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Das Verhältnis von Utopie, SF und Alternate History


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316 Antworten in diesem Thema

#151 simifilm

simifilm

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Geschrieben 20 August 2011 - 17:23

Wie würdest du das Verhältnis von Dystopie und Anti-Utopie fassen wollen. Auch wie Sargent?


Ich bin da nicht wirklich entschieden. Wie ich schon geschrieben habe, benutze ich für "negative Utopien" bevorzugt den Begriff der Dystopie, um Verwirrung schon im Vornherein zu vermeiden. Ich habe aber kein Problem damit, wenn man Anti-Utopie synonym mit Dystopie verwendet (was ja wohl der gängigere Gebrauch ist). Sargents Unterscheidung hat aber eben auch etwas für sich, weil sie einen Unterschied sichtbar macht, der nicht unbedingt offensichtlich ist - den zwischen negativer Utopie und Utopie-Kritik. Insofern ist die Unterscheidung zwischen Dystopie und Anti-Utopie sicher handlicher als eine zwischen utopiekritischen und nicht-utopiekritischen Dystopien. Aber letztlich kommt das wohl auf den Kontext an; sprich: je nachdem, um was es mir in einem Text geht, würde ich die Unterscheidung einführen.

Signatures sagen nie die Wahrheit.

Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.

Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.

Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
 

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#152 RobRandall

RobRandall

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Geschrieben 20 August 2011 - 17:27

Natürlich behauptet der fiktive Staat in 451 Utopia realisiert zu haben, aber das macht jede Staatsmacht.

Nein. Weder das deutsche Kaiserreich, noch Cäsar, Ludwig der XIV oder Helmut Kohl haben davon gesprochen. Selbst viele totalitären Staaten behaupten immer nur auf dem Wege zu Utopia zu sein (Prinzip: Mobilisierung der Massen).

Diese Behauptung allein ist für eine Utopie im literarischen Sinne nicht ausreichend.

Da gebe ich dir recht - hinzukommen müssen gewisse textsortenspezifische Merkmale. Diese zeigt der Text aber.

Ansonsten ist die gesamte Argumentation für die Bücherverbrennung und auch die Form der Inszenierung derart lächerlich, daß man hier nicht von einem ernsthaften Weltentwurf sprechen kann.

Ist schon ein bisschen her, dass ich Fahrenheit gelesen habe, also gebe ich dir hier mal recht. Die Frage ist aber, wie ernsthaft er sein muss...

Versteh mich in der Kritik nicht falsch, ich bin gerne bereit, zu sagen Fahrenheit ist nicht anti-utopisch im gleichen Sinne wie 1984. Da gebe ich dir recht.

Bearbeitet von RobRandall, 20 August 2011 - 18:09.


#153 RobRandall

RobRandall

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Geschrieben 20 August 2011 - 17:38

Ich bin da nicht wirklich entschieden. Wie ich schon geschrieben habe, benutze ich für "negative Utopien" bevorzugt den Begriff der Dystopie, um Verwirrung schon im Vornherein zu vermeiden. Ich habe aber kein Problem damit, wenn man Anti-Utopie synonym mit Dystopie verwendet (was ja wohl der gängigere Gebrauch ist). Sargents Unterscheidung hat aber eben auch etwas für sich, weil sie einen Unterschied sichtbar macht, der nicht unbedingt offensichtlich ist - den zwischen negativer Utopie und Utopie-Kritik. Insofern ist die Unterscheidung zwischen Dystopie und Anti-Utopie sicher handlicher als eine zwischen utopiekritischen und nicht-utopiekritischen Dystopien. Aber letztlich kommt das wohl auf den Kontext an; sprich: je nachdem, um was es mir in einem Text geht, würde ich die Unterscheidung einführen.

Ich finde Sargents Unterscheidung auch reizvoll - und würde dann sagen, dass sich für einen gewissen Zeitraum im 20. Jahrhundert bestimmte Merkmale des Genres (z.B. Außenseiterfigur) für die Anti-Utopie etabliert haben, die nun (schon seit längerem) zunehmend wieder "aufgeweicht" werden. Ich selbst bin mir aber unsicher, wie man die Vorläufer ansprechen sollte - mir scheint es, als würde man die Idee eines invarianten Genrebegriffs verfechten, wenn man ihnen nicht den Status Anti-Utopie zuspricht.

