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Phantastik-Begriff


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445 Antworten in diesem Thema

#91 molosovsky

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Geschrieben 13 August 2007 - 18:08

@simi:Da Du und Konrad über Todorov und literarische Phantastik-Defs geschrieben habt, fand ich es eben unkorrekt, wie ich bzgl. Literatur auf meine supermax.-Ph-Versuche reduziert wurde.Nochmal: in Sachen Literatur (und anderen als fiktionalen, narrativen Medienprodukten wie Spielfilmen, Comics usw) pflege ich den maximalen Ph-Ansatz (Horror, SF, Fantasy = Phantastik).Darüberhinaus pflege probeweise sozusagen einen "existentialistischen" supermaximalistischen Ph-Begriff, demzufolge es eben so gut wie keine gesichterten Wahrheiten gibt (was die Lebensgestaltung betrifft; ich meine nicht solche Sachen wie Schwerkraft), sondern nur Vorstellungen, Phantasien, anhand derer wir uns orientieren. Wie heißt es so schön beim Ideenkriegsentfacher Platon: "Was wir unter *es erscheint* verstehen ist eine Mischung aus Wahrnehmung uns Meinung", oder in meine Sprache wie sie von Dir verstanden wird übersetzt: "Was wir unter *Schokolade* verstehen ist eine Schokolade aus Schokolade und Schokolade".GrüßeAlex / molo

Bearbeitet von molosovsky, 13 August 2007 - 18:11.

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#92 simifilm

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Geschrieben 13 August 2007 - 18:13

Da Du und Konrad über Todorov und literarische Phantastik-Defs geschrieben habt, fand ich es eben unkorrekt, wie ich auf meine supermax.-Ph-Versuche reduziert wurde. Nochmal: in Sachen Literatur (und anderen als fiktionalen, narrativen Medienprodukten wie Spielfilmen, Comics usw) pflege ich den maximalen Ph-Ansatz (Horror, SF, Fantasy = Phantastik). Darüberhinaus pflege sozusagen einen "existentialistischen" supermaximalistischen Ph-Begriff, derzufolger es eben so gut wie keine gesichtern Wahrheiten gibt, sondern nur Vorstellungen, Phantasien, anhand derer wir uns orientieren. Wie heißt es so schön beim Ideenkriegsentfacher Platon: "Was wir unter *es erscheint* verstehen ist eine Mischung aus Wahrnehmung uns Meinung", oder in meine Sprache wie sie von Dir verstanden wird übersetzt: "Was wir unter *Schokolade* verstehen ist eine Schokolade aus Schokolade und Schokolade". Grüße Alex / molo

Ok, aber Du wirst zugeben, dass dieser "existentialistischen" supermaximalistischen Ph-Begriff" in erster Linie von Dir verwendet wird. Da finde ich es seltsam, in diesem Zusammenhang von einem "allgemeinen Phantastik-Begriff bzw. -Diskurs" zu sprechen. Wenn von einem "allgemeinen Phantastik-Diskurs" die Rede ist, verstehe ich das etwa als "die allgemeine, also nicht-wissenschaftliche Diskussion, was unter 'Phantastik' zu verstehen ist" und das hat mit Deinem "existentialistischen" supermaximalistischen Ph-Begriff" doch sehr wenig zu tun (und ich habe nicht das Gefühl, dass jemand anders das spontan gross anders verstehen würde).

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#93 molosovsky

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Geschrieben 13 August 2007 - 19:11

"allgemeiner Phantastik-Diskurs" ABER "allgemeiner Phantastik-Begriff-Diskrus".Da warst Du mit Konrad schon mal mal, nur eben auf dem Gebiet der Literatur.Was ich mit "allgemeiner Ph-Diskurs" meinte und mit den Linkbeispielen zu veranschaulichen trachtete war "der Diskrus bzgl. *wahrer* und *irriger* Vorstellungen/Anschauungen über strittige, meist abstrakte Dinge", bzw. die mittlerweile auch im unteren Management und Gesellschafts/Politik-Kreisen angekommene "Binsenweisheit", daß nicht Fakten sondern Stories Gesinnungen prägen. Eben auch schon in der Antike zu finden ist die Problematik, wie man wahre, unwahre usw Vorstellungen unterscheidet.GrüßeAlex / molo

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#94 simifilm

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Geschrieben 13 August 2007 - 19:25

"allgemeiner Phantastik-Diskurs" ABER "allgemeiner Phantastik-Begriff-Diskrus".
Da warst Du mit Konrad schon mal mal, nur eben auf dem Gebiet der Literatur.

Also das kannst Du nun drehen und wenden, wie Du willst, "allgemeiner Phantastik-Diskurs" würde ich normalerweise sicher nicht so verstehen, wie Du es anscheinend intendierst (aber eben: noch bin ich mir nicht sicher, ob wir das Gleiche unter 'Diskurs' verstehen); ausserdem sprachst Du ja auch vom "(allgemeinen) Phantastik-Begriff". Das mit diesem "allgemeinen" Begriff in Wirklichkeit Dein Begriff gemeint ist, ist nun wirklich nicht ersichtlich; es sei denn, Du hast ein sehr eingeschränktes Verständnis von Allgemeinheit. :)

Was ich mit "allgemeiner Ph-Diskurs" meinte und mit den Linkbeispielen zu veranschaulichen trachtete war "der Diskrus bzgl. *wahrer* und *irriger* Vorstellungen/Anschauungen über strittige, meist abstrakte Dinge", bzw. die mittlerweile auch im unteren Management und Gesellschafts/Politik-Kreisen angekommene "Binsenweisheit", daß nicht Fakten sondern Stories Gesinnungen prägen. Eben auch schon in der Antike zu finden ist die Problematik, wie man wahre, unwahre usw Vorstellungen unterscheidet.

Mir wird eigentlich immer weniger einsichtig, warum Du dafür den Begriff 'Phantastik' bemühst. Dass Du selbst zwischen zwei Phantastik-Begriffen unterscheiden und mir dauernd erklären musst, wovon Du gerade sprichst, sollte doch eigentlich Motivation genug sein, dafür einen anderen, weniger problematischen Terminus zu finden, der von anderen vielleicht sogar auf Anhieb verstanden wird.

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#95 molosovsky

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Geschrieben 13 August 2007 - 21:09

Also ich versteh ja andererseits nicht, warum Du Dich derart ausgiebig und immer wieder von mir und meinen Schokoladenbegriff verschokoladen läßt.GrüßeAlex / molo

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#96 simifilm

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Geschrieben 13 August 2007 - 21:21

Also ich versteh ja andererseits nicht, warum Du Dich derart ausgiebig und immer wieder von mir und meinen Schokoladenbegriff verschokoladen läßt. Grüße Alex / molo

Weil ich die Diskussion sehr viel angenehmer fände, wenn ich jeweils auf Anhieb verstehen würde, was Du eigentlich meinst und mir nicht jedes Mal von Neuem überlegen muss, was denn dieses Mal mit 'Phantastik' gemeint ist (übrigens hast Du mir bislang noch nicht auf die Frage geantwortet, warum Du dieses Dingsda unbedingt 'Phantastik' nennen musst und was Dir das genau bringt ausser viel Verwirrung).

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#97 molosovsky

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Geschrieben 13 August 2007 - 21:44

Ich bilde mir ein, schon Länge mal Breite darüber abphantasiert zu haben, warum ich die Vorstellungen die mensch sich von Welt und Leben macht (bzw. Produkte, Konglomerate usw dieser Vorstellungen) Phantastik nenne.Schon mal gehört? Leben ein Traum, Traum ein Leben.Ach lassen wirs, das ist alles dummes Kleinjungen-Eiteitei-Schmarrn-Wichs-Poesie was ich derzeit hier ablass. Ich bin extrem unzufrieden mit mir. Ich werd wohl nie ein richtiger Argumentier-Club-Hansel werden.Kehlezeig :) EDIT-NAchtrag: Spontan oder ordentlich überlegt ist, was mir am nächsten Morgen einfällt.Total übersehen, daß ich dieses "Dingsda" schon seit einigen Zeiten nicht "Phantastik" nenne, sondern "Großraumphantastik".GrüßeAlex / molo, der nicht so hudeln sollte beim Posten

Bearbeitet von molosovsky, 14 August 2007 - 07:20.

