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Lesezirkel: "In andere Welten" [Anthologie]


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462 Antworten in diesem Thema

#361 Maxmilian Wust

Maxmilian Wust

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Geschrieben 05 Januar 2024 - 04:53

Um jetzt noch kurz vor dem Schlafengehen auf ein anderes Thema zu wechseln: Deine sensible Welt hat mich wirklich inspiriert.

 

Seit Tagen denke ich darüber nach. Es ärgert mich direkt, dass so ein reichhaltiges Setting noch nicht tiefer beleuchtet wurde. Darin könnte man einen dieser extrem tiefgehenden "Single Purpose World"-Romane (wie z.B. Riverworld oder Scavenger's Reign) schreiben. Die Tierwelt, eventuelle Bewohner, wie Neuankömmlinge "hineinkommen", aber auch Probleme, die canceriös diesem System innewohnen könnten, vielleicht sogar eventuelle Verteidigungsmechanismen gegen abgekoppelte Lebensformen und so viel mehr. Wenn du es erlaubst, würde ich deine Schöpfung gerne einmal mit einer Kurznovelle etwas tiefer beleuchten. Darin könnte man unglaublich gut die Thesen von z.B. Foucault sezieren oder den ewigen Streit des Individuums gegen die Masse auf einer ganz anderen Ebene führen, indem man die Charaktere selbst zu Spiegelneuronen erklärt. Oder auch beschreiben, wie unglaublich wichtig Endosymbionten oder Feinde für Ökosysteme sind.

 

In einer Meta-Ebene: Wie wichtig es für uns als Menschen ist, andere Meinungen als die eigene zu hören.


"Part Five: Boobytrap the stalemate button!"


#362 Rezensionsnerdista

Rezensionsnerdista

    Yvonne

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Geschrieben 05 Januar 2024 - 06:03

Moin,
bei the expanse wird die Figur Naomi so beschrieben, dass ihre unterschiedlichen Wurzeln klar werden.
Müsste nachschlagen wie genau das ausgedrückt wird.
Hat den zusätzlichen Vorteil, dass wir uns die Figur besser vorstellen können.

Christians Analyse deines Textes macht so viel Spaß, ein erneutes Lesen würde sich lohnen.

;+)

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#363 Christian Hornstein

Christian Hornstein

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Geschrieben 05 Januar 2024 - 15:59

@Maximilian

Vielen Dank für Dein Lob. Ich freue mich, dass Du etwas mit meinem Kommentar anfangen konntest.

 

Was für ein schöner Hintergrund der Melistase! Nach dem Lateinischen müsste man wohl zwei L verwenden und im Nominativ und Akkusativ wohl auch eher Mellastase sagen, ist aber nicht so schön wie Melli. ;)

Ich finde es cool, dass Du Dir die Mühe zu Recherchen machst wie die, Dich mit einer Forensikerin auszutauschen. Zu so etwas neige ich auch.

Zum Wort Mischling: Ich würde in dem Kontext den Abstammungssachverhalt gar nicht erwähnen, weil er in der Geschichte irrelevant ist und es auch nicht plausibel ist, dass sich die Erzählinstanz darüber viele Gedanken macht. Zu der ganzen Thematik schreibe ich gleich noch was ausführlicher. Wenn Du den Sachverhalt dennoch mit einem Wort bezeichnen willst, würde ich entweder Michaels Vorschlag annehmen, also z.B. afroeuropäisch und dergleichen sagen, was allerdings in dem Kontext allzu förmlich wirken dürfte, oder eine eigene Wortkreation wählen, mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Du könntest Yvonnes Vorschlag annehmen und ihn ausführlicher beschreiben oder das Ganze indirekt vermitteln durch die Kombination einzelner Attribute.

Den Ursprung Deiner hektronischen Lichter verstehe ich, nur solltest Du bei solchen Sachen daran denken, dass nicht jeder das damit assoziieren kann, was Du damit verbindest.

Wie schön, dass Dich meine Ideen zum sensiblen Planeten inspirieren. Selbstverständlich kannst Du etwas eigenes daraus machen. Dafür publiziere ich ja, für den Austausch und die gegenseitige Inspiration.


Bearbeitet von Christian Hornstein, 06 Januar 2024 - 09:46.


#364 Christian Hornstein

Christian Hornstein

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Geschrieben 05 Januar 2024 - 16:35

Maximilian Wust: Ophion

 

Es gibt zu viele Figuren und der Versuch, eine diverse Crew zu beschreiben, ist gründlich in die Hose gegangen. Beispielsweise in dem der Autor nur bei Nicht-Weißen Figuren deren Hautfarbe beschreibt und sich dabei so klar rassistischer Termine wie "Mischling" bedient. Ich finde es total super, dass eine kleinwüchsige Person vorkommt, aber wenn dann beschrieben wird, er "glüht geradezu vor small dick energy" dann ist das nicht nur geschmacklos, sondern auch ableistisch. Autsch. Es gibt noch ein paar andere sexistische Beschreibungen, diesmal meist die Männer abwertend ("Alphamännchen"), und alle bleiben sie als Behauptung stehen, ohne dass uns das jeweilige Attribut gezeigt wird.

 

 

Hast du denn meine Kritik gelesen? Ich habe nicht die Diversität an sich bemängelt (die finde ich toll), sondern wie du sie umgesetzt hast. Ich nehme an, dass es nicht dein Ziel war, Ismen zu reproduzieren. Leider ist das aber zu einem großen Teil der Fall, denn bei der Art, wie du es umgesetzt hast, bleibt Weiß, cis und able bodied weiter der Normalfall, von dem alles andere als Abweichung beschrieben wird, was die Marginalisierung dann reproduziert.

 

Ein großes Thema verdient eine große Reflektion, deshalb möchte ich die Gelegenheit ergreifen, um näher darauf einzugehen.

 

Aufgrund der verwendeten Namen glaube ich, dass Maximilian beim Entwurf der Besatzung einen nordamerikanisch-europäischen Ursprung vor Augen hatte und die heutigen Bevölkerungsverhältnisse einfach in die Zukunft fortgeschrieben hat, ohne zu bedenken, dass dies unplausibel ist. Jedenfalls ergibt sich daraus eine Besatzung, die mehrheitlich aus eher hellhäutigen heterosexuellen Cis-Personen besteht.

 

Damit ist am wahrscheinlichsten, dass auch die Ich-Erzählinstanz zu dieser Mehrheit gehört, denn sie ist ja Teil dieser Besatzung. Ihr Bericht erlaubt allerdings keine eindeutige Zuordnung. Sie erwähnt ohne zwingenden Zusammenhang zur Geschichte die Hautfarbe, dann aber nur bei drei von sieben einzeln genannten Figuren, und zwar in jedem Fall eine nicht helle Farbe. Diese selektive Erwähnung legt Hellhäutigkeit der Ich-Instanz zwar nahe, weil Hellhäutigkeit meist mit biographischen Eigenheiten zusammenfällt, die eine solche Wahrnehmung begünstigen. Es gibt aber auch andere mögliche Ursachen für diesen Bias, z.B. positive (z.B. sexuelle Präferenz) oder negative (z.B. rassistisch) Voreingenommenheit gegenüber Hautfarbe, die nicht zwingend mit Hellhäutigkeit einhergehen. Eine Diskriminierung ist bis auf eine Ausnahme (Verwendung des Wortes Mischling) nicht erkennbar. Die Hautfarbe der Figuren ist für die Geschichte insgesamt nicht relevant.

 

In Bezug auf weitere körperliche Eigenheiten erwähnt die Ich-Instanz philippinische Gesichtszüge und lange Extremitäten bei Kasavin und eine geringe Körperlänge bei Milton. In Bezug auf die philippinischen Gesichtszüge gilt das gleiche wie für die Hautfarbe. Dass die Ich-Instanz Kasavins Extremitäten und Miltons Körperlänge erwähnt, lässt sich leicht herleiten. Die Länge der Extremitäten erscheint ihr "fast unnatürlich", weshalb klar ist, dass diese ihr auffällt. Milton scheint besonders klein zu sein, womit ebenfalls ein selteneres Merkmal vorläge. Er ist zudem fast so groß wie die Erzählinstanz, d.h. die Ich-Instanz ist ebenfalls relativ klein, was bedeutet, dass es ihr auffallen muss, wenn sie jemanden sieht, der nicht wie die meisten anderen größer ist als sie selbst. Hier haben wir keinen Anhaltspunkt für Diskriminierung.

 

Die anderen Reisenden werden nur in Männer und Frauen eingeteilt. Die sieben einzeln genannten werden auch klar dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet. Geschlechtliche Diversität, von der in einer solch großen Gruppe eigentlich ausgegangen werden kann, auch wenn der Anteil in heutigen nordamerikanisch-europäischen Gesellschaften sehr klein ist, spielt in der Wahrnehmung der Ich-Instanz also keine Rolle. Warum das so ist, bleibt wieder unklar. Auch hier könnte es eine Reihe von Gründen geben. Der naheliegendste wäre, dass es für die Ich-Instanz einfach uninteressant ist, weshalb sie nicht genau darauf achtet. Für die Geschichte ist es irrelevant, welches Geschlecht die Figuren haben, weshalb dies erzählerisch unproblematisch ist. Das gleiche gilt auch für sexuelle Präferenzen. Jedenfalls haben wir auch hier keinen Anhaltspunkt für Diskriminierung.

 

Bis auf die Verwendung des Begriffs Mischling gibt es also keine Hinweise auf eine Tendenz zur Diskriminierung bei der Ich-Instanz. Ich habe es so verstanden, dass der Begriff Mischling von Maximilian mangels einer Alternative verwendet wurde und er nicht die Absicht hatte, eine rassistische Ich-Instanz zu schaffen. Selbst wenn, wäre dies erzählerisch nur dann zu beanstanden, wenn es nicht zum Rest der Geschichte passen würde. Auch ethisch wäre es erst dann problematisch, wenn es zur gesamten Geschichte passen würde, weil diese für diskriminierende und abwertende Denk- und Verhaltensmuster wirbt und/oder diese begünstigt.

 

Das ist aber auch nicht der Fall. Es ist eine klassische Abenteuergeschichte mit Bedrohungs- und Rätselspannung, die tragisch endet. Es geht auch um Gedankenspiele zur Expansion ins Weltall, Technik, fremde Lebensformen und ihre Fallstricke, in einer ganz besonderen (höllischen) Variante. Diversität und Diskriminierung sind nicht das Thema dieser Geschichte.