#154 Konrad

Konrad

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Geschrieben 20 August 2011 - 20:32

Nein. Weder das deutsche Kaiserreich, noch Cäsar, Ludwig der XIV oder Helmut Kohl haben davon gesprochen. Selbst viele totalitären Staaten behaupten immer nur auf dem Wege zu Utopia zu sein (Prinzip: Mobilisierung der Massen).

Also gut, ergänze "oder behauptet sich auf dem Weg dahin zu befinden".
Ändert aber nichts am Argument, daß die Behauptung für die Klassifikation nicht ausreichend ist.

Da gebe ich dir recht - hinzukommen müssen gewisse textsortenspezifische Merkmale. Diese zeigt der Text aber.

Dies ist für eine Utopie aber immer noch nicht ausreichend.
Eine Utopie muß ein umfassender Weltentwurf sein, und eine Anti-Utopie oder Utopiekritik muß sich an diesem Anspruch orientieren.
Das ist der Unterschied zur Dystopie, die teilweise lückenhaft bleiben kann.

#155 Anubizz

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Geschrieben 21 August 2011 - 20:23

Eine Utopie muß ein umfassender Weltentwurf sein, und eine Anti-Utopie oder Utopiekritik muß sich an diesem Anspruch orientieren.
Das ist der Unterschied zur Dystopie, die teilweise lückenhaft bleiben kann.

Was für eine Einordnung von Fahrenheit 451 als Dystopie sprechen würde, oder nicht?

Um übrigens noch mal auf die Werkintention zurückzukommen:

Ansonsten - um einmal auf Morus zurück zu kommen - halte ich 10kg schwere Pinkelpötte aus massiven Gold wirklich nur bedingt für eine positive Entwicklung...

Das halte ich bei der Frage, ob ein Text eine Utopie oder eine Dystopie ist, erstmal für irrelevant. Ein bornierter Antikommunist z.B. wird jede kommunistische Utopie, egal wie libertär sie daherkommen mag, scheiße finden. Die Intention des Textes, eine bestimmte Gesellschaftsform als Utopie darzustellen, berührt das aber nicht.

#156 Konrad

Konrad

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Geschrieben 22 August 2011 - 07:23

Was für eine Einordnung von Fahrenheit 451 als Dystopie sprechen würde, oder nicht?

Berücksichtigt man nur die Lückenhaftigkeit, könnte man so argumentieren.
Da ich aber die Ernsthaftigkeit des Weltentwurfs anzweifle und die poetischen Elemente als wesentlichen Faktor betrachte, geht meine Tendenz eher in Richtung dystopisches Märchen.

PS: Nach meiner Einschätzung ist 451 der ideale Stoff für eine Oper. :P

Bearbeitet von Konrad, 22 August 2011 - 08:20.


#157 Thomas Sebesta

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Geschrieben 22 August 2011 - 10:28

Um wieder einen Bogen zur AH zu schlagen ein Link zum Standard-Artikel über den Sieger des Sidewise-Award.. Der Standard löst die AH überhaupt aus der SF heraus und bezeichnet sie als eigenständiges Genre (wohl auch eine Sache der Definition ;))

Bearbeitet von Thomas Sebesta, 22 August 2011 - 10:29.

Thomas Sebesta/Neunkirchen/Austria

Blog zur Sekundärliteratur: http://sebesta-seklit.net/

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#158 Konrad

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Geschrieben 22 August 2011 - 10:50

Um wieder einen Bogen zur AH zu schlagen ein Link zum Standard-Artikel über den Sieger des Sidewise-Award.. Der Standard löst die AH überhaupt aus der SF heraus und bezeichnet sie als eigenständiges Genre (wohl auch eine Sache der Definition ;))

Die dahinterstehende Intention ist ziemlich durchsichtig:
Etikett SF schlecht, na dann nennen wir es halt anders.
Ich kann nur hoffen, die reiten die SF-Strömung nicht auch zu Tode wie den Cyberpunk. :unsure:

#159 Gerd

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Geschrieben 22 August 2011 - 10:53

Ich kann nur hoffen, die reiten die SF-Strömung nicht auch zu Tode wie den Cyberpunk. ;)


Wer sind "die"?
Sudden moroseness. One hop too far.

