Atlan kehrte mit Tränen in den Augen zurück. Offenbar hatte er sich köstlich amüsiert. Er trug einen bequemen Overall und fühlte sich sichtlich wohl.
"Und? Schon duschen gewesen?" wandte er sich an Tami. Diese schaute ihn neckisch an.
"Nein? Und du? Willst mitkommen?" Sie blinzelte verführerisch.
Rhodans Räuspern unterbrach ihren Drang zum Herumalbern. Gerade noch wollte er etwas sagen, als das Licht im Raum zu flackern begann. Fast gleichzeitig ertönte ein diffuses Brummen irgendwoher. Alarmiert wechselten sie einen Blick miteinander. Das Dunkelwerden deutete auf das Anlaufen einer Maschine hin, die sehr viel Energie benötigte.
"Der Transmitter!" stieß Atlan hervor. Rhodan war aufgesprungen und hatte sich den Strahler gegriffen. Er bedeutete den beiden, sich ebenfalls zu bewaffnen. Der Transmitter war in einem Raum im Kellergeschoß untergebracht. So schnell es ging, eilten sie die Treppe hinunter und liefen zu dem Gang, der in Richtung des Raumes führte, die Waffen im Anschlag.
Gerade hatten sie den Gang betreten, als ein hünenhafter Mann aus dem Zugang zum Transmitterraum erschien, keine zwanzig Meter entfernt. Rhodan hatte auf ihn angelegt und rief ein "Halt! Nicht weiter!". Der Mann fuhr herum und richtete seinerseits eine Waffe auf die Ankömmlinge.
"Nicht schießen!" schrie der Arkonide urplötzlich. Er hatte sofort erkannt, um wen es sich handelte. Auch der Fremde ließ nun seine Waffe sinken und eilte auf Atlan zu. Rhodan beobachtete es mit Argwohn, aber er glaubte dem Arkoniden, daß der den Mann kannte.
"Mensch, Tek, altes Haus! " schrie Atlan fast außer sich vor Freude. "Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dich zu sehen!"
Als die beiden Männer sich gegen überstanden, blickte er in ein narbiges Gesicht mit hellblaue Augen. "Wo kommst du denn her?" Er konnte es immer noch nicht fassen, seinem alten Freund Ronald Tekener gegenüber zu stehen.
Tekener lachte laut.
"Dumme Frage!" entgegnete er. "Natürlich von der anderen Seite! Woher sonst?"
Sie umarmten sich herzlich. Als Perry ein vernehmliches Räsupern hören ließ, wandte Atlan sich um. Nach Rhodans Gesichtsausdruck zu urteilen, war der Neuankömmling diesem völlig unbekannt. Auch Tami kannte Tekener natürlich nicht, da zu der Zeit, wo sie lebte, Tek noch gar nicht geboren war.
"Das ist Ronald Tekener", erklärte Atlan freundlich. "Einer meiner besten Mitarbeiter und langjähriger Freund."
"Aha", machte Rhodan und steckte den Strahler zurück in den Halfter. "Dann scheint die Transmitterverbindung ja wieder zu funktionieren"
"Offensichtlich!" freute sich Atlan.
Tekener begrüßte einen nach dem anderen mit einem Handschlag. Dann wandte er sich wieder an den Arkoniden.
"Wir haben uns schon gewundert, wo du so lange steckst", berichtete er. "Und da haben wir beschlossen, einer sollte mal nachgucken. Also bin ich gekommen."
Sein Gesicht wurde finster.
"Allerdings haben wir das Problem, daß die Energieversorgung des Transmitters langsam in die Knie geht. Wenn du also mitkommen willst und nicht zu Fuß gehen möchtest, solltest du dich schnell entscheiden."
Er grinste und bedachte Tami mit einem anzüglichen Blick. "Und wie ich sehe, hast du nichts anbrennen lassen!"
Tami setzte ein empörtes Gesicht auf und stemmte die Arme in die Seiten. "Also wirklich! Auch noch unverschämt, der Kerl!" entgegnete sie mit gespieltem Ernst.
Atlan sah von Rhodan zu Tami und dann wieder Rhodan an.
Verdammt, dachte er, d
as geht jetzt alles viel zu schnell.
"Laß uns zum Transmitter gehen", schlug er vor. "Vielleicht können wir was dran drehen"
Sie eilten zu dem Raum und traten vor das Kontrollpult. Die Anzeige der Energieversorgung aber war eindeutig. Ein Leuchtbalken näherte sich unaufhörlich dem gelben Bereich. Gleichzeitig hatte die Anzeige zu blinken begonnen.
"Ich schätze, uns bleibt allenfalls noch zehn Minuten", mutmaßte Tekener dunkel. "Wenn's hoch kommt."
"Wir könnten das Gerät abschalten und später wieder hochfahren!" schlug Atlan verzweifelt vor.
