t.sebesta schrieb am 11.10.2010, 13:46:
ich muss zugebene, ich habe keine Ahnung was ein "Rant" ist - Aufklärung?"
Wenn ich im Deutschen die wesentlichen Konnotationen erhalten will, würde ich es wohl mit "durch unverbindliche Phrasen sich ganz allgemein ereifern" umschreiben. Im Sinne des Unterschieds zwischen "zielorientiert argumentieren" und "seinem Ärger Luft machen" wollen ...
t.sebesta schrieb am 11.10.2010, 13:46:
Wie würdest du das Eingangspost schreiben damit es mehr als ein "Rant" ist
Präziser. Und dann habe ich meine Zweifel, dass es sich so formulieren lässt, dass eine wirklich greifbare und sinnvolle Aussage herauskommt.
Die erste Schwäche des Eingangspostings ist in meinen Augen, dass literarische und "weltliche" Vorbilder in einen Topf geworfen werden - nach Michaels Aussage ist es ja dieselbe "Exploitation", ob ein Autor den ersten großen Roman über Klimawandel schreibt, wenn der Klimawandel gerade in den Medien ein großes Thema ist, oder ob ein Autor den 6. Harry-Potter-Klon schreibt. Ich bezweifle, dass sich die "Exploitation" des "Zeitgeists", "brandheißer Themen" sich wirklich 1:1 mit dem "Aufspringen auf einen literarischen Trend" vermischen lässt - denn das Aufgreifen aktueller Themen ist ja gerade auch ein wünschenswertes Kriterium für wertige Literatur. Da dürfte es schwierig werden, zu unterscheiden, wann ein Autor als wertiger Trendsetter gesellschaftlich bedeutsame Themen aufgreift und literarisch verarbeitet, und wann er nur verwerflicherweise auf ein Thema "aufspringt".
Da wären dann meine Zweifel, ob man überhaupt sinnvollerweise das Aufgreifen heißer gesellschaftlicher Themen für die Literatur als "Exploitation" verurteilen kann - vor allem dann, wenn das Thema bis dahin wirklich nur "da draußen" ist und noch nicht adäquat in der Literatur angekommen.
Exploitation als das Anhängen an literarische oder auf dem Buchmarkt schon präsente Trends - das hätte ich erst mal als präziseres und deutlich diskussionsfähigere These angesehen. Aber auch da kommen mir persönlich Zweifel, ob das bei näherer Betrachtung wirklich so greift. Klar fällt es auf, dass nach einem "Harry Potter" erst mal ein halbes Dutzend weitere nachkommen, und der erste Reflex ist es, sich darüber ärgern. Aber lässt sich das Phänomen dann wirklich unter dem Begriff "Exploitation" eingrenzen?
Bei näherer Betrachtung stellt man dann nämlich fest, dass unter den "Harry Potter Klonen" zwar viele Bücher sind, die tatsächlich wie Klone wirken - aber immer auch ein paar Bücher, die auf den Trend aufspringen, aber tatsächlich so eigenständig sind wie dutzende Bücher vor dem Trend und die ohne "Harry Potter" auch ohne das Label bestehen könnten. In dem Falle wird der Trend zum reinen Marketinginstrument und führt dazu, dass seitens der Verlage Bücher auf eine "Trendschiene" gesetzt werden, die eigentlich nur ein paar oberflächliche Ähnlichkeiten haben und im Grunde herzlich wenig mit dem Trend zu tun.
Und selbst wenn die Ähnlichkeiten größer sind, bin ich schon aus eigener Erfahrung vorsichtig damit, von "Exploitation" zu sprechen. Ich nämlich sammle als Autor seit mittlerweile 25 Jahren Ideen und Exposees in Notizbüchern, und ich muss sagen: Manche Themen scheinen wirklich in der Luft zu liegen. Mancher Romanentwurf, den ich in meiner Jugend mal eben notiert habe und der damals wirklich neu gewesen wäre, ist inzwischen schon zum Trend geworden ... und teilweise schon wieder gegangen. Ich gehe mal davon aus, vielen Autoren geht es so - sie haben Ideen schon lange gehabt und schreiben sie nicht unbedingt für den Trend; sie können ihre Ideen nur besser verkaufen und finden dann einen Verlag dafür, wenn ein anderer Titel gerade einen Trend angestoßen hat. Sprich: Manches davon, was wie Exploitation wirkt, ist möglicherweise sogar vor und auf jeden Fall unabhängig von dem scheinbaren Trendsetter entstanden und hätte dementsprechend auch unabhängig davon erscheinen können.
