Naomi Alderman - Die Gabe
Das ist ein diskussionswürdiges Buch.
Beginnt mit diesem Kniff, die Autorin hätte ein Manuskript eines befreundeten Autors in die Finger bekommen und lese es nun. Dadurch versetzt sich Naomi selbst in die Zukunft, in der die GABE bereits etabliert und alltäglich ist. Das Manuskript ist tituliert als "historischer Roman"
Anfangs ist es schwer, einen Fokus zu erkennen, denn die Handlungsebenen wechseln oft und grundlegend. Doch da etabliert sich was, und Alderman geht dabei geschickt vor, sie zeigt, was passiert, und erzählt nicht. Sehr lebendig gemacht. Teilweise fällt es mir schwer, die Implikationen gutzuheißen. Und natürlich ist es ein Roman, der an grundlegenden Grenzen unserer Gesellschaft rüttelt und damit natürlich Tatsachen auf die Spitze treiben und übertreiben muss, um die Wahrheit darzustellen.
Ich lese gerade im zweiten Viertel und es wird fesselnder, auch weil ich mich an die Prämisse so langsam gewöhnt habe. Allerdings ist bis jetzt die Schilderung noch etwas einseitig - es wird auf Gewalt gegen die Frauen eingegangen in allen schrecklichen Bereichen, sie wehren sich mittels ihrer Gabe, organisieren sich, es bilden sich harte Fronten auch von Staatsseiten, um evolutionäre Territorien zu erhalten. Aber die Willkür, die derartige Macht auch bei Frauen hervorruft, wird im Verhältnis noch sehr zurückhaltend geschildert. Dass Alderman dies aber aufgreift, deutet auf sehr ausführliche Auseinandersetzng ihrerseits mit diesem Thema hin. Ich hoffe, hier kommt noch mehr, denn was sich mir beim Lesen der ersten Kapitel aufdrängte war schnell die Befürchtung, dass dies auf eine der typischen Endzeitszenarien hinauslaufen könnte, die geprägt sind von Gewalt gegen die Schwächeren und Verlust von Kultur und Sozialwesen. Bis jetzt, im zweiten Viertel, entwickelt sich alles noch unter den Grenzen der Gesetzlichkeiten, aber in diese Richtung. Und es bleibt natürlich auch nicht beim Einsatz der Gabe bei Bedrohung, sondern die Mädchen und Frauen werden nun ihrerseits zur Bedrohung, was für mich als deutschen Kleinstadtmenschen schwer in einen Kontext von Großstadtwesen und amerikanischer Gewaltkultur einordenbar ist und damit eher auf Ablehnung trifft. Allerdings versuche ich, diese Szenen im Vergleich zur Gewalt, die im RL jederzeit irgendwo geschieht, zu sehen.
Bin jedenfalls gespannt, wohin genau Alderman die Geschichte entwickelt. Und lese ziemlich langsam - ist trotz spannender und flüssiger Erzählung, die man sicher auch einfach zur Unterhaltung lesen kann, nicht ganz leichte Kost.