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Exploitation SF


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312 Antworten in diesem Thema

#121 MoiN

MoiN

    Galaktonaut

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 08:32

Ich schaue mich z. B. bewusst eher im Kleinauflagenmarkt um, wenn ich nach neuen, spannenden Themen suche.


Du sagst es doch selbst: Kleinauflagen.

Wenn diese Themen dann wirklich so furios und überwältigend sind, warum entwickeln sich diese dann nicht zum Selbstläufer und führen dazu, daß die Bücher zwar nicht unbedingt Bestseller werden, aber doch in höhere Auflagen- und Verkaufsregionen aufsteigen.

Oder gibt es Beispiele dafür?

Bearbeitet von MoiN, 13 Oktober 2010 - 08:33.

πάντα ῥεῖ

 

Büchermarkt ...druckfrisch...dlr lit  ...Verena ... Dana ...swrwi ...brwi ..   .A I N


#122 Gast_Frank Böhmert_*

Gast_Frank Böhmert_*
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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 08:36

Du sagst es doch selbst: Kleinauflagen.

Wenn diese Themen dann wirklich so furios und überwältigend sind, warum entwickeln sich diese dann nicht zum Selbstläufer und führen dazu, daß die Bücher zwar nicht unbedingt Bestseller werden, aber doch in höhere Auflagen- und Verkaufsregionen aufsteigen.

Weil es dafür eben die Exploitation-Autoren braucht. ;) Das ist ihre Nische und Funktion in Darwins Koralle des Lebens. Sie verbreiten Ideen.


-----

So, jetzt geh ich aber mal an meinem eigenen hübschen Kleinauflagenroman arbeiten ...

Bearbeitet von Frank Böhmert, 13 Oktober 2010 - 08:38.


#123 Gast_Michael Iwoleit_*

Gast_Michael Iwoleit_*
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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 08:37

Da wären dann meine Zweifel, ob man überhaupt sinnvollerweise das Aufgreifen heißer gesellschaftlicher
Themen für die Literatur als "Exploitation" verurteilen kann - vor allem dann, wenn das Thema bis dahin wirklich
nur "da draußen" ist und noch nicht adäquat in der Literatur angekommen.


Eine generelle Verurteilung des Exploitation war auch gar nicht meine Absicht. Eine der berühmt-berüchtigsten
Kurzgeschichten neueren Datums, "Guts" von Chuck Palahniuk, ist Exploitation in der Hinsicht, daß sie mit dem
literarischen Skandal spekuliert und auf das zunehmende Einsickern von Splatter- und Ekeleffekten vom Horror
in den Mainstream anspringt. Die stets präsente Frage, wieviele Zuhörer bei Palahniuks nächster Lesung mit
Brechreiz den Saal verlassen, hat ihr Übriges getan. Trotzdem halte ich "Guts" für eine sehr gute Geschichte,
die dem Austricksen der Sensationslust des Lesers am Ende sogar eine tragische Note abgewinnt. Nur: derlei
ist nicht einfach, und viele Exploiter scheitern an der Aufgabe.

Und selbst wenn die Ähnlichkeiten größer sind, bin ich schon aus eigener Erfahrung vorsichtig damit,
von "Exploitation" zu sprechen. Ich ämlich sammle als Autor seit mittlerweile 25 Jahren Ideen und Exposees
in Notizbüchern, und ich muss sagen: Manche Themen scheinen wirklich in der Luft zu liegen.



So etwas gibt es sicher, nicht nur in eher vordergründiger thematischer Hinsicht. Ich kenne selbst den Fall
von drei SF-Erzählungen - "Transients" von Carter Scholz, "Blue Shifting" von Eric Brown und "The Safe-
Deposit-Box" von Greg Egan - die in erstaunlicher zeitlicher Nähe geschrieben wurden und, bei allen
individuellen Eigenarten, einander in der grundsätzlichen existentiellen Situation so ähnlich waren, daß
die drei Autoren, die darauf aufmerksam gemacht habe, selbst staunten, in welchem Maße sie offenbar
auf dieselbe Nuance im Zeitgeist reagiert haben. Zeitgeist und Mode sind aber auch wieder zwei Dinge,
die auseinander gehalten werden wollen.

Gruß
MKI

#124 Andreas Eschbach

Andreas Eschbach

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 08:37

Wenn ich das jetzt richtig verstehe würde doch These 3 lauten:

Weil Lektoren per Exploitation entstandene Werke ankaufen wird die Ausbeutung aktueller Themen bios zum Exzess betrieben?.

Verleitet dies gute Autoren böse zu werden?
Sprich für Lektoren ist Exploitation kein Thema weil es nur auf gut oder schlecht geschrieben ankommt?
Gibt es Beispiele für die Ablehnung wegen Exploitation?


Ich glaube - um auf die Ausgangsthese zurückzukommen -, dass in dem Begriff "Exploitation" im Moment zwei Dinge miteinander vermischt werden, die man getrennt halten sollte.

Das eine ist der Autor, der sich sagt, "wow, am Markt gehen gerade Vampirschmonzetten wie geschnitten Brot, also schreib ich auch eine".

Und das andere ist die (mir bislang noch ominöse) "Exploitation", die dieses "Trend-Hopping" gerade nicht ist. Irgendwie. Oder so.

Wohlgemerkt: Besagter Autor, der sich sagt, "wow, am Markt gehen gerade Vampirschmonzetten wie geschnitten Brot, also schreib ich auch eine", trifft leicht auf einen Lektor, der sich sagt, "wow, am Markt gehen gerade Vampirschmonzetten wie geschnitten Brot, also bringen wir noch eine". Trend-Hopper sind durchaus beliebt, vor allem, wenn sie rasch schreiben und pünktlich abgeben, womöglich mit genau der gewünschten Seitenzahl. Aber das ist dann im Grunde nicht mehr weit vom "Notarzt Dr. Bergen" entfernt und im Grunde nur noch ein Job, keine Kunst mehr.

#125 Gast_Michael Iwoleit_*

Gast_Michael Iwoleit_*
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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 08:40

Das ist in meinen Augen ein Schlenker, der vielleicht auch für reine Leser spannend ist, aber kein Themenwechsel.
Wenn MKI als Threaderöffner das anders sieht, könnt ihr aber gern aufteilen.


Selbst wenn's ein Schlenker wäre, hätte ich kein Problem damit. Eine Diskussion ohne OT-Schlenker
und Richtungswechsel wäre keine Diskussion sondern eine Exerzierübung.