#160 Konrad

Konrad

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Geschrieben 22 August 2011 - 10:56

Wer sind "die"?

Die, die einem ständig was verkaufen wollen.
Die immer gerade dann klingeln, wenn man auf dem Klo sitzt... :unsure:
Die, für die Genredefinitionen in erster Linie Marketinginstrumente sind.

PS:
Ist eine gute Frage, Gerd!
Wenn ich so darüber nachdenke, scheint Etikettenschwindel ein Zeitgeistphänomen zu sein. ;)

Bearbeitet von Konrad, 22 August 2011 - 11:51.


#161 Ming der Grausame

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Geschrieben 22 August 2011 - 16:48

Der ganze Aspekt des "besseren Ortes", der gemäss allgemeinem Konsens Teil der Utopie ist

Ich bestreite, dass der Aspekt des "besseren Ortes“ gemäß allgemeinem Konsens Teil der Utopie ist. Tatsächlich ist eine Utopie grundsätzlich ein Nicht-Ort, der deshalb als Entwurf einer fiktiven Gesellschaftsordnung, die nicht an die zeitgenössischen historisch-kulturellen Rahmenbedingungen gebunden ist, herangezogen werden kann. Laut Duden hat Utopie sogar lediglich folgende Bedeutung: undurchführbar erscheinender Plan; Idee ohne reale Grundlage. Was sich auch aus der Wortherkunft ableitet; zu griechisch ou = nicht und tópos = Ort, Stelle, Land, mit anderen Worten = Nichtland, Nirgendwo.

ist beim Motiv künstlichen Menschen nicht erkennbar. Ganz im Gegenteil ist die Erschaffung eines künstlichen Menschen in der Literaturgeschichte traditionell negativ konnotiert.

Im alltäglichen Sprachgebrauch wird Utopie auch als Synonym für einen von der jeweils vorherrschenden Gesellschaft vorwiegend als unausführbar betrachteten Plan, ein Konzept und eine Vision, benutzt. Und die Erschaffung eines künstlichen Menschen wird von der unserer vorherrschenden Gesellschaft nach wie vor als ein unausführbar Plan betrachtet, ergo als etwas durch und durch Utopisches.

Du hast die Dystopie zuerst als "fiktive Gesellschaft, die sich zum Negativen entwickelt" definiert und behauptet, Frankenstein sei aufgrund dieser Beschreibung einer Dystopie (wobei nach wie vor unklar ist, inwiefern der Roman eine fiktive Gesellschaft beschreiben soll).

Lies meine Definition doch einfach noch einmal, dann wird dir hoffentlich auch selbst auffallen, dass du lediglich eine unzulässige Verkürzung meiner Definition hier zum Besten gibst:

Ein negatives Setting alleine ist einfach noch keine Dystopie.

Eine Dystopie ist aber eine Geschichte, die in einer (mehr oder minder fiktiven) Gesellschaft spielt, die sich zum Negativen entwickelt hat, die charakterisiert wird durch eine autoritäre oder totalitäre Regierungsform bzw. eine Form repressiver sozialer Kontrolle. All dies ist in der Bigend-Trilogie von William Gibson gegeben - ergo ist es eine Dystopie. Quod erat dromedarum. ;)

Und dann, nachdem offensichtlich wurde, dass diese Definition nichts taugt, hast Du Dystopie plötzlich zur Utopekritik erklärt, und Frankenstein gehöre angeblich deshalb dazu, weil der künstliche Mensch ein utopisches Konzept ist. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Ansätze, die nichts miteinander zu tun haben.

