Wer versteht schon WIRKLICH - und die Betonung liegt auf wirklich - , wie z.B. das Internet funktioniert. Oder die
Mobilfunknetze?
Das ist ein schönes Beispiel, an dem man einiges festmachen kann, wenn Du mir den Exkurs gestattest:
Ich habe mich schon einige Male mit Leuten gestritten, die strikt abgelehnt haben, daß es so etwas wie
eine Computer- und Internet-Kultur - ich nenne es allgemeiner "Cyberkultur" - überhaupt gibt; will sagen:
eine Kultur in dem Sinne, daß sie nicht nur mit neuartigen Dingen hantiert, sondern darüber eigene Ideen,
Bewertungsmaßstäbe, Metaphern, Klassiker und Bildungsgüter entwickelt. In diesem Sinne gibt es, auch
wenn viele Bildungsbürger das nicht wahrhaben wollen, eine zwar junge, aber eine echte neue Kultur
der Computer und Medien.
In den Köpfen traditioneller Bildungsbürger sitzt oft noch das Klischee fest, daß die Beschäftigung mit
Computern und Medien zwangsläufig mit Illiterarität und Verlust traditioneller Bildungsgüter einhergehen
muß. Das ist aber nur der Fall, wenn man unter Computer- und Medienkompetenz, wie heute vielfach
noch, lediglich versteht, einen Rechner starten, einen Browser bedienen oder in MS Word einen Brief
tippen zu können. Wenn es sich darauf beschränkt, sieht die Computerwelt tatsächlich ziemlich kulturlos
aus.
Wenn Kinder aber z.B. im Vorschulalter eine speziell zu diesem Zweck entwickelte Programmiersprache
wie Logo lernen (die kein Spielzeug, sondern eine vollwertige Programmiersprache ist), hat das tatsächlich
ähnlich heilsame Auswirkungen wie Sprach-. Mathematik- oder Musikunterricht, weil dabei ähnliche kognitive
Instanzen im Gehirn angsprochen werden. Wenn Kindern die Grundzüge der Mengenlehre beigebracht werden,
damit sie die Grundlagen der Mathematik verstehen, sollten sie auch die Grundzüge der Schaltalgebra lernen,
damit sie verstehen, vor welcher Art von Maschinen sie einen Großteil ihres Lebens sitzen werden, und sich
nicht ein X für ein U vormachen lassen.
In seinem Text "How to Become a Hacker"* hält der Computer-Aktivist Derek Raymond an ziemlich oberster
Stelle einen bemerkenswerten Tip für angehende Programmierer bereit: Lerne Deine Sprache. Schreibe gutes
Englisch. Kein Hacker wird Dich für voll nehmen, wenn Du keine korrekten Sätze formulieren kannst. Praktisch
alle Weltklasse-Programmierer - kein Bill Gates, für den immer andere alles gemacht haben, sondern Torvalds,
Joy, Gosling usw. usw. - sind erstklassige Prosaautoren, die sich mühelos zwischen zwei, drei und manchmal
noch mehr Sprachen bewegen. Viele sind obendrein gute Mathematiker oder sogar Musiker. Und wen sollte
es wundern? Sie haben die Köpfe dafür. Durch die ernsthafte Beschäftigung mit der Cyberkultur haben sie
universelle Fähigkeiten ausgebildet, die sich in unterschiedlichen Richtungen anwenden lassen.
Das traditionelle Bildungsbürgertum hat hier, scheint mir, ganz elementare Entwicklungen verpaßt oder ist
gerade dabei, zum Schaden der nachwachsenden Generationen. Auch und gerade wenn einem die Kunst/
Kultur am Herzen liegt, sollte einen diese Entwicklung beunruhigen. Wenn es nicht gelingt, die traditionelle
Bildung mit der Weltkultur und der Cyberkultur zu fusionieren, wird es am Ende gar keine Kultur mehr geben.
Gruß
MKI
* Daß "Hacker" gern mit "Crackern" verwechselt werden - zwei völlig unterschiedliche Szenen - ist, nebenbei,
nur ein Sympton für die allgemeine Computer-Unbildung.