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#98 Konrad

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Geschrieben 14 August 2007 - 12:36

Tut mir leid, daß ich in der Diskussion etwas hinterher hinke, aber es geht momentan aus beruflichen Gründen nicht schneller. Ich kaue immer noch an simis Statement:

Aber eine Klassifikation ist nie wertungsfrei und erfolgt immer vor einem bestimmten Hintergrund aus und mit bestimmten Zielen. Buchhändler klassifizieren nach anderen Kritierien als Fans und die wieder nach anderen als Wissenschaftler. Wenn ich beispielsweise untersuchen will, wie 'Phantastik' im Buchmarkt beworben wird, werde ich sehr wahrscheinlich eine andere Definition anlegen (müssen), als wenn ich schauen will, wie sich bestimmte phantastische Motive im Laufe der Zeit entwickelt haben. Eine Grundfrage, die ich schon früher angetönt habe, ist, ob ich 'Phantastik' als abstraktes Kriterium verstehe - alle Texte, die x aufweisen, sind phantastisch - oder als pragmatisches Konzept, also als Begriff, der so von den Leuten auch verwendet wird. Im ersten Fall kann ich ahistorisch alle möglichen Texte zusammenfassen (das macht Todorov), im zweiten muss ich konkret hingehen und schauen, als was ein Text verkauft wurde, wie er in Rezensionen eingestuft wurde etc. Dabei macht man dann oft die interessante Enteckung, dass sich der Gebrauch von Begriffen sehr stark wandeln kann, und das ein Text, der 1920 als 'Phantastik' eingestuft wurde, heute vielleicht nicht mehr in diese Kategorie fällt. Beide Ansätze haben - je nach Ziel - ihre Berechtigung, aber man muss sich schon im Klaren sein, was man eigentlich macht. Das Hauptproblem bei Todorov ist eben genau, dass er einen rein abstrakten, systematischen Ansatz wählt, den er aber - via die Unterscheidung von systematischer und historischer Gattung - als historischen verkaufen will; leider funktioniert das aber so nicht.

Also ich versuche mal, das Gemenge etwas zu fraktionieren; ich bitte um Korrektur, wenn ich etwas falsch verstanden habe. Es gibt Klassifikationsergebnisse (Buch x ist phantastisch nach Schema y) und es gibt Klassifikationsschemata (Regeln, wie man zu einem Klassifikationsgebniss kommt, kann auch eine "Bauchregel" sein). Bei den Schemata kann man heuristische bzw. intuitive (z.B. Buchhändler, Fan) von abstrakten (z.B. Todorov) unterscheiden. Jetzt kommt die Frage: Ein abstraktes Klassifikationsschema nach dem Motto, laß' uns mal Merkmal x mit Merkmal y schneiden und schauen, was dabei herauskommt, macht doch keinen Sinn. Ein abstraktes Klassifikationsschema kreiert man doch, um einem nicht verfügbaren heuristischen Schema auf den Grund zu gehen; d.h. man versucht ein Schema zu finden, das im Ergebniss möglichst gut mit dem Ergebniss des heuristischen Schemas übereinstimmt. Oder sehe ich das falsch?

Bearbeitet von Konrad, 14 August 2007 - 13:13.


#99 simifilm

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Geschrieben 14 August 2007 - 13:40

Tut mir leid, daß ich in der Diskussion etwas hinterher hinke, aber es geht momentan aus beruflichen Gründen nicht schneller.
Ich kaue immer noch an simis Statement:

Also ich versuche mal, das Gemenge etwas zu fraktionieren; ich bitte um Korrektur, wenn ich etwas falsch verstanden habe.
Es gibt Klassifikationsergebnisse (Buch x ist phantastisch nach Schema y) und es gibt Klassifikationsschemata (Regeln, wie man zu einem Klassifikationsgebniss kommt, kann auch eine "Bauchregel" sein).
Bei den Schemata kann man heuristische bzw. intuitive (z.B. Buchhändler, Fan) von abstrakten (z.B. Todorov) unterscheiden.

Jetzt kommt die Frage:
Ein abstraktes Klassifikationsschema nach dem Motto, laß' uns mal Merkmal x mit Merkmal y schneiden und schauen, was dabei herauskommt, macht doch keinen Sinn.

Es kommt eben immer darauf an, was ein Klassifikationsschema leisten soll resp. für welchen Zweck es gedacht ist. Um hier zwei extremere Beispiele zu nennen: Für einen Buchhändler kann es wichtig sein, Hard- und Softcover zu trennen, und ein Büchersammler wird nach Erst- und Folgeausgaben unterscheiden. Das sind im Grunde sehr abstrakte Kriterien, die über den Inhalt der jeweiligen Bücher überhaupt nichts aussagen, die aber beide ihre Berechtigung haben (ein Freund von mir hat seine Bücher eine Zeit lang nach Farben im Regal sortiert ...).

Ein abstraktes Klassifikationsschema kreiert man doch, um einem nicht verfügbaren heuristischen Schema auf den Grund zu gehen; d.h. man versucht ein Schema zu finden, das im Ergebniss möglichst gut mit dem Ergebniss des heuristischen Schemas übereinstimmt.
Oder sehe ich das falsch?

Grundsätzlich ja, und Todorov würde wohl auch sagen, dass er genau das macht: Er versucht, das abstrakte Kriterium herauszufiltern, das die fantastischen Texte, die er untersucht, auszeichnet (und das sind Texte, die in der französischen Tradition tatsächlich unter 'fantastique' laufen, nur deckt sich diese Bezeichnung nicht mit dem deutschen 'Phantastik' und erst recht nicht mit englischen 'fantastic' oder 'fantasy'). Damit sind wir aber schon beim nächsten Problem: Der Wahl des Korpus. Du musst ja von einer Menge von Texten ausgehen, die Du untersuchen willst, nur woher nimmst Du die? Wenn ich mich mal kurz selber zitieren darf:

Dieses Vorgehen birgt ein grundsätzliches Problem, da jede Korpusauswahl bereits nach bestimmten, wenn auch oft unbewussten Kriterien erfolgt. Letztlich besteht die Gefahr des Zirkelschlusses, bei dem am Ende nur aufgedeckt werden kann, anhand welcher - mehr oder weniger bewusster - Leitlinien das Untersuchungskorpus zusammengestellt wurde.

Wenn Du also hingehen willst, um das abstrakte Kriterium zu finden, das phantastische Texte auszeichnet, hast Du ein ganz grundsätzliches Problem: Du musst nämlich bereits eine Vorauswahl treffen, welche Texte Du überhaupt untersuchst und anhand welcher Kriterien das geschehen soll. Ist Phantastik das, was Du spontan für 'Phantastik' hältst, oder das, was als 'Phantastik' verkauft wird und/oder wurde? Gerade bei einem Begriff wie 'Phantastik' ist diese Frage besonders schwierig, weil hier kein Konsens herrscht, was was alles in das Korpus gehört (das ist bei SF anders; hier herrscht doch weitgehend Einigkeit, welche Texte/Filme SF sind).

Vladimir Propp hat beispielsweise 1928 eine berühmte Untersuchung zum (russischen) Volksmärchen veröffentlicht, in der er zeigt, dass Volksmärchen alle nach dem gleichen, sehr gut abstrahierbaren Muster aufgebaut sind (inkl. Formel und alles). Er hat dies auf der Basis einer Sammlung von Märchen gemacht, die bereits jemand vor ihm zusammengestellt hat und die für die Forschung damals als Referenz galt. Einerseits war er damit fein raus - das Korpus wurde ja nicht von ihm zusammengestellt -, gleichzeitig kann man natürlich einwenden, dass bei einer anderen Auswahl von Märchen was ganz anderes hätte rauskommen können.

EDIT2: Todorov hat sein Buch zur Hochzeit des Strukturalismus geschrieben, als man meinte, man müsse mit quasi-naturwissenschaftlichen Massstäben an die Literatur herantreten und sie mittels "objektiver" Kriterien vermessen. Heute würde man insgesamt eher dazu tendieren, die Sache historisch anzugehen resp. einen gemischten Ansatz zu verwenden (das ist das, was ich letztlich mache). Generell tendiert man bei Gattungsfragen heute eher zu 'weichen' Kriterien; man geht nicht mehr von scharfen Grenzen aus (die es in der Realität ohnehin nicht gibt), sondern geht oft von Ähnlichkeitsbeziehungen und einem Prototypenansatz aus (es gibt gewisse prototypische Vertreter, die gewissermassen den harten Kern bilden, und darum herum diverse nicht so reine Vertreter, die gewisse Eigenschaften der Prototypen aufweisen).


EDIT: Du hast beim Klassiker der SF-Forschung, Darko Suvins Poetik der Science Fiction genau das gleiche Problem. Suvin geht von einer sehr engen, normativen Definition aus und schliesst damit ein Grossteil der Texte, die normalerweise als SF bezeichnet werden, aus. Er thematisiert dies auch ausdrücklich und sagt, dass das, was er unter SF versteht, nicht deckungsgleich mit dem ist, das SF verkauft wird, was freilich die Frage aufwirft, was er eigentlich beschreibt.

Bearbeitet von simifilm, 14 August 2007 - 19:20.