Eine Theorie ist bekanntlich ein vereinfachtes Bild eines Ausschnitts der Realität, der mit diesem Bild beschrieben und erklärt werden soll. Es ist durchaus üblich, im Verlauf einer Diskussion eine Theorie zu erweitern, was ich auch gemacht habe. Minimalforderungen an theoretische Erklärungsansätze sind im Allgemeinen, dass sie den Vorschriften der Logik und Grammatik entsprechen, widerspruchsfrei sowie überprüfbar sind, ferner sollen sie ein Erklärungswert besitzen, also nicht rein deskriptiv sein und gleichzeitig extensiv sein, d.h. ihr Gegenstandsbereich soll nicht zu speziell sein. All dies gilt für meine Dystopie-Definition bzw. -Theorie, die eine Bestimmung des Wesens der Dystopie anstrebt. Eine Dystopie ist ihren Wesen nach immer eine Geschichte, die in einer (mehr oder minder fiktiven) Gesellschaft spielt, die sich zum Negativen entwickelt hat, die charakterisiert wird durch eine autoritäre oder totalitäre Regierungsform bzw. eine Form repressiver sozialer Kontrolle. Gleichzeitig ist eine Dystopie ihren Wesen nach immer eine utopisch verkleidete Utopiekritik. Das sind keinesfalls zwei vollkommen unterschiedliche Ansätze, die nichts miteinander zu tun haben. Sie sind schlicht zwei Seiten einer Medaille. Als Synthese bezeichnet man gewöhnlich die Vereinigung von zwei Bestandteilen zu einer neuen Einheit. Willst du damit lediglich andeuten, dass du hierzu nicht in der Lage bist?
„Weisen Sie Mittelmäßigkeit wie eine Seuche zurück, verbannen Sie sie aus ihrem Leben.“

Buck Rogers

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#162 Ming der Grausame

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Geschrieben 22 August 2011 - 17:03

Anti-Utopien richten sich IMHO eher immer gegen identifizierbare Utopien, während Dystopien eben nur utopisch verkleidete Utopiekritik sind, ohne den politisch-sozialen Raum zum Ausgangspunkt zu nehmen. Daher ist 1984 für mich eine Anti-Utopie, während Bradburys Fahrenheit 451 indessen eine Dystopie ist.

Eine Kritik kann sich immer nur gegen ein identifizierbares Objekt richten, daher macht deine Unterscheidung von beiden Bezeichnungen keinen Sinn.

Ich bestreite nicht, dass es sich hierbei um einen Pleonasmus handelt. ;)

Nun mußt du mir mal erklären, welchen Lesern du allen Ernstes ein Bücher verbrennendes System als "Eu-Topos"verkaufen willst.

Niemanden. Und exakt deswegen handelt es sich ja auch um eine Dystopie. Eben um eine Geschichte, die in einer (mehr oder minder fiktiven) Gesellschaft spielt, die sich zum Negativen entwickelt hat, die charakterisiert wird durch eine autoritäre oder totalitäre Regierungsform bzw. eine Form repressiver sozialer Kontrolle.

Jede Systemmacht behauptet, sie würde die Beste aller Welten errichten.
Dies macht sie aber noch lange nicht zur Utopie.

Habe ich ja auch nie bestritten und ich habe auch nie behauptet, dass die Welt von 451 aus irgendeine Sicht eine Utopie sei. Ganz im Gegenteil handelt es sich hier eindeutig um eine utopisch verkleidete Utopiekritik.
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#163 Ming der Grausame

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Geschrieben 22 August 2011 - 17:16

Ich denke, dass wir uns an sich einig sind, deshalb nur kurz: 3) erscheint als nicht sonderlich sinnvoller Ansatz, denn "utopische Geistehaltung" scheint hier ja praktisch "das Vermögen, zukünftige Entwicklungen zu denken" zu meinen.

Keinesfalls. Es impliziert lediglich jegliche Gesellschaftsordnung, die bisher keinen Ort hat und nur als Gedanke und Idee existiert. Folglich handelt es sich hierbei schlicht um eine Geisteshaltung, die behauptet eine bessere Gesellschaft sei möglich - wider besseres Wissen möchte man da sogar anfügen.
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#164 Konrad

Konrad

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Geschrieben 22 August 2011 - 19:21

Habe ich ja auch nie bestritten und ich habe auch nie behauptet, dass die Welt von 451 aus irgendeine Sicht eine Utopie sei. Ganz im Gegenteil handelt es sich hier eindeutig um eine utopisch verkleidete Utopiekritik.