#126 Beverly

Beverly

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 08:43

Ich jedenfalls kann das Gerede dieser Pseudo-Sachverständigen nicht mehr hören, die seit zwanzig Jahren dem Publikum erzählen, daß es keine ordentlichen Manuskripte deutscher Autoren gibt. Ich behaupte dagegen: Wenn tatsächlich das eine oder andere gute dort eingeht (wovon ich ausgehe), wären sie vermutlich die letzten, die es merken würden.

Gruß
Frank


Wenn man auf die Verlagshomepages geht, hat man eher den Eindruck, die Verlage ersaufen in ihnen zugesandten Manuskripten und wollen keine neuen mehr. Selbst, wenn davon 95 Prozent schlecht oder mittelmäßig sind, bleiben noch genug interessante Bücher übrig. Ich grüble sogar oft darüber nach, dass man als Autor von der Schriftstellerei gar nicht leben kann, weil es so viele gleich gute Kollegen gibt, dass für jeden vom "Kuchen" nicht genug übrig bleibt.

#127 Andreas Eschbach

Andreas Eschbach

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 08:43

Eine generelle Verurteilung des Exploitation war auch gar nicht meine Absicht.


"Exploitation" ist als Wort schon eine Verurteilung, lieber Michael!

Und nochmal: Ich sehe immer noch nicht trennscharf, was Du damit meinst. Was ist nach Deiner Auffassung literarisch akzeptables Verarbeiten von Dingen, die eben um uns herum passieren und die die Menschen gerade (oder immer) umtreiben, was ist "Exploitation"? Welches Kriterium unterscheidet das eine vom anderen? Seh ich bis jetzt nicht. Bis jetzt ist das sehr beliebig, sehr schwammig.

Oder anders gefragt: Kann man überhaupt einen Roman schreiben, der keine "Exploitation" ist nach dem bisher Gesagten? Wie sähe der aus? (Die Frage, ob und wozu man es tun sollte, mal beiseite gelassen.)

#128 Gast_Michael Iwoleit_*

Gast_Michael Iwoleit_*
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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 08:49

Ich harre gespannt.


Ist notiert, kommt alles irgendwann. Du machst mir 'ne Menge Arbeit ;) Ich muß immer
noch den dicken Roman schreiben, zu dem Du mich vor ein paar Jahren angeregt hast.
Aber immerhin sind die Recherchen fast geschafft...

#129 fictionality

fictionality

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 08:51

Ich denke, dass gerade Tarantino ein sehr gutes Beispiel dafür ist, dass man die abgedroschensten Ideen/Themen auf höchst aufregende Weise neu erzählen kann.


Da sind wir absolut einer Meinung ;)

#130 fictionality

fictionality

    Illuminaut

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 08:55

Du sagst es doch selbst: Kleinauflagen.

Wenn diese Themen dann wirklich so furios und überwältigend sind, warum entwickeln sich diese dann nicht zum Selbstläufer und führen dazu, daß die Bücher zwar nicht unbedingt Bestseller werden, aber doch in höhere Auflagen- und Verkaufsregionen aufsteigen.

Oder gibt es Beispiele dafür?


Es gibt sicher einige Beispiele. Die Gewinnerbücher des SFCD werden von größeren Verlagen z. B. immer mal wieder gerne genommen. Klar, das ist nur eine Ausnahme, aber immerhin etwas. Ansonsten kommen neue Ideen oft nicht gut an, gerade weil sie neu sind. Die Masse will eben in ihrem Mantrabewusstsein nicht gestört werden, das erkennt man schon daran, mit wie viel verschiedenen Methoden eine Schafherde aufgeschreckt werden kann ... Bei Menschen ist das noch viel, viel schlimmer.

#131 Gast_Michael Iwoleit_*

Gast_Michael Iwoleit_*
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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 08:56

Womit ich gerne noch einmal die Frage stelle, wozu diese Diskussion hier in diesem Thread eigentlich geführt wird.
Erzähl doch mal, was Du eigentlich mit diesem Thread erreichen willst. Ich kratze mich die ganze Zeit am Kopf und
komme nicht so richtig dahinter.


Muß man mit einem Thread unbedingt etwas erreichen wollen? Wenn ein Statement genug Anregungen
hergibt, um eine doch recht lebhafte Diskussion anzuregen, halte ich es nicht für ganz vergebens. Und
bestünde auch nur der Wert darin, daß wir einander grundsätzliche Standpunkte etwas deutlicher
machen können.

Ich bin z.B. für jede Gelegenheit dankbar, die mir das unergründliche Mirakel Dirk van den Boom ein
wenig näher bringt ;) Wenn das kein Kulturaustausch ist, weiß ich auch nicht mehr.

... und frage mich, ob ich nun zu den „Dösis“ oder zu „allen anderen“ gehöre.


Was sich, je nach Topic und Lebenslage, auch nicht gegenseitig auschließt :o

#132 Gast_Frank Böhmert_*

Gast_Frank Böhmert_*
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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 09:22

"charmanter Raufbold-Sound" gefällt mir schonmal. :o

Oh ja. Seufz. So etwas mal in einer Rezension des eigenen Werkes lesen ...

Hm. Sollte ich das jetzt glatt als neuen Stilfilter aufsetzen für die Überarbeitung? ;)

#133 Gast_Michael Iwoleit_*

Gast_Michael Iwoleit_*
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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 09:22

Das Eingangsposting war halt, nach allen Erfahrungen mit ähnlichen Diskussionen, so, dass ich mir davon
keinen weitergehenden Erkenntnisgewinn mehr versprochen habe und darum auch eigentlich nichts dazu
schreiben wollte. Bis dann mit dem "Wichtig ist nur, was der Autor denkt" nach meiner Empfindung ein Punkt
erreicht war, wo die Kriterien endgültig dem literarischen Anspruch, der hiermit ja vertreten werden sollte,
Hohn sprachen. Da ist die Diskrepanz zwischen Fundierung und Anspruch dann wirklich so groß, dass man
sich fragen muss, ob man tatsächlich noch von einer zumindest qualitativ höheren Position gegen den
"Geschmack der Masse" argumentieren kann.


