»Endstufe« von Thor Kunkel
#1
Geschrieben 30 Juni 2004 - 14:25
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#2
Geschrieben 30 Juni 2004 - 18:22
Gregory Benford, Larry Niven, "Himmelsjäger"
Gerade am Lesen
Gregory Benford, Larry Niven, "Sternenflüge"
Gerade gesehen
Serie "Mad Men"
#3
Geschrieben 02 Juli 2004 - 14:24
Interessant †¦ ging mir ähnlich, wenn vielleicht auch mit mehr Vorfreude. Wenn man Stil unterscheidet in vormodern (klassisches Erzählen - heute noch dominierend auf dem Romansektor) und modern (kein objektiver Halt mehr, ergo Formkrassheit), dann ist Kunkel sicherlich einer unserer besten modernen Autoren. Das »Schwarzlicht Terrarium« hat für mich als Horrorshow der Diskoära in der Verwöhnungsblase der späten Siebziger in Frankfurt hervorragend funktioniert. »Enstufe« ebenso, wenn hier auch die Absurditäts- und Bad-Taste-Schraube weiter getrieben wurde. Einen (OT-)Thread von Dir dazu würde ich gerne sehen, allein schon, wie Du das Buch hier vorstellen würdest macht mich neugierig. Gruß alex / molosovsky P.S.: Henrik, auf Deiner Leseliste sehe ich, daß Du »The Scar« (deutsch: »Die Narbe« und »Der Leviathan«) durch hast. Wie in einem anderem Thread schon von jemand anderem geäußert, überrascht auch mich die bisherige Stille zu China Miévelles Romanen in deutschen SF/Phantastik-Foren ein wenig. Wie schauts, wollen wir uns vornehmen das bald mal zu ändern? Ich selbst hielt mich bisher zurück, weil ich den extrem hohen Lesegenuß niemanden mit meinem pedantischen Ästhetikgeschwätz vergällen mochte. Inzwischen dürfte aber genug Zeit rum sein, um »Perdido Street Station« und »The Scar« anzugehen.Jedenfalls habe ich den Eindruck, das jemand mit diesem Schreibstil und seiner Wahl sich auszudrücken kaum einen Nazi-Roman schreiben kann. Und wenn dann doch wohl eher um zu schockieren; im positivsten Sinne.
Bearbeitet von molosovsky, 02 Juli 2004 - 14:26.
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#4
Geschrieben 08 Juli 2004 - 11:54
Na, dann werde ich noch einmal in meinen Erinnerungen schwelgen und mir einen Buchbesprechung aus den Fingern quetschen. Vor dem Wochenende wird das aber nichts.Einen (OT-)Thread von Dir dazu würde ich gerne sehen †¦
Diese Einstellung, die von Dir als „modern“ bezeichnete, ist, glaube ich, der Schlüssel für das Lesevergnügen zum ersten Kunkel-Buch. Mich hat der Schluss dann doch etwas verwundert, denn irgendwie hatte ich mir mehr erhofft. Mehr dazu aber dann in der eigentlichen Buchbesprechnung.Wenn man Stil unterscheidet in vormodern (klassisches Erzählen - heute noch dominierend auf dem Romansektor) und modern (kein objektiver Halt mehr, ergo Formkrassheit) †¦
Jepp, auch dazu sollte einer von uns beiden einen Thread starten. Mal sehen, womit ich zuerst anfange †¦ *uff* †¦Wie schauts, wollen wir uns vornehmen das bald mal zu ändern?
Bis dennen,
Henrik Fisch
Gregory Benford, Larry Niven, "Himmelsjäger"
Gerade am Lesen
Gregory Benford, Larry Niven, "Sternenflüge"
Gerade gesehen
Serie "Mad Men"
#5
Geschrieben 09 Juli 2004 - 09:00
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#6
Geschrieben 18 Juli 2004 - 18:54
An Trailer gibts hier nur den Schluß meiner Betrachtung: »Endstufe« von Thor Kunkel, oder: An welcher Form von inverser Eitelkeit krankt Molosovsky, wenn er gerne in solch einen schwarzen Spiegel schaut?, und damit sich-Fragende hier ersehen können, weshalb dieser Roman durchaus in den Bereich SF gehört (wenn auch nicht ins Zentrum, ehr in den Graubereich am Rande).