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#100 Konrad

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Geschrieben 19 August 2007 - 11:53

Grundsätzlich ja, und Todorov würde wohl auch sagen, dass er genau das macht: Er versucht, das abstrakte Kriterium herauszufiltern, das die fantastischen Texte, die er untersucht, auszeichnet (und das sind Texte, die in der französischen Tradition tatsächlich unter 'fantastique' laufen, nur deckt sich diese Bezeichnung nicht mit dem deutschen 'Phantastik' und erst recht nicht mit englischen 'fantastic' oder 'fantasy'). Damit sind wir aber schon beim nächsten Problem: Der Wahl des Korpus. Du musst ja von einer Menge von Texten ausgehen, die Du untersuchen willst, nur woher nimmst Du die?

Hm, ich finde schon den grundsätzlichen Ansatz sehr gewagt, denn er möchte ja im Grunde Bestandteile der Schemata miteinander vergleichen. Einmal angenommen, die Klassifikationsschemata wären klassische binäre Funktionen, dann versucht Todorov aus der Ergebnisgleichheit von zwei Funktionen auf die Ähnlichkeit von Termen zu schließen. Dies wäre allein schon deshalb so nicht möglich, weil es zwei verschiedene Grundformen von binären Funktionen gibt, die disjunktive und die konjunktive Normalform (mal abgesehen von den Mischformen). Bildlich gesprochen unterscheiden sich die beiden Formen dadurch, ob die Zielmenge als Vereinigungsmenge von Schnittmengen, oder als Schnittmenge von Vereinigungsmengen konstruiert wird. Um überhaupt auf Termebene Vergleiche anstellen zu können, müßten beide Funktionen mindestens von der gleichen Grundform sein.

#101 simifilm

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Geschrieben 19 August 2007 - 12:08

Hm, ich finde schon den grundsätzlichen Ansatz sehr gewagt, denn er möchte ja im Grunde Bestandteile der Schemata miteinander vergleichen.

Ich hab mal wieder Verstädnisschwierigkeiten und muss zugeben, dass ich Deine Analogie nicht recht nachvollziehen kann. Welche "Bestandteile von Schemata" sind hier gemeint, die hier miteinander verglichen werden sollen.

Einmal angenommen, die Klassifikationsschemata wären klassische binäre Funktionen, dann versucht Todorov aus der Ergebnisgleichheit von zwei Funktionen auf die Ähnlichkeit von Termen zu schließen. Dies wäre allein schon deshalb so nicht möglich, weil es zwei verschiedene Grundformen von binären Funktionen gibt, die disjunktive und die konjunktive Normalform (mal abgesehen von den Mischformen). Bildlich gesprochen unterscheiden sich die beiden Formen dadurch, ob die Zielmenge als Vereinigungsmenge von Schnittmengen, oder als Schnittmenge von Vereinigungsmengen konstruiert wird. Um überhaupt auf Termebene Vergleiche anstellen zu können, müßten beide Funktionen mindestens von der gleichen Grundform sein.

Wenn ich Dich recht verstehe, dann ist diese Analogie so falsch, weil der Begriff der 'Ergebnisgleichheit' so nicht übertragen werden kann. Denn das Ergebnis ist ja nicht einfach eine Zahl wie bei einer, sondern die Struktur des Textes, die als solche nicht hinter dem "Ergebnis" verschwindet, sondern die ja stets sichtbar bleibt.

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#102 Konrad

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Geschrieben 19 August 2007 - 12:32

Ich hab mal wieder Verstädnisschwierigkeiten und muss zugeben, dass ich Deine Analogie nicht recht nachvollziehen kann. Welche "Bestandteile von Schemata" sind hier gemeint, die hier miteinander verglichen werden sollen.

Bestandteile einer Klassifikationsfunktion sind Merkmalsprädikate und über diesen Weg soll ja auf die signifikanten Merkmale des Begriffs geschlossen werden.

Wenn ich Dich recht verstehe, dann ist diese Analogie so falsch, weil der Begriff der 'Ergebnisgleichheit' so nicht übertragen werden kann. Denn das Ergebnis ist ja nicht einfach eine Zahl wie bei einer, sondern die Struktur des Textes, die als solche nicht hinter dem "Ergebnis" verschwindet, sondern die ja stets sichtbar bleibt.

Ja, in etwa. Bei der Klassifikation entsteht ein Informationsverlust, der sich nicht rekonstruieren läßt.

#103 simifilm

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Geschrieben 19 August 2007 - 13:19

Bestandteile einer Klassifikationsfunktion sind Merkmalsprädikate und über diesen Weg soll ja auf die signifikanten Merkmale des Begriffs geschlossen werden.

Wenn ich Dich recht verstehe, sprichst Du hier - wenn auch wohl nicht absichtlich - tatsächlich eines der wesentlichen Probleme des Strukturalismus an: Der Weg, über den man zu den signifikanten Parametern kommt. Denn bei aller 'harter' Wissenschaftsrhetorik ist es auch beim Strukturalismus am Ende die Intuition des Wissenschaftlers, die es ihm ermöglicht, die entscheidenden Merkmale zu finden. Es gibt kein Experiment und keinen Beweis, der es ermöglicht, zu bestimmen, was die signifkanten Merkmale eines Textes sind. Der Weg vom Korpus zur abstrakten Definition geht also immer über die Intuition zur Abstraktion.

Ja, in etwa. Bei der Klassifikation entsteht ein Informationsverlust, der sich nicht rekonstruieren läßt.

Aber eben, diese Analogie scheint mir nicht adäquat, da 'Ergebnisgleichheit' in der Mathematik und in der Literatur zwei sehr unterschiedliche Dinge sind (sofern der Begriff überhaupt auf die Literatur angewendet werden kann). Bei einer Zahl sehe ich tatsächlich nicht mehr dahinter, bei einer Erzählung steht dagegen am Schluss nicht einfach ein Ergebnis 'Phantastik', hinter das ich nicht mehr zurückgehen kann, sondern der Text muss also solcher ja immer verfügbar sein. Der Text ist das Ergebnis.

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#104 Konrad

Konrad

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Geschrieben 19 August 2007 - 13:40

Wenn ich Dich recht verstehe, sprichst Du hier - wenn auch wohl nicht absichtlich - tatsächlich eines der wesentlichen Probleme des Strukturalismus an: Der Weg, über den man zu den signifikanten Parametern kommt. Denn bei aller 'harter' Wissenschaftsrhetorik ist es auch beim Strukturalismus am Ende die Intuition des Wissenschaftlers, die es ihm ermöglicht, die entscheidenden Merkmale zu finden. Es gibt kein Experiment und keinen Beweis, der es ermöglicht, zu bestimmen, was die signifkanten Merkmale eines Textes sind. Der Weg vom Korpus zur abstrakten Definition geht also immer über die Intuition zur Abstraktion.

Ich weiß nicht, von was für einer Intuition du da sprichst. Die Behauptung, ein Klassifikationsschema von zwei Schemata, die dieselben Klassifikationsergebnisse liefern, hätte "signifikantere Merkmale" als das andere Klassifikationsschema, hat für mich einen Hauch von Phantastik. :P

Aber eben, diese Analogie scheint mir nicht adäquat, da 'Ergebnisgleichheit' in der Mathematik und in der Literatur zwei sehr unterschiedliche Dinge sind (sofern der Begriff überhaupt auf die Literatur angewendet werden kann). Bei einer Zahl sehe ich tatsächlich nicht mehr dahinter, bei einer Erzählung steht dagegen am Schluss nicht einfach ein Ergebnis 'Phantastik', hinter das ich nicht mehr zurückgehen kann, sondern der Text muss also solcher ja immer verfügbar sein. Der Text ist das Ergebnis.

Also dann habe ich deine Argumentation nicht verstanden. Was ist denn das Klassifikationsergebnis anderes als eine binäre Zahl ?

#105 simifilm

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Geschrieben 19 August 2007 - 13:52

Ich weiß nicht, von was für einer Intuition du da sprichst. Die Behauptung, ein Klassifikationsschema von zwei Schemata, die dieselben Klassifikationsergebnisse liefern, hätte "signifikantere Merkmale" als das andere Klassifikationsschema, hat für mich einen Hauch von Phantastik. :P Also dann habe ich deine Argumentation nicht verstanden. Was ist denn das Klassifikationsergebnis anderes als eine binäre Zahl ?

Hier scheinen zwei sehr unterschiedliche Welten aufeinanderzutreffen, denn ich habe wirklich Mühe nachzuvollziehen, auf was Du hinauswillst. Wenn ich Dich recht verstehe, stetzt Du das Ergebnis einer mathematischen Funktion mit einem Klassifikationsschema in der Literatur gleich. Während beim einen Fall 1 oder 0 rauskommt, kommt beim anderen 'Phantastik' oder 'Nicht-Phantastik' raus. Habe ich das soweit richtig verstanden?