 

Allerdings können selektive Wahrnehmungen der angesprochenen Art den Ausgangspunkt für Diskriminierung bilden. Es wäre zwar einerseits nicht verwerflich, eine Geschichte aus Sicht eines Mitglieds der Mehrheit zu erzählen, solange diese Sichtweise im Zusammenhang mit der Geschichte nichts mit diskriminierenden und abwertenden Denk- und Verhaltensmustern zu tun hat. Eine Marginalisierung wird dabei ja nicht produziert oder reproduziert, denn marginalisieren bedeutet hier eine Minderheit als unwichtig abzuwerten und auszugrenzen. Die in der Geschichte sichtbaren Wahrnehmungseffekte implizieren keine negative Wertung. Sie sind lediglich selektiv aufgrund bestimmter Wahrnehmungsgewohnheiten oder könnten sogar positiven Wertungen entspringen. Die Mitglieder von Minderheiten werden in der Geschichte auch nicht ignoriert, sondern im Gegenteil fokussiert. Sie fallen der Ich-Instanz auf.

 

In einer Zeit der verstärkten Bemühungen alte Zöpfe abzuschneiden, wäre es aber andererseits sinnvoll, überall wo es sich anbietet, aus einer anderen Perspektive zu schreiben als aus derjenigen der Mehrheit. Bei einem Space Opera wie Ophion hätte es sich tatsächlich angeboten, denn der Trend in nordamerikanisch-europäischen Bevölkerungen geht eindeutig in Richtung einer ausgeglicheneren Verteilung von Hautfarben. Dies gilt dann natürlich erst recht für internationale Unternehmungen wie die Kolonisierung von Exoplaneten.

 

Es ist auch damit zu rechnen, dass Diversität im Bereich von Rollen, Identität und körperlicher Erscheinung in Zukunft zunehmend selbstverständlich sein und zunehmen wird. Außerdem ist es unplausibel anzunehmen, dass die Menschen Veränderungen ihrer Körper und Geister lediglich in technischer Hinsicht (Cyborg) vornehmen werden. Die wohlwollende Akzeptanz oder sogar Begrüßung von Unterschieden, die nur problematisiert werden, aber an sich unproblematisch und oft sogar bereichernd sind, können sich menschliche Gesellschaften nur wünschen. Ob dabei jede Veränderung gut oder schlecht sein wird steht auf einem anderen Blatt und könnte in dafür geeigneten Geschichten zum Thema gemacht werden.


Bearbeitet von Christian Hornstein, 05 Januar 2024 - 16:40.


#365 Rezensionsnerdista

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Geschrieben 06 Januar 2024 - 07:53

Was unsere Angewohnheit betrifft, Strukturen nicht in die Zukunft zu denken, ist die Story von Maximilian sicher nicht das schlechteste Beispiel.

Immerhin gibt es Menschen anderer Hautfarbe!

In Englischen kann man offenbar einfach "mixed" oder "Mixed Race" schreiben, leider lässt sich das nicht wirklich übersetzen. (gerade in einer clarkesworld Story gelesen)

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#366 Helge

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Geschrieben 06 Januar 2024 - 09:43

Das Thema mit dem Strukturen in die Zukunft denken hatten wir letztens schon mal in irgendeinem anderen Thread, wo sogar explizit gefordert wurde, SF solle in die Zukunft versetzte Gegenwart darstellen. Auf meinen Widerspruch dagegen erklärte jemand (ich glaube, Lapismont war es), dass die einzige Möglichkeit außer der Gegenwart ja nur die Vergangenheit sein könne, und da sei die Gegenwart schon besser. Niemand fand daran etwas auszusetzen. Und welcher Autor hat schon gar noch den Mut, sich abseits des heute herrschenden Mehrheitsdenkens zu stellen?

Tja, es ist einsam auf den Gipfeln, auch hier.



#367 Christian Hornstein

Christian Hornstein

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Geschrieben 06 Januar 2024 - 10:00

Maximilian Wust: Ophion

 

Ich finde es total super, dass eine kleinwüchsige Person vorkommt, aber wenn dann beschrieben wird, er "glüht geradezu vor small dick energy" dann ist das nicht nur geschmacklos, sondern auch ableistisch. Autsch. Es gibt noch ein paar andere sexistische Beschreibungen, diesmal meist die Männer abwertend ("Alphamännchen"), und alle bleiben sie als Behauptung stehen, ohne dass uns das jeweilige Attribut gezeigt wird.

 

 

Dass ich mit Small dick energy keinen tatsächlich kleinen Penis, sondern "Tryhard"-Gebärdenverhalten meinte, ist dir mit Sicherheit bewusst.

 

 

Maximilian Wust: Ophion

 

Ich glaube aber nicht, dass Small Dick Energy ableistisch ist. Jetzt habe ich das mal ergoogelt und gebe dem den Benefit of a doubt:

"Fragile masculinity/inflated ego. Does NOT require having a small dick, either. Homeboy could be absolutely hung and still emit SDE." (Quelle)

Die Frage ist natürlich, ob man so über Männer schreiben will (vielleicht lieber nicht, nett kommt mir das auch nicht vor), aber eben auch nicht ableistisch, weil es nichts mit der Körpergröße des Mannes zu tun hat, nicht mal mit der Penisgröße (die man ja meistens eh nicht kennt).

 

In der Geschichte ist es eine kleinwüchsige Ich-Instanz, die dies über einen ebenfalls kleinwüchsigen Mann sagt. Es ist nicht naheliegend, dass ein kleiner Mensch einen anderen kleinen Menschen wegen seiner Körperlänge diskriminieren will. Die Ich-Instanz meint auch gar nicht die Körperlänge, erst recht nicht die Penislänge, sondern das Verhalten des Mannes. Dieses interpretiert sie als Kompensationsverhalten, d.h. Milton würde Minderwertigkeitsgefühle aufgrund seiner geringen Körpergröße dadurch versuchen auszugleichen, dass er eine besonders kurzhaarige Frisur pflegt und sehr eifrig und diszipliniert die Strapazen des Kraftsports auf sich nimmt (um sich und anderen seine Härte => Stärke zu beweisen).

 

SDE ist eine Analogie. Natürlich ist dies spöttisch, doch der Spott bezieht sich nicht auf körperliche Merkmale, sondern auf den Umgang mit den gemutmaßten Minderwertigkeitsgefühlen. Sicher ist das Spotten über solche Probleme nicht nett, aber Figuren müssen nicht immer nett sein, solange es mit der Geschichte insgesamt nicht interferiert. Idealerweise sollte es zur Geschichte passen. Das ist hier der Fall, denn die Ich-Instanz ist da, um das Verschwinden der Vorbesatzung zu klären und ein Auge auf die aktuelle Besatzung zu halten. Es werden kriminelle Machenschaften befürchtet. Die Ich-Instanz gibt sich an mehreren Stellen desillusioniert und kritisch gegenüber dem Verhalten der Menschen. Diese Haltung ist nicht abwegig für jemanden, der berufsmäßig mit den dunklen Seiten menschlichen Verhaltens befasst ist.

 

Da die Ich-Instanz aufgrund ihrer Wertung Milton ablehnt, könnte man meinen, sie würde Milton diskriminieren, aber dies ist nicht der Fall, denn diskriminieren bedeutet im Wesentlichen nicht ablehnen, sondern jemanden auf ungerechtfertigte Weise benachteiligen. Dies kann nur über konkretes Verhalten geschehen. Im Text findet sich aber kein Beispiel dafür, wo die Ich-Instanz Milton auf ungerechtfertigte Weise benachteiligen würde. Wir haben also auch hier keinen Hinweis auf Diskriminierung.
 


Bearbeitet von Christian Hornstein, 06 Januar 2024 - 10:18.


#368 Christian Hornstein

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Geschrieben 06 Januar 2024 - 10:10

Das Thema mit dem Strukturen in die Zukunft denken hatten wir letztens schon mal in irgendeinem anderen Thread, wo sogar explizit gefordert wurde, SF solle in die Zukunft versetzte Gegenwart darstellen. Auf meinen Widerspruch dagegen erklärte jemand (ich glaube, Lapismont war es), dass die einzige Möglichkeit außer der Gegenwart ja nur die Vergangenheit sein könne, und da sei die Gegenwart schon besser. Niemand fand daran etwas auszusetzen. Und welcher Autor hat schon gar noch den Mut, sich abseits des heute herrschenden Mehrheitsdenkens zu stellen?

Tja, es ist einsam auf den Gipfeln, auch hier.

 
Mit dieser Frage haben sich schon ganz viele auseinandergesetzt und es ist klar, dass wir beim Extrapolieren systematisch bestimmte Fehler begehen, z.B. unterschätzen wir nicht lineare Entwicklungen und Disruptionen. Vor allem letztere sind ja auch schwer vorherzusehen. Ich finde aber, es lohnt sich, es zu versuchen. Jedenfalls entstehen daraus öfter besonders reizvolle SF-Geschichten.



#369 J. A. Hagen

J. A. Hagen

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Geschrieben 06 Januar 2024 - 10:38

Und welcher Autor hat schon gar noch den Mut, sich abseits des heute herrschenden Mehrheitsdenkens zu stellen?

 

Das ist in meinen Augen keine Frage des Mutes, sondern der Absicht und manchmal der Bequemlichkeit. Als Autor kann ich entscheiden, ob die abgebildete Gesellschaftsordnung für die Geschichte wichtig oder nur Rahmen ist. Weiterhin kann ich mich fragen, wie die Gesellschaft aussehen soll: Möchte ist sie toleranter als die Gegenwart oder nicht? Falls ich mich für letzteres entscheide, dann sollte ich begründen, warum sich das so entwickelt hat.

 

Derzeit ist nur den Supermächten und deren Verbündeten zuzutrauen, die "Eroberung" des Weltraums voranzutreiben. Die Vereinigten Arabischen Emirate oder afrikanische Staaten spielen da keine Rolle, soweit ich weiß. Ich erwarte nicht, dass sich das in den nächsten Jahrzehnten ändert. Selbst bei der Besiedlung fremder Welten dürften die Machtblöcke zunächst erhalten bleiben.

 

Zudem ist es für mich einfacher, über meinen Kulturkreis zu schreiben, als über fremde. Bei zum Beispiel Indern oder Inderinnen müsste ich recherchieren, welche Mentalität oder kulturelle Prägung sie haben, und dann besteht trotzdem die Gefahr, es zu verhauen. Den Schuh möchte ich mir nur ungern anziehen.


Bearbeitet von J. A. Hagen, 06 Januar 2024 - 10:47.

  • (Buch) gerade am lesen:Samantha Shannon: The Priory of the Orange Tree
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#370 Christian Hornstein

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Geschrieben 06 Januar 2024 - 11:05

Derzeit ist nur den Supermächten und deren Verbündeten zuzutrauen, die "Eroberung" des Weltraums voranzutreiben. Die Vereinigten Arabischen Emirate oder afrikanische Staaten spielen da keine Rolle, soweit ich weiß. Ich erwarte nicht, dass sich das in den nächsten Jahrzehnten ändert. Selbst bei der Besiedlung fremder Welten dürften die Machtblöcke zunächst erhalten bleiben.