Ich glaube, wir betrachten Dinge aus zwei sehr unterschiedlichen Blickwinkeln. Eine literaturwissenschaftliche
Erkenntnis ist ein spezifischer und verschärftere Anspruch, den eigentlich niemand an eine Polemik, Glosse
oder einen Essay stellt. Was für einen Literaturwissenschafler wenig Erkenntnisgewinn verspricht, kann für
den Leser eines Essays durchaus anregend sein. In der Literatur geht es nicht um abzählbare Ergebnisse,
nicht primär um Erkenntnisse, sondern um Erlebnisse.

Deshalb geht's mir beim Essayschreiben darum, dem Leser Einsichten zu vermitteln, die sein Leseerlebnis
vertiefen. Jeder kennt es doch, daß er es auch mal mit Autoren zu tun hat, die ihm eigentlich sympathisch
sind, aber quer im Kopf hängen, weil ihm der "Zugang" fehlt. Hier könnte, meine ich, das helfen, was ich
an anderer Stelle mal "Quellen und Muster" genannt haben. Bei jedem besseren Autor finden sich wieder-
kehrende Motive. Themen und Überlegungen, deren Zusammenhang nicht immer offensichtlich ist. Mit einem
Blick auf die Entwicklung des Werks und gelegentlichen Seitenblicken in Biographie und Selbstzeugnisse des
Autors können Zusammenhänge erklärt werden, die dem Leser bei der Beschäftigung mit dem Werk helfen.
Ich finde allerdings auch, daß die Arbeit an den Texten im Vordergrund stehen muß, damit die Literatur nicht
zum bloßen Vorwand für gesellschaftlich-politische Themen degradiert hat (wie Susan Sontag einmal an weiten
Teilen der Literaturkritik bemängelt hat).

Gruß
MKI

#134 Lomax

Lomax

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 10:02

Gerade zu dem von Dir herausgehobenen China Mieville vermag ich die teilweise anzutreffende Euphorie nicht zu teilen. Nach der enervierenden Lektüre von "König Ratte" würde ich jedenfalls keinen zweiten Versuch unternehmen.

"King Rat" war Mievilles Debüt, aber nicht das erste Buch, das ich von ihm gelesen habe. Mir hat's gefallen, allerdings war es auch nicht der Titel, den ich begeistert empfohlen habe. Ich weiß auch nicht, ob er's unter anderen Umständen geworden wäre, den Perdido Street war deutlich besser, und auch international hat Mieville erst mit diesem zweiten Roman wirklich aufsehen erregt. Ich denke also durchaus, es lohnt sich, noch mal "Perdido Street Station" zu probieren, auch wenn man mit King Rat nichts anfangen kann.
Ob "Perdido Street" dir allerdings besser gefallen würde, kann ich nicht sagen. Es würde mich weder wundern, wenn du damit auch nicht anfangen kannst, noch könnte ich mich darüber wirklich aufregen. Es hat mich, ehrlich gesagt, immer gewundert, wie deutlich "Perdido Street" in der SF-Szene "adoptiert" wurde, denn ich persönlich würde es doch eher als Fantasy einordnen.
Bei Mieville kann ich also befremdete Fans "klassischer" SF gut verstehen und hätte sogar mehr davon erwartet ;)

Und zumindest für die Lektorinnen, die mich als Gutachter haben wollten, kann ich ebenfalls sagen, dass sie sehr genau hingeguckt haben und mit dem Herzen dabei waren und immer auf das Buch gehofft haben, das sie völlig hinwegfegen würde. Die haben nicht kühl dagesessen und Programmplätze verteilt.

Das kann ich auch nur so bestätigen. Da ist viel Herzblut und Begeisterung in vielen Projekten - auch wenn natürlich auch Programmplätze verteilt werden müssen.
Da kam es auch schon mal vor, dass ich drei Romane bekommen habe mit der Maßgabe, dass man gerne einen Titel für den-und-den Programmplatz hätte, und dass die drei Romane prinzipiell dafür geeignet scheinen - aber halt nur Platz für einen ist. Dann ging es in dem Gutachten halt darum, eine Entscheidungsgrundlage zu liefern; und selbst wenn alle drei Romane prinzipiell gut waren, war eben nur Platz für einen da. Insofern spielt die Programmplanung neben der reinen Textqualität durchaus eine Rolle.
Und wenn man beispielsweise als Gutachter die Vorgabe kriegt, dass der Verlag noch einen Roman zum Thema "Millenium" bringen will, kann man durchaus darüber diskutieren, inwiefern eine "Exploitation" im Sinne von Michaels Vorgabe gefördert wird ... Trotzdem ging es bei der Entscheidung immer ums Buch, und es ist durchaus so, dass Lektoren, wenn sie von einem Buch begeistert sind, sich sehr dafür ins Zeug legen und "systembedingte Widerstände" aus dem Weg räumen.
Und ich erinnere mich an einen Roman, den ich so sch*** fand, dass ich mich sehr dafür engagiert habe, ihn nicht zu bringen - obwohl ich durchaus der Ansicht war, dass er vermutlich seine soliden Verkäufe auf dem passenden Programmplatz hätte. Aber ich fühlte mich beim Lesen verarscht, fand das Buch schlampig und hanebüchen, mit haarsträubenden Kurzschlüssen und Augenwischerschaft statt Wissenschaft. Da habe mir überlegt, dass ich mich schämen würde und schmutzig fühlen täte, würde ich später als Lektor in diesem Buch stehen - und was für einen Wert hat das ganze dann?
Wenn ich es mir recht überlege - ich habe eigentlich immer nur Bücher empfohlen, bei denen ich mich später auch gefreut habe, wenn ich sie später auch als Lektor betreuen durfte. Was vermutlich durchaus als Zeichen dafür zu werten ist, dass Entscheidungen nicht nur strategisch zustandekommen, sondern auch die Beteiligten in den Verlagen sich durchaus an Qualitätsmaßstäben orientieren. Die natürlich unterschiedlich sein können, und rein strategische Entscheidungen gibt es auch. Aber einen grundsätzlichen Mechanismus, bei dem Verlage ganz gezielt "schlechte Massenware" aussuchen, den sehe ich nicht.

(Ich war nie Erstbegutachter, sondern immer der zweite oder dritte.)