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#106 Konrad

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Geschrieben 19 August 2007 - 14:06

Hier scheinen zwei sehr unterschiedliche Welten aufeinanderzutreffen, denn ich habe wirklich Mühe nachzuvollziehen, auf was Du hinauswillst. Wenn ich Dich recht verstehe, stetzt Du das Ergebnis einer mathematischen Funktion mit einem Klassifikationsschema in der Literatur gleich. Während beim einen Fall 1 oder 0 rauskommt, kommt beim anderen 'Phantastik' oder 'Nicht-Phantastik' raus. Habe ich das soweit richtig verstanden?

Ja, was ist daran so ungewöhnlich? Eine Klassifikation ist eine auf Merkmalsprädikaten basierende binäre Funktion. Der zu klassifizierende Text ist ein aktueller Parameter der Funktion. Das Ergebnis lautet: Ja, gehört zur Klasse, oder nein, gehört nicht zur Klasse.

Bearbeitet von Konrad, 19 August 2007 - 14:07.


#107 simifilm

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Geschrieben 19 August 2007 - 14:20

Ja, was ist daran so ungewöhnlich? Eine Klassifikation ist eine auf Merkmalsprädikaten basierende binäre Funktion. Der zu klassifizierende Text ist ein aktueller Parameter der Funktion. Das Ergebnis lautet: Ja, gehört zur Klasse, oder nein, gehört nicht zur Klasse.

Ja, aber das "Ergebnis" 'Phantastik' ist ja kein Wert an sich, sondern benennt lediglich die Struktur(en)/Parameter, die den zugrundeliegenden Texten gemeinsam sind (sein sollen?). Die könntest Du auch 'Schokolade' oder 'Wurstsalat' nennen. Insofern ist die Vorstellung eines 'Ergebniswertes' falsch. Das Ergebnis ist nicht 'Phantastik'. Wenn überhaupt dann lässt sich dieser Begriff nur auf die abstrakten Merkmale übertragen, die dann unter 'Phantastik' laufen, und die sind ja jederzeit vorhanden und überprüfbar. Um bei Todorov anzuknüpfen: Das Ergebnis seines Modells ist nicht 'Phantastik', sondern "Phantastik ist Unschlüssigkeit zwischen Wunderbarem und Unheimlichem". Du kannst dieser Einschätzung widersprechen, Du kannst der Ansicht sein, dass dieses Merkmal nicht relevant ist, aber Du kannst jederzeit überprüfen, ob dieses Kriterium auf die zugrunde liegenden Texte zutrifft oder nicht. (Deine Analogie ist übrigens schon deshalb nur mässig brauchbar, weil Du bei Gattungseinteilungen immer auf unzählige Fälle stossen wirst, die sich eben nicht eindeutig zuteilen lassen, die Mischformen sind. Dieses Problem hat Todorov zwar auch - insofern solltest Du Dich eigentlich gut mit ihm verstehen -, aber es sollte deutlich machen, warum ein derart rigider Ja/Nein-Ansatz wenig bringt. Und damit sind wir beim Problem Deiner Prämisse: Eine Klassifikation muss keineswegs immer binär sein; wenn Du mit Literatur oder anderen Kunstwerken operierst, bringt ein solcher Ansatz einen Haufen Probleme, die Du mit weicheren Ansätzen nicht hast).

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#108 Konrad

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Geschrieben 19 August 2007 - 15:34

Ja, aber das "Ergebnis" 'Phantastik' ist ja kein Wert an sich, sondern benennt lediglich die Struktur(en)/Parameter, die den zugrundeliegenden Texten gemeinsam sind (sein sollen?). Die könntest Du auch 'Schokolade' oder 'Wurstsalat' nennen. Insofern ist die Vorstellung eines 'Ergebniswertes' falsch. Das Ergebnis ist nicht 'Phantastik'. Wenn überhaupt dann lässt sich dieser Begriff nur auf die abstrakten Merkmale übertragen, die dann unter 'Phantastik' laufen, und die sind ja jederzeit vorhanden und überprüfbar.

Tut mir leid, ich habe keine Ahnung, auf welches Problem du hinaus willst.
Eine Klassifikationsfunktion liefert ja nicht nur ein Ergebnis, sondern sie liefert für jeden einzelnen untersuchbaren Text des Definitionsbereichs ein individuelles Ergebnis; die Menge aller dieser Paare macht die Klassifikationsfunktion aus.
Wie du die Funktion nennst, spielt insofern eine Rolle, als man damit eine Übereinstimmung mit einer existierenden Klassifikation ausdrücken will, und das will ja z.B. Todorov.

Um bei Todorov anzuknüpfen: Das Ergebnis seines Modells ist nicht 'Phantastik', sondern "Phantastik ist Unschlüssigkeit zwischen Wunderbarem und Unheimlichem". Du kannst dieser Einschätzung widersprechen, Du kannst der Ansicht sein, dass dieses Merkmal nicht relevant ist, aber Du kannst jederzeit überprüfen, ob dieses Kriterium auf die zugrunde liegenden Texte zutrifft oder nicht.

Also hier verwechselst du eindeutig das Ergebnis der "Modelbildung" bzw. Funktionsbildung mit dem Ergebnis des "Modells" bzw. Funktion.
Natürlich besteht die Arbeit aus der Auswahl der Merkmalsprädikate und ihrer Verknüpfung miteinander, aber die so erzeugte Funktion taugt nur dann etwas, wenn jedes einzelne Klassifikationsergebnis der Funktion mit der Vorgabe übereinstimmt.

#109 simifilm

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Geschrieben 19 August 2007 - 15:41

Tut mir leid, ich habe keine Ahnung, auf welches Problem du hinaus willst.
Eine Klassifikationsfunktion liefert ja nicht nur ein Ergebnis, sondern sie liefert für jeden einzelnen untersuchbaren Text des Definitionsbereichs ein individuelles Ergebnis; die Menge aller dieser Paare macht die Klassifikationsfunktion aus.
Wie du die Funktion nennst, spielt insofern eine Rolle, als man damit eine Übereinstimmung mit einer existierenden Klassifikation ausdrücken will, und das will ja z.B. Todorov.
Also hier verwechselst du eindeutig das Ergebnis der "Modelbildung" bzw. Funktionsbildung mit dem Ergebnis des "Modells" bzw. Funktion.
Natürlich besteht die Arbeit aus der Auswahl der Merkmalsprädikate und ihrer Verknüpfung miteinander, aber die so erzeugte Funktion taugt nur dann etwas, wenn jedes einzelne Klassifikationsergebnis der Funktion mit der Vorgabe übereinstimmt.


Ok, ich gebe zu, ich versteh Dich nicht oder zumindest immer weniger. Kannst Du bitte noch einmal ausführlicher erläutern, auf was Du eigentlich hinauswillst?

EDIT: Ok, nach mehrmaligem Wiederlesen glaube ich zu verstehen, auf was Du hinauswillst.

Verstehe ich das richtig, dass Dein Gedankengang ungefähr wie folgt war:

Es gibt eine Gruppe von Texten, die unter 'Phantastik' laufen, weil sie gemäss einem bestimmten Klassifikationsschema so eingeteilt wurden. Nun kommt Todorov und entwickelt ein eigenes Klassifikatonsschema, das die gleiche Gruppe umfassen soll. Und Deine Kritik wäre, dass nur weil die beiden Klassifikationschemen die gleichen Gruppen umfassen, sie noch lange nicht identisch bzw. richtig sind. Ungefähr so?

Bearbeitet von simifilm, 19 August 2007 - 15:51.

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#110 Konrad

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Geschrieben 19 August 2007 - 16:18

Ja, fast.Ich finde Aussagen über die "Richtigkeit" einzelner gewählter Merkmale sehr gewagt, insbesondere wenn man zwei abstrakte Klassifikationsschemata auf der Ebene der Merkmale miteinander vergleicht.

#111 simifilm

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Geschrieben 19 August 2007 - 16:57

Ja, fast.
Ich finde Aussagen über die "Richtigkeit" einzelner gewählter Merkmale sehr gewagt, insbesondere wenn man zwei abstrakte Klassifikationsschemata auf der Ebene der Merkmale miteinander vergleicht.


Ok, da ich Dich nun zu verstanden haben scheine, hier meine etwas ausführlichere Antwort:

Du gehst davon aus, dass es ein altes/ursprüngliches Klassifikationsschema gibt, und das ist bereits ein Irrtum, denn ein solches gibt es nicht. Zumindest nicht ein in irgendwelcher Form verbindliches. Woher soll es das auch geben, wer hat es festgelegt? Wenn es ein solches Schema geben würde, dann müssten wir ja gar nicht diskutieren. Dann könnten wir das einfach übernehmen und fertig. Der Witz ist aber gerade - und das habe ich mehrfach zu erklären versucht -, dass Gattungsbezeichnungen nie fest sind, dass sie sich historisch verändern. Und selbst wenn es zwischendurch immer wieder Versuche geben mag, eine verbindliche Definition zu entwickeln, so sind die eigentlich immer zum Scheitern verurteilt, weil sich der Sprachgebrauch eben ändert, weil es keine Gattungspolizei gibt, die dafür sorgt, dass alle immer dasselbe unter 'Phantastik' verstehen.

