Trotz aller gebotenen Wachsamkeit wenn es um Diskriminierung geht, finde ich auch die Abgrenzung zwischen verschiedenen Dingen wichtig. Stereotype sind z.B. nicht per se schädlich. Sie reduzieren Komplexität, was hilfreich sein kann. Man darf sie nur nicht mit der Realität verwechseln. Die mentale Ebene ist nicht dasselbe wie die Handlungsebene, auch wenn beide eng verflochten sind. Wenn Du magst, können wir uns ja weiter per E-Mail austauschen.
Lesezirkel: "In andere Welten" [Anthologie]
#391
Geschrieben 12 Januar 2024 - 08:00
#392
Geschrieben 13 Januar 2024 - 10:10
Selbsterkenntnis
von Joachim Tabaczek
Es ist eine Geschichte mit einer spannenden Ausgangsidee (wenn auch in einer recht bekannten Situation verwirklicht), doch bin ich über ein paar wesentliche Plausibilitätslücken gestolpert, z.B.
Die zum Schluss angereizte Empathie mit der Maschine (wie immer in solchen Fällen, den Umstand ignorierend, dass weiterhin unklar ist, ob diese überhaupt etwas fühlt) und die aufkommende Solidarisierung wirken anrührend ... bis mir wieder einfällt, wie unplausibel die Handlung ist. Diese Geschichte könnte auch als Warnung dafür gelesen werden, in welche Irrungen und Wirrungen uns nahezu perfekte Simulationen treiben könnten. Aber das ist wahrscheinlich nicht die Intention des Autors gewesen.
Bearbeitet von Christian Hornstein, 13 Januar 2024 - 10:16.
#393
Geschrieben 14 Januar 2024 - 17:29
Terraf@rmer
von Christian Endres
Bei dieser dreieinhalbseitigen Geschichte bin ich über zwei wesentliche Bauelemente gestolpert.
Zum einen über die Ich-Erzählinstanz:
Das zweite Element, über das ich gestolpert bin, ist die Prämisse:
@Helge
Du hast offenbar eine weitaus befriedigendere Prämisse konstruiert, möchtest sie aber nicht offenlegen. Warum nicht?
Bearbeitet von Christian Hornstein, 19 Januar 2024 - 09:09.
#394
Geschrieben 15 Januar 2024 - 01:54
Ich mache auch mal weiter. Außerdem werde ich ab jetzt ein Musikstück mit anfügen, das meine Stimmung am besten beschrieb. Das dient tatsächlich auch mir als Training.
Die Anspruchsvollen
von Moritz Boltz
Die Geschichte hat mich mit gemischten Gefühlen hinterlassen. Die Idee war gut und noch dazu in Dialogform gut umgesetzt, aber irgendwie fand ich keinen Zugang dazu. Ich habe sie dann nochmal gelesen, weil ich dachte, dass ich vielleicht nicht so richtig eindringen konnte oder vielleicht etwas nicht verstanden habe, aber irgendwie blieb das Gefühl, dass ich immer nur die Handlung von draußen durch ein Fenster beobachtet habe. Falls das die Intention gewesen ist, wäre ich unglaublich beeindruckt.
Dennoch war es eine gute Geschichte um ein leider sehr realistisch geschriebenes Genie: Wütend, viel zu begabt, weshalb oder vielleicht, weil er keinen Zugang in die Welt der anderen findet. Ich hatte öfters das Gefühl, hier meinem Mentor in Schriftform zu begegnen.