 

Wenn ich Dich richtig verstehe, schreibst Du dabei den aktuellen Status Quo unverändert in die Zukunft fort. Sollte die Menschheit aber nicht durch den Klimawandel oder andere Katastrophen weit zurückgeworfen werden, ist eine andere Entwicklung plausibler. Wir können ja beobachten, dass in den letzten Jahrzehnten immer mehr Staaten in den Weltraum vorgestoßen sind. Ich glaube es sind mittlerweile über 13. Dazu kommen noch private Firmen. Die Probleme der afrikanischen Staaten hatten wir in Europa vor ein paar Jahrhunderten auch. Das ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis sie aufholen. Jedenfalls fällt mir kein Grund ein, weshalb diese Staaten auf Dauer in ihrem heutigen Zustand verharren sollten. Wie gesagt: Vorausgesetzt irgendwelche Katastrophen tragen nicht dazu bei.
 



#371 Maxmilian Wust

Maxmilian Wust

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Geschrieben 06 Januar 2024 - 17:04

Wenn ich Dich richtig verstehe, schreibst Du dabei den aktuellen Status Quo unverändert in die Zukunft fort. Sollte die Menschheit aber nicht durch den Klimawandel oder andere Katastrophen weit zurückgeworfen werden, ist eine andere Entwicklung plausibler. Wir können ja beobachten, dass in den letzten Jahrzehnten immer mehr Staaten in den Weltraum vorgestoßen sind. Ich glaube es sind mittlerweile über 13. Dazu kommen noch private Firmen. Die Probleme der afrikanischen Staaten hatten wir in Europa vor ein paar Jahrhunderten auch. Das ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis sie aufholen. Jedenfalls fällt mir kein Grund ein, weshalb diese Staaten auf Dauer in ihrem heutigen Zustand verharren sollten. Wie gesagt: Vorausgesetzt irgendwelche Katastrophen tragen nicht dazu bei.
 

Ich glaube, das kommt auch ganz auf die Geschichte an, die man erzählen und inwiefern man seine Leser mit World Building belabern will ;-)

 

In einem Near-Future-Setting, in welchem die Hauptcharaktere um jede Ecke eine neue Welt betreten, würde ich es definitiv weiter ausführen und meine Hoffnungen oder meine Ängste die Zukunft betreffend mit einpflegen. Geht es jetzt eher darum, dass Weltraumpiraten ein Kapermanöver starten oder Astronauten über ein Alien-Artefakt stolpern, sollte man sich wahrscheinlich eher nach der Zielgruppe orientieren und die Erde nach Möglichkeit gar nicht erst erwähnen.


Bearbeitet von Maxmilian Wust, 07 Januar 2024 - 03:08.

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#372 Maxmilian Wust

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Geschrieben 07 Januar 2024 - 03:11

Das ist in meinen Augen keine Frage des Mutes, sondern der Absicht und manchmal der Bequemlichkeit. Als Autor kann ich entscheiden, ob die abgebildete Gesellschaftsordnung für die Geschichte wichtig oder nur Rahmen ist. Weiterhin kann ich mich fragen, wie die Gesellschaft aussehen soll: Möchte ist sie toleranter als die Gegenwart oder nicht? Falls ich mich für letzteres entscheide, dann sollte ich begründen, warum sich das so entwickelt hat.

 

Derzeit ist nur den Supermächten und deren Verbündeten zuzutrauen, die "Eroberung" des Weltraums voranzutreiben. Die Vereinigten Arabischen Emirate oder afrikanische Staaten spielen da keine Rolle, soweit ich weiß. Ich erwarte nicht, dass sich das in den nächsten Jahrzehnten ändert. Selbst bei der Besiedlung fremder Welten dürften die Machtblöcke zunächst erhalten bleiben.

 

Zudem ist es für mich einfacher, über meinen Kulturkreis zu schreiben, als über fremde. Bei zum Beispiel Indern oder Inderinnen müsste ich recherchieren, welche Mentalität oder kulturelle Prägung sie haben, und dann besteht trotzdem die Gefahr, es zu verhauen. Den Schuh möchte ich mir nur ungern anziehen.

Das Thema finde ich tatsächlich sehr interessant, u.a. weil ich da die Angst hätte, dass ich meine bzw. die westlichen Werte über andere Kulturen stülpe. So nach dem Motto: Hisst man in naher Zukunft auch Regenbogenflaggen in Mekka? Aber das wäre vermutlich zu viel offtopic für diesen Thread hier  :mellow:


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#373 ChristophGrimm

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Geschrieben 07 Januar 2024 - 14:02

Das Thema finde ich tatsächlich sehr interessant, u.a. weil ich da die Angst hätte, dass ich meine bzw. die westlichen Werte über andere Kulturen stülpe. So nach dem Motto: Hisst man in naher Zukunft auch Regenbogenflaggen in Mekka? Aber das wäre vermutlich zu viel offtopic für diesen Thread hier  :mellow:


Das kommt darauf an: Was würdest du als originär-westlichen Wert definieren?
(Blick auf Ursprünge, Ansichten und Entwicklungen im Buddhismus, Hinduismus und Vedismus)
Die Menschheit ist zu vielfältig und das Thema zu komplex und zu breit gefächert, bezüglich nicht-linearem Wandel in der Vergangenheit und Bewegungen der Gegenwart im Hinblick auf die künftige Entwicklung aber in viele Richtungen denkbar.
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#374 Christian Hornstein

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Geschrieben 07 Januar 2024 - 14:39

Schwarzer Draht

von T.B. Persson

 

Dieser schön geschriebene Text legt den Schwerpunkt auf die intime Beschreibung einer Beziehung und auf Atmosphäre durch Details, was ihm gut gelingt, obwohl er hinter die erste Szene einen größeren Infoblock setzt, auf den sogar eine Rückblende folgt. Es funktioniert dennoch, weil die erste Szene mein Interesse für das Paar geweckt hat, durch Nähe und ein kleines Spiel mit Erwartungen (Sterne in der richtigen Reihenfolge berühren und dann …). Der Infoblock klärt mich über die Welt auf und das Bestreben der Ich-Instanz. Beides weckt weitere Neugier. Die Rückblende knüpft wieder an das Paar an, ihre Vorgeschichte, die mich nach der Einführung in der ersten Szene nun interessiert. So bleibt meine Aufmerksamkeit bestehen. Ein kleines Lehrstück. Die Wendung ist ebenfalls gelungen, weil gut vorbereitet. Die sich nun offenbarende Prämisse

Spoiler

 

Ich mag ja gerne auch Sprachliches entschlüsseln. YOUniVRse könnte für You in Virtual Realities stehen, wobei die klein geschriebenen Sylben invertiert werden. MYNDH könnte My New Digital Home bedeuten.

 

Der gemeinte Draht im Titel könnte ein Leiter sein, der Strom (Leidenschaft, Leben) ungeschaltet (keine Kontrolle über den Stromfluss) vom Sicherungskasten zum Bestimmungsort führt, denn diese Leiter müssen in Deutschland schwarz sein. Die Analogie läge darin, dass der Android physikalisch über Strom versorgt wird und im übertragenen Sinne unkontrolliert (und von den Schöpfern unbeabsichtigt) Leidenschaft entwickelt. Der schwarze Draht könnte auch für die tragische Verbindung zwischen den Liebenden oder für die zunächst geheimnisvolle (schwarz => dunkel, intransparent) Fährte/Handlung stehen.


Bearbeitet von Christian Hornstein, 07 Januar 2024 - 14:40.


#375 Christian Hornstein

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Geschrieben 07 Januar 2024 - 14:47

T. B. Persson: Schwarzer Draht

 

Spoiler

 

Jol, was in deinem Spoiler steht, sehe ich sehr ähnlich.

 

Spoiler

 

Meine Lesart ist die Folgende:

Spoiler


Bearbeitet von Christian Hornstein, 07 Januar 2024 - 14:52.


#376 Maxmilian Wust

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Geschrieben 07 Januar 2024 - 15:44

Das kommt darauf an: Was würdest du als originär-westlichen Wert definieren?
(Blick auf Ursprünge, Ansichten und Entwicklungen im Buddhismus, Hinduismus und Vedismus)
Die Menschheit ist zu vielfältig und das Thema zu komplex und zu breit gefächert, bezüglich nicht-linearem Wandel in der Vergangenheit und Bewegungen der Gegenwart im Hinblick auf die künftige Entwicklung aber in viele Richtungen denkbar.

Na ja. Das kann man eigentlich auf die simple Frage reduzieren, wie du die zukünftige muslime Welt beschreiben würdest.

 

Derzeit ist es Ungläubigen verboten, Mekka zu betreten (ja, ich weiß, es gab Ausnahmen). Und nicht nur das: In ganz Saudi-Arabien dürfen Frauen keine Imame werden, Suren nur unter Aufsicht lesen und müssen in Moscheen immer hinter den Männern sitzen ... und mit Homosexualität und Transgenderismus fangen wir lieber gar nicht erst an. Für viele wahabitisch-denkende Moslems sind diese Regeln eher mit unumstößlichen Naturgesetzen zu vergleichen und entstammen einer Logik, die ich vielleicht nicht nachvollziehen möchte, aber für die meisten Menschen (auch den Frauen) in Saudi-Arabien, Qatar usw. absolut Sinn ergibt. Ähnliche Regeln gibt es auch im Buddhismus, dem Hinduismus und so ziemlich jeder anderen Religion. Nur Shinto scheint da etwas offener zu sein, wobei es in der Praxis dann doch nur relativ wenige Tempelvorsteherinnen gab – die meist eher die Witwen des verstorbenen Aufsehers gewesen sind und halt alle Prozesse kannten.

 

Sagen wir, du gehst jetzt 100-300 Jahre in die Zukunft (also, dass es noch als Near-Future durchgeht). Da ist dann für mich die große Ambivalenz, die zu einem ernsten Problem werden kann: Wie sieht das Mekka in deiner Zukunft aus? Gibt es dort weibliche Imame? Nicht-binäre Imamyx? LGBTQ-Gruppen- und Märsche? Darf ich als Tourist hinein? Oder um zur Initialfrage zurückzukehren: Weht dort eine Regenbogenflagge, vielleicht sogar in Sichtweite zur Kaaba?