Irgendwann hat jemand zum ersten Mal im Zusammenhang mit deutschsprachiger Literatur - genauer gesagt mit Hoffmann - von 'Phantastik' gesprochen. Das wird damals kaum eine präzise Definition gewesen sein. Andere haben den Begriff übernommen und auf andere Texte angewandt, die ihnen ähnlich erschienen. Ein Kritiker benutzt den Begriff für ein Werk, ein anderer für ein anderes, Bücher werden unter dem Begriff 'Phantastik' verkauft, Schriftsteller orientieren sich an bereits Veröffentlichtem und übernehmen gewisse Dinge und so weiter. Der Begriff breitet sich aus und wird auf einmal von ganz verschiedenen Menschen für eine ganze Reihe unterschiedlicher Texte verwendet (die vielleicht gar keine Gemeinsamkeit mehr haben). Und plötzlich hat der ursprünglich aus dem Französischen importierte Begriff eine andere Bedeutung als in der Ursprungssprache. Hier war kein irgendwie geartetes Klassifikationsschema am Werk, sondern einfach Menschen, die gewisse Ähnlichkeiten/Gemeinsamkeiten wahrnahmen und den Begriff deshalb verwendeten. Vielleicht hat ein Buchhändler oder Verlag den Begriff auch nur benutzt, weil er bei der Kundschaft zieht. Vielleicht sieht jemand auch Gemeinsamkeiten in Texten, die sonst niemand sieht. Je nach Lesergruppe kann der Begriff auch unterschiedliche Bedeutungen annehmen, andere Assoziationen auslösen.

Wir haben es in diesem Fall eben nicht mit einem irgendwie festen oder klar definierten Klassifikationsschema zu tun, sondern mit einem Begriff, der sich im Gebrauch verändert. Das meine ich, wenn ich sage, dass Gattungen 'pragmatische/historische' Kategorien sind.

Nun ist es - unter anderem - die Aufgabe des Wissenschaftlers, Gattungen genauer zu untersuchen, und zu diesem Zweck muss er sie ja irgendwie fassen; er muss eine handhabbare Definition entwickeln, mit der er arbeiten kann, er muss all die Texte möglichst auf einen gemeinsamen Nenner bringen, wenn er allgemeinere Aussagen machen will. Und damit sind wir eben beim bereits angesprochenen Korpusproblem: Von welcher Anfangsmenge gehe ich überhaupt aus? Welche Texte berücksichtige ich beim Entwickeln meiner Definition? Bei einem Begriff wie 'Phantastik' ist das - zumindest im deutschen Sprachraum - eben verflixt schwierig, weil er von jeher durch Wildwuchs geprägt war. Nehme ich alle Texte, die überhaupt je von irgendwem als 'phantastisch' bezeichnet wurden? Das wird schwierig. Ich werde eine repräsentative Auswahl treffen muss, bloss: wie tu ich das?

Wenn wir ein Textkorpus beieinander haben, kommen wir schon zum nächsten Problem: Wie soll eine brauchbare Definition aussehen? Geht sie nach Motiven und Themen vor, nach stilistischen oder nach strukturellen Gemeinsamkeiten? Als Strukturalist geht Todorov davon aus, dass sich eine Gattung auf ein Strukturmerkmal - möglichst auf eine binäre Opposition - reduzieren lässt; das ist die Grundannahme seiner Arbeit. Aber das dem so sein muss, ist keineswegs gesagt. Vielleicht haben all die Texte, die irgendwann mal als 'phantastisch' bezeichnet wurden, gar keine Gemeinsamkeit. Vielleicht kann ich nur bestimmte Untergruppen ausmachen, die wirklich gleich aufgebaut sind. Vielleicht muss ich mit einem ganzen Bündel von Eigenschaften operieren, die auftreten können. Vielleicht muss ich auch historisch unterscheiden: Möglicherweise wird unter 'Phantastik' 1900 etwas Anderes verstanden als 1950, möglicherweise - eigentlich sicher - variiert das auch, wenn ich unterschiedliche Leute frage. Das Problem bei Todorov ist nicht, dass er eine 'neue' Klassifikation entwickelt, denn eine alte verbindliche gibt es ja nicht. Sein Problem ist, dass er überhaupt davon ausgeht, dass sich das, was als 'fantastique' verstanden wird, auf ein strukturelles Element reduzieren lässt, resp. dass er eben nur von einer kleinen Anzahl Texten ausgeht, bei denen das auch möglich ist. Und damit sind wir wieder beim Problem der Textauswahl.

Langer Rede kurzer Sinn: Gattungsbezeichnungen sind historisch wandelbar und nie fest, und wenn Du versuchst, eine Gattung ein für allemal scharf zu definieren, handelst Du Dir einen Haufen Probleme ein.

Bearbeitet von simifilm, 19 August 2007 - 22:10.

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#112 Konrad

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Geschrieben 19 August 2007 - 22:16

Du konstruierst hier einen Dissens, den wir überhaupt nicht haben.Mir ging es nicht um eine allgemeingültige Definition, sondern lediglich um Todorovs Definitions- und Argumentationsmechanismus.Sicherlich gibt es einen zeitlichen Wandel und auch regionale und benutzerabhängige Unterschiede des Begriffs Phantastik.Trotzdem hat Todorov schließlich den Textkorpus festgelegt, den er betrachen wollte, denn sonst hätte er ja keine Basis für seine Untersuchungen gehabt. Wobei dieser Textkorpus wohl auch nicht-phantastische Texte umfasst haben muß, denn schließlich muß die Klassifikation auch bei diesen Texten stimmen.Natürlich gibt es zu diesem Textkorpus kein konkretes Schema, sondern so etwas wie ein "verdecktes" Schema, ein statistisches Phänomen, das man als fiktiven Erzeuger der existierenden Klassifikationswerte (phantastisch, nicht-phantastisch) betrachten kann.Todorovs Ansatz besteht ja nun darin (wie du mir in diesem Thread schon bestätigt hast), ein abstraktes Klassifikationsschema zu finden, das bei den Texten des Textkorpus gleiche Klassifikationsergebnisse liefert.Soweit ist ja noch alles in Ordnung, wenn man lediglich sagt, man habe eine äquivalente Klassifikationsfunktion gefunden.Wo ich nur meine Bedenken geäußert habe, ist der Schluß, die Merkmale des intuitiv gefundenen abstrakten Schemas wären identisch mit den Merkmalen des "verdeckten" Schemas.Auch wenn ein anderer Wissenschaftler denselben Textkorpus verwendet hätte, und zu einem anderen Klassifikationsschema (natürlich mit den selben Klassifikationsergebnissen) gekommen wäre, ist es absolut müßig, diese beiden Schemata auf der Merkmalsebene miteinander vergleichen zu wollen.

#113 molosovsky

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Geschrieben 20 August 2007 - 01:16

Der Teufel steckt im Detail, grad bei Textinterpretationen.
Ich erlaube mir also mal Eure abstrakten Ausführungen entsprechend zu ergänzen.

Wenn man Todorovs "Einführung..." im Detail liest, ergeben sich arge Interpretationsprobleme. Zumindest bei mir. Ich kann z.B. gleich mal sein erstes prominentes Beispiel, Caszottes "Der verliebte Teufel" nicht als eindeutig "phantastisch" im Todorov'schen Sinne anerkennen. Die Teufelsbeschwörung läßt, für mich, keinen Zweifel daran, daß eine kamelartige Teufelserscheinung aus seinem sechszehn Fuß lagnen Hals ein weißes Löwenhündchen ausspeit. Der Hund spricht dann, und statt seiner steht dann der junge Page plötzlich am Ort der Teufelsbeschwörung.
Für mich bleibt da keine große Unschlüssigkeit. Kamel speit Hund aus, Hund verwandelt sich in Pagen, Page ist eigentlich ein junges Mädel, Mädel ist eigentlich eine Sylphe, ist eigentlich der Teufel.
Todorov geht auf diese Szenen aus den ersten Beiden Cazotte-Kapiteln gar nicht ein, sondern greift sich Beispiele aus dem späteren Verlauf der Novelle um seinen Phantastik-Begriff-Ansatz anhand dieses Textes zu rechtfertigen.
Soweit ich das grad seh, nutzt T. nur Stellen aus Cazottes Novelle für seine These, die für T.s These passen. Wenn ich da aber z.B. den sehr klugen Spruch aus "The Ususal Suspecs" heranziehe: The greatest trick the devil ever pulled was to convince people that he doesn't exist, dann steht, was diese Novelle und T. herangezogenen Stellen angeht, sein Ph-Begriff auf imho sehr wackeligen Füßen.