Mein Gefühl: LINK (Youtube)
Die Reisenden
von Sophie Fendel
Der Anfang der Geschichte war mir zu langsam, dachte ich zuerst. Dann fiel mir auf, dass ich in der letzten Zeit einfach ein bisschen zu viele Kurzgeschichten gelesen hatte und der Start eigentlich für einen Roman ganz normales Tempo hat. Danach kam ich eigentlich ganz gut durch diese klassische Geschichte um einen weiteren Erstkontakt, die jetzt wenig mit neuen Ideen oder Elementen aufwartet. Gegen Ende fragte ich mich, ob die Besatzung dieses Schiffes noch nie von Schusswaffen gehört hat. Gerade von meiner eigenen Spezies erwarte ich eigentlich, dass sie während eines solchen Szenarios immer mindestens eine Pistole bereithält. Oder ein Gewehr. Oder Atomsprengköpfe. Dessen Ermangelung hat die Schlussszene ein wenig so wirken lassen, als hätten Dodos die Raumfahrt entwickelt. Ich hatte etwas mehr erwartet, gerade bei den aus meiner Sicht recht ausgeprägten Charakteren. Das Ganz-Ende war dafür dann wieder gruselig gut.
Mein Gefühl: LINK (Youtube)
Ein Augenblick im Kuun
von Kornelia Schmid
Wieder eine Story, in der Aliens ihre Namen und Bezeichnungen mit Doppel-Vokalen lieben. Hat mich aber nicht gestört. Kornelias "Sieh es doch mal aus ihren Augen"-Geschichte fand ich auf ambivalente Art spannend: Sobald die Möglichkeit des Körperwechsels eröffnet und die ungeliebte Spezies der Subaan erwähnt wurde, war mir eigentlich klar, was passieren wird und wozu (dieser Tropus wurde einfach zu oft im Science-fiction wiederholt, und im Horror, und in Teenie-Komödien, und absolut überall). Dennoch habe ich die Geschichte ohne einmal abzusetzen durchgelesen und genossen. Es war eine schöne, runde und flüssig geschriebene Erzählung.
Hier hätte ich halt gerne weit mehr über die Subaan erfahren. Mal vom Kuun abgesehen, wie funktioniert ihre Kultur? Wie tut das ihr Wettbewerb? Das Kuun ist ja nicht nur ihr Ladekabel, von daher: Gibt es auch welche unter ihnen, die den Kontakt vermeiden? Vielleicht sogar mit Training auf möglichst lange Zeit? Gerade bei Völkern, die z.B. in Wüsten verdrängt werden, könnte ich mir das vorstellen. 20 Seiten mehr hätten mich nicht gestört.
Mein Fühl: LINK (Jutup)
"Part Five: Boobytrap the stalemate button!"
#395
Geschrieben 15 Januar 2024 - 12:21
Toiberanium
von Tea Loewe
Es ist eine Geschichte mit viel Action, einem Stil, der stellenweise etwas holpert, einer Hauptfigur, die eine relativ schwache Rolle spielt und eine Wendung, die ich kommen sah, nämlich
Weil ich der Hauptfigur nicht recht nahekam und die Paarbeziehung Fragen aufwirft, wirkte ihr Schicksal am Ende auf mich weniger dramatisch als es sollte. Das angedachte Ökosystem samt Toiberanium bleibt etwas vage, worunter die von mir empfundene Plausibilität leidet. Beispiele:
Auch die Prämisse könnte mehr Originalität vertragen.
#396
Geschrieben 15 Januar 2024 - 12:26
Da musste ich erst mal nachschlagen, welche Story das noch mal war.
Ich habe eigentlich nie was dagegen, wenn es die Themen oder Prämissen schon mal gab (ist ja bei SF meistens so), nur sollten die Storys eben gut sein. Diese hier hatte noch viel Luft nach oben.
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#397
Geschrieben 15 Januar 2024 - 14:46
Absolut! Mich kann man z.B. mit dem Thema Bio-Metall immer gut ködern.
Wobei ich bisher tatsächlich nicht eine einzige schlechte Geschichte zu dem Thema gelesen habe.
"Part Five: Boobytrap the stalemate button!"
#398
Geschrieben 16 Januar 2024 - 13:33
Da musste ich erst mal nachschlagen, welche Story das noch mal war.