Ich wusste bislang gar nicht, dass es einen richtigen Markt für Zweit- und Drittgutachter gibt. :o Ich erinnere mich eigentlich nur an einen Fall, wo es explizit noch ein zweites Gutachten gab. Natürlich habe ich nur Manuskripte bekommen, die vorgeprüft waren und "als prinzipiell geeignet/interessant" eingestuft; und natürlich wurden Manuskripte, die ich empfehlenswert fand, vor der Entscheidung dann oft noch gegengelesen und weiter geprüft ... allerdings hatte ich immer den Eindruck, dass sowohl die Vorauswahl wie auch die spätere Entscheidungsfindung in der Regel nicht mehr über weitere externe Gutachten, sondern verlagsintern erfolgte.
(Und, ja - ich habe deutsche und englische Romane bekommen und erst nur SF, später auch noch kurz Fantasy gemacht. Es waren zugegeben in der Mehrheit englische Texte, aber da hatte ich das Gefühl, dass dieser Zustand schlicht die damalige Masseverteilung bei den Agenturen widerspiegelte.)
"Modern Economics differs mainly from old Political Economy in having produced no Adam Smith. The old 'Political Economy' made certain generalisations, and they were mostly wrong; new Economics evades generalisations, and seems to lack the intellectual power to make them." (H.G. Wells: Modern Utopia)

#135 Gast_Michael Iwoleit_*

Gast_Michael Iwoleit_*
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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 10:22

Ja, ich weiß, allgemeiner Auffassung nach ist die Unterscheidung in E und U Quatsch. Ich bin allerdings nicht dieser
Auffassung, meiner Meinung nach ist das eine sinnvolle und sogar einigermaßen trennscharfe Unterteilung. Und zwar
ist das Kriterium schlicht, worauf ein Roman (oder allgemeiner: ein Werk) abzielt. Ein Roman der U-Literatur zielt
auf einen Leser, will diesen fesseln, unterhalten, belehren, von redlicher Arbeit abhalten, faszinieren, träumen
lassen, was auch immer - jedenfalls: ihm oder ihr ein möglichst unvergessliches Leseerlebnis bereiten. Ein Roman
der E-Literatur dagegen zielt darauf ab, die Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks zu erweitern - er ist
ein Experiment, dem ein Leser beiwohnen darf, wenn er dies möchte; ob er dabei seinen Spaß hat, muss er selber
wissen.


Gerade das sehe ich nicht so und stehe damit möglichweise quer zu den üblichen literarischen Kategorisierungen.
Die Schaffung einer neuen Sprache ist ein Aspekt, aber sicher nicht der Haupt- und erst recht kein Selbstzweck,
sondern ein Mittel, um ein intensiveres Leseerlebnis zu erreichen. Gerade lese ich Joseph Conrads "Herz der
Finsternis" und warum? Weil mir ein Erähler von diesem Farben- und Nuancenreichtum und einer so geschliffenen
erzählerischen Rhetorik ein Leseerlebnis bieten kann, das ich bei geringeren Autoren nicht finde. Ich bin ein
ausgesprochener Story-Liebhaber, und einer meiner all time favorites ist "Der Tod des Iwan Iljitsch" von Leo Tolstoi,
weil die Geschichte einen Sog entwickelt wie wenig anderes in der Literatur.

Solche Erlebnisse gibt's aber eben nicht umsonst und sind oft auch mit Anstrengungen und Erschütterungen
verbunden, denen sich auch der Kulturbeflissenste nicht ständig und nicht ausschließlich aussetzen kann. Eine
der höchsten Formen von Kunst, die ich kenne, ist die klassische japanische Musik für Shakuhashi und Koto,
aber diese Musik ist derart schicksalstrunken und schmerzerfüllt, daß man als europäischer Zuhörer nach einer
halben Stunde aus dem Fenster springen möchte.

Demgegenüber weiß ich auch sehr solche Bücher zu schätzen wie etwa (kleiner Geheimtip) die Anthologien des
Inders Khushwant Singh, der ein untrügliches Gespür für schlackefreie und witzige moderne Kurzgeschichten
hat. In der SF lese ich gern die Geschichten von Paul Di Filippo, den ich für keinen überragenden Autor halte,
der aber immer originell, handwerklich geschickt und sprühend vor Ideen ist. Im Mainstream geht's mir ähnlich
mit den Geschichten von Coragesshan Boyle.

Ein anderes Argument gegen die U/E-Dichotomie ist die Beobachtung, daß die Pole Unterhaltung und Anspruch,
Innovation und Konvention etc. mit zunehmendem zeitlichen Abstand immer enger zusammenrücken. Ein heutiger
Musikhörer kann nicht mehr recht nachvollziehen, warum Charlie Parker viele Zuhörer seiner Zeit so schockiert
hat, daß vom "Ende der Musik", vom "endgültigen Einbruch des Chaos" die Rede war. Shakespeare hatte zu seiner
Zeit ungefähr den Stellenwert wie Krimi- und SF-Autoren heute. Einer der größten französischen Klassiker, Francois
Rabelais, war ein Suffkopp und Lüstling und sein Werk vor allem ein äußerst spaßiger Ausdruck von Lebensfreude.
Literaturfreunde haben dämlichste Verrenkungen unternommen, um abzustreiten, daß Dostojewski (auch) Kriminal-
romane geschrieben hat. Ein Antagonismus von Kunst und Unterhaltung wurde oft behauptet, aber von jedem Künstler
von Rang immer wieder aus Neue widerlegt.

Mein liebster Kurzgeschichtenautor überhaupt ist William Sommerset Maugham, den vermeintliche Literaturkenner
gern in die Ecke des Nur-Unterhalters geschoben und mit dem Vorwurf getadelt haben, er habe zuviele und zuviele
schwache Geschichten geschrieben. Glaubt ihnen keinen Wort! kann ich da nur rufen. Ich finde (um nur ein paar
Beispiele zu nennen), daß Maughams geschmeidiger, flüssiger Erzählstil nicht gegen sondern für ihn spricht, daß
er die erstaunliche Fähigkeit hat, Figuren auf ein paar Seiten so zu charakterisieren, da0 dabei zugleich ein Epochen-
oder Millieuportrait entsteht, und daß er in seinen besten Geschichten (etwa "The Alien Corn", "The Pool", "The Book
Sack" etc.) ohne stilistische Extravanzen und ohne jede abstrakte Psychologisierung eine Intensität erreicht, an
die nur wenige heranreichen.

All dies sind vielleicht nachvollziehbare Gründe, warum ich mir den U/E-Schuh nicht anziehen will und ihn für
einen oft mißbrauchten Vorwand halte, von Pseudoliteraten einerseits, die Kunst über eine Verdammung jeglicher
Unterhaltungsaspekte definieren wollen, von Stümpern andererseits, für die Unterhaltung eine Entschuldigung für
jeden Müll ist. Derlei haben weder die Kunst noch die Unterhaltung verdient.

