Eine Kleinigkeit:
Ein fiktionaler Text (Roman, Novelle, Comic usw) ist nicht der einzige Informationskanal zu einem Autor. Zu und von einem Autor gibt es für gewöhnlich Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, Erinnerungen anderer über ihn usw. Andererseits: Man kann einen Text auch nur als "Text für sich" untersuchen, und dabei eben mal außen vor lassen, wer ihn wann warum geschrieben hat.
Das sind dann eben zwei Ansätze. Strukturalisten würden sagen, nur der Text spricht - denn man kann ja nie wissen, was der Autor sich dabei gedacht hat. Also kann man es gleich lassen.
Wenn man über psychoanalytische "Wege" an den Text gehen will, können so Briefe des Autoren vielleicht helfen. Aber ich bin von letzterem klar abgekommen.
Da gibt es ja die schönen Beispiele, dass etwa Freud über einen Autor sagt: Der schreibt immer über unglückliche Kinder in seinen Texten, daher muss er auch unglücklich gewesen sein.
Totaler bescheuerte Beweisführung und einfach nicht passend. Genausowenig schreibt ein Krimiautor aus eigenen Erfahrungen
Zu Poe's "Tell-Tale Heart": Für mich ist die Geschichte auch klar auf dem Boden der Wirklichkeit. Das Herz ist nur für den Irren (Psychose, Cold Turkey?) zu hören. Euch Kennern hier ja wahrscheinlich bekannt: der wunderbar doppeldeutige Titel. Die wundersame Bedeutung bezieht sich auf das verräterische Herz des Mordopfers unter den Dielen. Die realistische Bedeutung bezieht sich auf das vom schlechten Gewissen um das Geheimnis des Modes geplagte Herz des Mörders.
Das ist eben deine Deutung. Dennoch bietet der Text durchaus die Möglichkeit an, dass der "Mörder" mit dem "bösen Auge" recht hatte... (auch wenn es abwegig ist)
Für mich liegt die thriller-horror-"Phantastik" darin, dass der Leser in die Haut eines Mörders schlüpfen kann, eines abergläubigen Psychopathen der an den bösen Blick und eben verräterische Herzen glaubt; kurz: der Text läßt sehr sinnlich und drastisch eine außergewöhnlich nervenzerreissende Situation aus der Froschperspektive in der Vorstellung des Lesers erscheinen.
Der Leser schlüpft doch gar nicht in die Haut des Mörders, sondern hört ihm quasi nur zu...
Aber wundersam "Phantastisch" im Sinne von Hobbits, Werwölfen oder Precogs ist diese Poegeschichte keineswegs.
Da müsste man ja wieder die Unterscheidung zwischen phantastisch und wunderbar genauer machen. Aber das hatten wir ja schon .. du .. du ... supermaximalist
Schließlich ist für mich "Tell-Tale Heart" (erschienen 1843) ein schönes Fenster in die vorpsychoanalytische Sprach- und Vorstellungswelt über seelische/psychische Phänomene. Da sprach man eben noch in Begriffen über das Hin- und Her von Geist und Materie, Innen- und Außenwelt, die heutzutage eben wundersam anmutet (außer man ist überzeugter Esotyp).
Es mag ein schöner Blick in Vorstellungswelten früherer Tage sein (eher noch Lovecrafts Geschichten als Poe), aber deswegen sind sie ja nicht weniger "wundersam" als früher. Vielleicht haben wir andere Ansprüche an solche Geschichten (Nimmermehr!) aber ansonsten bleiben sie ja .. seltsam.
P.S.
noch eine Anmerkung.
Tells-Tale Heart ist sicher ein gutes Beispiel für einen destabilisierten Erzähler, aber wohl eher keine perfekte Erzählung um die Unsicherheit des implizierten Lesers darzustellen. Daher - blöder Vorschlag. Aber immerhin haben wir jetzt eine zweite Auflage angeregt *g*
Bearbeitet von Robin, 24 August 2007 - 10:46.