Tekener schüttelte den Kopf. "Davon würde ich dringend abraten! Wir haben fast einen Tag gebraucht, die Verbindung hinzukitzeln. Es besteht keine Garantie dafür, daß es uns nochmals gelingen könnte. Wir würden festsitzen."
Rhodan trat zu Atlan und machte ein bedauerndes Gesicht.
"Tja, Alter, dann heißt es jetzt wohl Abschied nehmen. So auf die Schnelle. Dabei hätte ich noch Tausende Fragen..."
Atlans Blick fiel auf Tami. Die Zaliterin machte einen verzweifelten Eindruck. Ganz entgegen ihrem üblichen Talent, kritische Situationen immer mit Bravour zu meistern und dabei einen kühlen Kopf zu behalten.
"Du kommst doch mit, oder?" fragte Atlan unsicher.
"Und Basnal? Wir können sie doch nicht im Stich lassen!"
"Basnal geht es gut!" beschwichtigte Rhodan. "Sie ist mit allem Nötigen versehen. Muß halt nur acht Monate warten. Ihr laßt sie nicht im Stich! Bestimmt nicht"
"Aber wie soll sie uns denn folgen?" schrie Basnal. Die Situation schien sie zu überfordern. "So einfach ist das nicht!" Ihre Stimme vibrierte in Panik. Innerhalb der nächsten Minuten mußte sie eine Entscheidung treffen, die möglicherweise ihr ganzes weitere Leben beeinflussen würde.
Von der Konsole kam jetzt ein leiser Warnton. Ein Zeichen dafür, daß die Lage langsam kritisch wurde.
"Tek, alter Freund", wandte sich Atlan eindringlich an Tekener. "Ich möchte, daß du schon mal vorgehst. Damit wenigstens einer in Sicherheit ist. Und berichte den Leuten in der USO, daß es uns gut geht. Ich hab' hier noch was zu klären."
Tekener nickte zustimmend.
"Aber warte nicht zu lange"´, warnte er. Er grüßte kurz, indem er mit dem Zeigefinger an die Stirn tippte und setzte sich in Richtung des Transmitterfeldes in Bewegung. Dort angekommen, wandte er sich noch einmal um.
"USO?" hörten sie seine Frage. Atlan nickte. Tekener schüttelte den Kopf. "Sag mir im Moment gar nichts. Aber egal!"
Und verschwand im Feld.
"Natürlich weiß er, was ich meine", beruhigte Atlan Tami, die wieder automatisch das Schlimmste annahm. "Immer zu Späßen aufgelegt, der Alte" Ein Blick zur Steuerkonsole überzeugte ihn, daß ihnen die Zeit davonlief.
"Warnstufe Gelb!" murmelte er. Er begegnete Rhodans Blick. War da so etwas wie Bedauern zu sehen?
"Uns bleibt nicht mehr viel Zeit", begann Rhodan. "Basnal könnt ihr im Moment nicht helfen. Ich kümmere mich um sie, wenn die acht Monate rum sind." Er deutete zum Ausgang. "Aber da ist noch eine Sache. Und deretwegen bin jetzt mal kurz weg!"
Er drehte sich um und lief zur Tür hinaus. Atlan blickte Tami besorgt an. Die Zaliterin kämpfte ganz offensichtlich mit widersprechenden Gefühlen. Tränen waren ihr in die Augen getreten. Flehend richtete sie ihre Augen auf das Gesicht des Arkoniden.
"Was soll ich nur tun?" wimmerte sie hilfesuchend. "Ich ..."
"Still", sagte Atlan leise und legte ihr den Finger auf die Lippen. "Perry hat recht. Basnal kann gut auf sich selbst aufpassen. Sie braucht uns nicht." Er setzte ein zuversichtliches Lächeln auf. "In einigen Monaten werden wir sie wiedertreffen. Davon bin ich überzeugt!"
Tami blickte ihn zweifelnd an. "Wirklich?" fragte sie unsicher. "Wirklich!" bestätigte Atlan fest.
Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. Der Klang des Alarmsignals hatte sich verändert. Er klang jetzt dringlicher.
"Wir brauchen noch die Schachtel", erinnerte Atlan. "Du weißt, die mit den Symbolen." Tami nickte. "Ich hole sie", sagte sie und lief davon.
"Aber beeil dich! Wir haben nicht mehr viel Zeit!" rief Atlan hinterher. Er brauchte nicht lange zu warten, und Perry und Tami waren fast gleichzeitig wieder zurück.
Perry hatte etwas in der Hand, das er Atlan überreichte. "Von Thora", erläuterte er. "Sie ahnte wohl, daß es ein Abschied werden würde. Dies soll ich Ihnen dann geben. Von ihr, ein Buch und ein paar handschriftliche Zeilen in diesem Umschlag."
Atlan nahm das Buch voller Überraschung entgegen. Ein Geschenk von Thora!? Das konnte nicht sein. Rhodan schien seine Gedanken erraten zu haben. Er lächelte.
"Ihr Eindruck von ihr ist falsch", sagte er mit Nachdruck. "Viele haben sich darin schon getäuscht. Sie ist anders. Und dies ist tatsächlich ein Geschenk. Und was Geheimes?"