Um eine Utopiekritik zu sein muß ja das, was der Staat zu sein behauptet, eine Utopie sein.
Und da langt es nun mal nicht, dies nur zu behaupten.
Egal was der Staat behauptet, wird für einen Leser ein Bücher verbrennenes System niemals eine Utopie sein können.
Ergo ist eine Kritik an diesem Staat auch keine Utopiekritik, sondern nur eine Systemkritik.

Bearbeitet von Konrad, 22 August 2011 - 19:40.


#165 simifilm

simifilm

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Geschrieben 22 August 2011 - 20:35

Lies meine Definition doch einfach noch einmal, dann wird dir hoffentlich auch selbst auffallen, dass du lediglich eine unzulässige Verkürzung meiner Definition hier zum Besten gibst:
ZITAT(Ming der Grausame @ 14.08.2011, 16:57)
ZITAT(simifilm @ 14.08.2011, 16:46)
Ein negatives Setting alleine ist einfach noch keine Dystopie.Eine Dystopie ist aber eine Geschichte, die in einer (mehr oder minder fiktiven) Gesellschaft spielt, die sich zum Negativen entwickelt hat, die charakterisiert wird durch eine autoritäre oder totalitäre Regierungsform bzw. eine Form repressiver sozialer Kontrolle. All dies ist in der Bigend-Trilogie von William Gibson gegeben - ergo ist es eine Dystopie. Quod erat dromedarum.


Womit klar sein dürfte, dass Frankenstein selbst gemäss Deiner Definition keine Utopie ist.

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Geschrieben 22 August 2011 - 22:02

Um eine Utopiekritik zu sein muß ja das, was der Staat zu sein behauptet, eine Utopie sein.

Wie kommst du auf dieses schmale Brett? Eine utopisch verkleidete Utopiekritik muss keinesfalls einen utopischen Staat darstellen, um eine utopisch verkleidete Utopiekritik zu sein. Die Welt von 451 ist dahin gehend utopisch, als es an einen Nicht-Ort irgendwo in der nahen Zukunft spielt. Da das Buch jedoch 1953 erschien, spielt es aus unserer Sicht eher in der Vergangenheit. Und die Utopiekritik ergibt sich schon daraus, dass Fahrenheit 451 in einem Staat spielt, in dem es als schweres Verbrechen gilt, Bücher zu besitzen oder zu lesen. Die Gesellschaft wird vom politischen System absolut abhängig, anonym und unmündig gehalten. Drogen und Videowände lassen jedoch keinerlei Langeweile aufkommen. Selbständiges Denken gilt als gefährlich, da es zu anti-sozialem Verhalten führe und so die Gesellschaft destabilisiere. Bücher gelten somit als Hauptgrund für ein nicht systemkonformes Denken und Handeln. Die dargestellte Gesellschaft ist bereits eine Dystopie und daraus ergibt sich schon die Utopiekritik.
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Geschrieben 22 August 2011 - 22:19

Womit klar sein dürfte, dass Frankenstein selbst gemäss Deiner Definition keine Utopie ist.

Die Dystopie bietet bekanntlich auch eine Möglichkeit, Kritik an der Gegenwart zu üben und das macht Mary Shelley ganz explizit. Der Wissenschaftsjournalist Philipp Ball nennt die „Herstellung von Menschen“ nicht umsonst Anthropoeia und bezieht sich dabei absolut unmissverständlich auf Mary Shelleys Frankenstein. Ansonsten ist die Idee, dass Mary Shelleys Frankenstein zu den ersten Ansätzen der Dystopie gehört, nicht auf meinem Mist gewachsen. Dr. Fankenstein und seine Kreatur sind ein Kommentar zum Wissenschafts- und Fortschrittsoptimismus der frühen Moderne. Frankenstein benutzt damalige State-of-the-Art-Technik und erschafft ein Monster. Das Monster kann er nicht mehr kontrollieren, und er verliert nach und nach alles.