Ich habe eigentlich nie was dagegen, wenn es die Themen oder Prämissen schon mal gab (ist ja bei SF meistens so), nur sollten die Storys eben gut sein. Diese hier hatte noch viel Luft nach oben.
Wenn ich von Originalität spreche, meine ich nicht, dass eine Geschichte ein völlig neues Thema oder eine noch nie da gewesene Prämisse mitbringen muss. Das wäre nicht nur schwer umsetzbar, sondern auch unsinnig, weil viele Theme wiederholte Auseinandersetzungen verdienen. Mit Originalität meine ich etwas Neues anzubieten, das wesentlich ist. Das muss nicht das Thema sein, z.B. einen interessanten Aspekt, der bislang kaum oder gar nicht dargelegt wurde. Wenn eine Geschichte sich flüssig liest und spannend ist, finde ich das schon mal gut, nur wenn das alles ist, dann fehlt mir etwas. Aber das ist halt mein Bedürfnis.
Bearbeitet von Christian Hornstein, 16 Januar 2024 - 13:34.
#399
Geschrieben 18 Januar 2024 - 16:37
Findet sich im Buch eigentlich Hinweise auf Herausgeberschaft und Cover-Künstler·innen?
Und hat vielleicht jemand ein Inhaltsverzeichnis? Die Infos auf der Verlagsseite sind arg dürftig.
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#400
Geschrieben 18 Januar 2024 - 16:43
Das Cover ist laut Impressum von Jelena Gajic. Die Herausgeber*innen bleiben völlig im Dunkeln. Meines Erachtens sind es Morris und Tree, die sich aber auch im kurzen Nachwort nur als Verleger zu erkennen geben.
Bearbeitet von Jol Rosenberg, 18 Januar 2024 - 16:43.
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#401
Geschrieben 18 Januar 2024 - 17:57
Das Cover ist laut Impressum von Jelena Gajic. Die Herausgeber*innen bleiben völlig im Dunkeln. Meines Erachtens sind es Morris und Tree, die sich aber auch im kurzen Nachwort nur als Verleger zu erkennen geben.
Dankeschön! Den Inhalt muss ich mir dann wohl aus der Leseprobe extrahieren.
Überlicht und Beamen wird von Elfen verhindert.
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#402
Geschrieben 19 Januar 2024 - 09:09
Ergänzung zu Terraf@rmer von Christian Endres
Ich habe weiter oben einen Zusatz eingefügt. Er bezieht sich darauf, dass unter einer bestimmten Bedingung eine weitere Prämisse denkbar ist, die zwar inhaltlich der zuletzt angesprochenen sehr ähnlich ist, von der Aussage her aber genau entgegengesetzt.
Bearbeitet von Christian Hornstein, 21 Januar 2024 - 06:28.
#403
Geschrieben 19 Januar 2024 - 09:55
Transstellare Substitution
von Odine Raven
Es ist eine gut erzählte, in einem eigenen, ansprechenden Stil formulierte Geschichte, die mich zum Teil erinnert hat an
Bearbeitet von Christian Hornstein, 19 Januar 2024 - 09:58.
#404
Geschrieben 19 Januar 2024 - 16:26
Ja, die mochte ich auch. Aber aus dieser Textsammlung sticht sie wegen des Regionalbezugs schon raus, ja.
Ergänzug zu Terraf@rmer von Christian Endres
Ich habe weiter oben einen Zusatz eingefügt. Er bezieht sich darauf, dass unter einer bestimmten Bedingung eine weitere Prämisse denkbar ist, die zwar inhaltlich der zuletzt angesprochenen sehr ähnlich ist, von der Aussage her aber genau entgegengesetzt.
Das habe ich gleich mal nachgelesen. Meines Erachtens ist das eine Schwierigkeit des Textes: Wenn unklar ist, welche Prämisse intendiert ist und gegensätzliche Lesarten möglich sind, spricht das mE nicht für den Text. Dann ist er zu vage.