Gruß
Michael

#136 Lomax

Lomax

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 10:42

Gibt es Beispiele für die Ablehnung wegen Exploitation?

Da kenne ich mindestens einen Fall, wo ein Roman abgelehnt hatte, weil ein Verlag die Befürchtung hatte, er könne als "zu ähnlich" zu einem bekannten Referenzwerk angesehen werden. Und zwar, wohlgemerkt, nicht weil man Bedenken wegen eines "Plagiats" hatte, sondern wiel man tatsächlich nicht den Eindruck erwecken wollte, der Titel würde sich "anhängen".
Umgekehrt muss ich zugeben, sind mir deutlich mehr Beispiele aus vielen Verlagen und Agenturen bekannt, wo ganz offen gesagt wurde, dass man "Titel wie ..." sucht. Und Andreas Eschbach hat ja schon angesprochen, dass es durchaus einen mehr oder minder ausgeprägten ... hm, Druck oder Zwang wäre zu viel gesagt, aber was in der Art ... auf Autoren gibt, "das gleiche noch mal etwas anders" zu schreiben. Aus meiner Erfahrung würde ich also sagen, dass es blauäugig wäre, die Existenz verschiedener Mechanismen abzustreiten, die man als "Exploitation" ansehen könnte.
Aber das Bild in der Praxis ist halt doch differenzierter, als ein Pauschalvorwurf an "die Verlage" vermuten ließe.

Oder anders gefragt: Kann man überhaupt einen Roman schreiben, der keine "Exploitation" ist nach dem bisher Gesagten? Wie sähe der aus?

... und das war für mich mein Problem schon mit dem Eingangspost, weil ich das Gefühl hatte, dass nach der umfassenden Definition von "Exploitation" eigentlich nur noch eine ebenso ominöse "gute Literatur" übrig bleibt. Nur die "literarische Exploitation", nur das "Aufgreifen populärer Ideen" oder auch nur die Frage nach dem Verhältnis von Stil und Literatur - das wäre jedes für sich schon ein großes Thema, über das man viel sagen kann und schnell auf Probleme stößt. Alles zusammen in ein fettes Problembündel zu packen und in einer großen Tonne zu entsorgen - da wüsste ich nicht, wie das nicht stecken bleiben sollte.

All dies sind vielleicht nachvollziehbare Gründe, warum ich mir den U/E-Schuh nicht anziehen will ...

Hm, aber gerade wenn du die pauschale Trennung von U und E nicht nur repetieren und bestätigt wissen willst, ist nach meinem Empfinden der pauschalisierte Ansatz mit dem viel zu weit gefassten und diffusen Exploitation-Begriff problematisch. Vor allem, weil du explizit ja noch die "Stilfrage" einbringst und das Modell dadurch förmlich zur Projektionsfläche für die klassische U/E-Diskussion erklärt hast ...
"Modern Economics differs mainly from old Political Economy in having produced no Adam Smith. The old 'Political Economy' made certain generalisations, and they were mostly wrong; new Economics evades generalisations, and seems to lack the intellectual power to make them." (H.G. Wells: Modern Utopia)

#137 Gast_Frank Böhmert_*

Gast_Frank Böhmert_*
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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 10:50

allerdings hatte ich immer den Eindruck, dass sowohl die Vorauswahl wie auch die spätere Entscheidungsfindung in der Regel nicht mehr über weitere externe Gutachten, sondern verlagsintern erfolgte.

Ja, aber die Vorauswahl eben auch per schriftlichem Gutachten. Ich war entweder der erste oder zweite externe "Profileser".

Und ansonsten kann es sein, dass die Kinderbuchverlage da einen besonders hohen Aufwand betreiben.

Auch so viele und genaue Durchläufe im Lektorat erlebe ich woanders nicht. Ich bekomme meine Übersetzungsdatei zunächst einmal lektoriert zurück, dann läuft sie so lange hin und her, bis alle hakeligen Stellen zur beiderseitigen Zufriedenheit ausgeräumt sind, was gern auch mal telefonisch diskutiert wird; dann bekomme ich die Fahnen, nun das gleiche Spiel; und gelegentlich gibt es sogar ein zweites Mal die Fahnen, bei besonders kniffeligen Texten -- zum Beispiel, wenn viele Reime oder ähnliches drin sind, da will man bis kurz vor Drucklegung noch die Möglichkeit haben zu feilen.

Und dieser ganze Aufwand erklärt in meinen Augen auch, warum die Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland auf einem dermaßen hohen Niveau ist.


(Das war jetzt, liebe Moderatoren, ein Schlenker speziell für Popokuschel öhm Markus.)

Bearbeitet von Frank Böhmert, 13 Oktober 2010 - 10:52.


#138 Diboo

Diboo

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 11:27

Ich bin z.B. für jede Gelegenheit dankbar, die mir das unergründliche Mirakel Dirk van den Boom ein
wenig näher bringt ;) Wenn das kein Kulturaustausch ist, weiß ich auch nicht mehr.


Argl.

"Alles, was es wert ist, getan zu werden, ist es auch wert, für Geld getan zu werden."
(13. Erwerbsregel)

"Anyone who doesn't fight for his own self-interest has volunteered to fight for someone else's."
(The Cynic's book of wisdom)

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#139 Oliver

Oliver

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 11:41

Und ein "eigenes Thema erfinden" ... Ich muss gestehen, ich kann mir gar nicht vorstellen, was genau damit gemeint ist. Wann hat das ein SF-Autor denn zum letzten Mal gemacht? Ich wäre für ein aufschlussreiches Beispiel dankbar.

Zumindest für die letzten 25 Jahre (nach Neuromancer, wenn man den mal doch dafür 'setzt') würde ich behaupten, dass es das nicht gab. Bei vielen SF-Trends der letzten 10-25 Jahre (Post-Singularity, post-post Cyberpunk, New Space Opera) gab es nicht einen Autor und ein Werk, auf das man mit dem Finger zeigen könnte; man könnte Titel nennen, aber dafür gibt es dann auch immer weitere bzw. Gegen-Beispiele.

