An dieser Rezension habe ich 2 Kritikpunkte. Hast Du nicht noch vor kurzem den Roman von Kameron Hurley gerade deshalb so toll gefunden, weil die Autorin überhaupt keine Männer vorkommen ließ und ein Werk ausschließlich mit Frauen geschrieben hatte? Wieso ist jetzt also bei Athos 2643 kritikwürdig, dass fast nur Männer vorkommen? Das passt für mich nicht wirklich zusammen.
Das zweite wäre. Wenn ich Deine Kritik zu Klischees etc. ernst nähme, sprich Rüd sollte aus Deiner Sicht das richtige Frauenbild transportieren etc., hätten wir dann automatisch den besseren Roman? Zu Ende gedacht. Wir hätten nur noch Fehlerfreie perfekte Protagonisten die immer das richtige denken, tun, und handeln wie es einem gewissen Ideal entspricht? Das würden langweilige Romane werden. Man muss meines Erachtens hier trennen zwischen Handlung und Aussage. Wollte der Autor damit wirklich eine Aussage über die Gesellschaft treffen, wie er die sich vorstellt? Wohl doch eher nicht.
"Der Sterne Zahl" von Kameron Hurley ist ein anderer Fall, hier gehört es zum Worldbuilding, dass es nur Frauen gibt. In dieser Space Opera gibt es Weltenschiffe, deren Technologie von organischem Gewebe überwuchert ist, und die sehr andersartige Biotope bilden. Hier gibt es schlicht keine Männer, es gibt nur ein Geschlecht: Frauen, inklusive verschiedenster Konsequenzen für Fortpflanzung, Familie etc. - würde auch andersrum mit nur Männern funktionieren, wenn man dann ebenso kreativ Fragen nach der Fortpflanzung, Familien- und Beziehungsstrukturen nachgeht. Da aber Frauen oft stark unterrepräsentiert sind, fand ich das mit Frauen reizvoller, auch weil so wunderbar dargestellt wurde, dass Frauen jede denkbare gesellschaftliche Rolle ausfüllen können.
Bei "Athos 2643" gibt es Frauen im Worldbuilding, wir sehen nur nichts von ihnen. Autoren schreiben das auf, was sie wichtig fürs Worldbuilding finden, wenn ich also keine Frauen sehe, denke ich, aha, Frauen sind unwichtig. Unsichtbar, unbeachtet, wie zu oft in der Realität. Alles, was mir von Frauen gezeigt wird, sind Klischees, und ich störe mich deswegen so an Rüd, weil es keine andere Repräsentation gibt, die das aufwiegt. Für die Handlung an sich ist es nicht so relevant, die funktioniert gut, aber das Worldbuilding war mir zu wenig, auch in Bezug auf andere Sachen, aber vor allem in Bezug auf die dargestellte Gesellschaft.
Ich denke auch, dass da gar nicht viel Absicht dahintersteckt, sondern dass Frauenfiguren schlicht keine Relevanz für den Autor hatten. Ich denke auch, dass es tatsächlich viele nicht so sehr stört, aber mir ist es extrem unangenehm aufgefallen und ich weiß, dass es vielen Leser*innen auf Literatopia auch so geht, weil wir uns über Social Media austauschen und da Diversität größer geschrieben wird. Insofern ist es für mich ein Kritikpunkt, ebenso wie die mangelhafte Darstellung des Mönchslebens (es stellt sich ja nachher heraus, dass es keine Mönche sind, aber da frage ich mich, warum Zack das nicht sofort erkannt hat).
Ãœbrigens habe ich den Roman in meiner Rezension auf Literatopia auch gar nicht schlecht bewertet, ich fand auch vieles gelungen.
Ich gehe mit, dass es in diesem Roman keine Frauenfiguren gibt, ist ein Mangel.
Aber die dargestellte Sexualität ist in meinen Augen kein Klischee, sondern figurenspezifisch. Das ist Rüds Sexualität. Nicht die aller Figuren.
Optische Reize sind Teil der Sexualität, und wenn hier Zack darauf reduziert wird, dann indirekt. Immerhin ist sie auch ein Sextool. Das ist die Prämisse der Figur.
Wenn Du Fetisch- oder SM-Sex als rückwärtsgewandt empfindest, weil sie hier als Bestandteil einer männlichen Figur dargestellt wird, ist das rein Dein Stimmungsbild. Vielleicht hättest Du das anders interpretiert, wenn im Roman weitere Spielarten verarbeitet worden wären?
Letztlich ist die dargestellte Gesellschaftsordnung in meinen Augen schon deshalb rückständig, weil sie auf Religion aufbaut. Dahinter stecken immer Machtstrukturen, hier eindeutig männliche. Die Figur Zack will das ja offensichtlich ändern. Nicht Rüd, der gar nicht die Hauptfigur ist, sondern Zack. Es ist ein Emanzipationsroman.
Zack entwickelt sich vom Objekt zum Subjekt. Vom Reagierenden zum Agierenden.
Also genau das Gegenteil dessen, was hier vorgeworfen wird.
Ich habe nirgendwo geschrieben, dass ich Fetisch grundsätzlich rückständig finde oder gar SM (was hier allerdings auch nicht wirklich gut dargestellt wird). Mir geht es vor allem um dieses Bild der sexy Frau, die den Mann umsorgt und ihm dient. So heißt es im Roman, dass Rüd Zack als perfekte Frau sieht und dass er es schätzt, dass sie gehorsam ist - und da kriege ich die Krise, die Kombination von "Frau" und "gehorsam", nein danke. Da kam für mich oft so ein veraltetes Bild der perfekten Hausfrau rüber, die alles spielend schafft, abends ein Galadinner auf den Tisch zaubert und danach noch sexuelle Erfüllung bietet. Die perfekte Frau, die alles kann, aber nichts für sich selbst tut, sondern all ihre Fähigkeiten allein in den Dienst ihres Mannes stellt.
Zum Thema Religion: Das kam für mich viel zu kurz, da habe ich mir mehr erhofft und der Mond Athos hat mit dem realen Athos so gar nichts zu tun. Ich habe einen Arbeitskollegen, der über zehn Jahre auf Athos als Mönch gelebt hat und der das Buch bei mir gesehen hat und unbedingt reinlesen wollte. Er war entsetzt, wie falsch alles dargestellt ist (was rückwirkend ja Sinn ergibt, aber besser hätte der Autor dann einfach eine fiktive religiöse Sekte oder so eingesetzt, statt sich auf Athos zu beziehen).
Ansonsten fand ich den Roman gar nicht schlecht, er hat viele gute Ideen drin und ich habe ihn über weite Strecken gern gelesen. Nur den "neuen Stern am SF-Himmel", wie jemand auf Mastodon schrieb, sehe ich bisher nicht.