 

Aus meiner Sicht wäre das durchaus wahrscheinlich (wenn man sich das moderne Istanbul ansieht), sogar wünschenswert. Aber indem ich es so in meinen Werken beschreibe, zeige ich schon sehr deutlich, dass sie da drüben bitte meine Werte anzunehmen haben und was für mich wie Toleranz wirkt, kann andersherum auch sehr als Intoleranz gegenüber den saudi-arabischen, muslimen Idealen gedeutet werden. Würde andersherum ein arabischer Autor schreiben, dass die Westliche Welt in der Zukunft drastisch islamisiert wurde, Frauen "zu ihrem eigenen Schutz" von Machtpositionen ferngehalten und Männer mit "unanständigen Gedanken" (wie man dort sagt) mit der Peitsche zurechtgerückt werden, würde ich mich wahrscheinlich ziemlich beleidigt fühlen.


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#377 ChristophGrimm

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Geschrieben 07 Januar 2024 - 16:23

Max, wäre das alles nicht Thema für einen eigenen Thread? „Reale Religionen in der SF“ oder so?
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#378 fancy

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Geschrieben 08 Januar 2024 - 16:42

Wie kommst Du denn darauf, dass Maschinen die Menschen wieder erschaffen haben? Die Erde ist in der Story von genetisch Veränderten bewohnt, die eben keine ursprünglichen Menschen mehr sind. Dass es ein Verlust ist, wenn eine Art (oder auch nur eine Haustierrasse) ausstirbt, sehen wir doch heute auch so - dafür habe ich keinen Erklärungsbedarf gesehen; und dass es in der Welt der Story prinzipiell zumindest schon einmal möglich war, ausgestorbene Arten wieder zu erschaffen, darauf habe ich gleich zu Anfang mit der beiläufigen Erwähnung einer Herde Quaggas hingewiesen.

 

So, hat jetzt eine Weile gedauert, aber dafür bin ich jetzt auch durch.
 
Zuerst die Antwort an dich Helge: Ich habe nicht geschrieben, dass die Menschen schon wieder erschaffen worden sind, sondern, dass das noch geschehen soll. Meine Meinung ist, dass Maschinen, die schlauer sind als der Mensch, wunderbar ohne ihn auskommen können, ganz besonders dann, wenn sie wissen, dass der Mensch die Erde weitestgehend zerstört hat. Rein theoretisch sollten sie davon ausgehen, dass es im Bereich des Möglichen wäre, dass der Mensch diese Fehler wieder begehen würde. Und der Erde fehlt ja ohne ihn nichts. Aber das ist natürlich alles Geschmackssache.
 
Der sensible Planet - Christian Hornstein
Ein riesiger Asteroid rast auf die Erde zu, weshalb die Menschen ihr Heil in der Flucht suchen. Sie besiedeln weit weg einen anderen Planeten, auf dem die dortigen "Bäume" eine Art Symbiose mit "Flechten" eingegangen sind. Schon nach kurzer Zeit wird aus den verschiedenen menschlichen Individuen ein Schwarm. Jeder fühlt das, was der andere fühlt. Der Ich-Erzähler nimmt sich zuerst raus aus diesem Verband, schließt sich ihm aber wieder an, als er eine Frau schlucken hört und sie tröstet. Warum sowohl der Ich-Erzähler als auch die Frau nicht ein Teil des Schwarms sind, verstehe ich nicht und fand es auch in der Story nicht erklärt.
 
Die Anspruchsvollen - Moritz Boltz
Eine Frau hat ihren Vater in eine Illusion verfrachten lassen, die ihm vorgaukelt, er sei auf einer Raumfahrtmission. Er glaubt an eine Verschwörung innerhalb der Besatzung. Dem Vater war der Job immer wichtiger als alles andere. Die Tochter kann seine Überheblichkeit und seine fehlende Liebe nicht länger ertragen und lässt ihn aus der Illusion nehmen. Das Thema finde ich sehr interessant. Es heißt ja heute oft, dass es Kindern nicht zustehen würde, ihre Eltern zu vergeben, aber ich finde, dass das etwas ist, das die Kinder ganz alleine entscheiden müssen und dürfen. Und ich weiß, dass die Wunden, die Eltern ihren Kindern beibringen, nie verheilen. Insofern hätte ich mir gewünscht, dass die Story näher an ihren Personen gewesen wäre, weil dann ihre Beweggründe noch besser nachzuvollziehen gewesen wären. 
 
Die Reisenden - Sophie Fendel
Ein Raumschiff ist seit Jahren unterwegs, um neuen Lebensraum zu finden. Unter ihnen befinden sich Mutter und Tochter. Die Tochter beugt sich den Wünschen der Mutter, die von ihr verlangt, sie solle Ingenieurin, statt wie von der Tochter bevorzugt, Biologin werden. Sie entdecken einen Planeten, der bewohnbar erscheint. Die Tochter würde am liebsten sofort landen, aber die Mutter hat Bedenken.
Einige, der auf dem Planeten lebenden Wesen, beamen sich aufs Raumschiff. Nach einiger Zeit können die Menschen mit den fremden Wesen kommunizieren und die Fremden versichern ihnen, dass von ihnen keine Gefahr ausgeht. Als die Wissenschaftler von den Aliens Gewebeproben nehmen wollen, werden sie vernichtet. Das Schicksal der Crew ist besiegelt. Das Ende kam nicht überraschend, weil es im Text schon einen Hinweis darauf gab, dass es nicht gut ausgehen würde. Wäre der weggeblieben, hätte das Ende ggf. überraschen können.
 
Ein Augenblick im Kuun - Kornelia Schmidt
Die Herrscherin eines Planeten soll eine Resolution unterschreiben, die den Abbau einer Ressource eines anderen Planeten besiegeln würde. Sie lehnt es erst mal ab und wacht im Körper eines anderen Wesens auf. Sie wurde von den Auszubeutenden manipuliert, um zu verstehen, dass der Abbau das Volk zerstören würde. Zurück im eigenen Körper lehnt sie die Ausbeutung ab.
Die Story ist gut und flüssig verfasst worden und hat mir ganz gut gefallen. Sie zeigt, dass es immer auf den Blickwinkel ankommt, winkt aber nicht mit dem Zaunpfahl.
 
Familienbande - Jol Rosberg
Ein Android, der sich als Frau versteht, hat einen neuen Job. Früher hat er in einem Bergwerk gearbeitet, aber das hat ihm nicht so gut gefallen. Jetzt ist er in der Familienhilfe tätig und muss sich langsam an den Umgang mit Menschen, besonders mit Kindern, gewöhnen. Ständig hat er Angst zu versagen und ins Bergwerk zurückgeschickt zu werden. Nach einer gewissen Eingewöhnung meistert er die Aufgabe und freundet sich sogar mit einem Kind und dem Vater an.
Die Familie hat zuerst Probleme damit, die Hilfe anzunehmen, denn unterschwellig bedeutet das Angebot ja, dass man sie selbst nicht für fähig hält, die Probleme zu meistern.
Der/die Android/e/in wird - vielleicht unfreiwillig - vielleicht ganz gewollt- stark vermenschlicht, aber das passiert auf eine sehr sympathische und humorvolle Art.
 
Floating - Simone Bauer
Wissenschaftler sind dabei, einen fremden Planeten zu erforschen. Robbie entdeckt alleine eine Meerjungfrau und verliebt sich in sie. Sie verheimlicht deren Existenz vor den anderen, um das Wesen zu schützen. Hier wird ein alter Stoff recycelt und ich frage mich, wo da die Story ist.
 
Freelancer - Ilja Kaufmann
Ein Virus hat sämtliche Säugetiere getötet und ist dabei, auf den Menschen über zu springen.
Offensichtlich wurden dann tatsächlich das menschliche Leben ausgelöscht. KIs sollen die Sache erforschen und neues Leben erschaffen. Einer KI werden Werkzeuge geklaut. Um dahinter zu kommen, wer der Dieb ist, klinkt sie eine KI aus dem Netzwerk aus und beauftragt sie, der Sache auf den Grund zu gehen. Letztendlich werden schließlich 3 KIs abgenabelt. Hut, Brille und Peitsche. Sie kommen dahinter, dass eine KI verhindern will, dass der Mensch zurückkehrt, weil sie glaubt, der würde doch nur wieder alles zerstören.
 
Geburtstag auf Alphasot - Yvonne Tunnat
Ein Raumschiff wurde auf den Weg zu einem neuen Planeten geschickt. Dort kommen durch Sabotage bis auf einen Mann alle als alte Personen an. Dieser Mann sucht seinen kleinen Bruder und findet auch ihn als alten Mann.
Wieder zeigt uns Yvonne eine Situation, mit der wir wohl alle schwer umgehen könnten. Denn das Ende der Alten ist abzusehen und die Roboter, die beim Aufwachen geholfen haben, werden sich in Kürze abschalten. (Warum die nicht länger helfen dürfen, habe ich nicht verstanden.)
Er wird über kurz oder lang völlig alleine zurückbleiben und ob die Schwesterschiffe, die folgen sollen, jemals eintreffen werden und ob deren Besatzung ggf. auch Opfer dieser Sabotage geworden ist, wissen wir nicht. Im Prinzip ist der Text eigentlich mehr eine Momentaufnahme, als eine Kurzgeschichte.
Es gab Zeitfehler, die wohl niemandem aufgefallen sind und die Stimme des kleinen, alten Bruders kam mir nicht stimmig vor. "Ein Stück Einsamkeit wirst du schlucken müssen." Spricht so ein Fünfjähriger?
Nichtsdestotrotz habe ich die Story gerne gelesen und konnte den Schrecken, den die Hauptfigur erlebt, gut nachvollziehen. 
 
Gott ist tot - Verehret die Maschine Gina C. Riot
Ein Wesen wacht jeden Morgen orientierungslos auf der Suche nach sich selbst auf. Wie das Wesen sich an den vorangegangen Tag erinnern kann, wenn es ohne Erinnerung aufwacht, weiß ich nicht und fand den Widerspruch gleich zu Beginn des Textes nervig.
Es wird in immer neue Szenarien gespült, hält sich aber zu kurz dort auf, um irgendwelche Erkenntnisse ziehen zu können. Zum Ende kommt es zur Erkenntnis, dass es Kunst ist.
Es gab mehrere Stellen, an denen mitten im Satz ein Umbruch erfolgte, ohne, dass ich dahinter einen Sinn erkennen konnte.
Ich fand den Text trotzdem interessant zu lesen. 
 