Das einzige, was mir in den letzten Jahren überhaupt zu Deiner Frage einfällt, ist Neal Stephensons "Anathem". Das bot in der Tat mal etwas völlig Neues, hatte Stephenson doch 'unsere' gesamte Philosophie- und Geistesgeschichte mit dem Hammer zerschlagen und fast von Grund auf neu gemischt und erzählt. Das war IMHO etwas völlig Neues (wobei das eigentlich hinter dem Roman steckende SF-Konzept ein altbekannter Topos war), aber das würde, denke ich, auch nicht unbedingt zu Deiner Frage passen. Denn das war eher die Idee für einen Roman - und wird aufgrund der Kompliziertheit und Verschrobenheit sicherlich keine Nachahmer als Thema finden. ;) "Anathem" ist aber gerade für mich auch ein schönes Anti Dösi-Beispiel, denn dieser voluminöse, komplizierte Schinken wurde eben nicht "am Markt vorbei" geschrieben, sondern war in den USA im (teuren) Hardcover ein NR.1-Bestseller. ;)


@Michael: Ich habe über Dirk ja nun schon wirklich viele Attribute und Schimpfworte (gerade auch von mir selbst ausgesprochen :lol: :rofl1: ) gehört, aber "Mirakel" noch nie. Was ist denn an Dirk so mirakulös? Ja, liebe Mods, das ist OT, aber auch zu schön, um es unter den Tisch fallen zu lassen. ;) :o

Bearbeitet von Oliver, 13 Oktober 2010 - 11:50.

  • (Buch) gerade am lesen:"Tales of the Shadowmen 1", J.-M. Lofficier (ed.)
  • (Buch) als nächstes geplant:"Tales of the Shadowmen 2", J.-M. Lofficier (ed.)
  • • (Buch) Neuerwerbung: Sherlock Holmes - Aus den Geheimakten des Weltdetektivs (Sammelband, 1973, mit 15 Heftromanen (1907/1908))
  • • (Film) gerade gesehen: "Das Testament des Dr. Mabuse" (Fritz Lang)
  • • (Film) als nächstes geplant: "Jurassic World: Dominion" (Dinos!!!!!)
  • • (Film) Neuerwerbung: "Judex" (Louis Feuillade)

#140 fictionality

fictionality

    Illuminaut

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 11:48

Ich bin ein ausgesprochener Story-Liebhaber, und einer meiner all time favorites ist "Der Tod des Iwan Iljitsch" von Leo Tolstoi, weil die Geschichte einen Sog entwickelt wie wenig anderes in der Literatur.


"Die Kreuzersonate" ist auch nicht zu verachten.

Demgegenüber weiß ich auch sehr solche Bücher zu schätzen wie etwa (kleiner Geheimtip) die Anthologien des Inders Khushwant Singh, der ein untrügliches Gespür für schlackefreie und witzige moderne Kurzgeschichten hat. In der SF lese ich gern die Geschichten von Paul Di Filippo, den ich für keinen überragenden Autor halte, der aber immer originell, handwerklich geschickt und sprühend vor Ideen ist. Im Mainstream geht's mir ähnlich mit den Geschichten von Coragesshan Boyle.


Hach, ich muss mal wieder mehr lesen ...

Ein anderes Argument gegen die U/E-Dichotomie ist die Beobachtung, daß die Pole Unterhaltung und Anspruch, Innovation und Konvention etc. mit zunehmendem zeitlichen Abstand immer enger zusammenrücken. Ein heutiger Musikhörer kann nicht mehr recht nachvollziehen, warum Charlie Parker viele Zuhörer seiner Zeit so schockiert hat, daß vom "Ende der Musik", vom "endgültigen Einbruch des Chaos" die Rede war. Shakespeare hatte zu seiner Zeit ungefähr den Stellenwert wie Krimi- und SF-Autoren heute. Einer der größten französischen Klassiker, Francois Rabelais, war ein Suffkopp und Lüstling und sein Werk vor allem ein äußerst spaßiger Ausdruck von Lebensfreude.
Literaturfreunde haben dämlichste Verrenkungen unternommen, um abzustreiten, daß Dostojewski (auch) Kriminalromane geschrieben hat. Ein Antagonismus von Kunst und Unterhaltung wurde oft behauptet, aber von jedem Künstler von Rang immer wieder aus Neue widerlegt.


Du kannst aber nicht argumentieren, diese ganze Unterscheidung sei deswegen nicht sinnvoll, weil bekannte E-Autoren auch einmal U-Literatur verfassen, um vielleicht ein größeres Publikum zu erreichen oder schlicht weil sie eine "Phase" haben in der sie eben mal lieber was Seichtes schreiben. Ich halte die Unterscheidung prinzipiell für sinnvoll, allerdings sollte das jeder für sich entscheiden, die Grenzen sind ja fließend, und ganz fürchterlich fände ich es, wenn es in Zukunft einmal E- und U-Buchhandlungen gäbe oder wenn schon auf den Covern davor gewarnt wird, dass ein Buch U- oder E-Literatur enthält. Das führt zu nichts. Es kommt immer auf den individuellen Geschmack des Lesers an und dank des Internets relativieren sich solche Grenzsetzungen nach und nach.

Wie immer nur meine eigene ganz bescheidene Meinung.

#141 Lomax

Lomax

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 12:22

Und ansonsten kann es sein, dass die Kinderbuchverlage da einen besonders hohen Aufwand betreiben.

Kann sein. Hab ich jedenfalls schon mal von anderer Seite gehört.

Auch so viele und genaue Durchläufe im Lektorat erlebe ich woanders nicht. Ich bekomme meine Übersetzungsdatei zunächst einmal lektoriert zurück, dann läuft sie so lange hin und her, ...

Ich hoffe mal, das schlägt sich auch in der Vergütung nieder. Denn nichts ist so zeitaufwendig und damit teuer wie Diskussionen und Rücksprachen. Ich erlebe das auch nur selten. Bei den Mieville-Übersetzungen wird schon mal im Lektorat jedes Wort ausdiskutiert, und einmal wurde ich als Lektor bei einem ganz neuen Übersetzer gebeten, dem ein ausführliches Feedback zu geben und mich auch mal im Verlag mit ihm zu treffen, sozusagen als "Einarbeitung".
Aber im Großen und Ganzen war es bei Übersetzungen doch eher so, dass man als Übersetzer oder Lektor seinen Arbeitsschritt alleine macht. Als Übersetzer bin ich es eher gewohnt, mit dem Lektor einseitig über Fußnotenapparate zu kommunizieren, und Absprachen gibt es nur bei den wenigen Einzelproblemen, wo die eine oder die andere Seite glaubt, die Sache alleine nicht sachgerecht klären zu können. Wiederholtes Hin- und Herschicken, das klingt schon nach sehr viel Aufwand für den Regelfall.