BEGINN TRAILER
Mit dem Fiktionsvertrag ins Dritte Reichâ„¢
Vielleicht hätten mehr Rezensenten eine wohlwollendere Haltung gegenüber »Endstufe« gefunden, wenn der Roman sich weniger auf die Kokurrenz mit grellen und überzeichneten Narrationswelten, weitestgehend schon gewöhnlich bei Filmen, Bildliteratur und PC-Spielen, eingelassen, und sich zudem eines gemäßigteren oder erhabenerem Tons bedient hätte. Da mir das Buch gefallen hat, darf ich vielleicht eine Erklärung anbieten, warum der Autor mit seinem Buch und die Kritiker mit ihren Erwartungen sich beim Aufeinandertreffen weitestgehend mißverstehen mußten: Kunkel und Eichborn wiesen zu wenig auf den Komik- und Satireaspekt hin, wo die Kritiker doch einem Tatsachen-Enthüllungsroman entgegengefibbert haben. Bei solchen Ausgangspositionen nimmt es nicht wunder, daß faire Formen des Fiktionsvertrages nur selten zustande, und bislang kaum zur Sprache gekommen sind.
Betrachtet man eine Romanlektüre unter dem Gesichtspunkt des Fiktionsvertrages, wird Vertrauen zu einer entscheidenden Bedingung, und die Kontroverse um »Endstufe« stellt sich dann vor allem als aufgeregte Verunsicherung darüber dar, welche narrativen Bespiegelungen des Dritten Reiches zulässig sind und welche eben nicht. »Endstufe« bietet sich als Provokationsfiktion an, die als ernsten Basso Continuo die monströsen Diskurse zur Biopolitik und Anthropotechnik brummen, andererseits sprachparodistisch und thriller-komödiantisch Trivialgenre-Register präludieren läßt. Das Panorama, das »Endstufe« entfaltet, paart Zynik mit Slapstik, reiht Monströses an Haarsträubendes, jongliert mit Zitaten unterschiedlichster Herkunft und ratlos machenden Hinweisen. Selbst aus einer Nasenklammer - ohne die im Schlaf zu ersticken sich der Protagonist Fußmann panisch ängstigt -, wird ein Symbol des technikvertrauenden Menschen.
Es gehört zu den Fähigkeiten von Romanen, den Lesern Trost und Hoffnung zu spenden, Halt und Rat zu bieten, oder auf sinnlich-touristische Gedankenreisen mitzunehmen, und wie bereitwillig wird den Autoren denen solche Bücher gelingen Respekt und Lob entgegengebracht. Fern von solchen Annehmlichkeiten, kann man in »Endstufe« schon ziemlich vergeblich nach unbedenklichen Identifikationsfiguren für entspannungsbedürftige Leser suchen (abgesehen vielleicht von einem Frankfurter Privatdetektiv, dessen Recherchen nach dem in Amerika verschollenen Fußmann das Buch abschließen {oder für die ganz Abgebrühten: vielleicht Heinz Rühmann mit seinen Cameoauftritten als Spanner?}).
Keine Helden, keine poetische Moral, nur menschliche Abgründe und moralische Sprengsätze. Wer Fiktionsverträge mit »Endstufe« eingegangen ist, die zu Interpretationen führen, daß Kunkel den Holochaust nichten wolle, hat zum Beispiel die Furcht des Protagonisten vor dem KZ, daß ihm als kapitaler Sittenstrolch droht überlesen (S. 180), wie auch auffälligere Hinweise auf die Selektions- und Todespolitik des NS-Regimes. Thor Kunkel stellt noch vor Handlungsbeginn die Höllenfahrtscharakteristik und die auf den Kopf gestellten Konvention des Buches klar, beginnend mit hybriden Widmungspersonal
fortfahrend mit punkderber Oswald Spengler-Zitatverfremdung als eines der beiden MottiFür Jesus, Nietzsche, Mohammed{†¦}
bis zum zweiseitigen Vorspann mit einer Opiumrauschvision über das heutige Berlin des Lebensborngynäkologen Pfister {Fickprotokollautor der Sachsenwaldfilme}, nebst seinen alternativen RassegesetztenDas Geld wird nur vom Blut {durchgestrichen, darüber:} Sex überwältigt und aufgehoben.