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#405
Geschrieben 21 Januar 2024 - 07:26
Ja, die mochte ich auch. Aber aus dieser Textsammlung sticht sie wegen des Regionalbezugs schon raus, ja.
Das habe ich gleich mal nachgelesen. Meines Erachtens ist das eine Schwierigkeit des Textes: Wenn unklar ist, welche Prämisse intendiert ist und gegensätzliche Lesarten möglich sind, spricht das mE nicht für den Text. Dann ist er zu vage.
Das ist ein interessanter Punkt. Mehrdeutige Prämissen finden wir ja oft bei sogenannten hochliterarischen Texten. Meiner Meinung nach ist dies ein typisches Merkmal dieses Genres (ja, für mich ist Hochliteratur auch ein Genre, was z.B. Kathrin Passig 2006 demonstriert hat, als sie den Bachmannpreis gewann, mit einem Text, den sie auf Basis der Analyse vorheriger Gewinnertexte erstellt hatte, mit dem Ziel, die richtigen Zutaten für einen Treffer zu sammeln). Ich habe nichts gegen Mehrdeutigkeit, solange Leseri der Zielgruppe genug Anhaltspunkte bekommen, um befriedigend interpretieren zu können.
Ich finde Hochliteratur häufig inspirierend, aber einen Aspekt bedauere ich. Die Möglichkeiten von Leseri Sinn in einen Stoff hinein zu interpretieren, stehen und fallen mit ihrem Vorwissen. Je spezifischer dieses Vorwissen sein muss, desto selektiver sind die Werke und desto kleiner die Zielgruppen. Je mehr das Vorwissen als Anlass für eine Aufwertung der Autori und für eine Abwertung oder einen Ausschluss der Unwissenden ist, desto elitärer ist das Ganze. Dieser Fall tritt durch Eigenschaften dieses Genres leider nicht selten ein. Ich mag zwar Intertextualität und eingeflochtene Verweise, doch sie sollten zur Geschichte passen und den meisten Leseri nicht verborgen bleiben. Das ist allerdings zuweilen schwer zu realisieren, wenn das Ganze nicht didaktisch und plakativ werden soll.
Bei Terraf@rmer fände ich die zwei letzten Prämissen, die ich in den Text projiziert habe, zu versteckt und oberflächlich behandelt.
Bearbeitet von Christian Hornstein, 21 Januar 2024 - 07:28.
#406
Geschrieben 21 Januar 2024 - 07:44
Von Menschen und Mechanischen
von Ulf Fildebrandt
Die Geschichte hat ein interessantes Thema und baut in spannender Weise ein Rätsel auf, auch wenn die Figuren aufgrund zu oberflächlicher Regungen recht blass bleiben und die Spannung irgendwann durch unplausible Inhalte beeinträchtigt wird:
Daneben gibt es kleinere stilistische Ausrutscher wie der Puls, der Elasahs Brust fast zerspringen lässt. Herzschlag und Puls sind nicht dasselbe.
Bearbeitet von Christian Hornstein, 21 Januar 2024 - 08:38.
#407
Geschrieben 21 Januar 2024 - 08:36
x.501
von Veronika Carver
Es ist eine Geschichte auf zweieinhalb Seiten, die der Thematik in Schwarzer Draht von T. B. Persson ähnelt, die auch hier natürlich nicht neu ist, vor allem aber ohne neue Perspektive erzählt wird, auch wenn die eine oder andere Regung der Ich-Instanz authentisch dargelegt wird
#408
Geschrieben 21 Januar 2024 - 09:09
Zwischenstopp zum Biertanken
von Kai Focke
Wieder eine Geschichte auf ca. zwei Seiten, die auf eine witzige Pointe hinausläuft, und auch hier
Bearbeitet von Christian Hornstein, 21 Januar 2024 - 09:11.