Bearbeitet von Ming der Grausame, 22 August 2011 - 22:23.

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#168 Konrad

Konrad

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Geschrieben 23 August 2011 - 00:06

Wie kommst du auf dieses schmale Brett? Eine utopisch verkleidete Utopiekritik muss keinesfalls einen utopischen Staat darstellen, um eine utopisch verkleidete Utopiekritik zu sein.

Das habe ich so auch nicht geschrieben.

Die Welt von 451 ist dahin gehend utopisch, als es an einen Nicht-Ort irgendwo in der nahen Zukunft spielt. Da das Buch jedoch 1953 erschien, spielt es aus unserer Sicht eher in der Vergangenheit. Und die Utopiekritik ergibt sich schon daraus, dass Fahrenheit 451 in einem Staat spielt, in dem es als schweres Verbrechen gilt, Bücher zu besitzen oder zu lesen. Die Gesellschaft wird vom politischen System absolut abhängig, anonym und unmündig gehalten. Drogen und Videowände lassen jedoch keinerlei Langeweile aufkommen. Selbständiges Denken gilt als gefährlich, da es zu anti-sozialem Verhalten führe und so die Gesellschaft destabilisiere. Bücher gelten somit als Hauptgrund für ein nicht systemkonformes Denken und Handeln. Die dargestellte Gesellschaft ist bereits eine Dystopie und daraus ergibt sich schon die Utopiekritik.

Wir beide haben offenbar sehr unterschiedliche Vorstellungen, was eine "Utopiekritik" ist.
Für mich ist eine Utopiekritik keine Kritik an einem konkreten utopischen Weltentwurf, sondern eine Metakritik.
D.h. es ist eine Kritik an dem Versuch zukünftige Entwicklungen in einem geschlossenen Weltentwurf darzustellen und zu werten.

#169 simifilm

simifilm

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Geschrieben 23 August 2011 - 06:00

Die Dystopie bietet bekanntlich auch eine Möglichkeit, Kritik an der Gegenwart zu üben und das macht Mary Shelley ganz explizit. Der Wissenschaftsjournalist Philipp Ball nennt die „Herstellung von Menschen“ nicht umsonst Anthropoeia und bezieht sich dabei absolut unmissverständlich auf Mary Shelleys Frankenstein. Ansonsten ist die Idee, dass Mary Shelleys Frankenstein zu den ersten Ansätzen der Dystopie gehört, nicht auf meinem Mist gewachsen. Dr. Fankenstein und seine Kreatur sind ein Kommentar zum Wissenschafts- und Fortschrittsoptimismus der frühen Moderne. Frankenstein benutzt damalige State-of-the-Art-Technik und erschafft ein Monster. Das Monster kann er nicht mehr kontrollieren, und er verliert nach und nach alles.


Zwischen ersten Ansätzen und einer ausgewachsenen Dystopie gibt es meines Erachtens grosse Unterschiede.

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#170 Anubizz

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Geschrieben 23 August 2011 - 12:01

Laut Duden hat Utopie sogar lediglich folgende Bedeutung: undurchführbar erscheinender Plan; Idee ohne reale Grundlage. Was sich auch aus der Wortherkunft ableitet; zu griechisch ou = nicht und tópos = Ort, Stelle, Land, mit anderen Worten = Nichtland, Nirgendwo.
Im alltäglichen Sprachgebrauch wird Utopie auch als Synonym für einen von der jeweils vorherrschenden Gesellschaft vorwiegend als unausführbar betrachteten Plan, ein Konzept und eine Vision, benutzt. Und die Erschaffung eines künstlichen Menschen wird von der unserer vorherrschenden Gesellschaft nach wie vor als ein unausführbar Plan betrachtet, ergo als etwas durch und durch Utopisches.

Mir scheint, dieser Thread leidet daran, dass regelmäßig Kurzschlüsse zwischen alltagssprachlichen Ausdrücken und Gattungsbezeichnungen vorgenommen werden.

#171 simifilm

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Geschrieben 23 August 2011 - 12:18

Mir scheint, dieser Thread leidet daran, dass regelmäßig Kurzschlüsse zwischen alltagssprachlichen Ausdrücken und Gattungsbezeichnungen vorgenommen werden.