Und dieser ganze Aufwand erklärt in meinen Augen auch, warum die Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland auf einem dermaßen hohen Niveau ist.

Vielleicht - eine interessante Theorie. In manchen Genres fällt der Unterschied da schon auf, wenn auch nicht so pauschal, dass man keine Gegenbeispiele finden könnte.

Das einzige, was mir in den letzten Jahren überhaupt zu Deiner Frage einfällt, ist Neal Stephensons "Anathem". Das bot in der Tat mal etwas völlig Neues, hatte Stephenson doch 'unsere' gesamte Philosophie- und Geistesgeschichte mit dem Hammer zerschlagen und fast von Grund auf neu gemischt und erzählt.

Na schau, da nehme ich aus dieser Diskussion jetzt doch zumindest einen Buchtitel mit auf meine persönliche Leseliste. ;)
Obwohl, 30 Euro *röchel* ... ich weiß noch nicht, ob ich dieser kommerziellen Seite der Kultur gewachsen bin. Aber gut, irgendwann krieg ich den schon ...
"Modern Economics differs mainly from old Political Economy in having produced no Adam Smith. The old 'Political Economy' made certain generalisations, and they were mostly wrong; new Economics evades generalisations, and seems to lack the intellectual power to make them." (H.G. Wells: Modern Utopia)

#142 Amtranik

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 12:27

Obwohl, 30 Euro *röchel* ... ich weiß noch nicht, ob ich dieser kommerziellen Seite der Kultur gewachsen bin. Aber gut, irgendwann krieg ich den schon ...


Oder Du machst es wie ich es immer mache, falls Du eh noch einen hohen Bücherstapel ungelesener Werke rumliegen hast, Du wartest 1 Jährchen, denn bei solch einem Titel kommt
das Taschenbuch ganz bestimmt. ;)

#143 Amtranik

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 12:36

Zumindest für die letzten 25 Jahre (nach Neuromancer, wenn man den mal doch dafür 'setzt') würde ich behaupten, dass es das nicht gab. Bei vielen SF-Trends der letzten 10-25 Jahre (Post-Singularity, post-post Cyberpunk, New Space Opera) gab es nicht einen Autor und ein Werk, auf das man mit dem Finger zeigen könnte; man könnte Titel nennen, aber dafür gibt es dann auch immer weitere bzw. Gegen-Beispiele.



Mal andersherum nachgefragt.

Wieso ist es überhaupt unbedingt wichtig sich darüber aufzuregen? Es mag sein
das irgendwann in den 30er 40er Jahren komplett neue Ideen in der SF aufgetaucht sind
( um das genau zu wissen bin ich nicht belesen genug ) die Umsetzung, das handwerkliche
der Romane aber ansonsten schlecht war. Und dann? Geht es überhaupt darum?

Mir zb sind heute noch mehr als genug Romane völlig neu. Es gibt soviele Werke zu entdecken,
mir kommt es so vor das hier angesprochene Problemfeld berührt sowieso allenfalls den
über 50jährigen alternden SF-Fan der seit er lesen kann SF Romane konsumiert hat, alles
kennt und daher gelangweilt über den xten Space Opera oder Utopie/Dystopie-Plot gähnt.

In einer neuen "Ära" der SF, einem tollen noch
nie dagewesenen Trend die Lösung aller Probleme mit schlechten Romanen zu erhoffen
das sehe ich so nicht. Mir ist es sogar ziemlich wurscht, da ich in den allermeisten Fällen
sowieso nicht beurteilen kann ob eine Idee neu oder schon im Roman xy aus dem Jahr 1964
von Autor Z umgesetzt worden ist.

Aber fragt mich in 10-15 Jahren nochmal. Eventuell habe ich dann genügend der Klassiker
gelesen um ansatzweise hier mitreden zu können.

#144 Gast_Frank Böhmert_*

Gast_Frank Böhmert_*
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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 13:06

Schlenker, schlanker, schlonker ... :o (Kleine Anspielung für Kenner)

Ich hoffe mal, das schlägt sich auch in der Vergütung nieder.

Sagen wir es mal so: Ich erziele nirgendwo so gute Stundensätze wie hier. Tantiemen fließen manchmal auch noch. Was meinst du, warum ich am liebsten Kinder- und Jugendbücher übersetze! Gute Handwerksorientiertheit, fast immer gute Zusammenarbeit und obendrein noch gutes Geld. Mehr geht nicht. Jedenfalls nicht mit meinen Gaben.


-----

Und ansonsten möchte ich das werte Augenmerk der DiskoTanten noch einmal hierauf lenken. Ist zwar locker hingehauen, war aber ernstgemeint:

Weil es dafür eben die Exploitation-Autoren braucht. ;) Das ist ihre Nische und Funktion in Darwins Koralle des Lebens. Sie verbreiten Ideen.


Bearbeitet von Frank Böhmert, 13 Oktober 2010 - 13:23.


#145 Susanne11

Susanne11

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 13:20

Mir zb sind heute noch mehr als genug Romane völlig neu. Es gibt soviele Werke zu entdecken,
mir kommt es so vor das hier angesprochene Problemfeld berührt sowieso allenfalls den
über 50jährigen alternden SF-Fan der seit er lesen kann SF Romane konsumiert hat, alles
kennt und daher gelangweilt über den xten Space Opera oder Utopie/Dystopie-Plot gähnt.

Ich habe eher den Eindruck, dass zuviel Hintergrundwissen sich störend auf den Lesegenuss auswirken kann.

Mir geht es wie Dir. Ich lese seit 40 Jahren fast ausschließlich phantastische Romane und es gibt immer wieder hervorragende Werke darunter. Allerdings habe ich mich noch nie mit Sekundärliteratur beschäftigt oder mir irgendwelche theoretischen Gedanken zum Genre gemacht.

Nichtsdestotrotz - eine interessante Diskussion.

#146 Lomax

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 15:16

Oder Du machst es wie ich es immer mache, falls Du eh noch einen hohen Bücherstapel ungelesener Werke rumliegen hast, Du wartest 1 Jährchen, denn bei solch einem Titel kommt das Taschenbuch ganz bestimmt.