#409
Geschrieben 21 Januar 2024 - 09:45
Mein abschließender Eindruck
Diese von ihrer Aufmachung und ihrem Material her attraktive Anthologie spricht offenbar sehr unterschiedliche Zielgruppen innerhalb der SF-Fangemeinde an. Dadurch wird sie natürlich einzelne Gruppen nur mit ein paar wenigen Texten optimal bedienen können. Außerdem unterscheiden sich die Texte deutlich in ihren Stärken und Schwächen. Auffallend waren die zuweilen gehäuft auftretenden stilistischen Stolpersteine. Oft ließ auch der Umgang mit Spannung und die Originalität Wünsche offen. Recht häufig waren auch inhaltlich-logische Ungereimtheiten. Das sind Eigenschaften, die bei deutschen SF-Kurzgeschichten bekannt sind. Es gibt in dieser Anthologie eine Handvoll Geschichten, die in mehreren Hinsichten gelungen waren.
Einige Texte haben manchen von uns gefallen, weil sie ganz bestimmte Merkmale besaßen, die entsprechenden Präferenzen entsprachen, z.B. die authentische Darlegung menschlicher Regungen und Motive. Dabei wurde über inhaltliche Unebenheiten hinweggesehen, weniger wenn es um deutliche Handlungsbrüche ging, besonders aber wenn sie weniger offensichtlich die Logik betrafen oder wissenschaftlicher Natur waren, z.B. Philosophie, Biologie, Technik. Auch fehlende Originalität wurde oft nicht benannt. Ich vermute, der Grund dafür liegt zum einen darin, dass Originalität und wissenschaftliche Aspekte für manche nachrangig sind, zum anderen, weil sie ein entsprechendes Vorwissen erfordern, das nicht bei allen gleichermaßen vorliegt. Sprachliche Stolpersteine und Perlen wurden meist benannt.
Vielleicht erklärt sich hieraus ein Stück weit die Gestalt deutscher SF-Kurzgeschichten, denn wenn die Rezipienten auf bestimmte Aspekte weniger Wert legen oder eine entsprechende Eigenart nicht erkennen, ist es folgerichtig, dass die jeweiligen Texte veröffentlicht und von der Leserschaft angenommen werden. Die Publikation sprachlich (aber auch in anderer Hinsicht) unfertiger Texte, obwohl der Blick hier vor allem unter Herausgebenden offenbar geschärft ist, scheint sich durch die Aufnahme von Texten zu erklären, die zu viel Feinschliff erfordern, so dass ein finanziell natürlich begrenztes Budget die dadurch begrenzten Ressourcen des vom Verlag engagierten Lektorats erschöpft.
Es wäre interessant zu erfahren, ob die scheinbare Strategie des Verlages, auf Vielfalt zu setzen, erfolgreich ist im Sinne einer hohen abgenommenen Auflage. Der Nachteil ist ja, dass eine hohe Vielfalt eine größere Anzahl an Texten bedingt, was wiederum auch die Aufnahme unfertiger Texte bedeutet, was seinerseits den Lektoratsaufwand in die Höhe treibt und jenseits des Budgets zu Qualitätseinbußen führt. Wenn nur Texte aufgenommen würden, die kaum Überarbeitung bedürften, wäre die Auswahl ja geringer. Aus einem anderen Thread wissen wir, dass Herausgeberi nicht unbegrenzte Zeit auf bessere Texte warten können, weil manche Autori dann lieber woanders publizieren.