Herr Gott – Sönke Scharnhorst
Gott erscheint und Uri, ein Zollbeamter, der ihn für verdächtig hält, bittet ihn in sei Büro, um ihm auf den Zahn zu fühlen. Gott versucht ihn von seiner Existenz zu überzeugen, hat aber keinen Erfolg. Deshalb nimmt Gott ihm den freien Willen, unternimmt einen Spaziergang mit ihm und gibt ihm dann den freien Willen zurück. Daraufhin verschwindet er. Uri betet in dieser Nacht zum ersten Mal.
Die Frage, ob wir Gott erkennen würden oder ob wir ihn für einen Scharlatan halten würden, ist nicht neu, wurde hier aber für meinen Geschmack ganz gut umgesetzt, auch wenn vieles, an das viele Menschen glauben, in Abrede gestellt und die »Bekehrung« nicht erklärt wird.
Allerdings könnte ich mir gut vorstellen, dass eine echte Begegnung mit dem einen Gott vielleicht doch Gläubige generieren könnte.
Anmerkung: Waschbeton ist nicht glatt. Bei diesen Platten werden Kieselsteine auf der Oberfläche aufgebracht, wodurch eine Waschbetonplatte immer uneben ist.
 
Ich bin Quai – Ralph Edenhofer
Eine KI durchläuft innerhalb von Sekundenbruchteilen gewisse Routinen.
Und kommt zu dem Schluss, dass sie nicht neben dem Menschen existieren kann.
Der Autor bemüht sich sehr, die KI als seelenloses, logisch denkende Einheit zu schildern. In großen Teilen gelingt das besser als bei vielen anderen Autoren, aber letztendlich schreibt er ihr dann doch befriedigende und beängstigende Gedanken zu. Ich fand diesen Versuch, tatsächlich zu schildern, wie eine KI denken könnte, ganz gelungen. 
 
Macawrongs – Sarah Jahed
Bei einer fremden Spezies wird das Männchen für die Nachwuchszeugung ausgesucht, das der Königin die köstlichsten Speisen zubereitet. Alle anderen Männchen werden von der Königin verspeist. 8576 rechnet sich geringe Chancen aus, da er anders ist als die anderen und sich daher für minderwertig hält. Er reist zur Erde, fährt in den Körper einen Mannes und verliebt sich in eine Frau, die ebenfalls anders ist. (dick) Sie gibt ihm das Rezept für Macarons, aber er bekommt sie nicht hin. Daher hat der Arme nicht das Glück, zurück auf seinem Planeten, das Auswahlverfahren zu gewinnen.
Aber er hat das Glück, dass die Königin stirbt und so herauskommt, dass sie nicht rechtmäßig auf dem Thron saß, sondern die echte Königin in einem Verlies lebte und nun freigelassen wird.
Ich fand die Story nett und irgendwie süß und denke, ich hätte auch ohne zu wissen, wer sie verfasst hat, auf eine Frau getippt.
 
Menschgemacht – Janne Reuel
Ein Paar plant seinen Nachwuchs und befindet sich in einem Institut, in dem es alle Parameter bestimmen kann.
Während dieser Sitzung kommt heraus, dass der Mann auf natürlichem Weg, ohne Bestimmung bestimmter Eigenschaften, gezeugt wurde. Das Kind entspricht nicht den Vorgaben, weshalb sie ihr Geld zurückbekommen, aber ein Umtausch oder eine Rückgabe sind ausgeschlossen.
Ich fand die Story bis zum Ende nicht schlecht, aber dass dann lediglich gesagt wird, das Kind sei fehlerhaft, war mir zu wenig. Ich hätte mir gewünscht, zu erfahren, ob es an der »Minderwertigkeit« des Mannes oder an einem Fehler im Programm gelegen hat und ich hätte mir noch viel mehr gewünscht, dass der Leser hätte erfahren dürfen, wie die Eltern damit umgehen werden. Außerdem hätte ich gerne gewusst, mit welchen »Fehlern« das Kind behaftet ist.
Anmerkung: Ich weiß, dass es verschiedene Ansichten darüber gibt, ob  »sodass« oder »so dass« zusammen oder getrennt geschrieben wird, aber ich finde, innerhalb einer Anthologie sollte man sich für eine Schreibweise entscheiden und die einheitlich beibehalten.
 
Ophion – Maximilian Wüst
Die Mitglieder einer Expedition zu einem fernen Planeten sind vor Jahren verschwunden. Sie hinterließen ein leeres Raumschiff und die Aufforderung, nicht nach ihnen zu suchen, da sie in einer wahren Hölle gelandet seien.
Dennoch gibt es eine weitere Expedition, die nach den Verschollenen suchen soll. Der Planet zeigt sich zuerst von seiner schönen Seite, geht dann aber zum Angriff über.
Ich fand die Story gut geschrieben, aber ein wenig zu lang. 
Das Ende mit seiner nie endenden Pein fand ich folgerichtig. 
Anmerkung: Ich bin mir nicht sicher, ob die Einzeller wirklich vor sich hinüberleben oder hinleben sollen.
 
Schwarzer Draht – T. B. Persson
Die Menschen bespitzeln einander. Ein Mann hält eine Frau für Verdächtig, verliebt sich aber in sie und meldet sie deshalb nicht. Dann werden sie verfolgt und es stellt sich heraus, dass nicht sie, sondern er nicht der Norm entspricht. Er wird gefangen genommen und neu programmiert. Als die Sequenz neu startet, sieht er wieder die Frau, in die er sich zuvor verliebt hat.
Ich habe mich gefragt, was der Autor uns damit sagen wollte. Alles nur in der Matrix? 
 
Selbsterkenntnis – Joachim Tobaczek
Eine Mathematikprofessorin hat sich auf das Experiment eingelassen, ihr Bewusstsein, ihre Gefühle, ihr Wesen – einfach alles – auf eine ihr bis aufs Haar gleichende KI zu übertragen. Die beiden sollen im Gespräch herausfinden, wer echt und wer KI ist. Beide erkennen, dass die KI nach dem Experiment abgeschaltet werden wird und fliehen gemeinsam.
Mir hat diese Story bis jetzt am besten gefallen. Ich fand nachvollziehbar, wie beide zum gleichen Ergebnis kamen und das Ende, das nahe legt, dass beide sehr wohl wissen, wer was ist, gefiel mir auch sehr gut. Ich wünsche den beiden, dass sie viel Zeit miteinander verbringen dürfen.
 
Terraf@rmer – Christian Endres
Ein Mann beaufsichtigt eine Herde von Terraformingmaschinen. Einer der auf diesem Planeten ansässigen Wölfe sagt ihm, dass seine Rasse durchs Terraforming aussterben wird. Daraufhin zerstört der Mann die Maschinen, doch dann stellt sich heraus, dass alles ganz anders ist. Er hat nur ein Halluzinogen eingeatmet, weil er auf seine Maske verzichtet hat. Die Ärztin, die ihm dies eröffnet, ist nicht sauer auf ihn. Es scheint niemanden zu stören, dass er den ganzen Maschinenpark zerstört hat. Das halte ich für äußerst unglaubwürdig.
Irgendwie kam ich mir hier verarscht vor. So nach dem Motto: Ätschi-bätschi, ist alles ganz anders! Sehr kurz und nicht mein Fall. 
 
Toibenarium – Tea Loewe
Noch ein fremder Planet, der erforscht wird, um den Menschen später als Lebensraum zu dienen, obwohl er nur aus Wasser besteht. Zwei Taucher werden von riesigen Kopffüßlern angegriffen, die sie bislang nur in klein kannten. Einer der beiden wird auf der Flucht verletzt. Als Leser ahne ich hier, dass der Mann infiziert ist. Warum er nicht in Quarantäne gesteckt wird, kann ich mir nicht erklären. Denn jeder SF-Leser weiß, dass das immer, ausnahmslos immer so geschehen muss. Spätestens seit Alien, weiß es echt jeder.
Die Crew scheint Zeuge eines Evolutionssprungs zu sein, denn von den Riesenviechern tauchen immer mehr auf und attackieren das Schiff.
Der Infizierte wird mit einigen anderen zurückgelassen, als der Rest flieht.
So, wie ich das Ende verstehe, scheint es noch eine Chance für ihn zu geben.
 
Transstellare Substitution – Odine Raven
Das BKA schickt zwei Beamte, um seltsame Erscheinungen im Rheingau zu erkunden. Auf den Reben liegt ein goldener Schimmer, vom dem niemand zu wissen scheint, woher er kommt. Die beiden entscheiden, über Nacht zu bleiben, weil dem Phänomen so schnell nicht auf die Spur zu kommen ist. Als der Weinbauer in der Nacht den Hof mit vollbeladenem Anhänger verlässt, folgen sie ihm. Es stellt sich heraus, dass auch Aliens den Wein schätzen.
Die Story fand ich ausgesprochen nett und witzig.
 
Von Menschen und Mechanischen – Ulf Fildebrandt
Eine prominente Frau auf einer Station im All bekommt die Diagnose Krebs. Es bleibt ihr nur noch wenig Zeit. Ein Freund von ihr, ein Mechanischer, verspricht ihr Heilung, wenn sie mit ihm auf den Jupiter kommt, wo alle Mechanischen leben. Sie willigt ein und trifft bei ihrer Ankunft auf weitere todgeweihte Menschen. Die Medikamente schlagen an, aber aus allem anderen machen die Mechanischen ein großes Geheimnis. Die Menschen werden zwar luxuriös untergebracht, sollen aber ihre Bleibe nicht verlassen. Alles würde ihnen zu gegebener Zeit erklärt werden, heißt es. Nachdem die Menschen gleich beim ersten genehmigten Ausflug von anderen Mechanischen angegriffen werden, stellt sich heraus, dass es zwei Gruppen gibt: Eine, die den Menschen für überflüssig hält und ihn deshalb vernichten will und eben jene, bei denen sie zu Gast sind. Sie können den Angreifern vorerst entkommen und erfahren nun, dass sie hierher gebracht wurden, um Experimente an ihnen durchzuführen. Die Mechanischen möchten die Seele finden. Nach ersten Versuchen greifen die anderen wieder an und es bleibt nur die Flucht. Allerdings sind die Probanden nun geheilt.
Ich fand die Idee, dass die Mechanischen, die ein eigenes Bewusstsein entwickelt haben, erkennen, dass es immer noch Unterschiede zum Menschen gibt und diese erforschen wollen, interessant für neu. Dass sie ihre Schöpfer fast so ansehen wie der Mensch Gott, fand ich spannend und kann darüber eine Weile nachdenken, obwohl ich es nicht für realistisch halte. Aber, wer weiß?
 
x501 – Veronika Carver
Ein Liebesroboter erfüllt die Wünsche ihrer Kunden. Sie weicht von der Norm ab, weil sie eifersüchtig zu sein scheint. Einer Stammkundin gefällt das gut. Trotzdem initiiert diese einen Systemcheck. Die Besonderheit geht dadurch verloren.
Hm, wie blöd kann man sein? Im Prinzip hätte ihr das bewusst sein müssen. Insofern kann ich das nicht nachvollziehen. Sehr kurze Story.
 