Ja, das war auch mein erster Gedanke. Bei meinen Bücherstapel ist die Frist, bis ich dazu komme, ohnehin eher nach Jahren zu bemessen. Aber dann hab ich als Verlag "Manhattan" gesehen und kam ins Grübeln, ob die Tatsache, dass der Roman in dem Imprint erscheint, nicht darauf hindeutet, dass es ein "Special Interest Titel" ist, der es eher nicht bis in den den TaBu-Massenmarkt schafft :unsure:
Ich habe leider keine Ahnung, wie da bei Manhattan die Quote ist.
Aber, wie gesagt, da er eh erst mal nur auf meiner Longlist steht, werde ich das ja sehen, bis es ans kaufen geht ...

Sagen wir es mal so: Ich erziele nirgendwo so gute Stundensätze wie hier.

Hm, bemerkenswert ... bedenkenswert ... beneidenswert. Ich kenne das sonst nur so, dass der Stundensatz umso schlechter wird, je anspruchsvoller der Text. Da gibt es dann zwar bessere Honorare - aber andererseits dauert's auch mal locker zwei bis dreimal so lange, wenn man viel recherchieren, kommunizieren und nachfeilen muss. Und n-hundert Prozent Aufschlag kann man dann meist doch nicht durchsetzen.
Da klingt das Kinderbuchsegment doch wirklich wie eine Insel der Seligen, wenn es sich dieser unglücklichen Dynamik entziehen kann, die einen anderswo schon mitunter dazu zwingt, sich bei der Wahl von Aufträgen zwischen Anspruch und Einkommen entscheiden zu müssen. ;)
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#147 Lucardus

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 15:26

"King Rat" war Mievilles Debüt, aber nicht das erste Buch, das ich von ihm gelesen habe. Mir hat's gefallen, allerdings war es auch nicht der Titel, den ich begeistert empfohlen habe. Ich weiß auch nicht, ob er's unter anderen Umständen geworden wäre, den Perdido Street war deutlich besser, und auch international hat Mieville erst mit diesem zweiten Roman wirklich aufsehen erregt. Ich denke also durchaus, es lohnt sich, noch mal "Perdido Street Station" zu probieren, auch wenn man mit King Rat nichts anfangen kann.

Kann ich bestätigen, exakt wie bei mir. Ich habe zuerst Perdido Street Station gelesen, und war dann vom King Rat nicht mehr so überzeugt. Ich fand allerdings die beiden folgenden Titel (The Scar und The Iron Council) noch besser, ich weiß nur nicht, ob man die ohne vorherige Lektüre von PSS so gut aufnimmt wie ich. Es sind unabhängige Romane, aber das Universum bleibt und man hat Wiedererkennungseffekte.

Bei Mieville kann ich also befremdete Fans "klassischer" SF gut verstehen und hätte sogar mehr davon erwartet :unsure:

Alles Weicheier, die was gegen Ameisenfrauen haben. Wenn unser "Forum-Mirakel" wüsste, was da für Ladies rumlaufen ... ;)
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#148 Diboo

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 15:30

Alles Weicheier, die was gegen Ameisenfrauen haben. Wenn unser "Forum-Mirakel" wüsste, was da für Ladies rumlaufen ... ;)


Argl.

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#149 Lucardus

Lucardus

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 15:42

Verdammt, jetzt bin ich so lange hier und habe jetzt erst kapiert, wie das mit dem "Quote" Button funktioniert ...

Oder Du machst es wie ich es immer mache, falls Du eh noch einen hohen Bücherstapel ungelesener Werke rumliegen hast, Du wartest 1 Jährchen, denn bei solch einem Titel kommt das Taschenbuch ganz bestimmt. ;)

Den kann man gut auf Englisch lesen. Den habe sogar ich kapiert. Und das war mein zweiter oder dritter englischer Roman überhaupt. Man muss allerdings wissen, dass ein Glossar existiert, sonst sucht man sich im Wörterbuch tot ... Anathem war für mich wirklich ein Highlight!

Aber dann hab ich als Verlag "Manhattan" gesehen und kam ins Grübeln, ob die Tatsache, dass der Roman in dem Imprint erscheint, nicht darauf hindeutet, dass es ein "Special Interest Titel" ist, der es eher nicht bis in den den TaBu-Massenmarkt schafft :unsure:

Also so Special Interest würde ich Stephenson gar nicht einordnen. Seit "Cryptonomicon" ist der doch fast Mainstream oder zumindest einem breiten Publikum bekannt. Und Cryptonomicon ist ja auch irgendwie "special".
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#150 Beverly

Beverly

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Geschrieben 13 Oktober 2010 - 15:55

Das einzige, was mir in den letzten Jahren überhaupt zu Deiner Frage einfällt, ist Neal Stephensons "Anathem". Das bot in der Tat mal etwas völlig Neues, hatte Stephenson doch 'unsere' gesamte Philosophie- und Geistesgeschichte mit dem Hammer zerschlagen und fast von Grund auf neu gemischt und erzählt. Das war IMHO etwas völlig Neues (wobei das eigentlich hinter dem Roman steckende SF-Konzept ein altbekannter Topos war), aber das würde, denke ich, auch nicht unbedingt zu Deiner Frage passen. Denn das war eher die Idee für einen Roman - und wird aufgrund der Kompliziertheit und Verschrobenheit sicherlich keine Nachahmer als Thema finden. :unsure: "Anathem" ist aber gerade für mich auch ein schönes Anti Dösi-Beispiel, denn dieser voluminöse, komplizierte Schinken wurde eben nicht "am Markt vorbei" geschrieben, sondern war in den USA im (teuren) Hardcover ein NR.1-Bestseller. ;)


Um Stephensen mache ich einen großen Bogen, weil ich meine Enttäuschung wegen "zu abgehoben" schon beim Lesen der Rezis über ihn ahne und dann aus Frust wieder zu "Perry Rhodan" greife, weil da weiß, was man hat.

Dagegen fand ich in ILIUM und OLYMPOS von Dan Simmons bezüglich Weltentwurf und Handlung zwei Bücher, wie ich sie in der Art nie zuvor gelesen habe. Das Gleiche gilt für LORD GAMMA von Michael Marrak. Da lassen die "Exploiters" auf sich warten, weil man sich von solchen Werken zwar inspirieren lassen kann, sich Originalität aber schon ihrer Definition nach nicht kopieren lässt.


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