Der ganze Aspekt des "besseren Ortes", der gemäss allgemeinem Konsens Teil der Utopie ist
Ich bestreite, dass der Aspekt des "besseren Ortes“ gemäß allgemeinem Konsens Teil der Utopie ist. Tatsächlich ist eine Utopie grundsätzlich ein Nicht-Ort, der deshalb als Entwurf einer fiktiven Gesellschaftsordnung, die nicht an die zeitgenössischen historisch-kulturellen Rahmenbedingungen gebunden ist, herangezogen werden kann. Laut
Duden hat Utopie sogar lediglich folgende Bedeutung: undurchführbar erscheinender Plan; Idee ohne reale Grundlage. Was sich auch aus der Wortherkunft ableitet; zu griechisch ou = nicht und tópos = Ort, Stelle, Land, mit anderen Worten = Nichtland, Nirgendwo.
ist beim Motiv künstlichen Menschen nicht erkennbar. Ganz im Gegenteil ist die Erschaffung eines künstlichen Menschen in der Literaturgeschichte traditionell negativ konnotiert.
Im alltäglichen Sprachgebrauch wird Utopie auch als Synonym für einen von der jeweils vorherrschenden Gesellschaft vorwiegend als unausführbar betrachteten Plan, ein Konzept und eine Vision, benutzt. Und die Erschaffung eines künstlichen Menschen wird von der unserer vorherrschenden Gesellschaft nach wie vor als ein unausführbar Plan betrachtet, ergo als etwas durch und durch Utopisches.
Du hast die Dystopie zuerst als "fiktive Gesellschaft, die sich zum Negativen entwickelt" definiert und behauptet, Frankenstein sei aufgrund dieser Beschreibung einer Dystopie (wobei nach wie vor unklar ist, inwiefern der Roman eine fiktive Gesellschaft beschreiben soll).
Lies meine Definition doch einfach noch einmal, dann wird dir hoffentlich auch selbst auffallen, dass du lediglich eine unzulässige Verkürzung meiner Definition hier zum Besten gibst:
Ein negatives Setting alleine ist einfach noch keine Dystopie.
Eine Dystopie ist aber eine Geschichte, die in einer (mehr oder minder fiktiven) Gesellschaft spielt, die sich zum Negativen entwickelt hat, die charakterisiert wird durch eine autoritäre oder totalitäre Regierungsform bzw. eine Form repressiver sozialer Kontrolle. All dies ist in der Bigend-Trilogie von William Gibson gegeben - ergo ist es eine Dystopie. Quod erat dromedarum.
Und dann, nachdem offensichtlich wurde, dass diese Definition nichts taugt, hast Du Dystopie plötzlich zur Utopekritik erklärt, und Frankenstein gehöre angeblich deshalb dazu, weil der künstliche Mensch ein utopisches Konzept ist. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Ansätze, die nichts miteinander zu tun haben.
Eine Theorie ist bekanntlich ein vereinfachtes Bild eines Ausschnitts der Realität, der mit diesem Bild beschrieben und erklärt werden soll. Es ist durchaus üblich, im Verlauf einer Diskussion eine Theorie zu erweitern, was ich auch gemacht habe. Minimalforderungen an theoretische Erklärungsansätze sind im Allgemeinen, dass sie den Vorschriften der Logik und Grammatik entsprechen, widerspruchsfrei sowie überprüfbar sind, ferner sollen sie ein Erklärungswert besitzen, also nicht rein deskriptiv sein und gleichzeitig extensiv sein, d.h. ihr Gegenstandsbereich soll nicht zu speziell sein. All dies gilt für meine Dystopie-Definition bzw. -Theorie, die eine Bestimmung des Wesens der Dystopie anstrebt. Eine Dystopie ist ihren Wesen nach immer eine Geschichte, die in einer (mehr oder minder fiktiven) Gesellschaft spielt, die sich zum Negativen entwickelt hat, die charakterisiert wird durch eine autoritäre oder totalitäre Regierungsform bzw. eine Form repressiver sozialer Kontrolle. Gleichzeitig ist eine Dystopie ihren Wesen nach immer eine utopisch verkleidete Utopiekritik. Das sind keinesfalls zwei vollkommen unterschiedliche Ansätze, die nichts miteinander zu tun haben. Sie sind schlicht zwei Seiten einer Medaille. Als Synthese bezeichnet man gewöhnlich die Vereinigung von zwei Bestandteilen zu einer neuen Einheit. Willst du damit lediglich andeuten, dass du hierzu nicht in der Lage bist?