen machen definitionsgemäß keine Arbeit (zumindest, wenn du Marxistin bist). Maschinen senken lediglich den notwendigen Abteil gesellschaftlicher Arbeit, der in Produkte eingehen muss (wenn ich nur noch einen knopf drücken muss und anschließend das Endprodukt überprüfen, dann ist das weniger Arbeit als wenn ich den Mikrochip mit der pinzette von Hand zusammensetze, aber es ist immer noch Arbeit. Der durchscnittliche Anteil gesellschaftlicher Arbeit im Mikrochip wäre aber gegenüber dem Handbasteln gesunken, auch wenn dabei in betracht zu ziehen ist, dass die gesellschaftliche Arbeit der Programmierer, die die Maschinen programmieren und der Leute im Stromwerk vermittelt in den Chip eingehen).
Der strukturelle Hauptunterschied zu früher ist vielmehr, dass die Produktions- und Herrschaftsverhältnisse sich mit dem Kapitalismus dahingehend gewandelt haben, dass sie nicht in erster Linie personell sind (der Familienvater gebietet über Frau, Kinder, und Sklaven, der Fürst über die Bauern seines Fürstentums, die er kleptokratisch besteuert), sondern strukturell sind (wenn ich nicht zur Arbeit gehe, habe ich kein Geld und muss von Sozialhilfe leben, die nicht mal für die Miete einer erträglichen Wohnung reicht). Das ist auch die Bedeutung der maxistischen Behauptung, das Kapitalverhältnis sein ein totales: Alle sind ihm nämlich strukturell unterworfen, auch der Kapitalist, der die Ausbeutung um den Selbstzweck des Kapitals willen organisieren muss (oder untergehen). Deshalb geht es (zumindest, wenn man ernsthaft radikale Kritik üben will) auch darum, den Kapitalismus zu kritisieren, und
nicht die Kapitalisten, die Politiker oder gar die "Spekulanten". Letzteres führt immer nur in pseoduradikal verbrämten Sozialdemokratismus oder aber direkt in die reaktonärste Form des Antikapitalismus, sprich: in die Struktur des nationalsozialistischen Denkens, indem "kulturelle Werte" dann über dem "Profitstreben" stehen sollen, das "Volkswohl" über dem Individualwohl, und in dem der Hass auf den "Spekulanten" im antisemitischen Hass auf "den Juden" verdinglicht wird. Der Vulgärmarxismus, den man in Foren immer wieder um die Ohrne gehauen kriegt, liegt dem nationalsozialistischen Denken in der konsequenz leider oft näher, als seine Verbreiter es glauben würden.
Um so wichtiger, darauf hinzuweisen, dass marxistische Kapitalismuskritik vielleicht doch ein bisschen anders funktioniert ...