Er grinste trotz der prekären Situation, in der sie sich befanden.
"Geheim?" echote Atlan. "Sie wissen nicht, was im Umschlag steht?"
Rhodan nickte zustimmend. "So ist es!"
Atlan wollte noch etwas sagen, als eine monotone, gefühllose Frauenstimme im Raum laut erklang.
"Die Option, den Transmitter zu benutzen, erlischt in genau zwei Minuten!" hörten sie alle.
Es war die Warnautomatik des Transmitters. Aus unerfindlichen Gründen wurden Warnungen in der Regel immer mit kalter Frauenstimme ausgesprochen. Die Energieanzeige stand mitten im gelben Bereich und sank deutlich wahrnehmbar!
"Atlan! Wir müssen gehen!" drängte Tami flehentlich.
Atlan nickte eilig. "Richten Sie ihr meinen ergebensten Dank aus!" wandte er sich noch einmal an Rhodan. Perry streckte ihm die Hand entgegen. Er ergriff sie.
"Das werde ich tun!" versprach Rhodan. "Leb wohl, mein Freund!" In diesem Moment war Atlan drauf und dran, seine Entscheidung komplett über den Haufen zu werfen. Er hätte laut "Scheisse!" rufen können, so sehr tobte ein Gefühlschaos in ihm.
"Atlan! Biiitte!" war wieder Tami zu hören. Sie hatte eine Entscheidung getroffen, und dabei wollte sie bleiben. Rhodan nickte Atlan auffordernd zu.
Atlan wandte sich abrupt ab und ging zusammen mit Tami hastig zum Transmitter. Rhodan blieb in der Nähe der Tür stehen. Kurz vor Erreichen des Feldes bleiben sie noch einmal stehen. Tami hatte seine Hand ergriffen. Atlan schaute sie fragend an.
"Ich will dich nicht verlieren!" erklärte sie. "Ich habe Angst, wir werden beim Sprung getrennt, wenn wir nicht in körperlichem Kontakt stehen."
Atlan lächelte verständnisvoll. "Keine Sorge!" machte er einen Versuch, die Zaliterin zu beruhigen. "Wird schon schiefgehen!"
Tami wollte noch etwas sagen, als sie von der Lautsprecherstimme abermals unterbrochen wurden.
"Die Option, den Transmitter zu benutzen, erlischt in genau einer Minute!"
Gleichzeitig begann eine Alarmsirene periodisch zu schrillen. Flackerndes rotes Licht erfüllte den Raum. Die Energie war kurz vor dem Aus!
Mitten im allgemeine Lärm hörte er undeutlich Tamis Stimme. Atlan glaubte sich verhört zu haben. Deshalb antwortete er nicht. Tami schüttelte ihn fordernd am Arm.
"Trag' mich!" wiederholte sie schreiend. "Biiitte!" flehte sie. Ihre Augen blickten ihn verzweifelt an. Tragen sollte er sie? Wie verrückt!
Ist sie nicht eine attraktive Frau? meldete sich in diesem Moment sein Extrasinn mit einer völlig deplazierten Bemerkung.
Wieder kam die Warnung der Automatik. Atlan hatte keine Zeit, über alles genau nachzudenken. Er mußte nur eines: Handeln!
Noch zwanzig Sekunden!
Er griff sich die Zaliterin unter Beinen und Schultern und nahm sie sich nach alter terranischer Art auf die Arme. Selbst jetzt kam ihm das Groteske der Situation ins Bewußtsein. Er würde sie über eine Schwelle tragen! dachte er amüsiert.
Tami lächelte nun zufrieden und schloß die Augen.
"Jetzt kann uns nichts mehr passieren!" murmelte sie leise vor sich hin. "Und verzeih' mir, liebste Basnal!"
Atlan blickte noch einmal zurück zu Rhodan, der die Vorgänge lächelnd verfolgt hatte. Ein beiderseitiges letztes Kopfnicken zum Gruß. Ein kurzes Zögern. Und fünf Sekunden, bevor der Transmitter seinen Betrieb einstellte, durchschritt er mit Tami auf den Armen das Feld.
Es wurde ruhig im Raum. Nachdenklich starrte Perry auf den leeren Bogen, wo gerade noch Atlan gestanden hatte. Er empfand einen seltsamen Schmerz tief in seinem Inneren. Schon lange war da eine rätselhafte Vertrautheit beim Anblick des Arkoniden gewesen, die er nicht erklären konnte.
Jetzt aber wußte er, warum.
Freunde erwirbt man nicht - man erkennt sie!
Er drehte sich um und verließ den Raum. Es gab hier nichts mehr, worauf es sich lohnte zu warten. Die Wahrscheinlichkeit, genau
diesen Atlan nochmal zu treffen, waren gleich Null. Da machte er sich keine Illusionen.
Bearbeitet von MoiN, 19 Dezember 2013 - 12:41.