Wäre es für einen Autor dann automatisch hochwertiger, auf die Verwertung eines Romans zu verzichten, wenn ein anderer eine ähnliche Idee schon gebracht hat? Auf den ersten Blick ... vielleicht. Aber bei näherer Betrachtung kommen Zweifel. Ein Roman wirkt womöglich weniger originell, wenn er nicht der erste zum Thema ist - aber er wird dadurch ja nicht als Werk an sich schlechter, wenn er unabhängig vom früher erschienen Werk entstanden ist. In gewisser Hinsicht könnte man auch sagen, der Autor wäre blöd, einen fertigen Roman nicht zu verkaufen, wenn gerade ein ähnlicher erschienen ist und die Verlage händeringend nach "etwas wie XX" suchen. Aber das wäre dann vielleicht zu schnöde kommerziell argumentiert.
Ideell allerdings stelle ich fest, dass ich immer noch ein paar Ideen in meinem Ideenbuch finde, die damals, als ich sie aufschrieb, neu waren, die es jetzt nicht mehr wären - die ich aber trotzdem nicht aufgegeben habe und nicht aufgeben will. Einfach, weil ich das Gefühl habe, dass das Thema nicht mehr neu ist - aber die Umsetzung. Denn wenn ich als Autor das Gefühl habe, die bisherigen Umsetzungen lassen genau das vermissen, was ich im Sinn hatte, ist es dann nicht
gerade ein guter Grund, das Buch trotzdem zu bringen, sozusagen als "Gegenmeinung" zu einem innerliterarischen Diskurs zu dem Thema, der sich durch die Summe aller Bücher mit vergleichbarem Thema aufspannt? So viel jedenfalls dann, wenn der Autor tatsächlich vorhat, etwas eigenes hinzuzufügen und nicht nur auf "den Zug aufzuspringen".
Und damit wären wir dann wieder bei dem Konzept, dass ich gerade bei Michael kritisiert habe: Das nämlich die Qualität des Werkes sich nur daran festmachen lässt, "was der Autor sich dabei gedacht hat". Und ich habe das Gefühl, der Ansatz der Argumentation über "Exploitation" führt fast zwangsläufig an diesen Punkt ... auch wenn das erste Posting noch Spielraum für formalistische Differenzierungen lässt. Aber, wie aufgeführt, ich sehe in der Praxis eine Menge konkreter Werke, die aus der einen Richtung betrachtet Ansätze zu eigenständiger Wertigkeit bieten, aus der anderen Seite durchaus in einen "Trend" eingebunden sind; und die Differenzierung dazwischen liegt dann allzu oft im Auge des Betrachters, ob er den "eigenständigen Wert und Ansatz" erkennen kann - und landet damit in Geschmacklichkeit und Spekulation.
Darum, nein, wüsste ich nicht wirklich, wie ich das Eingangspost formulieren würde, damit es mehr wird als ein "Rant". Ich sehe genug Beispiele auf dem Literaturmarkt, die durchaus dazu einladen, von "Exploitation" zu sprechen. Ich sehe aber auch jede Menge Probleme, die mich daran zweifeln lassen, ob sich das als literaturwissenschaftlich sinnvolle Kategorie formulieren lässt.
Ich denke, es ist ein Ansatz, der einem unter den Fingern zerbröselt, sobald man versucht, ihn zu präzisieren.
"Modern Economics differs mainly from old Political Economy in having produced no Adam Smith. The old 'Political Economy' made certain generalisations, and they were mostly wrong; new Economics evades generalisations, and seems to lack the intellectual power to make them." (H.G. Wells: Modern Utopia)