(Nebenbei: Cazottes "Der verliebte Teufel" ist Band 6 der Bibliothek von Babel.)

Freilich kann man diese Teufelsbeschwörung und die damit zusammenhängenden Okkult-Fuzzis unter anderem auch als Metapher lesen, z.B. für Mädchenhandel. Aber ausdrücklich nahegelgt wird diese Lesart nicht. Bye bey Todorov-PH-Begriff trau ich mich da winken. -- Für mich ein klarer Fall von: was der Denker denkt, wird der Beweisführer schon irgendwie beweisen. Oder frei nach Chruchill: Traue nur einer Textinterpration, die Du selbst zurechtgedengelt hast.

Grüße
Alex / molo

Bearbeitet von molosovsky, 20 August 2007 - 01:29.

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#114 molosovsky

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Geschrieben 20 August 2007 - 03:03

Weiterer Nachteulenbeitrag.
Wieder weg vom Detail hin zu meinem Großphantastik-Ansatz. Auf die Gefahr hin, wieder genauso zu schwurbeln wie bisher (kann nur vorauseilend Simi wegen etwaiger Verwirrungen um Gnade bitten). Grad hab ich T. Essay nochmal überflogen, besonders das letzte Kapitel. Darin kommt T. zu dem Schluß, daß im gegensatz zur "fantastischen" Literatur des 18/19. Jhd. im 20. Jhd mit der psychoanalytischen Wende die "Fantastik" überflüssig wurde, weil sie durch die Weltsicht der Psychoanalyse ersetzt wird. Anhand von Kafka, Satre und anderen Beispielen die mit Zensur und Selbstzensur und Tabus zu tun haben. T. beschränkt dabei seine Auslegung und Assoziationen z.B. des phantantischen Motivs des Vampirs ganz auf sogenannte Ich-Themen wie Nekrophilie und ungezügelte Sexualität, Wahnsinn und Drogenrausch. Dass der Vampir aber auch eine Metapher für simples (kapitalistisches, emotionelles) Ausbeutertum sein kann, kommt ihm nie.

Das Resumme von T. geht zwar darauf ein, daß die "fantastische" Literatur nun die Widersprüche von Alltagssprache und literarischer Sprache thematisiert und zu Nutze macht; und T. führt in Beispielen an, daß Kafka (mittels Erzählung) und Satre (mittels Essay) feststellen, daß die moderne "Fantastik" des 20. Jhds. eben den Menschen selbst, die Realität als DAS "Fantastische" darstellt. So wie ich das lese, traut er sich aber nicht klipp und klar auszubreiten, daß eben die subjektiv-individuelle Auffassung und Erfahrung der Realität nicht deckungsgleich ist mit der objektiven Welt der Tatsachen, die der Fall sind. T. macht zwar aufmerksam auf das "Als ob", daß sowohl in allen Literaturen wie im Alltag anzufinden ist, aber er klammert die heiklen Unterschiede an Wirklichkeitsauffassungen, die bei "Hinter den Kulissen" und "Vor den Kulissen"-Erfahrungen gemacht werden können, aus.

Mein Beispiel: Für Okkultisten und Esoteriker mag sich der Ausdruck "die schwarze Kunst" auf Teufelsbeschwörung, Verfluchung und dergleichen beziehen; aber Geheimdienstler ist damit Folter- und Gehirnwaschkunst gemeint (siehe z.B. "The Good Shepard"). Wenn dieses Beispiel -- weil aus einer Fiktion -- zu schwammig ist: wenn ein Mafioso von davon spricht "jemanden in den Ruhestand zu schicken" meint er womögich was ganz anderes, als ein Firmenchef. Die Problematik der Codierung und Entschlüssung von Sprache thematisiert T. kaum, obwohl er immerwieder vage von den mehrdeutigen Eigenheiten seiner "Fantastik" spricht.

Dieses Codieren und Entschlüsseln von Sprache ist auch der Grund, washalb bei Deutungsstreit der Ausspruch "das kann man SO nicht sagen" so bedeutend ist. Des einen Freiheitskämpfer ist des anderen Terrorist. Wir leben immerhin nicht mehr im Industrie-Zeitlalter (also dem Zeitalter des Ringens um Energie-Ressourcen), sondern im Informationszeitalter (also dem Zeitalter der der heißen, globalen Phase des Ideenkriegs um das Sein, auch Infowar genannt).

Ich selber finde, daß mein Versuchsbegriff "Großphantastik" oder auch "Großraumphantastik" z.B. ganz vorzüglich folgendermaßen beschrieben werden kann:

Mächtige, höchst effektive Bewusstseinstechnologien kennen wir schon -- adaptive Realitätsmodelle, die sich durch ganze Populationen propagieren und soziales Mikroverhalten durch eine Makrodynamik versklaven: Ideologien, den Glauben, metaphysische Placebos aller Art. Der Faschismus hatte den Charakter einer religiösen Erweckungsbewegung, auch den Stalinismus kann man als politische Religion verstehen.

Quelle
Wobei es also bei Großphantastik geht, sind umfassende Rahmungen des Wirklichkeitsverständnisses und der Bewußtseinstechnologie (Bewußtseinsformatierung und -programmierung). Ich stimme Simi zu und achte also auf seine Mahnung, daß mein schlampiges Gebrauchen von lediglich "Phantastik" hier unheilvolle Verwirrung stiftet. Also lieber noch mal zur Sicherheit noch mal grob:
Phantastik = üblicherweise die Trias der Horror-, SF-, Fantasy-Literaturen (bzw. Medien)
Groß(raum)phantastik = Ideologien, Religionen, von verschieden großen Gemeinschaften geteilte tradierte Sprach- und Verständnis-Konventionen.

Todorov kommt mir in seinem letzten Kapitel eigentlich ziemlich entgegen, wenn er nicht so verschwurbelt zaghaft wäre. Aber immerhin stellt er fest, daß Literatur (nicht nur "Fantastik" in seinem Sinne) mittels des Unmöglichen über Mögliches spricht. Das kommt meiner Auffassung nahe, daß erzählende und darstellende Fiktionen eben den Möglichkeitssinn bedienen. Das kann "erkenntnisfördernd" und "erkenntnisverschleiernd" geschehen, und ich will nicht in die von Simi so schön aufgezeigte Falle laufen, hier en Detail darzustellen, was das eine, was das andere ist. Siehe idelogische Genre- und Medien-Analyse, die eben immer vom eigenen Verständis abhängt, wie sich "die Welt der tatsächlichen Fakten" und "Großraumphantastik" zueinander verhalten.

Nur andeuten will ich abschließend, daß die ganze Kiste u.a. deshalb so irre komplex ist, weil großphantastische Ideen und Anschauungen insofern "tatsächliche Fakten" sind, weil Menschen als Einzelne und Gruppen an sie glauben, bzw. als Prämissen setzten. Für mich als "Bright" heißt das also z.B.: GOtt ist ein leerer, nichtsbezeichnender Begriff in Bezug auf die objektive Realität; ABER GOtt als Vorstellung ist sehr real. So real wie eben Gandalf oder die Ion Tichy. Das entspricht ganz dem Wahrheits-Privileg aller Fiktionen.

Wiegesagt: ich finde trotz aller persönlichen Verärgerung T. ganz anregend. Wer aber auf diesen veralteten Denken noch ernsthaft seine Schubladenspiele aufbaut, hinkt enorm hinterher. So in etwa verstehe ich auch Simis Kritik an entsprechenden Genre-Studien und gehe ganz d'accord mit seinem Hinweis, daß historisch-pragmatische Genre-Studien heutzutage weitaus fruchtbarere Ergebnisse liefern.

So. Mal schaun, wie sehr ich diesmal gegen die Wand meines Unverstandes gerannt bin.
Grüße
Alex / molo

P.S.: Dass hier keine Sonderzeichen mehr funktionieren, geht mir auf den Senkel. Deshalb auch wohl meine Vermehrte bearbeiterei meiner Beiträge, weil mir lange Gedankenstriche und franz. Anführungszeichen nun mal in den Fingern kribbeln. -- Ich kann mich aber wohl noch damit ohne zu Grummeln abfinden. Liebe Forums-Meister, nehmt Euch dieses P.S. also nicht arg zu Herzen und macht Euch keine Umstände. Jetzt ist mein Frust raus und damit ist's auch gut (für mich ... seufz).

Bearbeitet von molosovsky, 20 August 2007 - 03:22.

