Ophion
von Maximilian Wust
Ich begegne hier einem handwerklich gelungenen und in verschiedener Hinsicht originellen Text, der offenbar die Intertextualität liebt, und einer bekannten Variante der Hölle in guter SF-Tradition einen wissenschaftlich (halbwegs) plausiblen Hintergrund (außer vielleicht der „magischen“ Technologie) mit durchdachtem Weltenbau liefert.
Der erste Satz weckt die Neugier, der zweite verstärkt sie. Es folgt eine Art Wiedergeburt, die ebenfalls (im positiven Sinne) Fragen aufwirft. Dann kommt die Nachaufwachphase, plastisch, mit eingestreuter Hintergrundinformation (nur einmal und nur kurz en bloc), haptischer Figurenzeichnung (auch wenn wir den meisten Figuren nicht sehr nahegebracht werden) und launiger Sprache einer desillusionierten und zum Teil spöttischen Ich-Erzählinstanz mit Witz, die auch immer wieder eigene Reflektionen zum Besten gibt, die zuweilen durchaus tiefer gehen.
Überhaupt weist dieser Text ungewöhnlich viele gelungene Formulierungen auf. Er ist geradezu eine Fundgrube, daher hier einige Beispiele:
Auch für den Witz:
Die Bedrohungsspannung wird gut gesteigert, bis klar wird, dass
Da eine Parallele zur griechischen Mythologie angelegt ist, will ich mir den Spaß nicht verwehren, mal die Handlung leicht verfremdet entlang des antiken Narrativs zusammenzufassen:
Oder anders gewendet:
Die Farbkomposition ist beachtenswert: Das Wiederkehrende Blaugrau als Leitmotiv (Ozeane, Moos, Melistasenmilch), die orangegestreiften schwarzen Hautanzüge (übrigens ähnlich der Zeichnung bei der Schlupfwespe Ophion obscuratus), dunkelrote Abwurfkammern, weiße Fadensegler, „Spinnen“ (ähnlich den Opilioniden/Weberknechten) und „Seelilien“ (Crinoiden), türkisblaue Landkorallen, blutrote kaminartige Kakteen und eine rote Sonne.
Aber nichts ist perfekt und natürlich gibt es auch bei diesem Text Optimierungsmöglichkeiten.
Bei der Textlänge sind minimale Rechtschreibfehler fast unvermeidlich, z.B.:
- Seite 277: Running Gag ist maskulin und kein Neutrum
- Seite 278: „Ihre Beine zuckend geradezu morsend.“ Auch wenn es eine schöne Beschreibung ist, würde ich eher „zucken“ schreiben.
- Seite 279: „Die der dieser Spinnen dient eher gegen –“. Besser vielleicht: Die der Spinnen hilft eher bei –.
- Seite 288: Biolumniszenz => Biolumineszenz
Stilistisch ist dieser Text einer der besten. Dennoch:
- Das Syndrom Doll Morbus hätten Mediziner eher Morbus Doll genannt.
- Das Wort Mischling gilt heutzutage bei der Beschreibung von Personen als diskriminierend, weshalb es nicht verwendet werden sollte, wenn man diese Konnotation bei den Leseri nicht wecken möchte. Wir haben es hier mit einer Ich-Erzählinstanz zu tun. Ich habe den Eindruck, dass sie nicht als rassistisch dargestellt werden soll. Wenn das zutrifft, müsste hier ein anderes Wort gewählt werden, sonst könnten Missverständnisse entstehen.
Home-Office, Handymaste und aufgebrauchte Batterien würde ich wegen Anachronismusalarm überdenken.
Ich habe bei einem meiner Texte selbst erkennen müssen, dass Neologismen nicht sprechend genug sein können:
- Melistase: Es ist klar, warum es sich um eine Stase handelt, aber welche Bewandtnis hat Meli?
- Hektronisch: Den Namen gibt es tatsächlich, nur in gänzlich fremder Bedeutung. Was ist in der Geschichte eine Hektronik?
Inhaltlich wäre es ideal gewesen, wenn die höllischen Namensgeber nicht nur allgemein zum Thema Hölle mit der Geschichte verbandelt gewesen wären, sondern spezifisch zu dieser Art der Hölle, und Verweise auf Nuancen dieser Version geboten hätten.
Bearbeitet von Christian Hornstein, 04 Januar 2024 - 20:19.