Hier scheint eine kritische Schwelle erreicht werden zu müssen, damit ein sich selbst verstärkender Prozess einsetzt. Ist ein Verlag angesehen, wird er mehr Einsendungen erhalten und es werden mehr Autori bereit sein zu warten, und damit wird sich die Qualität der Texte erhöhen lassen, was wiederum das Ansehen des Verlages steigern wird. Um in diesen Kreislauf zu kommen, muss ein Verlag aber eine kritische Ansehensschwelle erreichen. Davor hat er das Problem, dass er eine geringere Auswahl hat und wenn er zu lange wartet, zu viele abspringen. A7L Books ist noch jung, ist aber durch den Ruf seiner Verleger mit einem relativ hohen Ansehen gestartet. Ich glaube, er ist der Schwelle nicht allzu fern oder hat sie sogar schon passiert, und könnte sich vielleicht rasch in der Qualität seiner Texte noch steigern. Ich jedenfalls werde ihn bei Gelegenheit gerne nochmal beliefern.
Bearbeitet von Christian Hornstein, 21 Januar 2024 - 09:49.
#410
Geschrieben 21 Januar 2024 - 10:14
Mein abschließender Eindruck
Diese von ihrer Aufmachung und ihrem Material her attraktive Anthologie spricht offenbar sehr unterschiedliche Zielgruppen innerhalb der SF-Fangemeinde an. Dadurch wird sie natürlich einzelne Gruppen nur mit ein paar wenigen Texten optimal bedienen können.
Ja, über dieses Für-jeden-etwas-Prinzip könnte man durchaus mal nachdenken. Im englischen Sprachraum gibt es schon ziemlich lange die Mammoth Books, die ich recht gern mag; das ist eine Reihe von Anthologien nicht nur im fantastischen Bereich und die sind oft spezialisierter: Da gibt es ein Mammoth Book of High Fantasy, of Extreme Science Fiction, Dieselpunk, Time Travel SF, Lovecraftian Fiction usw. usf. Ich weiß nicht, wie gut die sich verkaufen, aber da der Verlag schon seit Jahrzehnten davon lebt, kann es wohl so schlecht nicht sein.
#411
Geschrieben 21 Januar 2024 - 11:47
Solche Mammoth Books (endlich kenne ich mal einen Namen dafür) habe ich früher öfter gelesen. Teilweise war es ziemlich spannend, wie sich die Geschichten mit fortlaufender Nummer steigerten. Nicht unbedingt in Qualität, aber in Themen. Das hat mich öfters am Ball gehalten, als ich zugeben hätte wollen.
Aber würde sowas in Deutschland funktionieren, wo ja schon 500 Seiten als ein bisschen zu lang gesehen werden können? Vom amerikanischen Satz auf den deutschen übertragen können die gut und gern eintausend Seiten lang sein.
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#412
Geschrieben 21 Januar 2024 - 14:57
Interessante Gedanken, Christian. Ich denke ja, hier hätte überhaupt ein Lektorat viel reißen können. Und eben nicht nur ein Korrektorat. Auch über die Sache mit den unfertigen Geschichten denke ich nach. Ich kann das oft erst im Nachhinein sagen, dass ein Text offenbar noch unfertig war.
Besonders spannend finde ich aber die Frage nach der Zielgruppe. Und was die will. Hier im Thread zeigt sich ja, dass wir uns selten einig sind, was ein guter Text ist. Wäre spannend, den Thread mal durchzugehen und durchzuzählen, wo die Favoriten und wo die "Ausfälle" sind. Welche Texte waren denn deine Favoriten, Christian? Und was ist dir in Texten wichtig?
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#413
Geschrieben 22 Januar 2024 - 10:11
Über das Lektorat in der deutschsprachigen phantastischen Szene kann man viel sprechen, das wäre ein extra Thread wert - habt ihr dazu Lust, Christian, Jol, Maximilian? Dann lass uns was aufmachen.
Zielgruppe In andere Welten: Typische Lesende von deutschsprachiger SF-Kurzprosa, würde ich sagen. Halt "für jeden was dabei", nicht "alles gefällt allen", aber insgesamt sehr gute Qualität.
Aber ja, das Lektorat hätte etwas gründlicher sein dürfen, ist aber auch eine Preisfrage, right?
