Ich kenne die Geschäftsordnung, Ralf.
Warum verlangst du dann vom Komitee, sie sollten sich klar und öffentlich zu etwas bekennen, was schon längst klar und öffentlich verfügbar in der Geschäftsordnung niedergelegt ist?
Und ich halte sie bekanntlich schon lange für verbesserungswürdig.
Ich auch. Das Komitee auch. Es finden regelmäßig interne Diskussionen darüber statt.
Aber gerade den Abschnitt D finde ich gut so wie er ist.
Von solch einer Kriterienliste wie beim Deutschen Jugendbuchpreis halte ich wenig.
Hauptpunkt: Wie sollten die Kriterien gegeneinander gewertet werden? In einem festen Verhältnis? Oder doch individuell werkabhängig? In beiden Fällen: Wie findet man die Wertungsanteile bzw. wer bestimmt sie?
Ein Problem wurde bereits angesprochen: Wie bewertet man ein Werk, dessen Thema wenig originell und dessen Handlung und Figuren soliden und bewährten Mustern folgt, das aber gut lesbar geschrieben ist, gegenüber einem Werk, das eines der letzten Themen der Menschheit tiefschürfend auf höchst originelle Weise verhandelt, das aber in einer unzumutbaren Sprache?
Ich tendiere im allgemeinen dazu, das erste Buch höher zu werten. Ich weiß, der Autor könnte sich gut ausdrücken, wenn er etwas zu sagen hätte. Im zweiten Fall ärgert es mich, dass er einen ambitionierten Ansatz durch mangelnde Beherrrschung seines Handwerks zunichte macht.
Aber das ist meine Ansicht, und ich möchte sie weder den anderen Komiteemitgliedern aufoktroyieren noch von ihnen eine konträre Priorisierung aufoktroyiert bekommen. Ich finde es gerade gut, wenn verschiedene Mitglieder verschiedene Prioritäten einbringen. Außerdem gibt es nur selten solche Extremfälle wie oben beschrieben. In der Regel bewegen sich die Werke im Spannungsfeld Idee - Schreibhandwerk irgendwo zwischen den Extremen. Und, ganz klar: am besten ist es, wenn ein Buch sowohl eine spannende und originelle Thematik hat und der Autor das auch noch mit einem spannenden Plot, markanten Figuren und exzellenter Sprache vermittelt.
Dann gibt es noch Detailkritik an der Liste. Was genau ist der Unterschied zwischen Originalität und Innovation? Warum taucht Originalität als Bewertungskriterium nur bei Erzählweise und Sprache auf, nicht aber unter Thematik? Warum ist ein Buch, das ein international bedeutsames Thema (z.B. Klimawandel) auf oberflächliche Art behandelt; besser zu bewerten als ein Buch, das sich eines national bedeutsamen Themas widmet (z.B. die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland), das aber auf tiefschürfende und erkenntnisfördernde Art tut? Warum ist eine diskontinuierliche Erzählweise, hinter deren formaler Komplexität der Autor die Inhaltsleere seines Textes verdecken will, automatisch besser als eine traditionell lineare Erzählweise, bei der man versteht, was der Autor zu sagen hat? etc. etc.
Solch eine Liste löst tatsächlich keines der angesprochenen Probleme. Weil es mM für die Bewertung von Kunstwerken einfach keine letztgültig objektive Lösung geben KANN.
Ein Thema, das im Komitee immer wieder zu Diskussionen führt, ist z.B. die Frage, ob ein Text nun zur Science Fiction zählt oder nicht. Das Komitee hat sich bislang nicht auf eine explizite Definition von Science Fiction geeinigt. Wobei die Tendenz dahin geht: Sie haben sich darauf geeinigt, sich nicht auf eine in Bronze gegossene Definition festlegen zu wollen. Und sie tun mE gut daran. Die Frage der Relevanz (= Zugehörigkeit zur Science Fiction) wird durch Einzelfallentscheidungen geregelt. Und die Diskussionen, die in einzelnen Fällen immer wieder aufbranden, finde ich spannend und erhellend. Und würde als Komiteemitglied nicht darauf verzichten mögen.
Natürlich hängt das Ergebnis von der Zusammensetzung des Komitees ab. Aber bei welchem Preis ist das anders?
Gibt es ein Beispiel, bei dem eine verbindliche Kriterienliste jegliche Diskussion der Ergebnisse verhindert hat?
In den Laudationes steht ja geschrieben, aus welchen Gründen das Komitee den Siegerwerken den DSFP verliehen hat. Daraus kann man gewiss implizite Kriterien, aber auch historische Entwicklungen derselben ableiten. Ich fände es spannend, wenn sich ein Kulturwissenschaftler einmal damit auseinandersetzte.
Gruß
Ralf