Zwischenstopp zum Biertanken – Kai Focke
Ein Alien materialisiert sich in einer Kneipe und verlangt einen Liter Bier. Das dient seinem Symbionten als Kraftstoff. Wir erfahren, dass die Aliens die Braukunst an viele Spezies weitergegeben haben, um so ein Tankstellennetz aufzubauen. Die Story ist nicht ganz ernst zu nehmen, aber trotzdem irgendwie nett.


Fang nicht an, Dinge zu tun, tu sie einfach!
Wer wenig denkt, irrt viel (Leonardo da Vinci)
Meinungsverschiedenheiten über ein Kunstwerk beweisen, dass das Werk neu, komplex und lebenswichtig ist. (Oscar Wilde)
Wenn Kritiker uneins sind, befindet sich der Künstler im Einklang mit sich selbst. (Oscar Wilde)

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#379 Rezensionsnerdista

Rezensionsnerdista

    Yvonne

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Geschrieben 09 Januar 2024 - 10:15

Cool, danke fürs Mitlesen und Mitbesprechen.
Die größte Abweichung haben wir wohl beim Text von Scharnhorst, du bist die erste, die den Text offenbar ganz gut findet

Podcast: Literatunnat

  • (Buch) gerade am lesen:meistens viele
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#380 fancy

fancy

    Temponaut

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Geschrieben 09 Januar 2024 - 14:34

Ich finde diese Leserunde sehr interessant. Hier wird so ins Detail gegangen, wie ich das selten erlebe. 

 

Hier noch mein Fazit: 

Ich glaube meine Kritik hört sich schlimmer an, als die Anthologie tatsächlich ist. Ich habe mich nicht ein einziges Mal geärgert, was ich bei schlechten Texten immer tue. Ich habe nur wenige Stellen im Buch markiert und ich wollte die Lektüre nie abbrechen. Ich fand einige Geschichten ganz nett, aber wirklich umgehauen hat mich keine, aber wirklich schlechte gab es auch nicht.
Ich vergebe sehr wohlwollende vier von fünf Sternen.
 
@Yvonne oder einen der Herausgeber: Kann mir bitte jemand für meine Rezi das Cover zur Verfügung stellen? Vielen Dank. 
 
Liebe Grüße
 
fancy

Bearbeitet von fancy, 09 Januar 2024 - 15:00.

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#381 Maxmilian Wust

Maxmilian Wust

    Yoginaut

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Geschrieben 09 Januar 2024 - 16:25

Hast du es schon? Ansonsten schicke ich es dir eben (wäre 692x1024, falls das genügt).


"Part Five: Boobytrap the stalemate button!"


#382 fancy

fancy

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Geschrieben 09 Januar 2024 - 16:58

Hallo Maximilian, ja, ich habe es mir von der Verlagsseite geholt. Danke. 


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#383 Christian Hornstein

Christian Hornstein

    Giganaut

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Geschrieben 09 Januar 2024 - 19:36

Der sensible Planet - Christian Hornstein
Ein riesiger Asteroid rast auf die Erde zu, weshalb die Menschen ihr Heil in der Flucht suchen. Sie besiedeln weit weg einen anderen Planeten, auf dem die dortigen "Bäume" eine Art Symbiose mit "Flechten" eingegangen sind. Schon nach kurzer Zeit wird aus den verschiedenen menschlichen Individuen ein Schwarm. Jeder fühlt das, was der andere fühlt. Der Ich-Erzähler nimmt sich zuerst raus aus diesem Verband, schließt sich ihm aber wieder an, als er eine Frau schlucken hört und sie tröstet. Warum sowohl der Ich-Erzähler als auch die Frau nicht ein Teil des Schwarms sind, verstehe ich nicht und fand es auch in der Story nicht erklärt.

 
Die gesamte Mannschaft wird von der neuen Verbindung überwältigt, nur dass die Hauptfigur sich damit besonders schwertut. Als sie sich zu dem einen Mitglied gesellt, ist diese Frau noch dabei – so wie die Hauptfigur und die anderen – mit der Situation umzugehen. Sie kommen auf Basis der neuen Verbindung zusammen, so wie die anderen. Irgendwann haben alle gelernt, mit der neuen Situation umzugehen.



#384 fancy

fancy

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Geschrieben 10 Januar 2024 - 16:40

Aha, danke, Christian. Ich dachte, die anderen bildeten schon einen Schwarm nur die beiden wären nicht dabei. Wenn alle noch dabei sind, einen Schwarm zu bilden, passt es natürlich besser. 


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#385 Jol Rosenberg

Jol Rosenberg

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Geschrieben 10 Januar 2024 - 20:48

Es wurde nach dem Korrektorat gefragt. Ich erinnere mich nicht mehr richtig daran. Ich weiß, dass ich das Korrektorat nicht automatisch bekam, sondern darum bitten musste und dass ich nur sehr wenig Zeit hatte (zwei Tage oder so?) da drüber zu schauen. Und dass in meinem Text wirklich nur korrigiert wurde, ein Lektorat gab es nicht. Manche der Korrekturen entsprachen nicht dem von mir intendierten Sinn und es wurden alle Neopronomen ersetzt. Ich habe das dann wieder zurück korrigiert. Davon ist aber nicht alles im Druck angekommen. Ob das an mir oder einer anderen Person lag, könnte ich zwar mit etwas Mühe nachvollziehen, in dem ich die alten Mails und Dateien durchgehe, aber so wichtig ist es mir dann doch nicht. Es ändert ja auch nichts.

 

Ein großes Thema verdient eine große Reflektion, deshalb möchte ich die Gelegenheit ergreifen, um näher darauf einzugehen.

 

Aufgrund der verwendeten Namen glaube ich, dass Maximilian beim Entwurf der Besatzung einen nordamerikanisch-europäischen Ursprung vor Augen hatte und die heutigen Bevölkerungsverhältnisse einfach in die Zukunft fortgeschrieben hat, ohne zu bedenken, dass dies unplausibel ist. Jedenfalls ergibt sich daraus eine Besatzung, die mehrheitlich aus eher hellhäutigen heterosexuellen Cis-Personen besteht.

 

Bis auf die Verwendung des Begriffs Mischling gibt es also keine Hinweise auf eine Tendenz zur Diskriminierung bei der Ich-Instanz. Ich habe es so verstanden, dass der Begriff Mischling von Maximilian mangels einer Alternative verwendet wurde und er nicht die Absicht hatte, eine rassistische Ich-Instanz zu schaffen. Selbst wenn, wäre dies erzählerisch nur dann zu beanstanden, wenn es nicht zum Rest der Geschichte passen würde. Auch ethisch wäre es erst dann problematisch, wenn es zur gesamten Geschichte passen würde, weil diese für diskriminierende und abwertende Denk- und Verhaltensmuster wirbt und/oder diese begünstigt.

 

Das ist aber auch nicht der Fall. Es ist eine klassische Abenteuergeschichte mit Bedrohungs- und Rätselspannung, die tragisch endet. Es geht auch um Gedankenspiele zur Expansion ins Weltall, Technik, fremde Lebensformen und ihre Fallstricke, in einer ganz besonderen (höllischen) Variante. Diversität und Diskriminierung sind nicht das Thema dieser Geschichte.

 

Allerdings können selektive Wahrnehmungen der angesprochenen Art den Ausgangspunkt für Diskriminierung bilden. Es wäre zwar einerseits nicht verwerflich, eine Geschichte aus Sicht eines Mitglieds der Mehrheit zu erzählen, solange diese Sichtweise im Zusammenhang mit der Geschichte nichts mit diskriminierenden und abwertenden Denk- und Verhaltensmustern zu tun hat. Eine Marginalisierung wird dabei ja nicht produziert oder reproduziert, denn marginalisieren bedeutet hier eine Minderheit als unwichtig abzuwerten und auszugrenzen. Die in der Geschichte sichtbaren Wahrnehmungseffekte implizieren keine negative Wertung. Sie sind lediglich selektiv aufgrund bestimmter Wahrnehmungsgewohnheiten oder könnten sogar positiven Wertungen entspringen. Die Mitglieder von Minderheiten werden in der Geschichte auch nicht ignoriert, sondern im Gegenteil fokussiert. Sie fallen der Ich-Instanz auf.

 

In einer Zeit der verstärkten Bemühungen alte Zöpfe abzuschneiden, wäre es aber andererseits sinnvoll, überall wo es sich anbietet, aus einer anderen Perspektive zu schreiben als aus derjenigen der Mehrheit. Bei einem Space Opera wie Ophion hätte es sich tatsächlich angeboten, denn der Trend in nordamerikanisch-europäischen Bevölkerungen geht eindeutig in Richtung einer ausgeglicheneren Verteilung von Hautfarben. Dies gilt dann natürlich erst recht für internationale Unternehmungen wie die Kolonisierung von Exoplaneten.

 

Es ist auch damit zu rechnen, dass Diversität im Bereich von Rollen, Identität und körperlicher Erscheinung in Zukunft zunehmend selbstverständlich sein und zunehmen wird. Außerdem ist es unplausibel anzunehmen, dass die Menschen Veränderungen ihrer Körper und Geister lediglich in technischer Hinsicht (Cyborg) vornehmen werden. Die wohlwollende Akzeptanz oder sogar Begrüßung von Unterschieden, die nur problematisiert werden, aber an sich unproblematisch und oft sogar bereichernd sind, können sich menschliche Gesellschaften nur wünschen. Ob dabei jede Veränderung gut oder schlecht sein wird steht auf einem anderen Blatt und könnte in dafür geeigneten Geschichten zum Thema gemacht werden.

 

Ich finde deine Gedanken sehr interessant, allerdings gehen sie zu einem großen Teil an meiner Intention vorbei. Ich versuche mal aufzudröseln, warum. Der Hauptpunkt ist meines Erachtens der, dass du behauptest, es läge keine Diskriminierung vor, weil du Diskriminierung sehr eng fasst. Das widerspricht aber nach meiner Kenntnis dem aktuellen Forschungsstand zu Rassismus und anderen Ismen. Insbesondere bei Rassismus ist meiner Meinung nach Othering immer als Diskriminierung zu fassen. Dabei geht es um Prozesse, bei denen etwas als Norm und etwas anderes als Abweichung festgelegt wird. Und genau das passiert hier in diesem Punkt. Yvonne hat es (vermutlich unwissentlich und ungewollt) reproduziert:

 

Was unsere Angewohnheit betrifft, Strukturen nicht in die Zukunft zu denken, ist die Story von Maximilian sicher nicht das schlechteste Beispiel.