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#115 Gerd

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Geschrieben 20 August 2007 - 03:56

Ach, Alex, ich verstehe immer noch nicht, was an deiner Großraumphantastik jetzt phantastisch ist. :P Und ich habe ehrlich gesagt auch ein kleines Problem mit dem Begriff des Informationszeitalters, das mMn eher Desinformationszeitalter heißen müsste (oder meinetwegen auch Medienzeitalter), da es mittlerweile häufig schier unmöglich ist, die Quelle einer Information zu eruieren und auf ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen. Aber das wäre ein ganz anderes Fass, das ich eigentlich gar nicht aufmachen will (und das in der Diskussion um den Phantastik-Begriff nichts zu suchen hat).Ich lese eure Wortklaubereien (sorry, ist nicht ganz zutreffend) übrigens immer gerne, auch wenn mir manchmal / häufig nicht so ganz klar ist, worum ihr euch eigentlich streitet ... GrüßeGerd
Sudden moroseness. One hop too far.

#116 simifilm

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Geschrieben 20 August 2007 - 07:00

Ach, Alex, ich verstehe immer noch nicht, was an deiner Großraumphantastik jetzt phantastisch ist. :P

Geht mir genau gleich. Und ich möchte bezweifeln, dass ein unbescholtener Leser, der zufällig über Molos Blog stolpert und dort von "Großraumphantastik" und "Großphantastik-Zwist" liest, auch nur ansatzweise das versteht, was molo meint. Später mehr...

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#117 UdoTascher

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Geschrieben 20 August 2007 - 07:36

Weiterer Nachteulenbeitrag.
vorzüglich folgendermaßen beschrieben werden kann:

Quelle
Wobei es also bei Großphantastik geht, sind umfassende Rahmungen des Wirklichkeitsverständnisses und der Bewußtseinstechnologie (Bewußtseinsformatierung und -programmierung). Ich stimme Simi zu und achte also auf seine Mahnung, daß mein schlampiges Gebrauchen von lediglich "Phantastik" hier unheilvolle Verwirrung stiftet. Also lieber noch mal zur Sicherheit noch mal grob:
Phantastik = üblicherweise die Trias der Horror-, SF-, Fantasy-Literaturen (bzw. Medien)
Groß(raum)phantastik = Ideologien, Religionen, von verschieden großen Gemeinschaften geteilte tradierte Sprach- und Verständnis-Konventionen.

danke für die Ausführungen, lieber Molo. Eine technische Nachfrage vorweg:
...warum reservierst Du den "Großraum" für Nicht-Literarisches? müsste Deiner Definition nach Harry Potter u.a. aufgrund der Auflagezahlen und der großen Lesergemeinschaft nicht auch Großraumphantastik sein??

Abgesehen davon finde ich Deine Verwendung des Religionen- und Ideologien-Begriffs tatsächlich ziemlich schwierig. Totalitarismen mit Literatur zu vergleichen ist m.E. nämlich höchst abwegig. Wer mal in einer Gedenkstätte des NS-Terrors gewesen war, weiss spätestens dann, dass Faschismus wenig mit Phantastik zu tun hat. Letztlich bringt nämlich nicht irgendeine "tradierte Sprach- und Verständnis-Konvention" Menschen um, sondern es sind Menschen, die Menschen töten und darum individuell zur Verantwortung gezogen werden müssen. (Sorry, dass ich hier solche Gemeinplätze bemühe)... Totalitarismus (und Religionen wohl auch: B wie Beten bis E wie Exorzismus) haben also immer eine performative Dimension, die Du mit der Rede von Phantastik nicht erfassen wirst.

Sicher kann man Literatur / Literatur über Literatur mehr oder weniger sinnvoll ideologiekritisch oder religionskritisch betrachten. Literatur und Religion / Ideologien sind aber zwei Paar Schuhe, die Du vielleicht über Deinen Begriff von Phantastik verknoten kannst, aber laufen wirst Du so nicht können, denke ich ;-)
gruß

Bearbeitet von UdoTascher, 20 August 2007 - 07:37.


#118 simifilm

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Geschrieben 20 August 2007 - 07:41

Der Teufel steckt im Detail, grad bei Textinterpretationen.
Ich erlaube mir also mal Eure abstrakten Ausführungen entsprechend zu ergänzen.

Wenn man Todorovs "Einführung..." im Detail liest, ergeben sich arge Interpretationsprobleme. Zumindest bei mir. Ich kann z.B. gleich mal sein erstes prominentes Beispiel, Caszottes "Der verliebte Teufel" nicht als eindeutig "phantastisch" im Todorov'schen Sinne anerkennen. Die Teufelsbeschwörung läßt, für mich, keinen Zweifel daran, daß eine kamelartige Teufelserscheinung aus seinem sechszehn Fuß lagnen Hals ein weißes Löwenhündchen ausspeit. Der Hund spricht dann, und statt seiner steht dann der junge Page plötzlich am Ort der Teufelsbeschwörung.
Für mich bleibt da keine große Unschlüssigkeit. Kamel speit Hund aus, Hund verwandelt sich in Pagen, Page ist eigentlich ein junges Mädel, Mädel ist eigentlich eine Sylphe, ist eigentlich der Teufel.
Todorov geht auf diese Szenen aus den ersten Beiden Cazotte-Kapiteln gar nicht ein, sondern greift sich Beispiele aus dem späteren Verlauf der Novelle um seinen Phantastik-Begriff-Ansatz anhand dieses Textes zu rechtfertigen.
Soweit ich das grad seh, nutzt T. nur Stellen aus Cazottes Novelle für seine These, die für T.s These passen. Wenn ich da aber z.B. den sehr klugen Spruch aus "The Ususal Suspecs" heranziehe: The greatest trick the devil ever pulled was to convince people that he doesn't exist, dann steht, was diese Novelle und T. herangezogenen Stellen angeht, sein Ph-Begriff auf imho sehr wackeligen Füßen.

(Nebenbei: Cazottes "Der verliebte Teufel" ist Band 6 der Bibliothek von Babel.)

Auch wenn Dein Einwand grundsätzlich korrekt ist - ich kenne Cazottes Geschichte nicht -, so muss man Todorov doch zugute halten, dass dies ein grundsätzliches Problem jeder Literaturwissenschaft ist. Leseweisen können immer differieren und es gibt keine gesicherte Methode festzustellen, welches die richtige ist.

Freilich kann man diese Teufelsbeschwörung und die damit zusammenhängenden Okkult-Fuzzis unter anderem auch als Metapher lesen, z.B. für Mädchenhandel. Aber ausdrücklich nahegelgt wird diese Lesart nicht. Bye bey Todorov-PH-Begriff trau ich mich da winken. -- Für mich ein klarer Fall von: was der Denker denkt, wird der Beweisführer schon irgendwie beweisen. Oder frei nach Chruchill: Traue nur einer Textinterpration, die Du selbst zurechtgedengelt hast.

Da muss man dann aber doch einwenden, dass Todorov sehr klar sagt, dass ein Text, der eine metaphorische Leseweise nahelegt - und das geschieht hier ja gemäss Deiner eigenen Aussage nicht -, nicht als phantastisch gelten kann; eine Einschätzung, der ich übrigens grundsätzlich zustimmen würde. Wenn bei einem Text (oder Film) von Anfang an klar ist, dass das, was wir lesen/sehen, für etwas Anderes stehen soll, geht es nicht mehr um Fragen von 'Realität'/'Nicht-Realität', dann geht es um andere Grenzverschiebungen. Natürlich muss dies nicht in jedem Text klar sein, ein Autor kann mit diesem Umstand auch bewusst spielen, aber eben: dann spielt er eben bewusst damit.

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#119 simifilm

simifilm

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Geschrieben 20 August 2007 - 07:45

Du konstruierst hier einen Dissens, den wir überhaupt nicht haben.

Eigentlich hatte ich ja die ganze Zeit den Eindruck, dass Du mir widersprichst ...

Mir ging es nicht um eine allgemeingültige Definition, sondern lediglich um Todorovs Definitions- und Argumentationsmechanismus. Sicherlich gibt es einen zeitlichen Wandel und auch regionale und benutzerabhängige Unterschiede des Begriffs Phantastik. Trotzdem hat Todorov schließlich den Textkorpus festgelegt, den er betrachen wollte, denn sonst hätte er ja keine Basis für seine Untersuchungen gehabt. Wobei dieser Textkorpus wohl auch nicht-phantastische Texte umfasst haben muß, denn schließlich muß die Klassifikation auch bei diesen Texten stimmen. Natürlich gibt es zu diesem Textkorpus kein konkretes Schema, sondern so etwas wie ein "verdecktes" Schema, ein statistisches Phänomen, das man als fiktiven Erzeuger der existierenden Klassifikationswerte (phantastisch, nicht-phantastisch) betrachten kann.

Das muss keineswegs so sein, aber gut ...

