Morn schrieb am 21.07.2009, 15:10:
Ich denke schon, dass "korrekt" oder "sorgfaeltig" ein Kriterium sein kann, sowohl in natur- als auch in geisteswissenschaftlicher Hinsicht. In der Hard-SF baut man nicht nur auf anerkannte, von Experimenten bestaetigten Theorien, sondern auch an moeglichen Modellen oder erweiterten Theorien und nimmt sie als gegeben hin, geht aber auch darueber hinaus. (Sonst waeren in der Hard-SF Fluege mit Ueberlichtgeschwindigkeit nicht moeglich.) Die Technik usw. und deren Erklaerung orientieren sich also an der (mehr oder weniger) aktuellen Forschung und extrapoliert. Soweit koennte man die Geschichte mMn als "naturwissenschaflich korrekt" oder "sorgfaeltig" bezeichnen. Hat die Geschichte ein geisteswissenschaftliches Modell oder Theorie zum Inhalt und haelt sie sich an den davon gegebenen Rahmen - mit moeglichen Extrapolationen -, kann man sie dann nicht mit einiger Berechtigung als "geisteswissenschaflich korrekt" oder "sorgfaeltig" bezeichnen. Den Unterschied, den ich sehe, ist, dass es schwieriger bis unmoeglich ist, die Modelle und Theorein in der Geisteswissenschaft, so experimentell zu belegen/ untermauern, wie es in der Naturwissenschaft moeglich ist.
Ich sehe da zwei Probleme:
- Einerseits wird hier ein qualitatives Kriterium zur Gattungseinteilung herangezogen. Hard SF bemüht sich zweifellos um naturwissenschaftliche Korrektheit (bis zu einem gewissen Grad); ABER: Wenn einem Hard-SF-Autor ein Schnitzer unterläuft, fliegt der entsprechende Roman deshalb nicht aus dem Genre. Er mag als schlechte Hard SF gelten, ist aber immer noch Hard SF. Das Kriterium ist also nicht die tatsächliche Sorgfalt oder Richtigkeit, sondern die angestrebte (was in meinen Augen ein markanter Unterschied ist).
- Andererseits gibt es zahlreiche SF-Romane, die zwar von geisteswissenschaftlichen Theorien inspiriert sind, die aber keinen Moment Anspruch auf «wissenschaftliche Korrektheit» beanspruchen. Man nehme nur
Nineteen-Eightyfour und
A Clockwork Orange. Beide gehen von bestimmten Modellen aus (bei Orwell etwa zum Verhältnis von Sprache und Weltbild, bei Burgess behaviouristische Psychologie), führen sie aber in einer Weise weiter, die wohl kaum jemand als «wissenschaftlich korrekt» bezeichnen würde. Das ist auch gar kein Problem, da sie ja primär einen literarischen und nicht einen wissenschaftlichen Anspruch haben.
Mich würden Beispiele interessieren, die Du als "geisteswissenschaftlich korrekt" bezeichnen würdest. Ich bringe noch einmal das Beispiel von
Walden Two, da mir dieses als sehr prägnant erscheint. Skinner hat hier eine Utopie auf der Basis seines eigenen behaviouristischen Modells entwickelt. Einerseits bin ich keineswegs sicher, ob er diese tatsächlich für umsetzbar/realistisch/plausibel/wissenschaftlich korrekt hielt, oder ob er primär seine eigenen Theorien literarisch weitertreiben wollte (wahrscheinlich war's irgendwo dazwischen), zum anderen gab und gibt es genug Psychologen, die Skinners Ansatz grundsätzlich für verfehlt halten. Skinner hatte beispielsweise von Anfang mit massiver Kritik von Seiten der Psychoanalyse zu kämpfen, und auf dem Gebiet des Spracherwerbs wurde sein Stimulus-Response-Modell von Chomsky und Co. ebenfalls heftig angegriffen und teilweise auch klar widerlegt. Wir haben hier also ein Werk einer geisteswissenschaftlichen Kapazität, deren Theorien aber immer umstritten waren. Ist das nun «geisteswissenschaftlich korrekt»?
Bearbeitet von simifilm, 21 Juli 2009 - 15:45.