Immerhin gibt es Menschen anderer Hautfarbe!

In Englischen kann man offenbar einfach "mixed" oder "Mixed Race" schreiben, leider lässt sich das nicht wirklich übersetzen. (gerade in einer clarkesworld Story gelesen)

 

"anderer Hautfarbe" - da gibt es also die Norm und die, die anders sind. Das ist ein (meist unbewusster) Ausgrenzungsprozess und schon der ist diskriminierend. Und das ist genau das, worum es mir in dem Text geht. Wenn ich schreibe: "Die Crew bestand aus sechs Menschen, davon drei of Colour", dann sage ich implizit, dass die anderen weiß sind und dass das die Norm ist. Daher ist es rassismussensibler, wenn alle Hautfarben beschrieben werden (oder keine, es gibt ja auch andere Möglichkeiten, Personen zu rassifizieren - aber dann eben auch hier wieder alle gleich behandeln.) Du behauptest, es gäbe keine Diskriminierung, Christian, gleichzeitig übersiehst du aber die systematische Ungleichbehandlung der Crewmitglieder. Und was ist Diskriminierung anderes als systematische Ungleichbehandlung?

 

Dass die Crew überwiegen weiß ist, ist für mich gar keine Schwierigkeit. Nur eben, dass die weißen Crewmitglieder vom Erzähler systematisch anders behandelt werden als die of colour.

 

Zu "mixed": Ja, im Englischen geht das. Aber im Deutschen wird es allgemein als pejorativ wahrgenommen, meiner Meinung nach, weil das für nicht reinrassige Hunde verwendet wird. Außerdem tut der Begriff so, als gäbe es auch bei Menschen Rassen, was ja nachgewiesenermaßen nicht der Fall ist. Ich weiß leider nicht, ob sich der Begriff im englischen auf race oder auf ein anderes Konzept beruft.

So ganz weiß ich jetzt auch nicht, was ich damit machen soll, dass die Information von dir, Maximilian, nicht für mich bestimmt war. Ich antworte trotzdem mal. Neben den bereits benannten Varianten (konkrete Benennung der Herkunft, konkrete Beschreibung des Aussehens und/oder Hauttons) gibt es noch die Möglichkeit Schwarz oder BiPoC/PoC zu verwenden. Aber das passt natürlich nicht für jede Erzählstimme.

 

Das Thema mit dem Strukturen in die Zukunft denken hatten wir letztens schon mal in irgendeinem anderen Thread, wo sogar explizit gefordert wurde, SF solle in die Zukunft versetzte Gegenwart darstellen. Auf meinen Widerspruch dagegen erklärte jemand (ich glaube, Lapismont war es), dass die einzige Möglichkeit außer der Gegenwart ja nur die Vergangenheit sein könne, und da sei die Gegenwart schon besser. Niemand fand daran etwas auszusetzen. Und welcher Autor hat schon gar noch den Mut, sich abseits des heute herrschenden Mehrheitsdenkens zu stellen?

Tja, es ist einsam auf den Gipfeln, auch hier.

 

Da ich den Thread gelesen habe, halte ich das für eine Verwechslung. Denn es geht um verschiedene Ebenen. Gute SF ist meines Erachtens immer auf bestimmten Ebenen ein (Zerr) Spiegel und auf anderen eine Extrapolation. Das schließt einander ja nicht aus.

 

In der Geschichte ist es eine kleinwüchsige Ich-Instanz, die dies über einen ebenfalls kleinwüchsigen Mann sagt. Es ist nicht naheliegend, dass ein kleiner Mensch einen anderen kleinen Menschen wegen seiner Körperlänge diskriminieren will. Die Ich-Instanz meint auch gar nicht die Körperlänge, erst recht nicht die Penislänge, sondern das Verhalten des Mannes. Dieses interpretiert sie als Kompensationsverhalten, d.h. Milton würde Minderwertigkeitsgefühle aufgrund seiner geringen Körpergröße dadurch versuchen auszugleichen, dass er eine besonders kurzhaarige Frisur pflegt und sehr eifrig und diszipliniert die Strapazen des Kraftsports auf sich nimmt (um sich und anderen seine Härte => Stärke zu beweisen).

 

SDE ist eine Analogie. Natürlich ist dies spöttisch, doch der Spott bezieht sich nicht auf körperliche Merkmale, sondern auf den Umgang mit den gemutmaßten Minderwertigkeitsgefühlen. Sicher ist das Spotten über solche Probleme nicht nett, aber Figuren müssen nicht immer nett sein, solange es mit der Geschichte insgesamt nicht interferiert. Idealerweise sollte es zur Geschichte passen. Das ist hier der Fall, denn die Ich-Instanz ist da, um das Verschwinden der Vorbesatzung zu klären und ein Auge auf die aktuelle Besatzung zu halten. Es werden kriminelle Machenschaften befürchtet. Die Ich-Instanz gibt sich an mehreren Stellen desillusioniert und kritisch gegenüber dem Verhalten der Menschen. Diese Haltung ist nicht abwegig für jemanden, der berufsmäßig mit den dunklen Seiten menschlichen Verhaltens befasst ist.

 

Da die Ich-Instanz aufgrund ihrer Wertung Milton ablehnt, könnte man meinen, sie würde Milton diskriminieren, aber dies ist nicht der Fall, denn diskriminieren bedeutet im Wesentlichen nicht ablehnen, sondern jemanden auf ungerechtfertigte Weise benachteiligen. Dies kann nur über konkretes Verhalten geschehen. Im Text findet sich aber kein Beispiel dafür, wo die Ich-Instanz Milton auf ungerechtfertigte Weise benachteiligen würde. Wir haben also auch hier keinen Hinweis auf Diskriminierung.
 

 

Auch hier bin ich anderer Meinung. Meines Erachtens ist es sogar höchst naheliegend, dass ein kleinwüchsiger Mensch einen anderen aufgrund seiner geringen Körpergröße diskriminiert. Ich habe jetzt nicht ausreichend Kontakt mit Kleinwüchsigen, um zu diesem Thema speziell eine empirisch belegte Aussage zu treffen, aber bei anderen Besonderheiten oder Behinderungen kann ich das durchaus bestätigen. Internalisierter Ableismus ist eine gängige Sache. Und Minderwertigkeitsgefühle auf Penisgröße zu beziehen, finde ich klar entwertend. Und: Eine Person wegen unterstellter Minderwertigkeitsgefühle zu benachteiligen findest du nicht ungerechtfertigt? Das wundert mich schon, ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass das gerechtfertigt sei. Es widerspricht zumindest meinen Moralvorstellungen.

Aber: Natürlich können Hauptfiguren für mich unmoralisch handeln oder erzählen. Das kann sie charakterisieren. Die Frage ist, ob mich das ausreichend interessiert, damit ich es lesen mag. In diesem Fall mag ich es schlicht nicht, es ist mir ein zu abgelutschtes Klischee: "Der macht nur einen auf dicken Max, weil er einen kleinen Schwanz hat." Das ist mir zu unoriginell. Und wertet Männer ab, was ich nicht mag.

 

Marianne, deine Rückmeldungen habe ich gern gelesen. Danke dafür!


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#386 Rezensionsnerdista

Rezensionsnerdista

    Yvonne

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Geschrieben 10 Januar 2024 - 21:25

Danke Jol, für den Hinweis, das war mir tatsächlich nicht aufgefallen. Es untermalt sehr gut, was du meinst mit "Rassismus reproduzieren" (meistens ja versehentlich).

Vermutlich hört dieser Lernprozess nie auf, ich hoffe aber doch, dass ich in diesem Leben damit noch sehr weit kommen werde.

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#387 Christian Hornstein

Christian Hornstein

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Geschrieben 10 Januar 2024 - 23:06

@Jol

 

Damit wir nicht aneinander vorbeireden:

Othering ist m.E. ein Konzept, das einen breiten Abschnitt eines Kontinuums umfasst, in dem wahrgenommene Unterschiede zunehmend als trennend und extrem konstruiert werden. Dieser Abschnitt beginnt mit der Wahrnehmung anderer Menschen als lediglich andersartig und fremd und reicht bis zur Bildung negativ konnotierter Stereotypen. Othering meint also sehr verschiedene Arten der Wahrnehmung anderer Menschen. Othering ist deshalb nicht grundsätzlich problematisch, kann es aber sein.

Othering geht dann in Diskriminierung über, wenn es zur ungerechtfertigten Benachteiligung anderer durch konkrete Handlungen führt. Wenn ein Mensch nur denkt, ein anderer Mensch sei wegen seiner Hautfarbe minderwertig oder gefährlich, sich jedoch nach außen hin im Verhalten in keiner Weise von Menschen unterscheidet, die derlei Vorurteile nicht besitzen, so kann man nicht von Diskriminierung sprechen. In der Praxis wird dieser Fall natürlich kaum vorkommen, da unsere Haltung sich ziemlich rasch in unserem Verhalten ausdrückt. Deshalb fällt es zuweilen schwer, Othering und Diskriminierung zu trennen. Es sind jedoch zwei verschiedene Konzepte.

Othering an sich ist kein Rassismus, weil Rassismus sowohl eine bestimmte Wahrnehmung und Wertung als auch Diskriminierung umfasst. Eine bestimmte Art des Othering führt hingegen durchaus zu Rassismus.

 

Minderwertigkeitsgefühle unterstellend auf Penisgröße zu beziehen wäre natürlich abwertend. Das macht die Ich-Instanz aber nicht. Eine Person wegen unterstellter Minderwertigkeitsgefühle zu benachteiligen, wäre natürlich ungerecht, aber auch das tut die Ich-Instanz nicht.

Ich bin mir nicht sicher, was Du in Ophion unter Ungleichbehandlung der Crewmitglieder verstehst. Du meinst jedenfalls, dass Diskriminierung nichts anderes sei als systematische Ungleichbehandlung. Das muss aber nicht sein. Systematische Ungleichbehandlung liegt ja auch vor, wenn Du jemanden grundsätzlich protegierst oder auf andere Weise begünstigst. Damit Diskriminierung daraus wird, muss es für die betreffende Person mit Nachteilen verbunden und ungerechtfertigt sein. So etwas habe ich in Ophion seitens der Erzählinstanz aber nicht in Erinnerung. An welchen Stellen siehst Du ein solches Verhalten der Ich-Instanz?

