Die dritte Staffel krankt an denselben Problemen aller neuen, serialisierten "Star Trek" Produktionen: Gigantismus-Arcs, die vielversprechend starten, in der Mitte an Fahrt verlieren und schließlich überhastet und mit etlichen Fragezeichen abgeschlossen werden. Was sich die Formwandler von der Allianz mit den Borg versprachen, leuchtet mir nicht ein. Ein Plot, der sich ENTWEDER auf eine Fraktion der Formwandler mit Vadic als Hauptgegnerin ODER den Borg fokussiert hätte, hätte mehr Sinn ergeben. Die Borg sind wahrscheinlich passender, denn immerhin sind sie die Nemesis von Picard und es wird eine Brücke zu Voyagers "Endgame“ geschlagen. Der Plan der Borg, denen praktischerweise ein wiederholt dummes Vorgehen der Sternenflotte in die Hände spielt, stand (freundlich ausgedrückt) auf ziemlich wackeligen Füßen. Was, wenn Jack mit seinem bissigen Humor einst auf einen schlecht gelaunten Klingonen getroffen wäre, Jean-Luc zu Beginn der Staffel seinen Kommunikator in irgendeiner Truhe verwahrt oder die Sternenflotte ein besseres Anti-Viren-Programm für den Transporter gehabt hätte? Hinzu kommt: Die Story und speziell das Finale wurden nicht gerade subtil in eine Richtung gelenkt, dass ausschließlich Picard und seine Recken auf einem bestimmten Schiff den Tag retten können.
Showrunner Terry Matalas halte ich zugute, dass er seinen Mangel an Originalität sowie Talent/Gewissenhaftigkeit als Konzeptionist eines Staffel-Arcs an einigen, für mich wichtigen Stellen ausglich. Der gesamte Arc wurde gefälliger als in den ersten beiden Staffeln erzählt. Die Längen hielten sich in Grenzen und der Supporting-Cast war nicht nervig (im Gegenteil). Auch ohne die Tonnen an Fanservice hatte ich zumindest das Gefühl, nicht eine beliebige Serie, sondern "Star Trek" gesehen zu haben. Matalas’ Umgang mit der Enterprise-Besatzung und Seven war absolut gelungen. Vadic empfand ich als Handlangerin verschwendet, aber Amanda Plummer gab eine gute Vorstellung. Todd Stashwick (Liam Shaw), Ed Speelers (Jack Crusher jr.), Mica Burton (Alandra LaForge) und Ashlei Sharpe Chestnut (Sidney LaForge) haben die Legacy-Riege gut ergänzt. Wermutstropfen: Ich glaube, Michelle Hurd (Raffela "Raffi" Musiker) war nur noch dabei, weil sie einen Vertrag hatte. Der einzige originäre Charakter aus "Star Trek: Picard", der mir gefiel, war im Abschluss größtenteils Staffage.
Eine Sache, die ich gar nicht objektiv betrachten kann, ist die unerwartete Freude einer TNG Reunion auf der D-Ente. "Star Trek: The next Generation" war und ist meine liebste Fernsehserie. Episoden wie "Der Ehrenkodex" oder "Der Komet" konnte ich verzeihen, weil mir die Serie mit ihren spannenden Abenteuern, sympathischen Charakteren, großartigen Ideen und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in meinem prägendsten Lebensabschnitt (Kindheit, Jugend, frühes Erwachsenenalter) unglaublich viel gab. Die Serie steht bei mir auf einem Sockel, den sie objektiv sicher nicht verdient, und auf dem keine andere je wieder Platz finden wird. Also ja, ich gehöre zu der großen Gruppe, die sich (einmal) von Nostalgie haben einfangen lassen und auf die Paramount und Alex Kurtzmann ziemlich sicher spekulierten, als sie Terry Matalas grünes Licht für seine feuchten Fanboy-Träume gaben
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Unabhängig von der inhaltlichen Güte und der Nostalgie, eine weitere, rein subjektive Sache: „Star Trek“ hat für mich seinen utopischen Glanz verloren. Das mag angesichts der Vorarbeit von J. J. Abrams, dem derzeitigen Franchise Boss Alex Kurtzmann und generellem Zynismus um uns herum jetzt keine große Überraschung sein. Scheinbar hat aber wohl auch Terry Matalas nicht verstanden, dass „Star Trek“ stets weit mehr als Schauwerte bot. Dabei spreche ich nicht einmal von intelligenten Stories oder gut gespiegelten moralischen Konflikten – die ich gerne wieder hätte! –, sondern vom Glauben an eine weiterentwickelte Menschheit. Es ist schlichtes „Gut gegen Böse“. Natürlich haben die Helden weiterhin einen prinzipiell funktionierenden Moralkompass, aber sie inspirieren mich nicht mehr. Alle „Mittel“ werden eingesetzt, wenn sie vom vorgeschriebenen Zweck geheiligt werden. Schade.
Fazit: Wie ich die dritte Staffel bewerten würde, wäre es nicht der Schwanengesang auf meine liebste Fernsehserie, weiß ich nicht. Es ist auch müßig, darüber nachzudenken. Staffel 3 ist weit entfernt von einem Meisterwerk. Terry Matalas nehme ich aber ab, dass er zwar mit zu wenig Kopf und Können, aber immerhin mit dem Herzen an diese Staffel ging. "I don't love it ... but i like it" – das ist weit mehr als ich von den ersten beiden "Picard"-Staffeln, den Kelvin-Filmen und "Discovery" behaupten kann. (Und bevor jemand fragt: „Lower Decks“ ist unterhaltsam. Nicht mehr, nicht weniger. Mehr als gute Unterhaltung erhoffe ich mir von „Strange New Worlds“ auch nicht).