Sven Haupt über die Hintergründe zu seinem Roman „Stille zwischen den Sternen“, der ab morgen erhältlich ist. Gepostet mit Einverständnis des Autors:
Die erste Inspiration zu meinem neuen Roman Die Stille zwischen den Sternen kam mir, als ich vor einigen Jahren aus purer Neugier im gewaltigen Universum von EVE Online recherchierte. Dort sind die Piloten der Raumschiffe in Kapseln eingeschlossen, über welche sie sensorisch in ihr Schiff integriert werden und die bei der Zerstörung eines Transportmittels einfach ausgeworfen werden können.
Mir stellte sich sofort die Frage, wer wohl der erste Mensch gewesen war, der sich selbst auf diese Weise als Raumschiff wahrnehmen konnte. Ich vergaß umgehend alles andere und begann zu grübeln, welche Geschichte dieser Mensch wohl erzählen würde, nachdem er als erstes Wesen überhaupt ohne seinen physischen Körper das Universum erkunden durfte.
Es hat mich zwei Jahre gekostet es herauszufinden und ich war selten beim Schreiben selbst so überrascht.
In meinem Roman wird die Pilotin Hien Otis im Rahmen des teuersten militärischen Forschungsprojekts aller Zeiten zum ersten lebenden Raumschiff der Menschheit.
Wie man dieser kurzen Beschreibung bereits entnehmen kann, ist das zentrale Thema des Romans der extreme Transhumanismus.
Es gibt in der Science-Fiction diese seltsame Grundidee, dass die Menschheit sich irgendwann, wenn ihr technischer Fortschritt sie nur weit genug führt, von allem Leiden freimachen kann. Wir werden dann alle Schmerzen überwinden, alle Fragen beantworten und ewig leben. Der wichtigste Schritt dazu ist natürlich die Überwindung unserer physischen Form.
Ich empfand diese Annahme schon immer als ein wenig fragwürdig. Welche Konsequenz hat dieser Schritt für unsere emotionale und spirituelle Entwicklung? Immerhin wissen wir aus eigener Erfahrung und durch die Lehren der großen Meditationsmeister, dass alle unsere inneren Fortschritte und Entwicklungen untrennbar an einen Körper und dem Leiden darin gekoppelt sind.
Das sollte uns, meiner Meinung nach, beunruhigen.
Die Frage, welche mich umtrieb, war: Was passiert, wenn ich einem Menschen, der auf einer intensiven inneren Suche ist, seinen Körper nehme und ihn stattdessen in eine mächtige Maschine verwandle? Eine Maschine, die (wortwörtlich) so weit von allen anderen Menschen entfernt existiert, dass eine körperliche Interaktion überhaupt nicht mehr möglich ist. Lösen sich alle Probleme dieses Menschen wirklich in Nichts auf? Wird seine innere Suche die eines Menschen sein? Wenn die Menschheit ihren Körper aufgibt, bedeutet das doch nichts anderes als die Schöpfung einer vollkommen neuen Spezies. Wird dieser Mensch dann den Startpunkt einer neuen, transhumanen Rasse bilden, deren Spiritualität wir überhaupt nicht mehr verstehen können? Welche Bedeutung hat eine Identität als Mensch in diesem Zusammenhang überhaupt noch?
Die Möglichkeit einer Existenz ohne einen zerbrechlichen menschlichen Körper ist als Motiv für mich extrem einschüchternd und fast schon übermächtig. Der Gedanke hat gleichzeitig etwas Verführerisches und Abstoßendes. Mir erschien es nur sinnvoll diese Dichotomie auch durch zwei Protagonisten zu repräsentieren, welche sich von den beiden Extremen aus gegenüberstehen. Deswegen, und um es mir extra schwer zu machen, habe ich zwei Protagonisten auf die Reise geschickt. Hien Otis, eine Frau, die alles dafür tun würde, kein Mensch mehr zu sein und eine künstliche Intelligenz namens Jane, die alles dafür tun würde ein Mensch werden zu können.
Bei der Konzeption meiner beiden Protagonisten hatte ich wie immer keine große Wahl. Das mein Beitrag bei der Gestaltung der Charaktere schockierend gering ist, das ist mir schon in meinem letzten Buch Die Sprache der Blumen aufgefallen. Dort stehen sich das Leben-gebende-Prinzip und das Leben-nehmende-Prinzip gegenüber. So wie sich diese beiden Extreme in unseren Geschichten schon seit hunderttausenden von Jahren gegenüberstehen und niemals voneinander fort können. Es erschien mir völlig unmöglich, dass die Protagonistin keine Frau sein könnte. In diesem Buch hatte ich das gleiche Gefühl. Die Möglichkeiten entfalteten sich mit vor meinem inneren Auge sehr schnell und ohne große Alternativen.
Wenn die Menschheit an der Schwelle zur Erschaffung einer neuen Rasse steht, einem transhumanen Wesen auf Basis fortgeschrittener Technologie, welche Intention würde sie verfolgen? Das Militär würde natürlich in bester Tradition des Terminators einen Menschen als Vorlage benutzen, um die perfekte Waffe zu schaffen. Genau wie ein Mensch, jedoch mit einem unbesiegbaren Körper. Wir reinkarnieren also wie immer das Leben nehmende Prinzip in einer übermächtigen Gestalt. Wie langweilig.
In diesem Moment wurde mir klar, dass ich einen anderen Weg gehen musste. Was, wenn wir ein Wesen erschaffen, welches so neu und anders ist, dass schon seine Wünsche und Bedürfnisse fremdartig erscheinen? Was, wenn dieses Wesen eine Suche nach Sinn beginnt, in einem Universum, welches es vollständig anders wahrnimmt als wir? Was, wenn es nicht kämpft, sondern tanzt? Nicht Waffen schwingt, sondern singt? Nicht Befehle bellt, sondern Gedichte schreibt?
In diesem Moment musste ich grinsen, denn mir wurde klar, dass dem Militär mehr als nur eine böse Überraschung ins Haus stehen würde.
Durch den Fokus auf einer Suche nach Sinn hat sich die grundlegende These von selbst ergeben. Auch hier gab es kaum eine Wahl.
Nicht nur wird uns ein extremer Transhumanismus nichts bringen, er wird die tatsächlichen Probleme einer inneren Suche lediglich akzentuieren und unsere Reise umso schwerer machen. Möglicherweise jedoch, können wir deswegen dann auch mehr finden. Auf dem Weg dahin habe ich die Gelegenheit genutzt möglichst viel Verwirrung zu stiften, wenn es um die Frage ging was es eigentlich bedeutet menschlich zu sein.
Zum Schluss musste ich dann wieder erleben, dass es am Ende immer die Protagonisten selbst sind, welche über den Ausgang ihrer Geschichten entscheiden. Die Wendung zum Religiösen kam für mich so sehr aus dem Nichts, dass ich immer noch nicht sicher bin, was es eigentlich bedeutet. Aber was weiß ich schon, ich schreibe hier nur Geschichten auf.
Bearbeitet von ChristophGrimm, 30 November 2021 - 12:57.