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#414
Geschrieben 22 Januar 2024 - 10:51
Aber ja, das Lektorat hätte etwas gründlicher sein dürfen, ist aber auch eine Preisfrage, right?
Nein. Ein Buch ohne Lektorat ist nicht vollständig. Wenn ich ein Buch nicht zu einem tragfähigen Preis herausgeben kann, sollte ich es lassen. Oder ich schreibs rauf: Weil wir Lektorat doof finden, hat dieses Buch keines, wir wollen keine Leserschaft, die auf so etwas Wert legt.
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#415
Geschrieben 22 Januar 2024 - 10:54
Nun gut, ich gebe auch nichts ohne Lektorat heraus, idR auch mindestens zu zweit, im Dialog mit den Autor:innen und meistens mehrere Runden. Aber das sind MEINE Werte als Herausgeberin.
Mir ist bewusst, dass das nicht für alle hinhaut und ich sehe auch sehr große Unterschiede durch unsere Szene hinweg, ich sehe ja als Autorin bei meinen Texten auch alles von "nichts" bis "dreimal gründlich durchlektoriert mit einer Menge Feedback und mehreren Durchgängen" (bei den Queer*Welten).
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#416
Geschrieben 22 Januar 2024 - 18:21
Über das Lektorat in der deutschsprachigen phantastischen Szene kann man viel sprechen, das wäre ein extra Thread wert - habt ihr dazu Lust, Christian, Jol, Maximilian? Dann lass uns was aufmachen.
Zielgruppe In andere Welten: Typische Lesende von deutschsprachiger SF-Kurzprosa, würde ich sagen. Halt "für jeden was dabei", nicht "alles gefällt allen", aber insgesamt sehr gute Qualität.
Aber ja, das Lektorat hätte etwas gründlicher sein dürfen, ist aber auch eine Preisfrage, right?
Gern. Aber lass mir einen Link da, ja?
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#417
Geschrieben 22 Januar 2024 - 19:52
Welche Texte waren denn deine Favoriten, Christian? Und was ist dir in Texten wichtig?
Belletristik kommt aus dem Französischen Belles Lettres und bedeutet wörtlich "schöne Buchstaben" und sinngemäß "schöne Literatur". Es geht also um Schönheit. Eine solche Schönheit suche ich in belletristischen Texten. Nun liegt Schönheit im Auge des Betrachters. Manche Menschen nehmen Kriterien in die Hand, von denen gutes Handwerk abhängt, und beurteilen die Texte danach, inwiefern sie diese Kriterien erfüllen. Das halte ich nicht für zielführend, weil diese Kriterien für sich allein genommen noch nichts über die Wirkung des Textes als Ganzes aussagen. Es ist z.B. nicht immer adäquat, einen Infoblock oder ein Adjektiv zu bemängeln, sobald sie einem begegnen. Ob ein solcher Block oder ein Adjektiv der Schönheit eines Textes abträglich ist, hängt noch von anderen Dingen ab.
Mein Vorgehen sieht so aus: Ich lese einen Text so unvoreingenommen und aufmerksam wie möglich. Wenn mir etwas auffällt, mache ich mir eine Notiz und lese weiter. Am Ende horche ich nochmal in mich hinein, wie der Text auf mich gewirkt hat, welche Fragen aufkommen, vor allem, welche Gefühle ich wahrnehme. Dann versuche ich dafür die Ursachen zu finden. Erst in dieser Phase spielen handwerkliche Kriterien eine größere Rolle, aber auch vieles andere. Dabei versuche ich reine Vorlieben meinerseits von objektivierbaren Qualitätsmerkmalen zu trennen.
