26 Stories aus allen Genres der Phantastischen Literatur versammelt Frank W. Haubold in der 2007er-Jahresanthologie des EDFC.
Der Band deckt eine große Bandbreite von Texten ab. Erfreulich der Mut des Herausgebers, der auch experimentell-literarischen Texten ein Forum gibt (z.B. Kuzzaths "Doppelte Hochzeit", Käfers "Feuerpause", z.T. auch Geßlers "Ölkollaps"). Insgesamt hat mich der Kauf nicht gereut. Allerdings schwankt, wie bei jeder umfangreicheren Anthologie, die Qualität der Texte stark.
Ein überragendes Highlight auf dem Niveau von Hammerschmitts "Lokomotive" oder Iwoleits "Moloch" fand ich hier nicht.
Gern gelesen habe ich:
Bertram Kuzzath: Doppelte Hochzeit
Frank Schweizer: Inspektor Pyrrhon und der Killerfön
Niklas Peinecke: Invasive Techniken
Gut mit leichten Abstrichen fand ich:
Volker Groß: Der mikrokosmische Maler
Hahnrei Wolf Käfer: Feuerpause
Frank W. Haubold: Thors Hammer
Frank Neugebauer: Der Puppenspieler von Mex-III-Ko
Uwe Schimunek: Pleissetal-Blues
Solide, durchwachsen, lesbar trotz deutlicher Schwächen:
Heidrun Jänchen: Slomo
Friederike Stein: So was wie Joghurt
Michael K. Iwoleit: Terminal
Christel Scheja: Die List der Ehre
Hartmut Kasper: Gerolsteiner Fit
Alexander Amberg: Gothic Tours Inc.
Horst Geßler: Ölkollaps
Ja, und dann gibt es noch ein paar...
Im einzelnen:
Malte S. Sembten: Bubble Boy
Jakob und Ben fangen Kaulquappen für den Bubble Boy. Ein Außerirdischer? Ein kranker Junge? Einer, der sich einen Jux erlaubt? Eines Tages schaut Jakobs Vater in die "Trollhöhle".
Unausgegorene Idee, ohne Pointe, noch dazu langatmig erzählt.
Wolfgang G. Fienhold: Absolutum
In einem Café trifft der Ich-Erzähler einen Mann mit dem totalen Gedächtnis.
Lehrstunde in Hirnphysiologie. Und genauso spannend.
Heidrun Jänchen: Slomo
Eyk ist einer der wenigen Menschen, die nicht mit einem Boost-Chip beschleunigt werden konnten. Doch die Booster zahlen ihren Preis für das schnelle Leben.
Idee nicht schlecht, aber für Jänchen untypische, langweilige "Und dann..."-Erzählerei. Sie sollte bei ihrer Szenentechnik mit Perspektivwechseln bleiben. Das Ende so vorhersehbar wie unbefriedigend.
Hans-Dieter Furrer: Madame Delvaux
Im Brüssler Lokal "Halloween" sieht der Ich-Erzähler eine Frau aus einem Bild von Paul Delvaux.
Herr Furrer ist Rentner und schreibt aus Langeweile eine Story über Brüssel, wo er oft sehr glücklich war. Schade ums Papier!
Friederike Stein: So was wie Joghurt
Auf dem Planeten C-4 leben die Zephyra, die seltsame "Botteln" produzieren. Sie enthalten LSD in entschärfter Form.
Ja, ganz nett erzählt und witzige Pointe. Aber Idee nicht sonderlich tragfähig.
Frank Schweizer: Inspektor Pyrrhon und der Killerfön
1000 Jahre von hier hat der Skeptizismus gesiegt. Inspektor Pyrrhon könnte zu einem Mord gerufen worden sein. Aber wie könnte man Zweifel an der Schuld des möglicherweise geständigen Mörders finden?
Absolut klasse und abgedreht. Herrliche Glosse mit Seitenhieben auf Philosophie. Pointe sitzt.
Anke Laufer: Der Klomann
In naher Zukunft wenden Menschen ihre Ressourcen auf, um ihren Körper agil zu erhalten und zu optimieren. Da begegnet dem Ich-Erzähler Kevin, ein Klomann, der noch ein eigenes Kind hat.
Frau Laufer kann schreiben. Aber im Text gibt es diverse Brüche. Schwer zu glauben, dass Männer so denken.
Michael K. Iwoleit: Terminal
Reclaim-Agent Gabriel lädt sich in Riga seine Frau Angelica in ein "Terminal", eine Prostituierte, die ihre Körperhülle für temporäre Bewusstseinstransfers zur Verfügung stellt.
Nette Idee, gewohnt gut geschrieben. Aber Berufs- und Terminalstrang sind zu wenig verbunden. Pointe etwas abrupt und zu explizit. Michael sollte sich auf Novellen und Romane konzentrieren. Und sich nicht mit solchen Füllseltexten verausgaben.
Stephan Peters: Meine liebe Stella
Ein Kunsthistoriker untersucht ein Baphomet-Porträt in seinem Haus am See. Doch auf dem Haus lastet ein Fluch.
Typischer Monster-Horror, unausgegoren, ziellos. Die schaumschlägerische Sprache soll die die mangelnde Substanz verdecken.
Christel Scheja: Die List der Ehre
Zickenzoff zwischen Reyira und Anan, den Fürstinnen von Tylandis und Kandyl.
Klischee-Fantasy, durchzogen von scheinphilosophischen Leh(e)rsätzen, immerhin gut erzählt.