Zumindest ich konnte mich nicht hineinsteigern in die Annahme, daß »Endstufe« beansprucht, eine argumentativ wohlbesonnene und beruhigend dargebrachte Narration zu sein.1: Legislativ richtig ist, was evolutionär richtig ist.
2: Keine Jurisdiktion ohne genetisches Zeugnis.
3: Ist die Exekutive sexy, freut sich der Exekutierte.
Als Comicleser habe ich schließlich anerkennend genickt, als im Lauf des Handlungshollerdimott sogar auf das Superheldenmotiv und seine Herkunft (Doctor Magneto - Seite 487) angespielt wurde. Indem der Schluß ambivalente Lesarten zuläßt - entweder als Fußmanns Sehnsuchtshalluzination nach seiner toten Angebeteten, oder als indirekte Schilderung einer science-fictionhaften Begegenung der »elektrozoischen« Art -, lädt »Endstufe« seinen letzten Spott auf Humanismusutopien ab, in denen man für sich zwar beansprucht wie ein Vegetarier zu denken, sich aber wie ein Fastfoodkunde benimmt.
ENDE TRAILER
Grüße
molosovsky / alex
Bearbeitet von molosovsky, 18 Juli 2004 - 18:57.
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#7
Geschrieben 19 Juli 2004 - 10:22
Brmpfsklmph?!? Ich bitte um eine Übersetzung.»Endstufe« bietet sich als Provokationsfiktion an, die als ernsten Basso Continuo die monströsen Diskurse zur Biopolitik und Anthropotechnik brummen, andererseits sprachparodistisch und thriller-komödiantisch Trivialgenre-Register präludieren läßt.
Nichts desto trotz denke ich mal, dass ich das Buch demnächst angehen muss.
Bis dennen,
Henrik Fisch
Gregory Benford, Larry Niven, "Himmelsjäger"
Gerade am Lesen
Gregory Benford, Larry Niven, "Sternenflüge"
Gerade gesehen
Serie "Mad Men"
#8
Geschrieben 19 Juli 2004 - 12:02
Provokationsfiktion: ausgedachte Geschichte, die als Herausforderung daherkommt.
Basso Continuo: wie bei Passacaglia von J.S. Bach oder anderer entsprechender Barock-Musik (Händel, Purcell). Ein ständig sich wiederholendes Grundthema über dem die anderen Stimmen sich frei bewegen.
Biopolitik: positive Bezeichnung von dem, was man auch Todespolitik nennen könnte. Was darf Leben, was soll ausgemerzt werden? Auch: Politik darüber, wie man Lebendes manipulieren darf. Trivial gesprochen, ist z.B. ein Kammerjäger der Vollstrecker des biopolitischen Imperativs, daß Schaben in menschlichen Wohnräumen nicht leben dürfen. Bei Pflanzen- und Tierzucht noch nicht sooo heikel besetzt, aber dann bei†¦
Anthropotechnik: Begriff wurde geprägt von Sloterdijks Rede über Regeln für den Menschenpark der sehr nüchtern und vorsichtig war und auch schon viel »Wollen wir gar nicht zur Kenntnis nehmen«-Hysterie entfachte.
Bedeutet: Eingriffe in die (evolutionäre) Entwicklung des Menschen. Im weitesten Sinne gehört dazu schon die Erziehung (»Zucht und Anstand«) - so ist die antiautoritäre Erziehung eine Gegenpendelbewegung zu den rigiden Pädagogiken der Schulmeisterzeit. Siehe Hitler-Jugend oder auch Burgess/Kubriks »Uhrwerk Orange« oder Kubriks »Full Metall Jacket«. Bei letzterem heißt es ganz deutlich: aus Menschen werden Killermaschinen GEMACHT.