Mir persönlich gefallen besonders belletristische Texte, die mehrere wünschenswerte Eigenschaften in sich vereinen wie z.B. sprachliche Attraktivität, interessante Erzählstimme, Originalität, passender Humor, Spannung, elegante Handlungsführung, Atmosphäre, gute Figurenzeichnungen, inhaltliche Glaubwürdigkeit und Erkenntnisgewinn. Dabei spielt nicht allein die Anzahl eine Rolle, sondern auch zu welchem Grad welche Eigenschaft erfüllt wird. Speziell bei SF-Texten finde ich es gut, wenn sie auch das Potential des Genres ausschöpfen. Unter den Texten in der Anthologie, die mehrere dieser Aspekte verwirklichen, wären z.B. (nicht erschöpfend und Reihenfolge ist kein Ranking, sondern folgt der Reihenfolge im Buch):
- Der Reiter von Helge Lange (sprachliche Attraktivität, Originalität, Spannung, Handlungsführung, Atmosphäre, Potentialausschöpfung)
- Familienhilfe von Dir (Sprache, Erzählstimme, Humor, Figurenzeichnung)
- Geburtstage auf Alphasott von Yvonne Tunnat (Sprache, Atmosphäre, Figurenzeichnung)
- Ophion von Maximilian Wust (Sprache, Erzählstimme, Originalität, Humor, Spannung, Handlungsführung, Atmosphäre, Glaubwürdigkeit, Potentialausschöpfung)
- Schwarzer Draht von T. B. Persson (Sprache, Atmosphäre, Figurenzeichnung, Spannung)
Über das Lektorat in der deutschsprachigen phantastischen Szene kann man viel sprechen, das wäre ein extra Thread wert - habt ihr dazu Lust, Christian, Jol, Maximilian? Dann lass uns was aufmachen.
Sehr gerne.
Aber ja, das Lektorat hätte etwas gründlicher sein dürfen, ist aber auch eine Preisfrage, right?
Nein. Ein Buch ohne Lektorat ist nicht vollständig.
Wenn wir Autori das Beste aus unserem Text holen möchten, kommen wir um ein professionelles Lektorat nicht herum. Ja, das kostet meist Geld. Wir müssen halt wissen, was uns unser Text und die Ziele, die wir damit verfolgen, wert sind.
Die Entscheidung, ob ich einen meiner Texte anbiete oder weiter daran feile, treffe ich in Abhängigkeit davon, was meine Probeleseri und meine Lektorin mir rückmelden. Beim Rückmeldungsprozess gibt es genau definierte Zielvorgaben, die erreicht werden müssen, z.B. bei der Figurenzeichnung oder Spannungsführung. Solange die Ziele nicht erreicht sind, wird überarbeitet. Wie oft spielt keine Rolle. Quality first. Vorher geht nichts raus. Danach kommen natürlich noch die Rückmeldungen der Herausgeberi.
Für mich ist dieser Aufwand selbstverständlich, ein Gebot des Respekts gegenüber den Leseri, eine Konsequenz des Wunsches verstanden zu werden und zu inspirieren und letztlich auch eine Folge meiner Liebe zur Kunst. Was wäre der Sinn, etwas Halbherziges zu erschaffen?
#418
Geschrieben 23 Januar 2024 - 00:51
Über das Lektorat in der deutschsprachigen phantastischen Szene kann man viel sprechen, das wäre ein extra Thread wert - habt ihr dazu Lust, Christian, Jol, Maximilian? Dann lass uns was aufmachen.
Klar, gern
"Part Five: Boobytrap the stalemate button!"
#419
Geschrieben 23 Januar 2024 - 07:00
Finde ich auch gut, hier ist der Thread.
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#420
Geschrieben 25 Januar 2024 - 12:43
Danke Christian, auch für das Beschreiben dessen, wie du liest. Ich stimme absolut zu, dass ein Infodumpblock oder ein hölzerner Dialog an sich nicht schlecht sein müssen. Manchmal machen diese Dinge einen Text sogar besser, weil sie im Text einen Sinn ergeben. Leider erlebe ich das aber sehr selten. Und nun schlenze ich mal zum anderen Thread.
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