Yep. Und daran, dass gewisse Poster einfach auf Teufel komm raus in Opposition sein wollen und deshalb fortlaufend ihre eigene Position ändern.

Bearbeitet von simifilm, 23 August 2011 - 12:19.

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#172 RobRandall

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Geschrieben 23 August 2011 - 12:45

Mir scheint, dieser Thread leidet daran, dass regelmäßig Kurzschlüsse zwischen alltagssprachlichen Ausdrücken und Gattungsbezeichnungen vorgenommen werden.

Jau. Und nur weil ein Werk einen nichtexistierenden Ort beschreibt, muss das Werk noch lange nicht der Gattung der Utopie zuzurechnen sein.

#173 Ulrich

Ulrich

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Geschrieben 23 August 2011 - 15:03

Romane, die Abenteuer auf Planeten in anderen Sonnensystemen schildern sind allesamt Utopien. Denn diese Planeten dürfte es grundsätzlich nicht geben und damit sind sie Nicht-Orte. :devil: Grundsätzlich stimme ich simifilms Argumentation hier zu. Deshalb habe ich hier nichts mehr geschrieben, weil es dann nur doppelt stehen wird.

#174 Ming der Grausame

Ming der Grausame

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Geschrieben 23 August 2011 - 19:07

Wir beide haben offenbar sehr unterschiedliche Vorstellungen, was eine "Utopiekritik" ist.

Nicht wirklich. Die Welt von Fahrenheit 451 ist aber für mich durchaus ein Idealstadtentwurf und Sozialutopie im Sinne von Plato, Campanella, Morus, Bacon u.a. und daher setzt IMHO die hier vorgebrachte Metakritik bedingungslos am anthropologischen Fundament des utopischen Denkens an. Schließlich wird hier der Utopismus als schnöde Regression dargestellt, als eine schwarze Utopie im Sinne von Aldous Huxley.

Bearbeitet von Ming der Grausame, 23 August 2011 - 19:50.

„Weisen Sie Mittelmäßigkeit wie eine Seuche zurück, verbannen Sie sie aus ihrem Leben.“

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#175 Ming der Grausame

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Geschrieben 23 August 2011 - 19:23

Die Dystopie bietet bekanntlich auch eine Möglichkeit, Kritik an der Gegenwart zu üben und das macht Mary Shelley ganz explizit. Der Wissenschaftsjournalist Philipp Ball nennt die „Herstellung von Menschen“ nicht umsonst Anthropoeia und bezieht sich dabei absolut unmissverständlich auf Mary Shelleys Frankenstein. Ansonsten ist die Idee, dass Mary Shelleys Frankenstein zu den ersten Ansätzen der Dystopie gehört, nicht auf meinem Mist gewachsen. Dr. Fankenstein und seine Kreatur sind ein Kommentar zum Wissenschafts- und Fortschrittsoptimismus der frühen Moderne. Frankenstein benutzt damalige State-of-the-Art-Technik und erschafft ein Monster. Das Monster kann er nicht mehr kontrollieren, und er verliert nach und nach alles.

Zwischen ersten Ansätzen und einer ausgewachsenen Dystopie gibt es meines Erachtens grosse Unterschiede.

Zweifellos. Und selbstverständlich lässt sich trefflich darüber streiten, ob Mary Shelleys Frankenstein nun eine ausgewachsene Dystopie ist oder nicht. Ich habe aber zumindest argumentativ ziemlich kohärent und auch konsistent dargelegt, warum Mary Shelleys Frankenstein IMHO als Dystopie gelten kann, was du bis jetzt allerdings durch konkrete Sachargumente nicht widerlegen konntest. Wenn IYO Mary Shelleys Frankenstein keine Dystopie sein kann, dann wird es für dich ein leichtes sein, meine Argumente zu falsifizieren, oder etwa nicht? :D
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#176 Ming der Grausame

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Geschrieben 23 August 2011 - 19:41

Yep. Und daran, dass gewisse Poster einfach auf Teufel komm raus in Opposition sein wollen und deshalb fortlaufend ihre eigene Position ändern.