Spätestens mit der Gentechnik wird es richtig unheimlich. Also pränatale Diagnostik und Selektion (verwerfend oder bevorzugend) oder Klonung von menschlichen Leben. Siehe auch: Jesusgleichheit des geklonten Mensch, da er durch technisches nicht sexuelles Schöpfungshandwerk (wenn man Gott man als Evolutions-Prorammierer versteht, der den Jesus-Code direktemang in Maria initialisiert hat) ins Leben gerufen wird (= Wahrwerden der Macht-Phantasie vom Homunukulus oder Golem).
Siehe auch den Film »Gattacca« und die Gen-Analyse-Schalter im Restaurant, damit Partner sich vergewissern können, ob der/die PartnerIn wertvolle oder mindere Anlagen weiterzugeben hat. Monströse Problematik dabei: wer entscheidet über den Un-Wert?
Auch die direkte Datenbuchse ins Hirn (noch weitestgehend fiktiv) fällt darunter, sowie die jetztigen Vorstufen von IT-Hilfmitteln z.B. für Shut-In-Kranke (Kommunikation durch Abtasten von Augenbewegung oder Cursor-Steuerung durch Schluckmuskelabtastung; denk an Steven Hawking).
Nicht zuletzt gehört auch der Komplex der Sportmedizin und der Schönheits-OP in diesen Bereich.
Sprachparodistisch: Im Wald und auf der Heidi; Sieg Geil!; Kein Schw*nz ist so hart wie das Leben, und viele andere (imho die Nazis bloßstellenden) Phrasenverdrehungen, vor denen der Roman überquillt.
Thriller-komödiantisch: Auf der Plot-Ebene haben wir einen Thriller (Korruption, Erpressung, Verfolgung, Flucht, gegenseitiges Abmurksen und Hintenrumm-Machenschaften der Pornoproduzenten), obwohl das Spannungs-Element in den Provokationen ein wenig untergeht. Dabei hatte zumindest ich oft den Eindruck, daß Kunkel diese Ebene nicht ernst aufspannt (so a la Grisham oder le Carre), sondern mit ätzenden Anklängen auf Beziehungs- und Situationskomödien.
Beispiel: Als Protagonist Fußmann (SS-Hygieneinstitut-Wissenschftler und Stiefelfetischist) zum ersten Mal seine Sex-»Göttin« Lotte trifft, schlägt er hochgestresst von ihrer Aura die Hacken zusammen und grüßt zackig mit »Sieg Heil!«; Lotte mustert ihn und meint als erstes »Schöne Stiefel«. Wer da noch glaubt, daß Kunkel die Nazis verherrlicht oder relativiert, hat IMHO ein weitaus problematischeres Verhältnis zum Dritten Reich, als der »respektlose« Autor.
Trivial-Genre-Register: Register hier: verschiedene Klang-Einstellungen einer (Fabulations-)Orgel.
Bei »Endstufe« vor allem: Trash, Porno (wobei sich der Roman als Wichsvorlage so wenig eignet wie die 120 Tage von de Sade) und Äktschn-Krimi, am Ende auch deutlich Phantastik. Da läuft z.B. ein Soldat in Nordafrika mit Granatsplitter im Kopf herum, durch den er zum menschlichem Magneten wurde (Löffel pappen an ihm fest und er kann gefahrenlos durch Minenfleder navigieren; vergleichbar der Sonaroptik in »Daredevil« oder Spider-Sense in »Spiderman«).
Ist mein Schwafel für Dich nun etwas klarer?
Grüße
molosovsky & alex
P.S.: Erledigt in Paris und London †¦ toll, daß Du den ließt. War mein erster Orwell.
MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.
Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.
#9
Geschrieben 20 Juli 2004 - 12:50
Gregory Benford, Larry Niven, "Himmelsjäger"
Gerade am Lesen
Gregory Benford, Larry Niven, "Sternenflüge"
Gerade gesehen
Serie "Mad Men"
Besucher die dieses Thema lesen: 1
Mitglieder: 0, Gäste: 1, unsichtbare Mitglieder: 0