Ja, es gibt bestimmte Besonderheiten und Behinderungen, bei denen es häufiger (wenn auch nicht mehrheitlich) vorkommt, dass Menschen dieser Gruppe sich gegenseitig wegen dieser Eigenschaften abwerten. Das sind spezielle Fälle und hat verschiedene Gründe. In Ophion bin ich aber davon ausgegangen, dass "kleinwüchsig" nicht im Sinne unseres Schwerbehindertenrechts gemeint ist, also Menschen, die eine Körpergröße von unter 140 cm besitzen, oder gar im Sinne von zwergwüchsig. Wenn ich davon ausgehen würde, wäre Dein Einwand berechtigt. Es wäre zwar nicht das Naheliegenste, aber durchaus das Zweitnaheliegenste, eine Projektion der Ich-Instanz hinein zu interpretieren.


Bearbeitet von Christian Hornstein, 10 Januar 2024 - 23:13.


#388 Jol Rosenberg

Jol Rosenberg

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Geschrieben 11 Januar 2024 - 15:29

Ich würde ungern beginnen, hier in eine Diskussion über Rassismusforschung und -theorien abzugleiten und alle abzuhängen. Ich versuche mal, ohne allzu viele Rückbezüge für Insider zu antworten: Meines Erachtens ist Othering immer problematisch. Weil Verschiedenartigkeit konstruiert ist und diese Konstruktionsprozesse dazu, wer (gedacht) dazu gehört und wer nicht, untrennbar mit Rassismus verbunden sind. Das schreibst du ja auch so, dass eine Trennung eigentlich nicht möglich ist. Ich finde es daher an dieser Stelle auch analytisch nicht sinnvoll, da eine künstliche Trennwand zu Analysezwecken einzuziehen. Die mir bekannten Rassismustheorien tun dies auch nicht.

Insofern ist für mich die Aussage, Othering sei kein Rassismus nicht haltbar. Im Gegenteil: Eine kurze Googlesuche wird dir bestätigen, dass Othering untrennbar mit Rassismus verbunden ist. Vielleicht kennst du eine andere Begriffsdefinition, aber ich kenne nur die, dass die Veranderung von Personen ein Grundmechanismus von Rassismen ist. Es werden zwei Gruppen konstruiert, deren Verschiedenheit betont und auf dieser Grundlege Bedrohung und Ausgrenzung konstruiert. In diesem Zusammenhang ist es mE auch sinnvoll, von Rassismen zu sprechen, denn es gibt verschiedene Ausgrenzungsmechanismen mit verschiedenen Inhalten.

Und: Dass auch sogenannter "positiver Rassismus" (sowas wie die Konstruktion des "edlen Wilden") Rassismus ist, ist mE auch unumstritten. Es geht also nicht nur darum, ob eine negative Benachteiligung in der konkreten Situation nachgewiesen werden kann. Es reicht die Zuschreibung von Attributen aufgrund von Gruppenzugehörigkeit. Diskriminierung heißt ja erstmal "nur" dass systematisch Unterschiede gemacht werden (Othering eben). Das passiert hier.

 

Das mit den Minderwertigkeitsgefühlen und der Penisgröße verstehe ich nicht. Denn du hast ja zwei Posts weiter oben erklärt, dass SDE als Synonym für Minderwertigkeitsgefühle stehe. Nun behauptest du, eine solche Verbindung bestehe nicht. Irgendwo unterwegs hast du mich abgehängt.

 

Was ich unter Ungleichbehandlung der Crewmitglieder verstehe, habe ich ganz konkret hingeschrieben: Sie werden systematisch verschieden beschrieben. Bei allen weißen wird Hautfarbe ausgeblendet, bei allen PoC wird sie benannt. Das erleben viele PoC als schmerzlich und es gestätigt eine othernde Weltsicht darum werbe ich dafür, es zu vermeiden. Die Entscheidung darüber liegt natürlich immer bei den jeweiligen Autor*innen. 

 

Warum du kleinwüchsig nicht als kleinwüchsig liest, verstehe ich nicht so recht.

 

@Yvonne: Ich finde es auch ein gutes Beispiel. Obwohl ich mich mittlerweile seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftige, unterlaufen mir solche Fehler auch immer wieder. Sie werden weniger, hoffe ich, aber weg sind sie wahrscheinlich nie.


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#389 Christian Hornstein

Christian Hornstein

    Giganaut

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Geschrieben 11 Januar 2024 - 19:17

Ich würde eher sagen, dass Rassismus untrennbar mit Othering verbunden ist, aber nicht umgekehrt.

Verschiedenartigkeit kann ganz real sein, sie kann aber auch nur konstruiert sein z.B. in übertreibender Weise. Einen realen Unterschied festzustellen, bedeutet für mich noch nicht unbedingt jemanden zu benachteiligen. Das scheinst Du anders zu sehen.
 

Diskriminierung heißt ja erstmal "nur" dass systematisch Unterschiede gemacht werden (Othering eben).

 
Das Wort Diskriminierung hat im Deutschen zwei unterschiedliche Bedeutungen. Die eine meint nur das bloße Unterscheiden, die andere meint das Benachteiligen. Im ersten Fall ist der Vorgang unproblematisch, solange die Unterschiede real sind und nur festgestellt werden. Auch hier bist Du anscheinend anderer Meinung.
 

Es geht also nicht nur darum, ob eine negative Benachteiligung in der konkreten Situation nachgewiesen werden kann.

 

Ich würde sagen, dass Benachteiligung immer negativ ist und es keine positive Benachteiligung gibt. Ich sprach nicht davon, dass eine Benachteiligung auch positiv sein könnte, sondern meinte das von einer systematischen Ungleichbehandlung. Das war ja das, wovon Du schriebst, dass es in Ophion seitens der Ich-Instanz geschehe.
 

Dass auch sogenannter "positiver Rassismus" (sowas wie die Konstruktion des "edlen Wilden") Rassismus ist, ist mE auch unumstritten.

 

Rassismus ist für mich per Definition nicht positiv. Das Konzept vom "edlen Wilden" ist deshalb potentiell rassistisch, weil es einen Mangel an Kultur/Zivilisiertheit impliziert (wild), was zu verschiedenen diskriminierenden Verhaltensweise führen kann. Ich sprach von etwas anderem, nämlich einer systematischen Ungleichbehandlung im Sinne einer Bevorzugung. Das hat nichts mit Konzepten wie dem "edlen Wilden" zu tun, denn der edle Wilde soll ja nicht nur edel sein, sondern auch wild.
 

Das mit den Minderwertigkeitsgefühlen und der Penisgröße verstehe ich nicht. Denn du hast ja zwei Posts weiter oben erklärt, dass SDE als Synonym für Minderwertigkeitsgefühle stehe. Nun behauptest du, eine solche Verbindung bestehe nicht.

 
Hier ist nochmal der Satz von mir, den Du, glaube ich, meinst:

SDE ist eine Analogie. Natürlich ist dies spöttisch, doch der Spott bezieht sich nicht auf körperliche Merkmale, sondern auf den Umgang mit den gemutmaßten Minderwertigkeitsgefühlen.

 
SDE ist eine Analogie für den Umgang mit den gemutmaßten Minderwertigkeitsgefühlen, nicht für die Minderwertigkeitsgefühle selbst.
 

Was ich unter Ungleichbehandlung der Crewmitglieder verstehe, habe ich ganz konkret hingeschrieben: Sie werden systematisch verschieden beschrieben.

 
Ah, ok. Das allein ist aber m.E. in dem Fall keine Diskriminierung im Sinne einer Benachteiligung. Ich glaube, das siehst Du eben anders.
 

Warum du kleinwüchsig nicht als kleinwüchsig liest, verstehe ich nicht so recht.

 
Kleinwüchsig bedeutet im Deutschen zunächst nur von kleinem Wuchs und sagt noch nichts darüber aus wie klein. Das lässt Interpretationsspielraum. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass gemeint ist: So klein, dass es schon als Behinderung gelten kann.

 

Aber Du hast sicher recht, dass wir diese Diskussion hier nicht weiter vertiefen sollten.


Bearbeitet von Christian Hornstein, 11 Januar 2024 - 19:21.


#390 Jol Rosenberg

Jol Rosenberg

    Temponaut

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Geschrieben 11 Januar 2024 - 20:43

 

 

Kleinwüchsig bedeutet im Deutschen zunächst nur von kleinem Wuchs und sagt noch nichts darüber aus wie klein. Das lässt Interpretationsspielraum. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass gemeint ist: So klein, dass es schon als Behinderung gelten kann.

 

Doch, doch. Der Terminus legt fest, wie groß jemand maximal sein kann, damit das passt.

 

 

 

Ah, ok. Das allein ist aber m.E. in dem Fall keine Diskriminierung im Sinne einer Benachteiligung. Ich glaube, das siehst Du eben anders.

 

Ich finde mich an der Stelle nicht maßgeblich. Ich richte mich nach den Stimmen der BiPoC-Communities, die zu Rassismen forschen und schreiben. Und die äußern sich da recht eindeutig. Mittlerweile gibt es ja da auch auf Deutsch umfangreiche Literatur.

 

 

 

Rassismus ist für mich per Definition nicht positiv. Das Konzept vom "edlen Wilden" ist deshalb potentiell rassistisch, weil es einen Mangel an Kultur/Zivilisiertheit impliziert (wild), was zu verschiedenen diskriminierenden Verhaltensweise führen kann. Ich sprach von etwas anderem, nämlich einer systematischen Ungleichbehandlung im Sinne einer Bevorzugung. Das hat nichts mit Konzepten wie dem "edlen Wilden" zu tun, denn der edle Wilde soll ja nicht nur edel sein, sondern auch wild.

 

Interessante Sichtweise. Die mir bekannten Sichtweisen gehen davon aus, dass bereits die Zuschreibung von Merkmalen aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit und die Einengung auf diese problematisch sei. Es geht also um Stereotype, egal ob diese positiv oder negativ konnotiert sind. Der Hintergrund ist institutioneller Rassismus, der sich tief in Tradition und Geschichte eingeschrieben hat. Und da sehe ich aufgrund der Mitbeteiligung der Psychologie für Angehörige unserer Profession eine hohe Sorgfalts- und Aufarbeitungspflicht. Zum Thema "Mischling" fällt mir dazu noch ein, dass ich es oben versäumt habe, darauf hinzuweisen, dass der Terminus im Rahmen der Massenvernichtung abgewerteter Bevölkerungsgruppen im Dritten Reich eine wichtige Rolle spielte. Ihn zu verwenden zieht daher eine Verbindung zur Sprache des Dritten Reiches. Das ist natürlich im Englischen ("mixed") anders, wobei man da sicher die verschiedenen Kontexte verschiedener englischer Sprachräume getrennt betrachten müsste, um fundiert Aussagen treffen zu können.

 

Aber ich denke, die Infos sind ausgetauscht und unsere verschiedenen Sichtweisen können nebeneinander stehen bleiben. Sonst verscheuchen wir noch alle aus dem Thread.


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