Niklas Peinecke: Invasive Techniken
Merckmann und Antje Baddek dringen mittels Exkursorentechnik in das Gehirn eines EU-Beamten ein. Hat M.s Konkurrent van Gerken etwas mit dem zu tun, was sie dort entdecken?
Fantastisch geschrieben, Spannung, Gänsehaut. Schluß erscheint aufgesetzt, stört aber den Gesamteindruck kaum.
Lothar Nietsch: Das Mirakel
Hermann entdeckt seine Gabe. Nur die Krähe ist Zeuge.
Uninspirierter, unausgegorener Märchen-Kitsch. Ende total unpassend.
Bertram Kuzzath: Doppelte Hochzeit
Ein kleiner Mann trifft ein Plamplam in einem umgefahrenen Baum. Und ein Pilot befindet sich nach Begegnung mit einem UFO im Ausnahmezustand.
Literarisches Kabinettstückchen, wild, abgefahren, und welche Sprachgewalt! Fällt durch alle Raster! Bin nur begeistert! Ein Meisterwerk von Frank Neugebauer!
Andrea Tillmans: Nur ein wenig Grün
Im Ferienhaus in Jesola entdeckt Mama Deutschurlauber eine seltsame grüne Substanz, eine Art Moos. Oder?
Horror for no reason. Was wollte die Geschichte? Warum musste die Frau sterben? Klischee-Plot ohne Background.
Hartmut Kasper: Gerolsteiner Fit
Aus einer Flasche Gerolsteiner Fit entfleucht ein Dschinn, der auf die berühmten drei Wünsche wartet.
Nette, vergnügliche Glosse. Aber belanglos und wenig originell.
Volker Groß: Der mikrokosmische Maler
Ein Maler malt Leichenteile nach selbstbeschafften Modell. Als er für eine Farbe echte Augen braucht, begibt er sich auf die Suche.
Bekannte Idee, solide geschrieben, mit immerhin netter Pointe.
Uwe Schimunek: Pleissetal-Blues
Der neue Lektor wundert sich, woher Starautor Hermann seine Lindwurm-Kenntnisse bezieht. Und wer ihm dauernd Lebensmittel klaut.
Die Sorgen des Lektors, das scheußliche Manuskript, das Chaos im Verlag, der patriarchalische Verleger - super! Pointe immerhin überraschend, aber auch befremdend.
Matthias Falke: Andromeda
Andromeda wohnt allein draußen im Wald, wo in jeder Vollmondnacht ein Ungeheuer sein Unwesen treibt. Pete lernt sie kennen und erfährt von ihrer Beziehung zum Ungeheuer. Aber das ganze Ausmaß wird ihm erst bewusst, als er sich aufmacht, den Tatzelwurm zu töten.
Schrecklich blumige Sprache, dabei klischeehafter Plot, über weite Strecken müde Handlung und ebenso blöde wie vorhersehbare Auflösung.
Hahnrei Wolf Käfer: Feuerpause
In einem Paralleluniversum werden Zwerge gezüchtet als Zielobjekte für Schießübungen.
Nicht jede Wendung kapiert, habe mich aber gern entführen lassen in die seltsame Welt von Aklesch. Welche Sprachgewalt!
Frank W. Haubold: Thors Hammer
Kurz vor Kriegsende will ein SD-Oberleutnant eine letzte Wunderwaffe nutzen, um das deutsche Volk auszulöschen. Doch ein paar wackere Reichswehrsoldaten wissen das zu verhindern.
Spannende Story, Waffe leider nicht explizit beschrieben. Ende passt aber überhaupt nicht.
Achim Stößer: Haft
Die Leiden eines veganischen Häftlings in einem Carnivoren-Gefängnis.
Weder formal noch inhaltlich interessant. Wozu ist die Geschichte in der Anthologie? Was ist daran Phantastik?
Alexander Amberg: Gothic Tours Inc.
Tess will ihrer Ehe mit Andy neuen Schwung geben. Ein Urlaub in einem Spukschloß kommt ihr da genau recht.
Alles recht konventionell und klischeehaft geschrieben. Vor allem die ersten zwei Seiten sind komplett langweilig.
Horst Geßler: Ölkollaps
Bert Buttergarn und Otto Orbitus entwickeln ein Drehbuch über eine Anarchistengruppe, die Benzin in Wasser verwandeln kann.
Süsse Idee, nette Einbindung in kreativen Drehbuchschreibprozess. Gelungene Fingerübung! Aber nicht mehr.
Frank Neugebauer: Der Puppenspieler von Mex-III-Ko
Zigeuner sind in der Stadt. Mit einem Kasperltheater. Eine Puppe ist besonders lebensecht geraten.
Netter Plot, gut erzählt, hat Spaß gemacht. Es fehlt aber der Tiefgang.
Wilko Müller jr.: Franks Spruch
Franks neuester Anrufbeantworterspruch kündet vom nahen Ende der Welt.
Platte Idee, kaum tragfähig.
Michael Siefener: Die Angst und die Stadt
Ein Mann lebt in Angst. In einer fremden Stadt gerät er abends in einen geheimnisvollen Laden, wo man schon auf ihn gewartet hat.
Horror-Klischees, wirre Story, schlecht erzählt.
So, Frank, nun hau drauf!
Gruß
Ralf
Bearbeitet von ShockWaveRider, 01 Februar 2008 - 02:41.