Eine Beweisrede zum Menschen ist aber immer ein logischer Fehlschluss, ebenso wie ein Befangenheits-ad-hominem, dass nur dazu dient die Behauptung des Diskursgegners auf eigennützige Motive zurückzuführen und ihm so ein Interesse an einer wahrheitsgemäßen, klugen oder dem Gemeinwohl verträglichen Entscheidung abgesprochen wird. Wenn dir meine Argumente missfallen, dann widerlege sie. Genauso gut könnte ich dir schließlich vorwerfen, dass du das angebliche Fehlen von Evidenz für meine Behauptung als begründende Evidenz oder Beweis dafür hernimmst, dass stattdessen deine Behauptung wahr ist. Dies ist jedoch keine gültige Schlussweise. Übrigens ändere ich meine Position nicht fortlaufend - bestenfalls adaptiere ich meine Argumente, die meine Position belegen.
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#177 Ming der Grausame

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Geschrieben 23 August 2011 - 19:45

Mir scheint, dieser Thread leidet daran, dass regelmäßig Kurzschlüsse zwischen alltagssprachlichen Ausdrücken und Gattungsbezeichnungen vorgenommen werden.

Jau. Und nur weil ein Werk einen nichtexistierenden Ort beschreibt, muss das Werk noch lange nicht der Gattung der Utopie zuzurechnen sein.

Möglich. Aber in diese Allgemeinheit wäre es lediglich eine unzulässige Verallgemeinerung.
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#178 Anubizz

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Geschrieben 23 August 2011 - 20:27

Übrigens ändere ich meine Position nicht fortlaufend - bestenfalls adaptiere ich meine Argumente, die meine Position belegen.

Das Problem mit deinen Argumenten ist aber, dass sie größtenteils aus falschen Schlussfolgerungen bestehen. :D

#179 simifilm

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Geschrieben 23 August 2011 - 20:36

Zwischen ersten Ansätzen und einer ausgewachsenen Dystopie gibt es meines Erachtens grosse Unterschiede.Zweifellos. Und selbstverständlich lässt sich trefflich darüber streiten, ob Mary Shelleys Frankenstein nun eine ausgewachsene Dystopie ist oder nicht. Ich habe aber zumindest argumentativ ziemlich kohärent und auch konsistent dargelegt, warum Mary Shelleys Frankenstein IMHO als Dystopie gelten kann, was du bis jetzt allerdings durch konkrete Sachargumente nicht widerlegen konntest. Wenn IYO Mary Shelleys Frankenstein keine Dystopie sein kann, dann wird es für dich ein leichtes sein, meine Argumente zu falsifizieren, oder etwa nicht? :D


In Frankenstein wird kein fiktives Gesellschaftsmodell beschrieben, es wird gar kein Gesellschaftsmodell beschrieben. Damit hat sich die Sache erledigt.

Ansonsten kann ich nur wiederholen, was ich schon früher geschrieben habe: Wenn Du Deine Privatdefinitionen von Utopie und Dystopie hast, dann ist das schön für Dich, ich werde sie Dir nicht streitig machen. Aber ich kenne die Utopieforschung gut genug, um zu wissen, dass Deine Privatdefinitionen eben nur etwas sind - Deine Privatdefinitionen.

Bearbeitet von simifilm, 23 August 2011 - 20:38.

Signatures sagen nie die Wahrheit.

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Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
 

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#180 Konrad

Konrad

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Geschrieben 23 August 2011 - 23:01

Nicht wirklich. Die Welt von Fahrenheit 451 ist aber für mich durchaus ein Idealstadtentwurf und Sozialutopie im Sinne von Plato, Campanella, Morus, Bacon u.a. und daher setzt IMHO die hier vorgebrachte Metakritik bedingungslos am anthropologischen Fundament des utopischen Denkens an. Schließlich wird hier der Utopismus als schnöde Regression dargestellt, als eine schwarze Utopie im Sinne von Aldous Huxley.

Äh...ja.
Wenn ich es nicht besser wüßte, könnte man glauben, in diesem Thread führt Loriot Regie. :thumb:


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