Todorovs Ansatz besteht ja nun darin (wie du mir in diesem Thread schon bestätigt hast), ein abstraktes Klassifikationsschema zu finden, das bei den Texten des Textkorpus gleiche Klassifikationsergebnisse liefert. Soweit ist ja noch alles in Ordnung, wenn man lediglich sagt, man habe eine äquivalente Klassifikationsfunktion gefunden. Wo ich nur meine Bedenken geäußert habe, ist der Schluß, die Merkmale des intuitiv gefundenen abstrakten Schemas wären identisch mit den Merkmalen des "verdeckten" Schemas. Auch wenn ein anderer Wissenschaftler denselben Textkorpus verwendet hätte, und zu einem anderen Klassifikationsschema (natürlich mit den selben Klassifikationsergebnissen) gekommen wäre, ist es absolut müßig, diese beiden Schemata auf der Merkmalsebene miteinander vergleichen zu wollen.

Damit bist Du bei einem Grundproblem des Strukturalismus angelangt. Wie schon früher gesagt: Trotz aller harter wissenschaftlicher Rhetorik ist es auch im Strukturalismus letztlich die Intuition des Wissenschaftlers, die sagt, was wichtig und richtig ist. Und das ist in der Tat ein Problem ...

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#120 simifilm

simifilm

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Geschrieben 20 August 2007 - 07:55

Weiterer Nachteulenbeitrag. Wieder weg vom Detail hin zu meinem Großphantastik-Ansatz. Auf die Gefahr hin, wieder genauso zu schwurbeln wie bisher (kann nur vorauseilend Simi wegen etwaiger Verwirrungen um Gnade bitten). Grad hab ich T. Essay nochmal überflogen, besonders das letzte Kapitel. Darin kommt T. zu dem Schluß, daß im gegensatz zur "fantastischen" Literatur des 18/19. Jhd. im 20. Jhd mit der psychoanalytischen Wende die "Fantastik" überflüssig wurde, weil sie durch die Weltsicht der Psychoanalyse ersetzt wird. Anhand von Kafka, Satre und anderen Beispielen die mit Zensur und Selbstzensur und Tabus zu tun haben. T. beschränkt dabei seine Auslegung und Assoziationen z.B. des phantantischen Motivs des Vampirs ganz auf sogenannte Ich-Themen wie Nekrophilie und ungezügelte Sexualität, Wahnsinn und Drogenrausch. Dass der Vampir aber auch eine Metapher für simples (kapitalistisches, emotionelles) Ausbeutertum sein kann, kommt ihm nie.

Dieser Teil in Todorovs Argumentation ist definitiv der schwächste. Hier verstosst er gegen seine eigenen Prämissen, indem er plötzlich historisch argumentiert. Dazu ist sein Befund faktisch falsch, denn weder sind durch die Psychoanalyse alle Tabus einfach verschwunden, noch gibt es keine Phantastik mehr (auch nicht in seinem engen Sinne).

Mein Beispiel: Für Okkultisten und Esoteriker mag sich der Ausdruck "die schwarze Kunst" auf Teufelsbeschwörung, Verfluchung und dergleichen beziehen; aber Geheimdienstler ist damit Folter- und Gehirnwaschkunst gemeint (siehe z.B. "The Good Shepard"). Wenn dieses Beispiel -- weil aus einer Fiktion -- zu schwammig ist: wenn ein Mafioso von davon spricht "jemanden in den Ruhestand zu schicken" meint er womögich was ganz anderes, als ein Firmenchef. Die Problematik der Codierung und Entschlüssung von Sprache thematisiert T. kaum, obwohl er immerwieder vage von den mehrdeutigen Eigenheiten seiner "Fantastik" spricht. Dieses Codieren und Entschlüsseln von Sprache ist auch der Grund, washalb bei Deutungsstreit der Ausspruch "das kann man SO nicht sagen" so bedeutend ist. Des einen Freiheitskämpfer ist des anderen Terrorist. Wir leben immerhin nicht mehr im Industrie-Zeitlalter (also dem Zeitalter des Ringens um Energie-Ressourcen), sondern im Informationszeitalter (also dem Zeitalter der der heißen, globalen Phase des Ideenkriegs um das Sein, auch Infowar genannt).

Ich kann ja mit Deinem Grossraumphantastikbegriff ohnehin wenig anfangen, aber hier packst Du mir jetzt definitiv Dinge rein, die so nicht zusammengehören. Das Sprachgebrauch differieren kann, ist gewissermassen Grundhandwerk jeder Textanalyse. Ich muss immer den entsprechenden Kontext kennen, wenn ich einen Text verstehen will, und ich muss mir im Klaren sein, dass ein 'Beamer' etwas anderes ist, je nachdem ob von 'Star Trek' oder von Heimkino-Technik die Rede ist.

Phantastik = üblicherweise die Trias der Horror-, SF-, Fantasy-Literaturen (bzw. Medien) Groß(raum)phantastik = Ideologien, Religionen, von verschieden großen Gemeinschaften geteilte tradierte Sprach- und Verständnis-Konventionen.

Aber eben: Wirklich neu ist das ja nicht, was Du da sagst, und warum man das 'Phantastik' nennen soll ... Aber gut.

Nur andeuten will ich abschließend, daß die ganze Kiste u.a. deshalb so irre komplex ist, weil großphantastische Ideen und Anschauungen insofern "tatsächliche Fakten" sind, weil Menschen als Einzelne und Gruppen an sie glauben, bzw. als Prämissen setzten. Für mich als "Bright" heißt das also z.B.: GOtt ist ein leerer, nichtsbezeichnender Begriff in Bezug auf die objektive Realität; ABER GOtt als Vorstellung ist sehr real. So real wie eben Gandalf oder die Ion Tichy. Das entspricht ganz dem Wahrheits-Privileg aller Fiktionen.

Falls es nicht irgendwo eine Tolkien- oder Lem-Religion gibt, von der ich nichts weiss, bezweifle ich, dass es viele Leute gibt, für die Gandalf oder Ion Tichy tatsächlich so real ist wie Gott für einen Gläubigen. Zum letzten Punkt noch ein Nachtrag: Es gibt einen ganz grundsätzlichen Unterschied zwischen Religion und fiktionaler Literatur. Für den Gläubigen ist Gott eine Realität. Er kann seine Präsenz in irgendeiner Form fühlen/wahrnehmen, dieser ist in irgendeiner Form Teil seiner alltäglichen Erfahrungswelt. Dies ist definitiv nicht so, wenn ich "Lord of the Rings" lese. Das beginnt schon beim Kontext - LOTR ist in der Buchhandlung irgendwo unter Literatur/Fantasy abgelegt, die Bibel an einem anderen Ort. Das geht über das Buch selbst weiter: LOTR markiert auf unzählige Weisen, dass es sich um einen fiktionalen Text handelt (und sei es nur durch den Klappentext, in dem es als 'grösster Fantasy-Roman' aller Zeiten angepriesen wird), und vor allem: es zeigt sich beim Akt des Lesens selbst. So sehr mich ein Buch auch in Bann zieht, ich weiss immer, dass ich Literatur lese, ich kann jeden Augenblick zurücktreten und mir sagen "es ist nur ein Buch". Das ist nicht der Fall, wenn ein Gläubiger die Bibel liest. Und wenn ich LOTR fertig habe, dann ist Gandalf deswegen nicht Teil meiner realen Welt geworden. Falls dies doch der Fall sein sollte, liegt ein krasser Fall von Fehllektüre (um nicht zu sagen: Psychose) vor, denn LOTR (oder irgendein anderer Roman) gibt nicht vor, Aussagen über die reale Welt zu machen (es gibt durchaus Bücher, die mit diesem Fakt spielen, etwa Dan Brown und Konsorten. Aber letztlich liegt auch hier eine Fehllektüre vor, wenn ich das Geschriebene für bare Münze nehme). Natürlich kannst Du sagen: Aber ich könnte ja genauso an LOTR glauben, so wie der Gläubige an die Bibel glaubt. Stimmt, das könntest Du, nur: dann würde eben eine Fehllektüre stattfinden, dann würdest Du den Text eindeutig gegen seine Intention lesen. Im Grund würdest Du dann eine Gattungsfehleinteilung vornehmen, denn während die Bibel eben zur Gattung religiöser Texte gehört, ist dies bei LOTR nicht der Fall (dies kann sich durchaus ändern, da Gattungseinteilungen ja historisch variieren, aber da sie eben auch diskursiv sind, kann eine einzelne Fehllektüre nicht zu einem Gattungswechsel führen. Du müsstest schon eine Menge von Leuten dazu bringen, LOTR gleich zu lesen wie Du, damit das Buch von der Fantasy in den Bereich religiöser Literatur wechselt - ausserdem müsstest Du eine ganze Menge von Sekundärliteratur verschwinden und einen Haufen Leute umbringen lassen ...).

Bearbeitet von simifilm, 20 August 2007 - 09:01.

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